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Eigenbedarfskündigung – § 91a ZPO – Entscheidung

Ein Mieterstreit findet sein Ende: Kosten werden der Beklagten aufgelegt

Ein erbitterter Rechtsstreit um eine Wohnung in W. hat sich nach über einem Jahr zu einem Ende gezwungen. Die Auseinandersetzung war entstanden, als der Kläger, der Eigentümer der Wohnung, die Mieterin aufgrund von Eigenbedarf gekündigt hatte. Die Mieterin hatte sich gegen die Kündigung zur Wehr gesetzt und behauptet, dass es sich bei der Kündigung um eine sogenannte Vorratskündigung handeln würde. Im Juli 2022 räumte die Mieterin schließlich die Wohnung, woraufhin die Tochter des Klägers einzog. Der Kläger erklärte den Streit in dieser Hinsicht für beendet. Allerdings blieben noch offene Anwaltskosten in Höhe von 412,10 EUR, für die der Kläger die Beklagte verantwortlich machen wollte.

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Hinter den Kulissen: Die Erledigungserklärung und ihre Konsequenzen

Im November 2022 schloss sich die Mieterin der Erledigungserklärung an und der Fall schien somit abgeschlossen zu sein. Das Amtsgericht entschied in der Folge, die Kosten des Rechtsstreits gegeneinander aufzuheben. Unzufrieden mit diesem Beschluss legte der Kläger Beschwerde ein und forderte, die gesamten Kosten dem Beklagten aufzulegen. Dieser Antrag führte dazu, dass das Verfahren an das Landgericht Lübeck weitergeleitet wurde.

Die Billigkeitsentscheidung: Ein neuer Ansatz

Gemäß § 91a Abs. 2 ZPO war die Beschwerde des Klägers zulässig. Die Regelung sieht vor, dass nach beidseitiger Erklärung der Erledigung des Rechtsstreits die Kosten „nach billigem Ermessen“ zu entscheiden sind. Hierbei ist zu beachten, dass das Beschwerdegericht seine eigene Ermessensentscheidung treffen darf und nicht nur die Entscheidung des Ausgangsgerichts überprüfen muss. Das Landgericht Lübeck folgte dieser Regel und entschied, die Kosten des Rechtsstreits der Beklagten aufzuerlegen.

Schlüsselerkenntnisse und ihre Bedeutung

Ein entscheidender Punkt in der Argumentation des Gerichts war die Anerkennung, dass das Verbot der Beweisantizipation – also der vorausschauenden Betrachtung von Beweisen – im Rahmen der Billigkeitsentscheidung nach § 91a ZPO gelockert wird. Dies bedeutet, dass das Gericht bei der Entscheidung über die Kosten auch berücksichtigen durfte, wie der Fall zum Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses – also der Räumung der Wohnung – stand.

In diesem speziellen Fall hatte das Amtsgericht argumentiert, dass eine Entscheidung noch nicht reif gewesen und eine Beweisaufnahme nötig gewesen wäre. Das Landgericht sah jedoch einen anderen Weg und entschied letztlich zu Gunsten des Klägers, indem es die Kosten der Beklagten auferlegte. Ein Fall, der nicht nur die beteiligten Parteien, sondern auch die Rechtswissenschaft in Atem gehalten hat.

[…]


Das vorliegende Urteil

LG Lübeck – Az.: 11 C 228/22 – Beschluss vom 15.06.2023

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Der Beschwerdewert wird auf 1.136,39 EUR festgesetzt.

Gründe

Der Kläger hat mit Klage vom 4. Mai 2022 gegen die Beklagte einen Anspruch auf Räumung und Herausgabe einer ihr gehörigen Wohnung in W. geltend gemacht (Antrag zu 1) und zudem beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 412,10 EUR Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen zu verurteilen (Antrag zu 2). Er stütze sich dabei auf eine Kündigung wegen Eigenbedarfs. Die Beklagtenseite hat mit Schriftsatz vom 8. Juni 2022 Klageabweisung beantragt und mit Schriftsatz vom 17. Juni 2022 den Eigenbedarf vorsorglich bestritten. Zudem rügte sie, dass es sich bei der Kündigung um eine sog. Vorratskündigung handele. Mit Schriftsatz vom 5. August 2022 teilte die Klägerseite mit, dass die Beklagte die Wohnung am 15. Juli 2022 geräumt und herausgegeben habe, am Folgetag die Tochter des Klägers eingezogen sei und der Rechtstreit insoweit für erledigt erklärt werde. Mit Schriftsatz vom 14. Oktober 2022 nahm sie zudem den Antrag zu 2. zurück. Mit Schriftsatz vom 2. November 2022 schloss sich die Beklagte daraufhin der Erledigungserklärung an. Mit Beschluss vom 7. November 2022 hob das Amtsgericht hierauf die Kosten des Rechtsstreits gegeneinander auf. Hiergegen wendet sich der Kläger mit Beschwerde vom 21. November 2022. Er beantragt, die Kosten des Rechtstreits vollumfänglich der Beklagten aufzuerlegen. Das Amtsgericht half der Beschwerde mit Beschluss vom 13. Dezember 2022 nicht ab und legte das Verfahren dem Landgericht Lübeck zur weiteren Entscheidung vor.

II.

Die Beschwerde ist gemäß § 91a Abs. 2 ZPO zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt. Sie hat in der Sache auch in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

Nachdem beide Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, war über die Kosten gemäß § 91 a ZPO unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu entscheiden. Im Rahmen der Entscheidung über die sofortige Beschwerde hat dabei das Beschwerdegericht eine eigene Billigkeitsentscheidung zu treffen – es darf sich nicht auf die Überprüfung der Ermessensausübung des Ausgangsgerichts beschränken (vgl. nur Schulz, in MK-ZPO, § 91a, Rn. 67 m.w.N.). In Ausübung des insoweit dem Beschwerdegericht zustehenden eigenen Ermessens legt dieses die Kosten des Rechtsstreits der Beklagten auf.

Maßgebliche Entscheidungsgrundlage für die Kostenentscheidung ist dabei regelmäßig die bei Eintritt des erledigenden Ereignisses vorliegende Sachlage. Bei Eintritt des erledigenden Ereignisses war der Rechtsstreit – wie vom Amtsgericht zutreffend ausgeführt – noch nicht entscheidungsreif und eine Beweisaufnahmen erforderlich. Hieraus rechtfertigte sich grundsätzlich eine, wie auch vom Amtsgericht vorgenommene Kostenaufhebung.

Allerdings ist in Rechtsprechung und Rechtswissenschaft anerkannt, dass im Rahmen der Billigkeitsentscheidung nach § 91a ZPO das grundsätzliche Verbot der Beweisantizipation eine Aufweichung erfährt (vgl. etwa BeckOK ZPO/Jaspersen, 48. Ed. 1.3.2023, ZPO § 91a Rn. 29; Musielak/Voit/Flockenhaus, 20. Aufl. 2023, ZPO § 91a Rn. 23). Kommt es nach dem Eintritt eines erledigenden Ereignisses nicht mehr zur Durchführung einer Beweisaufnahme, kann sich daher im Verfahren nach § 91a ZPO die Beurteilung der Kostentragungslast jedenfalls dann im Einzelfall auch nach dem voraussichtlichen Ergebnis einer Beweisaufnahme bei einer insoweit zulässigen antizipierten Beweiswürdigung richten, wenn besondere Umstände vorliegen, die im Rahmen einer Gesamtwürdigung ein bestimmtes Prozessergebnis in hohem Maße als wahrscheinlich erscheinen lassen (vgl. etwa OLG Dresden Beschluss vom 24. Januar 2017 – 4 U 420/16 -, BeckRS 2017, 102194; OLG Saarbrücken Beschluss vom 29. Mai 2015 – 1 W 10/15 -, BeckRS 2015, 12638).

Ein derartiger Ausnahmefall liegt zur Überzeugung des Beschwerdegerichts hier vor. Wie bereits im Beschluss vom 13. Februar 2023 ausgeführt, spricht in dem hier vorliegenden Verfahren alles dafür, dass die Klägerseite den ihr obliegenden Beweis hätte führen können, dass zum maßgeblichen Zeitpunkt der Kündigungserklärung ein tatsächlicher Überlassungswille des Klägers bestand. Insbesondere sind bereits nach Aktenlage folgende beweiskräftige Indizien, welche für den Überlassungswillen sprechen, festzustellen:

Die Tochter hatte ihre bisherige Wohnung in Kiel bereits gekündigt und dies durch Kündigungsbestätigung der Verwaltung nachgewiesen. Dieser Umstand ist auch unstreitig, da urkundlich belegt und nicht nachvollziehbar bestritten.

Die Tochter ist auch bereits wieder nach W. gezogen und hat dort in Ermangelung einer anderen Wohnung in ihrem alten „Kinderzimmer“ ein (ersichtlich nicht der Lebenssituation angemessenes) Quartier bezogen. Dieser Umstand ist ebenfalls unstreitig da zugestanden (“es ist bereits Wohnraum vorhanden“, Schriftsatz vom 17. Juni 2022).

Die Tochter hat schlussendlich und auch dies unstreitig tatsächlich, wie geplant, eine Stellung in Hamburg angenommen.

Zuletzt ist bei der insoweit zulässigen antizipierten Beweiswürdigung auch zu berücksichtigen, dass die Tochter letztlich – und auch dies nicht nachvollziehbar bestritten – bereits am Tag nach dem Auszug der Beklagten in die streitgegenständliche Wohnung eingezogen ist.

In der Gesamtwürdigung hat das Gericht daher keinerlei Zweifel, dass eine Beweisaufnahme mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit im Sinne des klägerischen Vorbringens ausgegangen wäre. Vor diesem Hintergrund wäre dann im Übrigen auch die Einschätzung einer bloßen Vorratskündigung entfallen. Eine solche liegt nicht mehr vor, wenn sich der Überlassungswille soweit „verdichtet‟ hat, dass ein konkretes Interesse an einer alsbaldigen Eigennutzung besteht (Schmidt-Futterer/Blank/Börstinghaus, 15. Aufl. 2021, BGB § 573 Rn. 85). Hieran bestehen vor dem Hintergrund der obigen Ausführungen keine Zweifel.

Soweit die Beklagtenseite hiergegen mit Schriftsatz vom 3. März 2023 einwendet, das Gericht dürfe das Ergebnis einer erforderlichen Beweisaufnahme nicht vorwegnehmen, ist dies für ein laufendes Erkenntnisverfahren zutreffend. Für die hier aber nur noch anstehende Entscheidung allein über die Kosten im Billigkeitsverfahren nach § 91a ZPO trifft dies nach einhelliger Ansicht in Rechtsprechung und Lehre (vgl. oben) nicht zu.

Soweit die Beklagtenseite in Frage stellt, ob die Unterbringung der Tochter im Elternhaus unangemessen sei, ist dies nicht entscheidungserheblich. Das zugrundeliegende Anliegen, das Gericht möge Beweis über die Frage erheben, ob die Tochter die Wohnung „tatsächlich braucht“ – oder ob sie nicht im Elternhaus bereits hinreichend untergebracht ist, findet keine Stütze im Gesetz. Erforderlich, aber eben auch ausreichend ist nach heute allgemeiner Auffassung allein die tatsächliche Absicht des Vermieters eine andere begünstigte Person darin wohnen zu lassen, wobei es genügt, wenn er hierfür vernünftige und nachvollziehbare Gründe darlegen kann. Es ist allein Sache des Vermieters, darüber zu bestimmen, welchen Wohnbedarf er für sich bzw. die begünstigten Personen geltend machen will (BeckOGK/Geib, 1.4.2023, BGB § 573 Rn. 66). Hinreichend nachvollziehbare und vernünftige Gründe für den angemeldeten Eigenbedarf liegen hier sicherlich vor, da es unmittelbar einleuchtet, dass eine berufstätige junge Frau nach Abschluss ihres Studiums in ihrem ehemaligen Kinderzimmer nicht angemessen untergebracht ist.

Soweit die Beklagtenseite im Übrigen aus einem Verfahren vor dem Landgericht Itzehoe zitiert, führt dies ebenfalls nicht weiter. Unbestritten existieren Fälle nur vorgeschobene Eigenbedarfs – solche sind auch dem erkennenden Gericht aus der eigenen, auch aktuellen Praxis bekannt. Für die Frage, ob dies auch für den hier zu entscheidenden Fall gelten könnte, ist ein in den Einzelheiten hier nicht bekanntes Verfahren aus Itzehoe jedoch ersichtlich ohne jede Aussagekraft. Aus den oben dargelegten Gründen geht das Gericht hier davon aus, dass aus den aufgeführten und durchweg unstreitigen Gründen vorliegend mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit kein derartiger Fall vorliegt.

III.

Anlass, die Rechtsbeschwerde zuzulassen, bestand nicht.

Der Beschwerdestreitwert bemisst sich nach dem Kosteninteresse. Dieses bemisst sich nach den noch im Streit stehenden Gebühren und beträgt 2.272,78 EUR (Verfahrensgebühr 652,60 EUR, Auslagen 20 EUR, MWSt. 127,79 EUR = 800,39 EUR je beteiligtem Anwalt zzgl. 672 Gerichtskosten). Hiervon waren nur die Hälfte anzusetzen, da in der Beschwerde nur noch die zweite, der Klägerseite auferlegte Hälfte der Kosten verfahrensgegenständlich war.

 

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