AG Neukölln – Az.: 5 C 84/12 – Urteil vom 17.10.2012
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
Die Beklagte ist aufgrund Mietvertrages vom 21. November 2011 Mieterin einer Wohnung der Klägerin. Die Beklagte empfing in ihrer Wohnung wiederholt Besucher, darunter Herrn … . Letzterer erhielt von der Beklagten einen Schlüssel zur Wohnung und übernachtete auch dort.
Im Februar und März 2012 machten sowohl die Klägerin als auch ihr Ehemann der Beklagten und Herrn … Vorhaltungen, so unter anderem wegen des Orts, an dem Herr … sein Fahrrad abstellte, wegen seiner Übernachtungen, wegen des Überlassens eines Schlüssels an ihn und weil die Beklagte ihre Fenster gekippt hält.
Mit Schreiben vom 8. April 2012, auf das Bezug genommen wird (Bl. 27 d.A.) mahnte die Klägerin die Beklagte ab. Sie führte als Begründung unter anderem häufige Besuche auch über Nacht und die Überlassung eines Schlüssels an, außerdem dass die Beklagte ihre Fenster stets gekippt halte, ihr Besucher den Müll nicht trenne und er Pappkartons unzerkleinert entsorge.
Am 14. April 2012 kam es auf dem zur Wohnanlage gehörenden Außengelände zu einer Auseinandersetzung zwischen der Klägerin und Herrn …; die Klägerin sprach ihn auf die Übernachtungen an und machte ein Foto. Herr … versetzte ihr einen Schlag in das Gesicht. Am 16. April 2012 verfasste er ein Schreiben an die Klägerin und ihren Ehemann, auf das Bezug genommen wird (Bl. 21 d.A.) in dem er den Ehemann als Nazi bezeichnete. Mit Schreiben vom 20. April 2012, auf das Bezug genommen wird (Bl. 25 d.A.) teilte die Klägerin der Beklagten unter anderem mit, dass sie Herrn … ein Hausverbot erteilt habe und wegen des körperlichen Angriffs nicht wünsche, dass er das Haus erneut betrete. Die Beklagte empfing Herrn … weiterhin. Mit Schreiben vom 7. Mai 2012 (Bl. 46 d.A.) verlangte die Klägerin 100 € erhöhte Nutzungsgebühr für die Besuche.
Die Klägerin erklärte die fristlose, hilfsweise ordentliche Kündigung des Mietverhältnisses mit Schreiben vom 16. Mai 2012, auf das Bezug genommen wird (Bl. 56 d.A.) wegen der Überlassung eines Schlüssels zu Haus und Wohnung an einen Besucher, wegen des tätlichen Übergriffs am 14. April 2012, der Beleidigung ihres Ehemannes im Schreiben vom 16. April 2012, und der anhaltenden Besuche trotz Hausverbots. Die Klägerin kündigte erneut fristlos, hilfsweise ordentlich mit der Klageschrift vom 1. Juni 2012 zusätzlich wegen weiterer Besuche am 16. Mai und 25. Mai 2012.
Das Landgericht Berlin hat auf Antrag der Klägerin in der Beschwerdeinstanz eine einstweiliger Verfügung am 28. Juni 2012 zum Gz. 65 T 117/12 (Bl. 85 d.A.) erlassen, mit der Herrn … das Betreten des streitgegenständlichen Grundstücks und der Beklagten die Gewährung des entsprechenden Zutritts untersagt wurde. In erster Instanz hatte das Amtsgericht Neukölln den Erlass einer einstweiligen Verfügung abgelehnt (Beschluss vom 22. Mai 2012 zu 6 C 1005/12). Das Landgericht Berlin hat die einstweilige Verfügung vom 28.06.2011 auf den Widerspruch der Beklagten und Herrn … mit Urteil vom 21.08.2012 – 65 O 1/12 (Bl. 121 d.A.) aufgehoben. Das Hauptsacheverfahren ist beim Amtsgericht Neukölln zum Az. 3 C 199/12 anhängig.
Seit Zustellung des Beschlusses vom 28. Juni 2012 bis zur mündlichen Verhandlung betrat Herr … das Grundstück der Klägerin nicht mehr.
Mit Schriftsatz vom 14. August 2012 (Bl. 82 d.A.) erklärte die Klägerin erneut die Kündigung wegen fortdauernder Zuwiderhandlung gegen das Hausverbot fristlos, hilfsweise ordentlich.
Die Klägerin behauptet, Herr … habe sich regelmäßig bei der Beklagten aufgehalten und dort auch übernachtet. Dies sei ihr nicht zuzumuten, weil er gewalttätig sei und sie Angst vor ihm habe. In der mündlichen Verhandlung behauptete sie ergänzend, am 14. April 2012 nur das Fahrrad des Herrn … fotografiert zu haben. Die Beklagte sei zur Räumung verpflichtet, nachdem sie Herrn … trotz des Hausverbots weiter empfangen habe, so am 9., 10., 16., 22., 24. und 25. Mai, 2. 13. und 14. Juni und 9. 10. und 11. Juli 2012. Das Hausverbot habe die Klägerin Herrn … am 14. April 2012 mündlich im Beisein der Polizei ausgesprochen, die ihrerseits gegenüber Herrn … ein Hausverbot erteilt haben.
Die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verurteilen, die von ihr innegehaltene Wohnung im … Berlin im …, … von der Straße aus gesehen sofort geräumt an die Klägerin herauszugeben.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie behauptet, Herr … habe nur gelegentlich bei ihr übernachtet. Die Ohrfeige sei Ergebnis einer ständigen Auseinandersetzung mit der Klägerin, die Herrn … ständig beleidigt und provoziert habe, ebenso wie der Ehemann der Klägerin. Insbesondere seien die Übernachtungen aber auch jedes Abstellen seines Fahrrades und ähnliches zum Anlass für Beleidigungen genommen worden. Deswegen habe Herr … am 14. April 2012 die Nerven verloren, was für eine Kündigung aus wichtigem Grund wegen des eigenen Verhaltens der Klägerin nicht genügen könne.
Auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen wird ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Räumung und Herausgabe ihrer Mietwohnung gegen die Beklagte aus § 546 BGB, weil das Mietverhältnis nicht durch Kündigung beendet worden ist. Die Kündigungen vom 16. Mai, 1. Juni und 14. August 2012 sind unwirksam, weil es an einem wichtigen Grund fehlt. Weder der tätliche Angriff durch Herrn … als Besucher der Beklagten am 14. April 2012, noch seine trotz des ausgesprochenen Hausverbots fortgesetzten Besuche, noch die weiteren von der Klägerin aufgeführten Kündigungsgründe reichen aus. Sie lassen eine Fortsetzung des Mietverhältnisses für die Klägerin nicht im Sinne von § 543 Abs. 1 BGB unzumutbar erscheinen, weswegen die fristlose Kündigung nicht wirkt und sie stellen auch im Rahmen der ordentlichen Kündigung keine erhebliche Pflichtverletzung der Beklagten gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB dar.
Im Einzelnen:
Die Körperverletzung zum Nachteil der Klägerin durch den Besucher der Beklagten am 14. April 2012 stellt zunächst keine schuldhafte Pflichtverletzung der Beklagten selbst dar. Handlungen eines Besuchers des Mieters sind dem Mieter nicht grundsätzlich zuzurechnen. Die Beklagte hat bezüglich des Schlags gegen die Klägerin weder Einfluss ausgeübt, noch die Situation begünstigt, noch vorhersehen können oder müssen, dass es zu einer solchen Eskalation kommen würde.
Zwar ist anerkannt, dass sich ein Mieter grundsätzlich das Verhalten eines Mitmieters oder Untermieters zurechnen lassen muss, nicht aber ohne weiteres eines Besuchers. Mag auch – wie die Klägerin behauptet – der Besucher der Beklagten Herr …, der den Schlag geführt hat, häufig bei der Beklagten übernachtet haben, folgt daraus noch kein Untermietverhältnis. Dieser Vortrag der Klägerin kann daher als wahr unterstellt werden. Es ist auch konsequent, dem Mieter ein Fehlverhalten seines Besuchers nicht ohne weiteres zuzurechnen, weil der Vermieter bei einem schweren Fehlverhalten seitens eines Besuchers grundsätzlich die Möglichkeit hat, ein Hausverbot auszusprechen; das gilt unabhängig von der Frage, ob ein Hausverbot im vorliegenden Fall durchgesetzt werden kann.
Nach alledem ist nur ergänzend auszuführen, dass die Tätlichkeit eine außerordentliche oder ordentliche Kündigung des Mietverhältnisses auch im Falle einer Zurechnung nicht gerechtfertigt hätte. Die Pflichtverletzung ist im Lichte der laufenden Auseinandersetzungen der Parteien zu sehen und zu bewerten. Grundsätzlich berechtigen nachhaltige Störungen des Hausfriedens zur Kündigung, wobei insbesondere tätliche Übergriffe gegen andere Bewohner oder den Vermieter eine Störung darstellen. Allerdings ist vorliegend auch die Vorgeschichte zu berücksichtigen, die zu der Körperverletzung führte und diese in einem milderen Licht erscheinen lässt. Von Beginn des Mietverhältnisses an haben die Klägerin und ihr Ehemann die Besuche und Übernachtungen des Herrn … bei der Beklagten und die Überlassung eines Schlüssels an ihn beanstandet und unterbinden wollen. Dabei ist die Beklagte berechtigt, Besuche auch über Nacht zu empfangen und einen Schlüssel an einen Besucher zu übergeben, sodass das Begehren der Klägerin und ihre Abmahnung vom 5. April 2012 ebenso unberechtigt war wie das spätere Verlangen eines Mietzuschlags. Weitere Konflikte gab es mit Herrn … wegen des Abstellens seines Fahrrades auf dem Gelände, des Entsorgens von Müll und des Transports sperriger Gegenstände durch das Treppenhaus. Unabhängig davon, ob die diesbezüglich geäußerten Begehren der Klägerin berechtigt waren oder nicht, war das Verhältnis zu Herrn … jedenfalls angespannt. Der Körperverletzung ging sodann unmittelbar voraus, dass die Klägerin Fotos machte. Es ist nachvollziehbar, dass dies als Provokation empfunden wurden, ohne dass es darauf ankäme, ob die Klägerin tatsächlich nur das Fahrrad des Herrn … fotografiert hat. Soweit sich Herr … in Situation angesichts des ohnehin schon angespannten Verhältnisses zur Klägerin derart provoziert fühlte, dass er die Klägerin schlug, ist von einer Ausnahmesituation auszugehen, die eine Störung des Hausfriedens und ein schuldhaftes Fehlverhalten des Herrn … darstellt, nicht aber eine nachhaltige Störung. Das heißt, aus diesem Fehlverhalten in einer konkreten und zugespitzten Situation kann nicht geschlossen werden, dass es erneut zu einem solchen Übergriff kommen wird. Es ist dabei noch einmal klarzustellen, dass die Körperverletzung in keiner Hinsicht gerechtfertigt ist. Dennoch hat auch die Klägerin durch ihre anhaltenden unberechtigten Vorwürfe wegen des Aufenthalts des Herrn … und das Fotografieren seines Fahrrades zu einer Eskalation beigetragen.
Wie bereits dargestellt, stellen weder die Übernachtungen von Besuchern bei der Beklagten noch das Überlassen eines Schlüssels einen Pflichtverstoß dar. Als Mieterin ist die Beklagte berechtigt, jederzeit Besucher in ihrer Wohnung zu empfangen, dies auch über Nacht und über längere Zeit, ohne Einschränkung hinsichtlich der Personen (vgl. Schmidt-Futterer, 10. Auflage § 535 BGB RN 255 mwN).
Der Beklagten kann des weiteren nicht zum Vorwurf gemacht werden, ihren Besucher trotz des Hausverbots weiter empfangen zu haben. Insofern ist ihr zu Gute zu halten, dass die Rechtmäßigkeit des Hausverbots nicht eindeutig ist und zunächst vom Amtsgericht Neukölln und in der Beschwerde vom Landgericht Berlin im Einstweiligen Verfügungsverfahren abweichend bewertet worden ist. Zudem ist es nicht zu weiteren Zwischenfällen gekommen und die Besuche wurden nach der Zustellung der das Hausverbot zunächst bestätigenden Entscheidung des Landgerichts vom 28.06.2012 eingestellt. Diese Entscheidung wurde zudem mit Beschluss des Landgerichts vom 21.09.2012 wieder aufgehoben.
Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 708 Nr. 11, 711 ZPO.