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Beweisvereitelung – Zutrittsverweigerung gegenüber gerichtlich bestellten Sachverständigen

LG Berlin – Az.: 63 S 359/10 – Urteil vom 03.08.2012

Das Versäumnisurteil der Kammer vom 19. April 2011 wird mit der Maßgabe aufrechterhalten, dass unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen das am 19. Mai 2010 verkündete Urteil des Amtsgerichts Schöneberg – 14 C 147/09 – abgeändert und wie folgt neu gefasst wird:

Das am 17. März 2010 verkündete Versäumnisurteil des Amtsgerichts Schöneberg – 14 C 147/09 – wird aufgehoben.

Der Beklagte wird verurteilt, die Wohnung in der Straße … , erster Stock links, bestehend aus zwei Zimmern, einem Flur, einem Bad, einer Küche und einer Toilette zu räumen und an den Kläger herauszugeben.

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 86.000,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus je 2.000,00 EUR seit dem 5. Januar, 5. Februar, 5. März, 6. April, 5. Mai, 4. Juni sowie 6. Juli 2009 zu zahlen.

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ab August 2012 bis zur Räumung und Herausgabe der vorgenannten Wohnung Wertersatz in Höhe von monatlich 2.000,00 EUR bis zum jeweils Letzten eines jeden Monats zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Der Beklagte trägt vorab die im zweiten Rechtszug entstandenen Kosten der Beweiserhebung. Von den Übrigen Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger 23 % und der Beklagte 77 %.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Räumungsvollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 24.000,00 EUR abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Im Übrigen darf der jeweilige Vollstreckungsschuldner die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages zzgl. 10% abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger Sicherheit in Höhe des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages zuzüglich 10 % leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Der Kläger nimmt den Beklagten auf Räumung und Herausgabe sowie Zahlung – auch künftigen – Wertersatzes für die Nutzung der im Tenor näher bezeichneten Wohnung in Anspruch.

Durch das am 19. Mai 2010 verkündete und dem Beklagten am 25. Mai 2010 zugestellte Urteil, auf das zur näheren Sachdarstellung Bezug genommen wird, hat das Amtsgericht der Klage stattgegeben und den Beklagten zur Räumung und Herausgabe sowie zur Zahlung von Wertersatz verurteilt.

Hiergegen richtet sich die am 24. Juni 2010 bei dem Landgericht Berlin eingelegte und mit am 25. August 2010 eingegangenem Schriftsatz vom selben Tage – nach vorheriger Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 25. August 2011 – begründete Berufung des Beklagten.

Er ist der Auffassung, zwischen den Parteien sei es – zumindest – stillschweigend zum Abschluss eines Mietvertrages gekommen, da ihm von den Rechtsvorgängern des Klägers ein unentgeltliches Wohnrecht auf Lebenszeit eingeräumt worden sei. Die Höhe des Wertersatzes sei vom Amtsgericht unzutreffend ermittelt worden.

Nachdem der Beklagte zunächst beantragt hatte, auf seine Berufung das erstinstanzliche Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen, ist gegen den im Termin vom 19. April 2011 trotz Ladung nicht erschienen Beklagten ein die Berufung zurückweisendes und am 23. April 2011 zugestelltes Versäumnisurteil ergangen; dagegen hat der Beklagte mit am 3. Mai 2011 eingegangenem Schriftsatz vom selben Tage Einspruch eingelegt.

Er beantragt nunmehr, das Versäumnisurteil der Kammer aufzuheben, das angefochtene Urteil abzuändern und das am 17. März 2010 verkündete Versäumnisurteil des Amtsgerichts Schöneberg – 14 C 147/09 – aufrecht zu erhalten hilfsweise ihm eine Räumungsfrist mindestens bis zum 30. Juli 2011 zu bewilligen.

Der Kläger beantragt, das Versäumnisurteil der Kammer aufrecht zu erhalten.

Er verteidigt das angefochtene Urteil und vertieft seinen Vortrag.

Die Kammer hat mit Beschluss vom 12.08.2011 zur Frage der Ortsüblichkeit des Mietzinses für die streitgegenständliche Wohnung Beweis angeordnet durch Einholung eines Sachverständigengutachtens. Tatsächliche Feststellungen hat der gerichtliche Sachverständige nicht treffen können, nachdem ihm der Beklagte an den anberaumten Terminen zur Besichtigung der Wohnung am 6. Dezember 2011, 10. Januar 2012, 27. Januar 2012 sowie 10. Februar 2012 keinen Zutritt zur Wohnung gewährt hatte.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Das Verfahren war gemäß § 342 ZPO auf den gemäß §§ 338 ff. ZPO zulässigen Einspruch des Beklagten in den Stand vor Eintritt der Säumnis zurückzuversetzen. In der Sache hat der Einspruch jedoch nur in geringem Umfang Erfolg.

Die Berufung ist teilweise begründet.

Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist sie nicht durch eine vom Kläger ausgesprochene Verpflichtung zur Klagerücknahme unzulässig geworden (vgl. dazu Greger, in: Zöller, ZPO, § 269 Rz. 3 m.w.N.). Zwar hat der Beklagte – ohne nähere Substantiierung – eine solche behauptet, jedoch gleichzeitig erklärt, diese sei gegenüber der Zeugin … erklärt worden. Eine derartige Erklärung berührt die Zulässigkeit der Klage nicht, da sich allein die Parteien des Rechtsstreits über eine Klagerücknahme vereinbaren können (Greger, a.a.O.). Die Zeugin … aber ist nicht Partei dieses Rechtsstreits. Davon ausgehend kam es auf den Gegenvortrag des Klägers, der eine entsprechende Verpflichtungserklärung bestritten hatte, nicht an.

Dem Kläger steht gegenüber dem Beklagten ein Räumungs- und Herausgabeanspruch gegenüber dem Beklagten gemäß den §§ 985, 1004 BGB zu, da dem Beklagte mangels Mietvertragsschlusses mit den Rechtsvorgängern des Klägers oder mit diesem selbst kein Recht zum Besitz gemäß § 986 Abs. 1 BGB zukommt. Zu einem Mietvertragsschluss ist es aus den zutreffenden Erwägungen des angefochtenen Urteils, auf die die Kammer Bezug nimmt, nicht gekommen. Sofern der Beklagte tatsächlich anteilige Betriebskosten getragen haben sollte, rechtfertigt dies keine andere Beurteilung. Denn damit hätte er keine – für einen Mietvertragsschluss konstitutive – entgeltliche Gegenleistung erbracht, sondern allenfalls die Kosten übernommen, die den Gebrauch der Mietsache erst ermöglichen (OLG Dresden, Beschl. v. 7. November 2002 – 4 W 1324/02, ZMR 2003, 250). Ob dadurch zwischen den Rechtsvorgängern des Klägers und dem Beklagten ein Leihvertrag i.S.d. § 598 BGB zu Stande gekommen ist, bedurfte keiner abschließenden Entscheidung der Kammer. Denn in einen solchen wäre der Kläger gemäß § 566 Abs. 1 BGB ohnehin nicht eingetreten (BGH, Urt. v. 17. März 1994 – III ZR 10/93, NJW 1994, 3156).

Der Anspruch des Klägers auf Wertersatz in Höhe des ortsüblichen Mietzinses ergibt sich aus den §§ 812 Abs. 1 Satz 1 1. Alt, 818 Abs. 2 BGB (BGH, Urt. v. 6. August 2008 – XII ZR 67/06, NJW 2009, 1266 Tz. 49 ff.). Dieser bemisst sich ab Januar 2009 auf 2.000,00 EUR monatlich. Zwar hat der Beklagte den Vortrag des Klägers zur Ortsüblichkeit des Mietzinses bestritten, doch hat der Beklagte die Durchführung der von der Kammer angeordneten Beweiserhebung zur Ortsüblichkeit des Mietzinses mehrfach und dauerhaft vereitelt, in dem er dem gerichtlich bestellten Sachverständigen an sämtlichen von diesem angesetzten vier Terminen keinen Zutritt zur Wohnung verschafft hat. Verweigert eine Partei dem Gegner oder dem Sachverständigen aber den Zutritt, so dass die Beweisaufnahme nicht stattfinden kann, ist ein solches Verhalten im Lichte von § 371 Abs. 3 ZPO grundsätzlich als Beweisvereitelung zu werten (Greger, in: Zöller, a.a.O., § 371 Rz. 5; Stadler, in: Musielak, 9. Aufl. 2012, § 357 Rz. 3).

Im Falle der Beweisvereitelung ist das Gericht befugt und gehalten, seiner Entscheidung zu Gunsten des Beweisführers Beweiserleichterungen bis hin zur Beweislastumkehr zu Grunde zu legen und das dem Beweisführer bestmögliche Ergebnis des vereitelten Beweismittels anzunehmen (BGH, Urt. v. 23. Oktober 2008 – VII ZR 64/07, NJW 2009, 360 Tz. 23). Davon ausgehend sieht die Kammer die zum Gegenstand der Beweiserhebung erhobene und im Einzelnen der Höhe und schlüssig dargetane Beweisbehauptung des Klägers, für die streitgegenständliche Wohnung belaufe sich der ortsübliche Vergleichsmietzins auf 2.000,00 EUR als erwiesen an, nachdem ihm der Beklagte den Beweis der von ihm behaupteten Beweistatsache durch die beharrliche Zutrittsverweigerung gegenüber dem gerichtlich bestellten Sachverständigen vereitelt hat. Keine andere Beurteilung folgt daraus, dass der Beklagte – nach eigenem Bekunden – die Wohnung mittlerweile an die Zeugin … herausgegeben hat und sich nunmehr auch diese einer Begutachtung widersetzt. Denn der Beklagte hat die streitgegenständliche Wohnung zumindest im Einvernehmen mit der Zeugin … herausgegeben und diese sich wiederum im Einvernehmen mit dem Beklagten einer Begutachtung widersetzt. Auch in einem solchen Falle greifen die Grundsätze der Beweisvereitelung zu Lasten des Beweisgegners (Greger, a.a.O. Rz. 7).

Der Kläger kann den Beklagten hinsichtlich des von ihm geschuldeten Wertersatzes aufgrund seiner beharrlichen Leistungsverweigerung auch gemäß § 259 ZPO auf künftige Leistung in Anspruch nehmen. Werden während des Rechtstreits jedoch bislang als künftige Ansprüche geltend gemachte Zahlungsansprüche fällig, hat das Gericht von Amts wegen ein unbedingtes Zahlungsurteil zu erlassen. Einer Umstellung des bisherigen Antrags oder einer (Teil-)Erledigungserklärung des klagenden Vermieters bedarf es insoweit nicht (Kammer, Urt. v. 11. November 2011 – 63 S 118/11, BeckRS 2011, 26617). Davon ausgehend war der Beklagte zur Zahlung der bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung fälligen Ansprüche auf Wertersatz in Höhe von 86.000,00 EUR und erst für den sich anschließenden Zeitraum gemäß § 259 ZPO auf künftige Leistung zu verurteilen.

Der Zinsanspruch folgt aus den §§ 280 ff. BGB.

Begründet ist die Berufung hingegen, soweit dem Kläger vom Amtsgericht Ansprüche auf künftigen Wertersatz für den Zeitraum Januar bis Juli 2009 zuerkannt worden sind. Denn für diesen Zeitraum hatte der Kläger bereits unbedingte Zahlung beantragt und ist der Beklagte bereits vom Amtsgericht zur Zahlung von 14.000,00 EUR verurteilt worden.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 92 Abs. 1, 96, 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf den §§ 708 Nr. 10 Satz 1, 711 ZPO. Gründe, die Revision zuzulassen, bestanden gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht. Auch die Gewährung einer Räumungsfrist war gemäß § 721 ZPO nicht veranlasst, da dem Beklagten nach eigenem Bekunden weiterer – durch die Zeugin … vermittelter – Wohnraum zur Verfügung steht.

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