Mietrechtliche Schonfristzahlung: Einblick in die Rechtspraxis und Gerichtsentscheidungen
Die Frage, ob eine sogenannte Schonfristzahlung im Mietrecht die Kündigung eines Mietvertrags heilen kann, ist seit jeher ein kontrovers diskutiertes Thema in der deutschen Rechtsprechung. Im Kern geht es darum, ob eine nachträgliche Zahlung des Mieters, die innerhalb einer bestimmten Frist erfolgt, die zuvor ausgesprochene Kündigung des Vermieters unwirksam macht.
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Übersicht
Rechtsprechung und Gesetzgeber
Die Rechtsprechung, insbesondere des Bundesgerichtshofs, hat sich in der Vergangenheit intensiv mit den Folgen einer Schonfristzahlung auseinandergesetzt. Dabei gibt es eine Vielzahl von Entscheidungen, die sich für oder gegen die Heilungswirkung einer solchen Zahlung aussprechen. Interessant ist hierbei die Annahme einiger Gerichte, dass das „Verhalten“ des Gesetzgebers, insbesondere seine Untätigkeit inBezug auf die Regelung der Schonfristzahlung, als stillschweigende Zustimmung zu einer bestimmten Rechtsauffassung gewertet werden könnte.
Bindung der Gerichte
Ein zentrales Thema in dieser Debatte ist die Frage, inwieweit Gerichte an die Rechtsauffassungen des Gesetzgebers gebunden sind. Einige Stimmen argumentieren, dass nur ein ausdrücklich verabschiedetes Gesetz die Rechtsprechung binden kann. Andere hingegen sehen in der Untätigkeit des Gesetzgebers eine Art stillschweigende Zustimmung zu einer bestimmten Rechtsauffassung.
Differenzen in der Rechtspraxis
Die Rechtspraxis zeigt eine deutliche Diskrepanz zwischen den verschiedenen Auffassungen. Während einige Gerichte der Meinung des Bundesgerichtshofs folgen, suchen andere nach Lösungen, um als ungerecht empfundene Ergebnisse zu vermeiden. Diese Differenzen in der Rechtspraxis führen zu Unsicherheiten und stellen die Frage, welcher Auffassung der Gesetzgeber tatsächlich folgen würde, wenn er sich entscheiden müsste.
Schlussgedanken zur Schonfristzahlung
Die Debatte um die Schonfristzahlung im Mietrecht zeigt, wie komplex und vielschichtig die Rechtsprechung in Deutschland sein kann. Es bleibt abzuwarten, ob der Gesetzgeber in Zukunft eine klare Regelung treffen wird, die die bestehenden Unsicherheiten beseitigt und sowohl für Mieter als auch für Vermieter Rechtssicherheit schafft.
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Das vorliegende Urteil
LG Berlin – Az.: 66 S 149/22 – Urteil vom 31.03.2023
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Amtsgerichts Kreuzberg vom 14.04.2022, Az. 18 C 263/21, wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Amtsgerichts Kreuzberg ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird zugelassen.
Gründe:
A.
Die Berufungsklägerin nimmt die Beklagte auf Räumung und Herausgabe ihrer Wohnung in Anspruch. Vorrangig stützt sie dieses Begehren auf eine Kündigung vom 23.06.2021; diese hat die Rechtsvorgängerin der Klägerin wegen Zahlungsverzuges der Beklagten in Höhe von 3 Monatsmieten ausgesprochen, und zwar zugleich fristlos und vorsorglich fristgemäß zum nächstmöglichen Termin. Anstelle des Tatbestandes wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil des Amtsgerichts Bezug genommen.
Eine tatsächliche Ergänzung ist lediglich bezüglich einer weiteren von der Klägerin selbst mit der Klageschrift vom 22.09.2021 erklärten Kündigung veranlasst. Diese Kündigung hat die Beklagte (erstmals) mit der Zustellung der Klageschrift erreicht; das Empfangsbekenntnis in der Gerichtsakte datiert auf den 22.10.2021.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Kündigung vom 23.06.2021 sei nach § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB als fristlose Kündigung durch den am 30.06.2021 erfolgten vollständigen Ausgleich des Zahlungsrückstands unwirksam geworden. Für die hilfsweise ordentlich erklärte Kündigung fehle es an einer erheblichen Pflichtverletzung; bei Würdigung der Einzelfallumstände erscheine die Geltendmachung der ordentlichen Kündigung als treuwidrig. Die in der Klageschrift vom 22.09.2021 erklärte Kündigung gehe auf die einmalige verspätete Mietzinszahlung für August 2021 zurück, was aus denselben Gründen als Kündigungsgrund nicht ausreiche.
Die Berufungsklägerin teilt zwar die Ansicht, dass die fristlose Kündigung ihrer Rechtsvorgängerin durch Schonfristzahlung nach § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB unwirksam geworden ist. Sie stützt in der Berufungsinstanz den Anspruch auf Räumung und Herausgabe der Wohnung aber noch auf die hilfsweise ordentlich erklärte Kündigung vom 23.06.2021 und auf die in der Klageschrift ausgesprochene Kündigung wegen verspäteter Zahlung.
Die Berufungsklägerin beantragt sinngemäß, unter Abänderung des angefochtenen Urteils, die Beklagte zur Räumung und Herausgabe der im Rubrum bezeichneten Wohnung zu verurteilen.
Die Berufungsbeklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die Abweisung der Klage auch unter Hinweis darauf, dass nach dem Urteil des erkennenden Gerichts vom 01.07.2022 (Aktenzeichen 66 S 200/21) die tatbestandlich vorliegende Schonfristzahlung nach § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB zur Unwirksamkeit auch der hilfsweise ordentlich erklärten Kündigung vom 23.06.2021 führe, da diese auf den identischen ausgeglichenen Zahlungsrückstand gestützt worden sei.
B.
Die Berufung der Klägerin ist gemäß §§ 511 ff. ZPO zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und rechtzeitig begründet worden. Das Rechtsmittel bleibt aber in der Sache ohne Erfolg.
I. Die Kammer hält daran fest, dass eine rechtzeitige Schonfristzahlung nach § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB neben der außerordentlichen auch eine hilfsweise fristgemäß erklärte Kündigung heilt, sofern diese auf denselben (ausgeglichenen) Zahlungsrückstand gestützt wurde. Es besteht damit kein Anlass, das klageabweisende Urteil des Amtsgerichts abzuändern.
1. Für die rechtlichen Grundlagen der Entscheidung verweist die Kammer zunächst auf das Urteil vom 01.07.2022 (66 S 200/21). Darin sind alle Anknüpfungstatsachen und Schlussfolgerungen für die Gesetzesanwendung herausgearbeitet. Die textliche und strukturelle Gestalt des Gesetzes und die Entwicklung der §§ 569, 573 BGB hat die Kammer ausführlich dargestellt. Sie hat alle tatsächlichen Ausgangspunkte zueinander ins Verhältnis gesetzt, um methodisch korrekt zu begründen, warum die Erstreckung der Wirkungen einer Schonfristzahlung (auch) auf eine ordentliche Kündigung mit dem geltenden Gesetz vereinbar und vorzugswürdig ist.
Kritisch wurde im Urteil vom 01.07.2022 auch erwogen, ob die Anwendung von § 569 Abs. 3 Nummer 2 BGB auf die hilfsweise ordentliche Kündigung Grenzen verletzt, die den Gerichten von der Verfassung auferlegt sind. Dies ist aber nicht der Fall; insbesondere existiert keine bindende Gesetzgebung, die der hier vertretenen Rechtsanwendung entgegenstünde. Anderslautende Mahnungen des Bundesgerichtshofs in dessen Entscheidung vom 13.10.2021 (Aktenzeichen VIII ZR 91/20) haben die Kammer (mit ausführlicher Begründung) nicht überzeugt.
2. Das Urteil vom 01.07.2022 ist rechtskräftig geworden. Die Ausführungen der Kammer haben aber (anlässlich eines anderen Verfahrens) den Bundesgerichtshof in dessen Entscheidung vom 05.10.2022 (Aktenzeichen VIII ZR 307/21) beschäftigt. Ohne inhaltliche Stellungnahme zu Methodik und Ergebnis einer Gesetzesauslegung äußert der Senat darin seinen Eindruck, es bestehe kein Anlass zu einer „anderen Beurteilung“, weil die Entscheidung der Kammer vom 01.07.2022 im wesentlichen wiederholende Ausführungen enthalte.
Stattdessen bekräftigt er seine zuerst in der Entscheidung vom 13.10.2021 (VIII ZR 91/20) vorgestellte These, wonach die Rechtsprechung bei Anwendung von § 569 Abs. 3 Nummer 2 BGB nach Art. 20 Abs. 3 GG durch eine „gesetzgeberische Entscheidung“ gebunden sei. Diese Konsequenz sei aus dem „Verhalten des Gesetzgebers in der jüngeren Vergangenheit“ zu ziehen. Es belege, dass der Gesetzgeber das Verständnis des eingeschränkten Anwendungsbereichs von § 569 Abs. 3 Nummer 2 BGB „als weiterhin geltende Rechtspraxis ansieht“. Soweit die aktuelle Bundesregierung im Koalitionsvertrag evaluieren und entgegensteuern wolle, „…wo Schonfristzahlungen dem Weiterführen des Mietverhältnisses entgegenstehen…“, wolle sie offenbar am bisherigen „…Rechtszustand (jedenfalls derzeit) noch keine Änderungen vornehmen…“. Gesetzesvorhaben betreffend eine Erstreckung der Schonfristzahlung auf die ordentliche Kündigung seien nicht weiterverfolgt und mehrfach Gesetzesanträge mit diesem Inhalt ausdrücklich abgelehnt worden. Es liege also mehr als ein bloßes Schweigen des Gesetzgebers vor; daraus sei ein Bestätigungswille des Gesetzgebers zur bisherigen Rechtsprechung abzuleiten.
3. Eine bindende Gesetzgebung, die der Bundesgerichtshof zu erkennen meint, hätte zur Folge, dass es auf eine sorgfältige Anwendung verschiedener Auslegungsmethoden nicht (mehr) ankäme. Wäre die Frage nach der Reichweite von § 569 Abs. 3 Nummer 2 BGB vom Gesetzgeber eindeutig beantwortet, dürfte das von ihm festgelegte Ergebnis nicht von den Gerichten hinterfragt werden; insbesondere wären sie nicht befugt, im Wege einer „Auslegung“ zu anderen Ergebnissen zu gelangen, als das unmissverständliche Gesetz sie vorgäbe. Eine inhaltliche Auslegung des Gesetzes ersatzlos entfallen zu lassen (wie in der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 05.10.2022 geschehen), könnte dann konsequent erscheinen.
Diese Situation ist zur Frage der Wirkungen einer Schonfristzahlung aber nicht eingetreten. Die These des Bundesgerichtshofs überzeugt bereits deshalb nicht, weil der verfassungsrechtlich maßgebliche Bezugspunkt fehlt: ein vom Gesetzgeber stammendes Gesetz. Die Rechtsprechung ist nach Art. 20 Abs. 3 GG nicht an „gesetzgeberische Entscheidungen“ gebunden, sondern an „Gesetz und Recht“. In diesen Kategorien liegt keine Entscheidung des Gesetzgebers dahingehend vor, dass die Wirkung einer Schonfristzahlung auf eine fristlos erklärte Kündigung beschränkt sei. Der Bundesgerichtshof verweist mit der Formulierung, dass der Gesetzgeber „…am bisherigen Rechtszustand (jedenfalls derzeit) noch keine Änderungen vornehmen…“ wolle, selbst auf diesen Umstand. Die Konsequenz aus der nicht vorgenommenen Änderung des Gesetzes ist aber zwingend die Geltung des unveränderten Gesetzes (s. bereits ausführlich LG Berlin vom 01.07.22, 66 S 200/21), nicht aber eine gesetzesgleiche „Geltung“ einer in der Rechtsprechung vertretenen Auffassung.
Ein Wille des Gesetzgebers, der die Rechtsprechung bindet, ist allein „…der mit dem und in dem Gesetz fixierte und bis zur Aufhebung oder Änderung des Gesetzes in dem dafür verfassungsrechtlich vorgeschriebenen Verfahren dauerhaft gültige Wille…“ (vgl. nur Dürig/Herzog/Scholz/Hillgruber; Art. 97 GG, Rz. 59 m.w.N.). Die von Verfassungs wegen zu beachtende Bindung der Gerichte kann deshalb nicht an jegliches „Verhalten“ des Gesetzgebers anknüpfen, sondern nur an die Verabschiedung eines Gesetzes, durch das allein der Gesetzgeber seinen Willen abschließend fixiert und dauerhaft gültig erklärt.
Ein Gericht setzt sich selbst (ggf. auch unbeabsichtigt) an die Stelle des Gesetzgebers, wenn es unterhalb dieser Schwelle schon aus einem sonstigen „Verhalten“ ein nach Art. 20 Abs. 3 GG bindendes Einverständnis des Gesetzgebers mit der eigenen vom Gericht vertretenen Auffassung ableiten will. Den Gerichten fällt zwar auch nach der Vorstellung des Bundesverfassungsgerichts eine über die unmittelbare Anwendung der Gesetze hinausgehende Rechtsfindung zu, soweit diese sich „…vom geschriebenen Gesetz nur in dem zur Rechtsverwirklichung im konkreten Fall unerlässlichen Maße entfernt…“ (vgl. etwa BVerfG 1 BvR 112/65 v. 14.02.1973). Sie sind im Einklang mit der durch die Verfassung definierten Gewaltenteilung damit befasst, Lücken im Gesetz zu schließen oder (in engen Grenzen) Rechtsfortbildung zu betreiben. Aus diesen Rechtsquellen entsteht aber (mit Ausnahme des hier nicht zu betrachtenden Gewohnheitsrechts) keine Bindung der (gesamten) Rechtsprechung nach dem Maßstab von Art. 20 Abs. 3 GG. Die dabei wirksame „…Auslegung des (Gesetzes-)Rechts ist integraler Bestandteil der den Richtern exklusiv zugewiesenen Funktion, Recht zu „sprechen“…“ (vgl. Dürig/Herzog/Scholz/Hillgruber; a.a.O. Rz. 55). So gewonnene Erkenntnisse bringen Meinungen der jeweils tätigen Gerichte hervor, die aber weder selbst bindendes Recht sind, noch mit solchem verwechselt werden dürfen.
Die von der Legislative erzeugte Bindung erstreckt sich zunächst auf den geschaffenen Gesetzestext. In seinem Kontext (aber nur dort) kann ausnahmsweise auch dasjenige, was der Gesetzgeber in dem erlassenen Gesetz nicht selbst ausspricht, an der Kraft des Gesetzes teilnehmen; auch ein solcher Fall liegt betreffend § 569 Abs. 3 Nummer 2 BGB aber nicht vor (dazu unter B.).
Wo Gerichte eine vermeintliche Bindung in der ihnen auferlegten Entscheidung unterstellen, die mangels bindenden Rechts tatsächlich nicht existiert, nehmen sie die ihnen exklusiv auferlegte Verantwortung für die Rechtsanwendung nicht wahr. So liegt es nach Auffassung der Kammer auch bei der Annahme des Bundesgerichtshofs (a.a.O.), Fragen zur Methodik und zum Auslegungsergebnis in der Rechtsanwendung nicht (mehr) selbst beantworten zu müssen, weil sie bereits bindend durch den Gesetzgeber beantwortet seien.
Da eine bindende Gesetzgebung nach 2001 fehlt, sind die Fragen zur Reichweite der Regelung von § 569 Abs. 3 Nummer 2 BGB mit den anerkannten Methoden der Rechtsanwendung zu lösen; die Ergebnisse der Auslegung müssen von den Gerichten durch eine nachvollziehbare Begründung verantwortet werden. Maßgeblich bleiben der Wortlaut des Gesetzes, seine Struktur, der Sinn und Zweck der Regelung und die weiteren von einer bestimmten Auffassung ausgehenden Rechtswirkungen (nachfolgend unter III.).
II. Bindendes Recht, das im Falle von Schonfristzahlungen zu einem vom Bundesgerichtshof grundsätzlich für richtig gehaltenen Räumungsurteil auf der Grundlage einer vorsorglich erklärten ordentlichen Kündigung zwingen würde, existiert nicht.
1. Der Bundesgerichtshof geht in der Entscheidung vom 05.10.2022 selbst davon aus, dass ein Schweigen des Gesetzgebers zu Ansichten der Rechtsprechung nicht mit einem Akt der Gesetzgebung gleichgesetzt werden kann.
Von diesem Grundsatz will der Senat betreffend die Wirkung einer Schonfristzahlung abweichen, weil inzwischen ein „Verhalten des Gesetzgebers“ zu beachten sei, das über Passivität und Schweigen hinausgehe. Unter Verweis auf die frühere Entscheidung vom 13.10.2021 (VIII ZR 91/20; hier und beim BGH) soll maßgebliche Bedeutung Gesetzesvorhaben zukommen, die „…nicht weiter verfolgt…“ wurden, sowie abgelehnten Anträgen auf eine Änderung von Gesetzen.
a) Die Kammer hat zu dieser Idee bereits ausführlich Stellung bezogen und anhand wörtlich zitierter Äußerungen aus den verschiedenen Gesetzgebungsinitiativen hergeleitet, dass die Ablehnung einer Ergänzung des MietRAnpG (auf Antrag der Opposition) nicht darauf beruhte, dass der Gesetzgeber sich zu den inhaltlichen Fragen eine Meinung gebildet hatte. Die mit dem MietRAnpG angestrebten Verbesserungen (vor allem zur sog. Mietpreisbremse) wurden stattdessen als besonders dringlich angesehen, und es sollten bei diesem Akt der Gesetzgebung „…keine weiteren Regelungen aufgenommen werden, die thematisch nicht (damit) eng zusammenhängen…“ (so die Erläuterung der Bundesregierung; s. bereits m.w.N. LG Berlin 66 S 200/21).
b) Der Bundesgerichtshof hält solche Erwägungen zu einem im Gesetzgebungsvorgang konkret sichtbar gewordenen Kontext der parlamentarischen Entscheidungen offenbar für unerheblich, wenn er (im Urteil vom 05.10.2022) bemerkt, dass der Gesetzgeber „…ungeachtet etwaiger Gründe hierfür (…) an diesem Rechtszustand (jedenfalls derzeit) noch keine Änderungen vornehmen möchte…“.
(1) Diese Beschränkung auf das blanke in einer Unterlassung bestehende Ergebnis, zu welchem es „warum auch immer“ gekommen ist, wird der Sache in keiner Weise gerecht. Die rechtliche Bedeutung davon, dass etwas nicht geschieht, ist immer entscheidend davon abhängig, in welchem Kontext sich dieses Ergebnis eingestellt hat.
Die Abweisung eines Antrags auf Änderung eines Gesetzes durch ein Parlament unterscheidet sich insoweit nicht grundlegend von der Abweisung eines Klageantrags durch ein Gericht. In beiden Fällen kann die Entscheidung ihren tragenden Grund auf ganz unterschiedlichen Ebenen haben. Sie kann auf reinen Verfahrensfragen oder materiellen Überzeugungen beruhen, auf zeitlichen Abläufen oder Erwägungen zur Opportunität etc. Die Unterschiede zwischen der Abweisung eines Klageanspruchs entweder als unzulässig oder aber als unbegründet verbieten es ganz offensichtlich, allein die „Abweisung“ als aussagekräftiges Ergebnis zur Kenntnis zu nehmen. Wer sich darauf beschränken wollte, dass der Klageanspruch „ungeachtet etwaiger Gründe jedenfalls im Ergebnis nicht zugesprochen wurde“, um daraus einen materiell-rechtlichen Schluss abzuleiten, läge (wohl unbestreitbar) falsch.
Nicht anders verhält es sich bei der Einordnung eines abgelehnten Änderungsantrags zu einem Gesetz. Die Bewertung dieses Vorgangs ist ohne Kenntnisnahme von seinem Kontext nicht möglich. Für den im Parlament abgelehnten Änderungsantrag der Opposition, den der Bundesgerichtshof würdigen will, stand vor den materiell-rechtlichen Folgen zunächst ein auf die technische Form der Gesetzgebung gerichteten Ansatz. Dieser bestand darin, dass das vollständig vorbereitete und unmittelbar zur Entscheidung anstehende MietRAnpG geändert werden sollte, bevor es vom Parlament verabschiedet würde. Der Änderungsantrag ist auch ausweislich des parlamentarischen Protokolls allein auf dieser Ebene zur Kenntnis genommen und beschieden worden. Die verkürzende Feststellung, wonach „jedenfalls eine im Raum stehende inhaltliche Änderung des BGB nicht erfolgt sei“, führt also zu nichts. Der Gesetzgeber hat lediglich auf die Frage geantwortet, ob unmittelbar vor seiner Verabschiedung das MietRAnpG noch thematisch grundlegend erweitert werden soll. Dies beinhaltet (wie das Ausbleiben jeder inhaltlichen Debatte belegt) keine Äußerung des Gesetzgebers dazu, welchen Anwendungsbereich § 569 Abs. 3 Nummer 2 BGB hat und/oder erhalten soll.
(2) Die vom Bundesgerichtshof angesprochenen Vorgänge betreffen im Übrigen keineswegs in allen Fällen überhaupt ein Handeln des Gesetzgebers. Dies gilt etwa für den Antrag des Bundesrates, die Regelungen zur Schonfristzahlung gesetzlich zu ändern; dieser wurde nie durch den Gesetzgeber beantwortet, sondern durch die Bundesregierung (vgl. Häublein/Lehmann-Richter, JZ 2023, 89 ff. (S. 92; Fn. 34).
Gleiches gilt für den bereits in der Entscheidung vom 13.10.2021 (VIII ZR 91/20) thematisierten Referentenentwurf aus dem Jahr 2016. Es ist nicht verständlich, welches Handeln des Gesetzgebers der Bundesgerichtshof mit den Bemerkungen ansprechen will, dieser „…Entwurf wurde nicht Gesetz…“ (VIII ZR 91/29 a.a.O. Rz. 86) bzw. der Gesetzgeber habe dieses Gesetzesvorhaben (des Justizministeriums als Teil der Exekutive) „…nicht weiter verfolgt…“ (VIII ZR v. 05.10.22). Die Verweise auf Planungen, Diskussionen und Abstimmungen, die der Gesetzgeber nicht auf sich genommen hat, sind lediglich eine kompliziertere Beschreibung der Tatsache, dass der Gesetzgeber zu den Wirkungen von § 569 Abs. 3 Nummer 2 BGB seit 2001 schweigt.
Das unschwer mögliche „Tätigwerden“, mit dem der Gesetzgeber in einem zweifelsfreien Akt der Gesetzgebung reagieren könnte, hat die Kammer bereits ausführlich dargestellt (LG Berlin 66 S 200/21 v. 01.07.22). Eine Billigung der Ansicht des Bundesgerichtshofs wäre in sehr wenigen Worten im Rahmen von § 573 BGB oder auch von § 569 BGB vollkommen unproblematisch. Der Gesetzgeber hat aber seit der Schaffung des geltenden Gesetzes weder eine solche noch überhaupt irgendeine legislative Äußerung zu seinen Vorstellungen betreffend den Wirkungsbereich von § 569 Abs. 3 Nummer 2 BGB abgegeben.
2. Dieser Befund lässt sich nicht dadurch in sein Gegenteil verwandeln, dass man ein Nichthandeln als „Verhalten des Gesetzgebers“ anführt. Die Tatsache, dass der Gesetzgeber eine bestimmte (ggf. klarstellende) Norm nicht in Kraft setzt, wird nicht allein durch die Bezeichnung als „eindeutige Entscheidung des Gesetzgebers“ ein Gesetz. Eine andere Wortwahl für das Unterlassen (nämlich der Wechsel zum aktiver klingenden „Verhalten“) führt nicht zu demjenigen (Gesetz), das der Gesetzgeber gerade nicht geschaffen hat. Mit solchem Ausweichen auf Oberbegriffe würde der Legislative die ihr allein zustehende Entscheidung genommen, wann sie bindendes Recht mit welchem Inhalt erlassen will. Mit der entsprechenden Bewertung jeglichen „Verhaltens“ eignet sich die Rechtsprechung unzulässig die Deutungshoheit über die Existenz bindender Gesetze an.
a) Die Ablehnung eines Antrags durch das Parlament bedeutet keine Zustimmung zum kontradiktatorischen Gegenteil (Häublein/Lehmann-Richter, a.a.O. S. 92). Die Kammer hat bereits dargestellt, welche Motive oder arbeitspraktischen Gründe im Parlament dazu führen können, dass der Gesetzgeber bestimmte Dinge nicht unternimmt. Es bleibt dabei, dass auch der Bundesgerichtshof dazu lediglich Spekulationen in den Raum stellen kann (s. bereits 66 S 200/21 v. 01.07.22; zustimmend Häublein/Lehmann-Richter, a.a.O. S.92).
Dies zeigt sich auch an der Hypothese, der Gesetzgeber sehe „…das aufgezeigte Normverständnis (Anm.: das des Bundesgerichtshofs) als weiterhin geltende Rechtspraxis…“ an, an der er jedenfalls noch keine Änderungen vornehmen wolle (VIII ZR 307/21 v. 05.10.22). Eine Rechtspraxis wäre keine („geltende“) Norm, sondern eine von vielen Gerichten akzeptierte praktische Handhabung. Sie ist dadurch auch keine Angelegenheit des Gesetzgebers, sondern eine solche der Rechtsprechung, und wird auch allein durch diese geprägt.
Die Rechtspraxis zu den Folgen einer Schonfristzahlung setzt sich aus zahlreichen veröffentlichten Entscheidungen auf der Linie des Bundesgerichtshofs, ferner aus einer deutlich geringeren Anzahl an Veröffentlichungen für die gegenteilige Auffassung zusammen (vgl. zuletzt etwa AG Schwandorf vom 08.08.2022, AZ. 2 C 216/22). Hinzu kommen durchaus zahlreiche Entscheidungen, in denen die Gerichte zwar von den Annahmen des Bundesgerichtshofs ausgehen, die dann als unbefriedigend oder ungerecht empfundenen Ergebnisse aber (in nicht revisiblen Entscheidungen anhand der Umstände eines Einzelfalls) durch die Zubilligung von „mildem Licht“ oder den Ausweg einer „rechtsmissbräuchlichen Verfolgung der ordentlichen Kündigung“ vermeiden. Die Kammer hat die dazu materiell und prozessual angestellten (weit gestreuten) Erwägungen bereits in konkreten Beispielen zusammengetragen (LG Berlin vom 21.03.2019, 66 S 90/17). Eine solche Rechtspraxis begründet die Gefahr, dass über Ansprüche auf Räumung von Wohnraum in der Art eines richterlichen Gnadenaktes entschieden wird, der auf Grundlage kaum überschaubarer Kriterien gewährt oder verweigert wird.
Der Blick auf eine so zusammengesetzte Rechtspraxis bildet die von unabhängigen Gerichten akzeptierten Erwägungen und Argumente in ihrer Verschiedenheit ab. Er begründet aber kein zusätzliches Argument, mit dem sich die Differenzen zwischen den Anschauungen auflösen ließen. Die Annahme des Bundesgerichtshofs, dass der Gesetzgeber die tatsächliche Rechtspraxis in dem angeführten – ihn selbst betreffenden – Teilbereich (oder auch in der tatsächlich existierenden Gesamtheit) zur Kenntnis nimmt, mag zutreffen. Sie besagt aber nichts darüber, aus welchen Erwägungen der Gesetzgeber es endgültig ablehnt (oder nur vorübergehend zögert), in die Rechtspraxis einzugreifen. Erst recht besagt diese Überlegung nichts dazu, welcher der unterschiedlichen Auffassungen in der Rechtspraxis der Gesetzgeber sich anderenfalls anschließen würde, oder ob er einen bisher von niemandem vertretenen ganz eigenen Weg für die zu lösenden Fragen einschlagen würde. Unter keinen Umständen lässt sich ein Schluss darauf ziehen, es existiere bereits durch „Verhalten“ eine für die Rechtsprechung bindende Entscheidung des Gesetzgebers.
b) Der Ansatz des Bundesgerichtshofs hätte im Übrigen auch generell äußerst bedenkliche Konsequenzen für die Rechtsklarheit (so zu Recht Häublein/Lehmann-Richter a.a.O. S. 92).
Es bedeutet ohnehin eine Erschwernis, maßgebliche Inhalte der geltenden Gesetze im Einzelfall nur unter Berücksichtigung der historischen Argumente ermitteln zu können, die anlässlich der Verabschiedung der Gesetze in den Materialien mitgeteilt sind. Die Rechtsunterworfenen werden auf solche Materialien nur schwer zugreifen und die Relevanz einzelner Erwägungen kaum einschätzen können.
Das Vorgehen des Bundesgerichtshofs würde solche Schwierigkeiten vervielfachen. Zu dem Kreis relevanter Äußerungen des Parlaments müssten nun auch noch die abgelehnten Kodifikationsvorhaben gezählt werden. Auf welche Dokumente und Äußerungen es bei der Interpretation einer Norm ankommt, könnte dann nur noch verlässlich einschätzen, wer die Entwicklungen der betreffenden Rechtsmaterie durchgehend (in den Handlungen und den Unterlassungen des Parlaments) verfolgt hat (Häublein/Lehmann-Richter a.a.O.).
c) Als weiterer Reflex der Auffassung des Bundesgerichtshofs dürften sich untragbare Verwerfungen in der parlamentarischen Arbeit einstellen (auch dazu überzeugend Häublein/Lehmann-Richter a.a.O.). Könnte ein Anliegen im Gesetzgebungsprozess dazu führen, dass seine Ablehnung durch das Parlament die Entstehung einer gesetzlichen Bindung mit genau umgekehrtem Inhalt bedeutet, so würde damit der parlamentarische Diskurs für Projekte einer parlamentarischen Minderheit gelähmt. Die Ablehnung des eigenen Konzepts könnte dann jederzeit zur Bindung aller Gerichte an das gegenteilige Konzept nach Art. 20 Abs. 3 GG führen. Ein entsprechendes Vorgehen wäre also stets von der drohenden Konsequenz begleitet, in dem diskutierten Rechtsbereich aktuell noch bestehende Meinungsvielfalt mit entsprechenden Entscheidungsoptionen in der Rechtsprechung durch einen ungewollten (vermeintlichen) Akt der Gesetzgebung zu beseitigen.
d) Außer solchen Konsequenzen übergeht der Bundesgerichtshof aber auch die Grundsätze, die das Bundesverfassungsgericht entwickelt hat, um die Bedeutung eines Nichthandelns des Gesetzgebers zu beschreiben.
(1) Der Bundesgerichtshof beruft sich auch selbst auf das Bundesverfassungsgericht (mit Hinweis u.a. auf BVerfGE 78, 20 ff.). Das Verfahren beruhte auf der Vorlage eines Sozialgerichts, das die ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (zuletzt durch dessen Großen Senat) dahin aufgefasst hatte, die höchstrichterliche Rechtsprechung habe den Inhalt der Norm verbindlich festgestellt; die Verfassungswidrigkeit dieser Auffassung nach Art. 100 Abs. 1 GG sei also vom BVerfG zu überprüfen.
Das Bundesverfassungsgericht widerspricht dem grundlegend und führt aus (BVerfG v. 09.02.1988, 1 BvL 23/86):
„…(es) lässt sich aus dem Schweigen des Gesetzgebers zu der höchstrichterlichen Auslegung eines mehrdeutigen Normtextes nicht auf eine legislatorische Übernahme der höchstrichterlichen Interpretation schließen. Untätigkeit des Gesetzgebers kann nicht ohne weiteres als Zustimmung zum höchstrichterlichen Normverständnis gewertet werden. Auch der Umstand, dass andere Vorschriften desselben Gesetzes in der Zwischenzeit geändert worden sind, vermag den Schluss auf eine gesetzgeberische Billigung der höchstrichterlichen Auslegung unverändert gebliebener Vorschriften nicht zu tragen. Die abweichende Interpretation eines Instanzgerichts greift daher nicht, wie das vorlegende Gericht meint, „normändernd“ in die Kompetenzen der Legislative ein“.
Wenn selbst tatsächlich erfolgte Änderungen des betroffenen Gesetzes für die nicht geänderten Regelungen keine Billigung dazu existierender Meinungen der Rechtsprechung bedeuten, so gilt dies umso mehr, wenn überhaupt keine Änderungen in dem fraglichen Bereich stattgefunden haben. Die Annahme des Bundesgerichtshofs, durch abgelehnte Gesetzesanträge und nicht verfolgte Gesetzesvorhaben liege eine ganz andere Ausgangslage vor, bei der viel mehr als ein bloßes Schweigen des Gesetzgebers gewürdigt werden könne und müsse, trifft nicht zu.
(2) Dies entspricht auch den Grundsätzen, die das Bundesverfassungsgericht bereits deutlich früher entwickelt hat, als es um die legislativen Folgen desjenigen ging, was der Gesetzgeber der Bundesrepublik Deutschland „nicht tut“. Im Verfahren nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG konnten keine Regelungen überprüft werden, die vor dem Inkrafttreten des Grundgesetzes verkündet worden sind (vorkonstitutionelle Gesetze). Nach diesem Zeitpunkt (dem 24.05.1949) kam es allerdings häufig vor, dass der Gesetzgeber der Bundesrepublik Deutschland Änderungen oder Ergänzungen in vorkonstitutionellen Gesetzen vornahm. Es bedurfte also der Klärung, welchen Charakter nach der Schaffung von neuem Recht nunmehr diejenigen Vorschriften in demselben Gesetz hatten, die selbst ihre vorkonstitutionelle Gestalt behalten hatten, die vom Bundesgesetzgeber also nicht geändert worden waren.
Unter welchen Voraussetzungen eine nicht geänderte Norm in einem vom Bundesgesetzgeber geänderten Gesetz so behandelt werden kann, als habe der Gesetzgeber auch die unverändert gebliebenen Normen in seinen legislativen Willen aufgenommen und „selbst“ in Kraft gesetzt, hat das Bundesverfassungsgericht im Beschluss vom 17.05.1960 (2 BvL 11/59) beschrieben. Danach ist eine selbst nicht veränderte Norm nur dann in den Willen des Bundesgesetzgebers aufgenommen (und damit als nachkonstitutionelles Recht anzuerkennen), wenn der Wille, die vorkonstitutionelle Norm zu bestätigen sich aus dem Inhalt des erlassenen Gesetzes selbst ergibt. Der Schluss darauf, der handelnden Gesetzgeber habe auch unverändert gelassene Normen zum Gegenstand des erlassenen Gesetzes gemacht, kommt nur in Betracht, wenn ein enger sachlicher Zusammenhang zwischen den unveränderten und den geänderten Normen sich objektiv erschließen lässt.
Für die Grenzziehung zwischen einer bedeutungslosen Unterlassung des Gesetzgebers einerseits gegenüber der Übernahme einer bereits existierenden Regelung als selbst gewollte Normsetzung andererseits zitiert das Bundesverfassungsgericht zunächst Radbruch: „Der Staat spricht nicht in den persönlichen Äußerungen der an der Entstehung des Gesetzes Beteiligten, sondern nur im Gesetz selbst…“. Der Senat schließt sich dann unter Hinweis auf das Reichsgericht der Einschätzung an, dass Vorarbeiten eines Gesetzes für dessen Auslegung nur mit Zurückhaltung und unterstützend verwertbar seien; „…Sie dürfen nicht dazu verleiten, die Vorstellungen der gesetzgebenden Instanzen dem objektiven Gesetzesinhalt gleichzusetzen(…). Der Wille des Gesetzgebers kann bei der Auslegung des Gesetzes nur insoweit berücksichtigt werden, als er in dem Gesetz selbst einen hinreichend bestimmten Ausdruck gefunden hat…“.
(3) Die Kammer verkennt nicht die Unterschiede zwischen dem Verhältnis von vorkonstitutionellem zu nachkonstitutionellem Recht gegenüber der Untätigkeit des heutigen Gesetzgebers in Bereichen, die derselbe Gesetzgeber (lediglich in anderer personeller und politischer Zusammensetzung) zuvor selbst geregelt hat.
Diese Unterschiede bieten aber keinen Grund für die Annahme, die Anschauungen des tatsächlich normsetzenden Gesetzgebers würden schon durch die bloße Entstehung der (ggf. auch abweichenden) Ansicht einer später zuständigen Legislative beeinflusst, und zwar auch dann, wenn eine solche Ansicht nicht in den Erlass eines Gesetzes mündet. Erst recht kann die (nur von einem Gericht ermittelte und also) „vermeintliche“ Auffassung des aktuellen Gesetzgebers ohne unmissverständlichen Akt der Gesetzgebung keine Bindung der Gerichte auslösen.
Die Einschränkungen gelten (nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts) sogar, wenn die Bindung der Rechtsprechung an Festlegungen zu beurteilen ist, die ihrerseits selbst ein (vorkonstitutionelles) Gesetz sind. Erst recht sind sie also streng zu beachten, wenn der in Rede stehende Standpunkt nie den Rang eines Gesetzes hatte, sondern erstmals von einer bloßen Auffassung in einen solchen Rang erhoben werden soll.
(4) Bei einer vom Gesetzgeber nicht förmlich getroffenen Regelung kommt es also darauf an, ob diese dem objektivierten Willen des Gesetzgebers entsprochen hat. Dies muss sich im Einzelfall aus dem Inhalt des erlassenen Gesetzes selbst oder aus dem engen sachlichen Zusammenhang zwischen nicht getroffener Regelung und erlassenem Gesetz objektiv erschließen lassen (BVerfG).
Für die vom Bundesgerichtshof als „gesetzgeberische Entscheidung“ erwogenen Vorgänge sind die genannten Voraussetzungen an dem letztlich verabschiedeten Gesetz zu prüfen, durch dessen Behandlung anderenorts (nämlich bei § 569 BGB) bindendes Recht entstanden sein soll. Maßgeblich ist damit der Inhalt und der Regelungsplan des MietRAnpG.
Dieses Gesetz hatte allerdings zu keiner Zeit irgendwelche Berührungspunkte mit den Wirkungen einer Schonfristzahlung. In dem Gesetzgebungsprozess hatte sich niemals auch nur in Andeutungen eine diesbezügliche Regelungsabsicht des Gesetzgebers gezeigt. Mit der Ablehnung des von der Opposition unmittelbar vor der Verabschiedung gestellten Änderungsantrags hat der Gesetzgeber also schlicht an seinem Regelungsplan festgehalten, zu dem vor und nach der Behandlung des Änderungsantrages Aussagen zu Schonfristzahlungen nie gehört haben.
Einen Akt der Gesetzgebung gibt es ohne klaren Anklang im Gesetz oder jedenfalls in dem ihm zugrunde liegenden Regelungsplan nicht. Das Bundesverfassungsgericht führt aus (Beschluss vom 17.05.1960; 2 BvL 11/59):
„… Es bedeutet darum noch keine Bestätigung, wenn der Gesetzgeber eine schon vor dem Grundgesetz bestehenden Norm nur hinnimmt und ihre Änderung oder Aufhebung vorerst unterlässt. Auch aus der Änderung einzelner Bestimmungen (…) lässt sich noch nicht ohne weiteres entnehmen, dass der Gesetzgeber die übrigen Bestimmungen geprüft und bestätigt habe…“.
Der Senat bezeichnet es als „irreale Unterstellung“ (a.a.O.) anzunehmen, der Gesetzgeber habe aus Anlass einzelner Änderungen jeweils die Verfassungsmäßigkeit des gesamten Gesetzes geprüft und bejaht. Nichts Günstigeres könnte für die Annahme gelten, der vom Bundesgerichtshof zitierte Gesetzgeber des MietRAnpG habe außer den Regelungen der reformierten Mietpreisbremse auch die Auffassung des Bundesgerichtshofs zu den Wirkungen der Schonfristzahlung inhaltlich geprüft und gebilligt, und er habe dann aus diesem Grund die beantragte Änderung des vorbereiteten MietRAnpG abgelehnt.
Das Bundesverfassungsgericht kommt in seinem Fall (a.a.O.) zu ganz ähnlichen Ergebnissen, wie die Kammer sie für die Ablehnung des Änderungsantrags der Opposition zum MietRAnpG schon angeführt hat. Die parlamentarischen Vorgänge zu den in der AO erfolgten Änderungen ergäben, „…dass der Bundestag und der Bundesrat die unverändert gelassenen Bestimmungen (…) weder erörtert noch geprüft oder zum Gegenstand von Beschlüssen gemacht (…) haben…“ (BVerfG).
Dies zeigt die notwendige Zurückhaltung, die geboten ist, bevor in der Analyse eines Gerichts dem Gesetzgeber ein (tatsächlich oder vermeintlich) bindender Normsetzungswille zugeschrieben wird. Die Ausführungen des Bundesgerichtshofs zur Schonfristzahlung erfüllen weder hinsichtlich der legislatorischen Anknüpfungspunkte die maßgeblichen Voraussetzungen noch hinsichtlich der Deutlichkeit eines tatsächlich beim Gesetzgeber erkennbar gewordenen (inhaltlichen) Standpunkts. Sie dokumentieren die Meinung, der Gesetzgeber sei mit dem vom Senat materiell vertretenen Standpunkt zur Anwendung von § 569 Abs. 3 Nummer 2 BGB einverstanden; dies ist aber lediglich ein weiterer eigener Standpunkt des Bundesgerichtshofs, dem nicht die Bindungswirkung eines Gesetzes zukommt.
III. Die Wirkungen einer Schonfristzahlung sind danach unverändert in der Anwendung der geltenden Gesetze durch anerkannte Methoden der Auslegung zu bestimmen. Das verbreitete Unbehagen mit den Ergebnissen, die sich aus der Beschränkung von § 569 Abs. 3 Nummer 2 BGB auf die fristlose Kündigung ergeben, ist mit diesen Methoden innerhalb des geltenden Rechts vermeidbar. Wertungswidersprüche zwischen dem rechtlichen Schicksal fristloser und fristgemäßer Kündigungen sind deshalb nicht von den Gerichten als unabänderlich zu beklagen, sondern zu vermeiden. Dies bleibt eine innerhalb der geltenden Gesetze erfüllbare Aufgabe der Rechtsanwendung durch die Gerichte.
1. Für die ausführliche Herleitung der Auslegungsergebnisse zur Reichweite von § 569 Abs. 3 Nummer 2 BGB kann grundlegend auf die Entscheidungen der Kammer vom 01.07.2022 (66 S 200/21) und vom 30.03.2020 (66 S 293/19) verwiesen werden. Die Kammer hat für alle Auslegungskriterien durch wörtliches Zitat und unmissverständliche Benennung über alle tatsächlichen Anknüpfungspunkte des Auslegungsergebnisses Rechenschaft abgelegt. Danach ergibt sich:
a) Der Wortlaut des Gesetzes ist uneindeutig. Schon in diesem Punkt beruhen die Betrachtungen nicht selten auf einer (für die Kammer erstaunlichen) Unschärfe: Nach dem Wortlaut von § 569 Abs. 3 Nummer 2 BGB wird gerade nicht „die außerordentliche Kündigung unwirksam“ (so aber z.B. zuletzt auch Häublein/Lehmann-Richter a.a.O. S. 89), sondern schlicht „die Kündigung“. Die sprachlich genaue Erfassung des Normbefehls ist keine Bagatelle, sondern der Grund, weshalb die Kammer zu dem Ergebnis gelangt, dass es einer Analogie für die Anwendung der Regelung auch auf die ordentliche Kündigung nicht bedarf. Die Erstreckung der Wirkungen einer Schonfristzahlung auf die ordentliche Kündigung steht mit dem Wortlaut im unmittelbaren Normbefehl in Einklang. Der Appell der Kammer, dass es für diese Festlegung eines Ausgangspunktes der weiteren Untersuchungen schlicht um eine Wirklichkeitswahrnehmung geht (66 S 200/21), kann nur wiederholt werden.
Auch alle übrigen Stellen des gesetzlichen Wortlauts (insbesondere also die amtliche Überschrift zu § 569 BGB und die einleitende Formulierung im Abs. 3 der Vorschrift mit dem Verweis auf § 543 Abs. 2 Satz 1 Nummer 3 BGB) hat die Kammer eingehend betrachtet und gewürdigt. Das Verständnis der einleitenden Formulierung ergibt sich aus § 549 Abs. 1 BGB und der Absicht des Gesetzgebers, die Schonfristzahlung als zusätzliche Heilung einer Kündigung neben die Möglichkeit aus § 543 BGB (unverzügliche Aufrechnung) zu stellen, sie aber nicht an deren Stelle zu setzen (ausführlich 66 S 293/19 a.a.O.). Die Überschrift zu § 569 BGB zwingt nicht zu einem anderslautenden Verständnis, weil die systematische Stellung der Norm eine Erwähnung der (erst) nachfolgend im Gesetz stehenden Regelung von § 573 BGB nicht erwarten lässt (ausführlich 66 S 293/19 a.a.O.).
Noch fernliegender wird die Hypothese eines eindeutigen Wortlauts angesichts der weiteren Tatsache im gesetzlichen Wortlaut, das § 569 Abs. 3 Nummer 3 BGB (in Einklang mit der Überschrift) von „der außerordentlichen fristlosen Kündigung“ spricht, während es § 569 Abs. 3 Nummer 2 BGB eindeutig nicht tut. Die Annahme, dass dieser Wechsel des Wortlauts innerhalb derselben Norm einfach „nichts“ zu bedeuten hat und dass hier ein unaufmerksamer Gesetzgeber Verwirrung gestiftet habe, obwohl eigentlich der gesamte Regelungsinhalt von § 569 Abs. 3 BGB auf eine außerordentliche fristlose Kündigung beschränkt werden sollte, ist bestenfalls möglich. Naheliegend ist sie nicht. Unvertretbar ist es jedenfalls, in diesem Kontext von einem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes als Ausgangspunkt der Betrachtung ausgehen zu wollen (ausführlich 66 S 200/21 a.a.O.).
b) Tatsächlich eindeutig ist demgegenüber der systematische Aufbau des Gesetzes, den der Reformgesetzgeber 2001 neu geschaffen hat. Während die systematischen Erwägungen des Bundesgerichtshofs betreffend ein Regel/Ausnahme-Verhältnis nicht überzeugen, weil es die dazu angeführten Regeln und gesetzlichen Vermutungen nicht gibt (ausführlich 66 S 200/21 a.a.O.), ist die Existenz der von der Kammer gewürdigten Systematik des 2001 neu geschaffenen Mietrechts unbestreitbar. Die Schonfristregelung gehört (wie der gesamte Inhalt von § 569 BGB) zu einem eigens geschaffenen „Allgemeinen Teil“ im Kapitel 5 des Gesetzes (Beendigung des Mietverhältnisses). § 573 gehört zu dem nachgegliederten Besonderen Teil desselben Kapitels. Begründungsbedürftig ist deshalb nicht die von der Kammer gezogene Konsequenz, die allgemeine Vorschrift entsprechend ihrer systematischen Stellung auch im Bereich der nachfolgenden besonderen Vorschrift anzuwenden. Stattdessen bedürfte es umgekehrt einer ausführlichen Begründung für das vom Bundesgerichtshof vertretene Gegenteil (ausführlich 66 S 193/19 a.a.O.).
c) Gleiches gilt für den Sinn und Zweck des Gesetzes. Die Gesetzesmaterialien hat die Kammer (anders als der Bundesgerichtshof) vollständig zitiert. Die sich daraus ergebenden Aspekte sind in der dann folgenden Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 13.10.2021 (VIII ZR 91/20) ohne eine nachvollziehbare Antwort geblieben; in der jüngsten Entscheidung vom 05.10.2022 (VIII ZR 307/21) werden sie ausdrücklich überhaupt nicht mehr behandelt.
So ist es immer noch unverständlich, welchen „zweiten Fall einer Schonfristzahlung“ der Gesetzgeber im Blick gehabt haben könnte, wo er in § 569 Abs. 3 Nummer 2 Satz 2 BGB anordnet, dass die Heilung der Kündigung nicht eintritt, wenn vor nicht länger als 2 Jahren bereits eine frühere Kündigung nach dieser Vorschrift unwirksam geworden ist. Der Mieter könnte nach dieser ersten Schonfristzahlung überhaupt nicht in der Wohnung verblieben sein (und eine zweite Schonfristzahlung erleben), wenn eine parallele ordentliche Kündigung das Mietverhältnis bereits beim ersten Vorfall beendet hätte.
Die hilfsweise ordentliche Kündigung bedeutet für den Vermieter weder eine Erhöhung der Kosten noch der sonstigen Risiken. Sie führt schlicht zur Verdopplung der Aussichten, entgegen dem Normbefehl aus § 569 Abs. 3 Nummer 2 BGB den mit der Kündigung geltend gemachten Zahlungsrückstand und zusätzlich den Anspruch auf Räumung der Wohnung zu realisieren. In der Praxis entspricht die seit Jahren ausnahmslos festzustellende Verdoppelung der Kündigungen auf Grundlage eines einzigen Zahlungsrückstandes dem Umstand, dass alles andere ein (haftungsbegründender) Fehler von Hausverwaltungen und Rechtsanwälten sein dürfte. Es gibt keinerlei Anzeichen dafür, dass der Gesetzgeber dies für möglich gehalten und gebilligt haben könnte, als er die Hoffnung äußerte, die Sozialbehörden möchten sich künftig häufiger um den Wohnungserhalt zugunsten der Mieter kümmern, indem sie mit Geldmitteln des staatlichen Haushalts die kündigungsrelevanten Rückstände ausgleichen.
Angesichts dieser Zusammenhänge bedürfte es unverändert einer Erklärung des Bundesgerichtshofs, wie die Sozialbehörden ihren gesetzlichen Auftrag (§ 22 Abs. 8 SGB II) sollten erfüllen können, solange Zivilgerichte die parallele ordentliche Kündigung als wirksam ansehen (auch dazu bereits mit einer ausführlichen Darstellung der Mechanismen zwischen den sozialrechtlichen Voraussetzungen und den zivilrechtlichen Konsequenzen 66 S 200/21 a.a.O.). Es ist eine Tatsache, dass die gesetzlich vorgegebene Zweckbindung für die Übernahme rückständiger Mieten eines Wohnraummieters auf dem vorgesehenen Weg nicht mehr einzuhalten ist, solange zivilrechtlich die vom Bundesgerichtshof favorisierten Folgen eintreten.
Dessen Ansicht beruht letztlich auf einer „gespaltenen Auslegung“, die in anderen Kontexten auch vom Bundesgerichtshof konsequent und überzeugend abgelehnt wird. Aus dem Umstand, dass ein bestimmter Rechtsverstoß mit einem Bußgeld sanktioniert ist, so dass insoweit nach Art. 103 Abs. 2 GG das Bestimmtheitserfordernis für eine Verbotsnorm zu beachten ist, wird z.B. geschlossen, dass (auch) bei zivilrechtlicher Beurteilung desselben Tatbestandes eine analoge Anwendung nicht möglich ist (BGH vom 19.07.2011, II ZR 246/09). Tragender Gedanke ist die Erwägung, dass eine analoge Anwendung im Bereich des sanktionierenden Ordnungswidrigkeitenrechts verboten ist, und dass aus diesem Grund eine „…andersartige („gespaltene“) Auslegung oder analoge Anwendung auch für den Bereich des Zivilrechts grundsätzlich nicht in Betracht…“ kommt (a.a.O.).
Dem hat sich an anderer Stelle auch der VIII. Senat des Bundesgerichtshofs angeschlossen (Urteil vom 16.11.2022, VIII ZR 290/21). Überträgt man den Gedanken auf die rechtlichen Verbindungen zwischen sozialrechtlichen und zivilrechtlichen Regelungen zur Schonfristzahlung, so gleichen die aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs resultierenden Konsequenzen einer unzulässigen gespaltenen Auslegung. Das Gesetz eröffnet den Sozialbehörden eigens die Möglichkeit, im Interesse der Allgemeinheit den Wohnungserhalt anspruchsberechtigter Leistungsbezieher durch behördliches Eingreifen zu sichern. Diese behördliche Befugnis zu Eingriffen in privatrechtliche Wohnraummietverhältnisse ist gesetzlich gerade außerhalb des Zivilrechts installiert, wo das behördliche Eingreifen unabhängig von dem Willen der Parteien des Mietvertrages erfolgen kann. Diese Befugnis darf nicht dadurch in ihren Wirkungen ausgeschlossen (und damit praktisch beseitigt) werden, dass infolge einer zivilrechtlichen Auslegung die sozialgesetzlich vorgegebenen Folgen eines behördlichen Eingreifens nicht eintreten können.
2. Angesichts der Fülle von offenen Fragen, die sich aus ganz konkret von der Kammer benannten Anknüpfungstatsachen ergeben, ist es bedauerlich, dass der Bundesgerichtshof meint, seine konkrete Arbeit in der Auslegung des Gesetzes nicht fortsetzen und die bisherigen Erwägungen nicht ergänzen zu müssen.
Die Methodenlehre mahnt mit Recht, dass die „de lege lata“ einzuhaltenden Grenzen der Rechtsanwendung nur durch eine methodenehrliche Trennung zwischen dem geltenden Recht und dem „künftig besseren Recht (de lege ferenda)“ gelingen kann (vgl. Würdinger, JuS 2016, 1ff. (6)). Gerade infolge der grundsätzlich berechtigten Mahnung, rechtspolitische Vorstellungen nicht abseits des Gesetzes durch judikative Lösungen zu ersetzen, ist die Methodenehrlichkeit für das eigene Vorgehen unverzichtbar. Die tatsächlich untersuchten Aspekte müssen (objektiv) klar und vollständig benannt werden, um den vertretenen Schlussfolgerungen eine rationale Grundlage zu geben. Nur dann zeigen die vom Gesetzesinterpreten vertretenen Konsequenzen ihre Klugheit, Folgerichtigkeit und Überzeugungskraft nachprüfbar an. Der Bundesgerichtshof hat diese komplexe Technik der Rechtsfindung in vielen Fällen überzeugend angewendet (exemplarisch z.B. Urteil vom 10.11.2021, VIII ZR 107/20 zur Beantwortung der Frage, ob das Fällen eines morschen Baumes zur „Gartenpflege“ zählt). Nicht weniger, als die dort praktizierte unmissverständliche Benennung aller objektiv existierenden Anknüpfungspunkte verbunden mit einer nachvollziehbaren Bewertung derselben ist nach Ansicht der Kammer auch zur Bestimmung der Wirkungen einer Schonfristzahlung erforderlich.
Methodisch geht es auch bei der Anwendung von § 569 Abs. 3 Nummer 2 BGB darum, in einer heute erfolgenden Anwendung der Vorschrift eine mögliche „…zeitliche Spannung zwischen Interpret und Verfasser (Anm.: des Gesetzes), zwischen Interpretation und Text aufzulösen…“ (vgl. Würdinger a.a.O. (S. 2; Fn. 24)). Der Bundesgerichtshof zieht seine Schlüsse stattdessen aus einem „Verhalten“ des Gesetzgebers. Es ist keine anerkannte Methode zur Rechtsfindung, am tatsächlichen Verfasser eines Gesetzes vorbei auf einen „Nichtverfasser“ und dessen (vermeintlich) auch ohne den Erlass einer Norm erkannten Willen abzustellen. Die juristische Methodik ist anschaulich als „Navigationsgerät in den Nebeln der Rechtsordnung“ beschrieben worden (vgl. Würdinger a.a.O. unter Hinweis auf Rüthers; Fn. 8). Die Sinnhaftigkeit eines mit ihr eingeschlagenen Weges hängt von der Rechenschaft darüber ab, welches „Gerät“ wie angewendet worden ist.
Die bisherigen Ausführungen des Bundesgerichtshofs zeigen allenfalls ein vertretbares Verständnis zur Anwendung von § 569 Abs. 3 Nummer 2 BGB auf, nicht aber ein zwingendes und keinesfalls ein vorzugswürdiges Ergebnis. Die Kammer hält es nicht für einen Zufall, dass seit der Reform des Jahres 2001 noch nie eine Gesetzgebungsinitiative im Raum stand, deren Absicht es gewesen wäre, §§ 569, 573 BGB so ändern, dass die Zweifelsfragen zu den Wirkungen einer Schonfristzahlung zugunsten der Lesart des Bundesgerichtshofs beantwortet würden. Der Nutzen eines möglichen Eingreifens des Gesetzgebers wurde stattdessen stets darin gesehen, die Behinderung der gesetzlichen Absichten, zu der die Ansicht des Bundesgerichtshofs führt, aufzulösen. Eine Änderung des Gesetzes ist deshalb bei entsprechenden Initiativen nie in einer anderen Richtung erwogen worden, als dass der Ansicht des Bundesgerichtshofs durch Klarstellung die gesetzliche Grundlage entzogen werden solle.
Warum in der Zeit, die bis zu dieser gesetzgeberischen Klarstellung (zu ganz aktuellen Vorhaben lesenswert Häublein/Lehmann-Richter, a.a.O. S. 93) noch vergehen mag, ohne zwingenden Grund an einem Irrweg festgehalten werden müsste, anstatt die vom Bundesgerichtshof selbst angesprochenen Wertungswidersprüche im Rahmen der gerichtlichen Möglichkeiten aufzulösen, erschließt sich der Kammer nicht.
IV. Mit Recht hat das Amtsgericht auch die in der Klageschrift ausgesprochene weitere Kündigung nicht als wirksam angesehen. Diese Kündigung war ausschließlich darauf gestützt, dass die Beklagte „…die Miete für den Monat August 2021 (…) nicht gezahlt…“ hatte.
1. Nach den unstreitigen Feststellungen des Amtsgerichts war die Zahlung der Augustmiete am 04.10.2021 erfolgt. Die Einschätzung des Amtsgerichts, wonach die damit zu bewertende Verzögerung dieser Zahlung nicht das Gewicht für eine Kündigung des Mietverhältnisses zeigt, ist überzeugend. Die Klägerin hatte bis einschließlich 30.06.2021 keinerlei rechtliche Verbindung zu dem Mietverhältnis. Die Rückstände für die Monate April bis Juni 2021, die den Gegenstand der von der Rechtsvorgängerin ausgesprochenen Kündigung vom 23.06.2021 gebildet hatten, gingen die Klägerin zu keiner Zeit etwas an. Auch an der noch im Juni 2021 bei der Rechtsvorgängerin eingegangenen Schonfristzahlung und an deren Wirkungen war die Klägerin vor dem 01.07.2021 in keiner Weise beteiligt. Ihr Postulat, diese Vorgänge hätten ihrem (eigenen) Vertrauen zur Beklagten schweren Schaden zugefügt, ist konstruiert.
2. Im Übrigen steht der Wirkung der Kündigung aus der Klageschrift bereits die Formalie entgegen, dass die Klägerin vor der Kündigung befriedigt worden ist. Die Augustmiete ist unstreitig am 04.10.2021 bezahlt worden. Die Zustellung der Klageschrift ist am 22.10.2021 erfolgt. Zu diesem für die Wirkung der Gestaltungserklärung maßgeblichen Zeitpunkt lag ein Kündigungsgrund unstreitig nicht vor.
Die Klägerin hat die Kündigungserklärung nicht schriftlich an die Beklagte gerichtet, sondern in einen bestimmenden Schriftsatz aufgenommen, der nicht an die Beklagte gerichtet war, sondern richtigerweise an das Gericht. Zur Zeit der Einreichung des Schriftsatzes am 23.09.2021 bestand auch noch kein Prozessrechtsverhältnis zwischen der Klägerin und der Beklagten, in deren Rahmen der Beklagten eine Gestaltungserklärung schon zugerechnet werden könnte, die in keiner Weise (auch nicht vermittelt über die Gerichtsakte) in ihren Herrschaftsbereich gelangt ist.
Die in einer Klageschrift erklärte Kündigung kann deshalb nicht wie eine postalisch oder per Boten zugestellte schriftliche Erklärung behandelt werden. Für die Frage, wann der Inhalt einer Klageschrift die Beklagte tatsächlich erreicht, gibt es keine generell berechtigten Erwartungen. Wenn es für normale Briefpost zwischen Absender und Empfänger bei regelmäßigem Verlauf zu erwarten wäre, dass das verschickte Schriftstück an dem übernächsten auf den Einwurf folgenden Werktag den Empfänger erreicht, gilt dies nach Einreichung einer Klageschrift im Verhältnis zwischen den Parteien offensichtlich nicht. Stattdessen hätte es der Kündigende selbst in der Hand, sein Interesse an einer möglichst weitgehenden Rechtsverfolgung dadurch zu wahren, dass er eine Kündigung (ggf. parallel zu der Formulierung in einer Klageschrift) auch durch eine unmittelbar an den Empfänger gerichteten Briefsendung ausspricht.