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Mietvertragskündigung wegen Nutzung als Zweitwohnung?

LG Freiburg – Az.: 3 S 89/20 – Urteil vom 01.07.2021

1. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Freiburg vom 24.07.2020 – Az.: 4 C 127/20 – wird zurückgewiesen.

2. Dem Beklagten wird eine Räumungsfrist bis 30.09.2021 gewährt.

3. Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

4. Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

5. Die Revision wird nicht zugelassen.

Beschluss

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 4.611,60 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Klägerin macht als private Baugenossenschaft einen Räumungs- und Herausgabeanspruch gegen ihr Mitglied, den Beklagten, hinsichtlich der diesem zusätzlich zu einer Dreizimmerwohnung überlassenen Zweizimmerwohnung geltend.

Die Klägerin ist seit den 1990er Jahren weder gemeinnützig noch öffentlich gefördert. Der Beklagte ist nach dem Tod seiner Eltern, mit dem er in einem gemeinsamen Hausstand gelebt hat, 2013 Mitglied der Klägerin geworden und gemäß § 563 Abs. 2 Satz 1 BGB in die ursprünglich mit den Eltern des Beklagten abgeschlossenen Nutzungsverträge für eine baulich nicht verbundene, aber auf derselben Etage liegende Dreizimmerwohnung vom 02.05.1967 und eine Zweizimmerwohnung vom 01.08.1978 eingetreten. In § 4 des Nutzungsvertrags der Zweizimmerwohnung ist geregelt:

„Das Mietverhältnis wird zunächst bis zum Ende der Ausbildung der Kinder befristet.“

Der 1962 geborene Beklagte beendete seine Ausbildung im Jahr 1986. Nach dem Tod des letztversterbenden Vaters des Beklagten im Jahr 2013 teilte die Klägerin dem nunmehr alleine in beiden Wohnungen wohnendem Beklagten mit, dass das Mietverhältnis lediglich mit einer Wohnung fortgeführt werden könne und kündigte mit Schreiben vom 26.11.2013 das Mietverhältnis bezüglich der Dreizimmerwohnung gemäß § 563 Abs. 4 BGB wegen Unter-/oder Fehlbelegung einer Genossenschaftswohnung. Die auf diese Kündigung gestützte Räumungsklage der Klägerin wies das Amtsgericht Freiburg mit Urteil vom 30.07.2014 – 5 C 1088/14 – rechtskräftig ab, da die Unter-/oder Fehlbelegung keinen wichtigen Grund in der Person des Beklagten im Sinne von § 563 Abs. 4 BGB darstelle.

In der Folgezeit wurde die Satzung der Klägerin geändert. Eine Anfechtungsklage nach § 51 GenG wurde nicht erhoben.

Mit Schreiben vom 28.02.2019 forderte die Klägerin den Beklagten mit Fristsetzung zum 15.03.2019 unter Hinweis auf §§ 2, 14 Abs. 1 ihrer Satzung auf, eine der ihm überlassenen Wohnungen aufgrund seiner genossenschaftlichen Treuepflicht zu kündigen und behielt sich bei fruchtlosem Fristablauf weitere Schritte vor. Mit Schreiben vom 29.03.2019 kündigte die Klägerin das Nutzungsverhältnis über die Zweizimmerwohnung ordentlich gemäß §§ 573 Abs. 1, 573 c Abs. 1 BGB zum 31.12.2019. Zur Begründung berief sich die Klägerin auf §§ 2 Abs. 1 und 14 Abs. 1 der im Kündigungszeitpunkt gültigen Satzung von 2018 und einen Verstoß des Beklagten gegen die genossenschaftliche Treuepflicht. In § 2 Abs. 1 der Satzung 2018 ist geregelt:

„Zweck der Genossenschaft ist die Förderung und Betreuung ihrer Mitglieder in der wohnlichen Versorgung sowie der Betrieb einer Spareinrichtung.“

In § 14 Abs. 1 der Satzung 2018 ist geregelt:

„Die Überlassung einer Genossenschaftswohnung begründet grundsätzlich ein dauerndes Nutzungsrecht des Mitgliedes. Das Mitglied ist jedoch nicht berechtigt, die Wohnung leer stehen zu lassen oder als Zweitwohnung zu halten, sofern eine Wohnungsnachfrage anderer Genossenschaftsmitglieder besteht oder die Genossenschaft die Wohnung anderweitig zu Erfüllung ihres satzungsgemäßen Zwecks (§ 2) benötigt. Der Vorstand kann in begründeten Fällen, insbesondere bei Vorliegen eines sachlich nachvollziehbaren Interesses des Mitglieds, Ausnahmen hiervon zulassen.“

In § 15 Abs. 3 der Satzung 2018 ist geregelt:

„Das Mitglied hat bei Erfüllung von Pflichten und der Wahrnehmung von Rechten auch aus abgeschlossenen Verträgen die Belange der Gesamtheit der Mitglieder im Rahmen der genossenschaftlichen Treuepflicht angemessen zu berücksichtigen. Dies gilt insbesondere auch im Hinblick auf das leer stehen lassen einer Wohnung bzw. deren Nutzung als Zweitwohnung (§ 14 Abs. 1 S. 2).“

Das Amtsgericht hat der Räumungsklage der Klägerin durch das angefochtene Urteil vom 24.07.2020 vollumfänglich stattgegeben und dem Beklagten eine Räumungsfrist von drei Monaten gewährt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass überwiegende berechtigte Interessen der Klägerin gemäß § 573 Abs. 1 BGB vorlägen. Die Klägerin beabsichtige mit ihrer Kündigung die Milderung der Wohnraumnot in F. und verfolge damit kein wirtschaftliches Eigeninteresse, sondern ein Interesse des Gemeinwohls, Menschen mit geeignetem Wohnraum zu versorgen. Dem stünden keine nachhaltigen Bestandsinteressen des Beklagten gegenüber, da er durch die Dreizimmerwohnung ausreichend mit Wohnraum versorgt sei.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Beklagten, der beantragt, unter Abänderung des am 24.7.2020 verkündeten und am 30.7.2020 zugestellten Urteil des Amtsgerichts Freiburg mit dem Az. 4 C ein 27/20 wird die Klage abgewiesen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung des Beklagten/Berufungsklägers gegen das Urteil des Amtsgerichts Freiburg vom 24.07.2020 – Aktenzeichen: 4 C 127/20 – kostenpflichtig zurückzuweisen.

Von einer weiteren Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird nach §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 S. 1 ZPO abgesehen.

II.

Die Berufung des Beklagten ist zulässig, aber unbegründet.

Zu Recht hat das Amtsgericht den Beklagten zur Räumung und Herausgabe der Zweizimmerwohnung verurteilt. Der Klägerin steht aus § 546 Abs. 1 BGB ein Anspruch gegen den Beklagten auf Räumung und Herausgabe der streitgegenständlichen Zweizimmerwohnung zu, da die Kündigung der Klägerin vom 29.03.2019 das Mietverhältnis zwischen den Parteien zum 31.12.2019 beendet hat. Es wird daher zunächst auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Urteils, welche sich das Berufungsgericht nach eigener Prüfung zu eigen macht, verwiesen. Der Beklagte hat in der Berufung keine neuen Gesichtspunkte aufgeworfen, welche die getroffene Entscheidung in Frage stellen:

1. Es bestehen keine Zweifel an der Wirksamkeit der im Kündigungszeitpunkt geltenden Satzung der Klägerin von 2018. Zwar hat der Beklagte in erster Instanz Zweifel an der Wirksamkeit dieser Satzung geltend gemacht, indem er vorgetragen hat, die Klägerin habe das nach dem Genossenschaftsgesetz vorgesehene Verfahren bei Änderung der Satzung nicht eingehalten. Unstreitig wurde die Satzungsänderung jedoch nicht gemäß § 51 GenG innerhalb der dort genannten Frist durch Klage angefochten, weshalb die Satzung der Klägerin von 2018 als wirksam anzusehen ist.

Entgegen der Ansicht der Berufung ist der Inhalt der im Kündigungszeitpunkt geltenden Satzung – und nicht etwa der der im Zeitpunkt des Abschlusses des Nutzungsvertrags geltenden Satzung – für das streitgegenständliche Mietverhältnis und insbesondere für die Interessenabwägung im Rahmen des § 573 Abs. 1 BGB relevant (so auch OLG Karlsruhe, Rechtsentscheid vom 23.12.1983 – 9 ReMiet 4/83 – ‚= NJW 1984, 2584; OLG Stuttgart, Rechtsentscheid vom 11.6.1991 – REMiet 1/91 – = NJW-RR 1991, 1226; OLG Köln, Urteil v. 14.06.1991 – 1 S 434/90; LG Heidelberg, Urteil vom 25.11.2013 – 5 S 33/13). Gemäß § 18 GenG richtet sich das Rechtsverhältnis der Genossenschaft und ihrer Mitglieder zunächst nach der Satzung. Anders als bei Anmietung einer Wohnung bei einem privaten Vermieter ist der Beklagte mit der Klägerin sowohl als Mieter durch den Nutzungsvertrag für die streitgegenständliche Wohnung als auch als Mitglied der Baugenossenschaft durch die jeweils gültige Satzung rechtlich verbunden. Diese zusätzliche genossenschaftliche Verbindung und insbesondere die Treuepflicht im Rahmen des Genossenschaftsverhältnisses kann bei der Beurteilung der sich erst aus diesem Genossenschaftsverbandes ergebenden Nutzungsberechtigung von Genossenschaftswohnungen nicht außer Betracht bleiben (BGH, Urteil vom 10.09.2003 – VIII ZR 22/03, Kündigung einer Genossenschaftswohnung nach Ausschluss des Mitglieds aus der Genossenschaft). Als Genossenschaftsmitglied ist der Beklagte mit den übrigen Genossen im Rahmen der jeweiligen Satzung verbunden, wobei dem Status als Genossenschaftsmitglied immanent ist, dass eventuell ihm nachteilige Satzungsänderungen gemäß § 16 Abs. 1 GenG von der Generalversammlung beschlossen werden können. Im vorliegenden Fall ergibt sich die genossenschaftliche Treuepflicht ausdrücklich aus § 15 Abs. 3 der Satzung der Klägerin auch in Bezug auf bereits abgeschlossene Verträge.

2. Entgegen der Ansicht der Berufung ist die Kündigung der Klägerin vom 19.3.2019 weder rechtsmissbräuchlich noch treuwidrig noch wegen Verwirkung unwirksam.

a) Nach dem Tod des Vaters des Beklagten im Jahr 2013 hat die Klägerin zwar den Beklagten als Mitglied aufgenommen, jedoch hinsichtlich der von ihm parallel genutzten Dreizimmerwohnung im selben Jahr vor dem Amtsgericht Freiburg im Verfahren 5 C 1088/14 Räumungsklage erhoben. Nach Abweisung derselben durch rechtskräftiges Urteil vom 14.8.2014 und Änderung der Satzung hat die Klägerin die vorliegende Kündigung vom 29.3.2019 ausgesprochen.

Es ist bereits zweifelhaft, ob das für eine Verwirkung erforderliche Zeitmoment vorliegt. Jedenfalls sind keine Anhaltspunkte für das für die Annahme der Verwirkung gemäß § 242 BGB ebenfalls erforderliche Umstandsmoment durch den Beklagten vorgetragen oder sonst ersichtlich. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Recht verwirkt, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist (Zeitmoment) und besondere Umstände hinzutreten, die die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen (Umstandsmoment). Letzteres liegt nur vor, wenn der Verpflichtete bei objektiver Betrachtung aus dem Verhalten des Berechtigten entnehmen durfte, dass dieser sein Recht nicht mehr geltend machen werde. Ferner muss sich der Verpflichtete im Vertrauen auf das Verhalten des Berechtigten in seinen Maßnahmen so eingerichtet haben, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde. Allein der Ablauf einer gewissen Zeit nach Entstehung des Anspruchs vermag das notwendige Umstandsmoment nicht zu begründen (BGH, Urteil vom 25. März 2021 – VII ZR 94/20 -). Diese Voraussetzungen – insbesondere für das Umstandsmoment – hat der Beklagte nicht hinreichend dargelegt und unter Beweis gestellt. Allein der Verlust einer zusätzlichen Lagerungsmöglichkeit reicht dafür nicht aus, zumal der Beklagte alle notwendigen Einrichtungen wie Küche, Bad etc. in der ihm verbleibenden Wohnung hat. Auch irgendwelche erheblichen Umbauarbeiten oder dergleichen seit 2013 werden nicht behauptet.

b) Es ist entgegen der Ansicht der Berufung unerheblich, dass die Klägerin unstreitig ca. 20 Wohnungen an ein Mitglied, die Stadt F., zur Unterbringung von Nichtmitgliedern (Flüchtlingen) überlassen hat. Zum einen ist zu berücksichtigen, dass es sich bei der Stadt F. nicht um eine natürliche Einzelperson handelt. Zum anderen steht gemäß § 13 der Satzung das Nutzungsrecht einer Genossenschaftswohnung nur „in erster Linie“ Mitgliedern der Genossenschaft zu, was nicht ausschließt, bei dringendem Wohnungsbedarf einer öffentlichen Gebietskörperschaft als Mitglied hiervon abzuweichen. Des Weiteren hat der geschäftsführende Vorstand der Klägerin in der mündlichen Berufungsverhandlung unbestritten vorgetragen, dass die Vermietung der Wohnungen an die Stadt F. als Zwischenvermietung im Rahmen des geplanten Abrisses und größeren Neubaus eines Genossenschaftshauses erfolgte. Nach dem Satzungszweck der Klägerin gemäß § 2 der Satzung, der wohnlichen Versorgung ihrer Mitglieder, entspricht die Modernisierung oder Vergrößerung des Wohnungsbestandes, die eine Zwischenvermietung erforderlich machen können, durchaus dem Genossenschaftszweck.

3. Die Kammer teilt die Ansicht des Amtsgerichts, dass sich die Klägerin für die Kündigung vom 29.3.2019 auf ein überwiegendes berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses über die streitgegenständliche Zweizimmerwohnung nach § 573 Abs. 1 S. 1 BGB berufen kann.

Der Kündigungstatbestand nach der Generalklausel des § 573 Abs. 1 S. 1 BGB ist den in § 573 Abs. 2 BGB beispielhaft genannten Kündigungsgründen gleichgewichtig (BGH, st. Rspr, Urteil v. 09.05.2012 – VIII ZR 238/11 -; Urteil v. 10.05.2017 VIII ZR 292/15, Schmidt-Futterer, Mietrecht, 14. Auflage § 573 Rn. 11c). Die Beurteilung der Frage, ob ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses im Sinne von § 573 Abs. 1 S. 1 BGB vorliegt, entzieht sich einer verallgemeinerungsfähigen Betrachtung. Sie erfordert eine umfassende Würdigung der Umstände des Einzelfalls (BGH Urteil v. 29.03.2017 – VIII ZR 45/16 -). Zu berücksichtigen ist hier im Rahmen der Interessenabwägung, dass aufgrund des Satzungszwecks der Klägerin das Erlangungsinteresse der Klägerin im Rahmen der Generalklausel des § 573 Abs. 1 BGB dem Eigenbedarfsinteresse des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB näher steht als der erhebliche Nachteile erfordernden Verwertungskündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB, da durch die streitgegenständliche Kündigung der persönliche Wohnraumbedarf anderer Genossenschaftsmitglieder gedeckt werden soll (BGH Urteil vom 29.03.2017 – VIII ZR 45/16 -; Schmidt-Futterer, Mietrecht, 14. Auflage 2019, § 573 Rn. 11c). Im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung ist allerdings im Hinblick auf die vom Gesetzgeber zum Schutz des Mieters eigens geschaffene Härteregelung des § 574 BGB zu beachten, dass die besonderen Belange des Mieters im Einzelfall (individuelle Härte) erst auf Widerspruch des Mieters im Rahmen des § 574 BGB und nicht schon bei der Abwägung der gegenseitigen Belange im Rahmen der Beurteilung, ob ein berechtigtes Interesse für die Kündigung vorliegt, zu berücksichtigen sind. Auf Seiten des Mieters sind daher – anders als bei den Vermieterinteressen, die vollständig einzufließen haben – (nur) die unabhängig von seiner konkreten Situation bestehenden Belange in die Abwägung einzustellen, also das generell bestehende Interesse, die Wohnung und damit den Lebensmittelpunkt nicht zu verlieren und nicht mit den unbeträchtlichen Kosten und anderen erheblichen Unzuträglichkeiten belastet zu werden, die ein Wohnungswechsel in der Regel mit sich bringt (BGH vom 26.9.2012 – VIII ZR 330/11 – BGH vom 29.3.2017 – VIII ZR 45/16 -).

Im vorliegenden Fall ergibt sich aus der umfassenden Interessenabwägung im Rahmen des § 573 Abs. 1 BGB ein überwiegendes berechtigtes Interesse der Klägerin an der Kündigung des streitgegenständlichen Mietverhältnisses:

a) Zwar weist die Berufung zutreffend darauf hin, dass die Klägerin nach ihrem Genossenschaftszweck keine Allgemeinwohlinteressen oder karitative Zwecke verfolgt, sondern ihr gemäß § 2 der Satzung allein die Versorgung ihrer Mitglieder – und nicht der Allgemeinheit – mit Wohnraum obliegt. In die Interessenabwägung des § 573 Abs. 1 BGB sind daher auch keine öffentlichen oder Allgemeinwohlinteressen einzustellen. Wird zugunsten öffentlicher Interessen gekündigt, so muss sich aus dem Kündigungsschreiben ergeben, auf Grund welcher Umstände der Vermieter zur Wahrnehmung öffentlicher Interessen befugt ist (Blank/Börstinghaus, 6. Aufl. 2020, BGB § 573 Rn. 186 m.w.N., Rn. 226; LG München I, Urteil vom 03. Juli 1991 – 14 S 142/91 -). Grundsätzlich kann nicht über den Begriff des berechtigten Interesses im Sinne von § 573 BGB in die persönliche Lebensgestaltung des Mieters eingegriffen werden (LG Köln Urteil vom 14.03.1991 – 1 S 434/90 -).

Die Klägerin verfolgt vorliegend mit ihrer Kündigung jedoch nicht öffentliche Interessen, sondern ihren satzungsgemäßen Zweck: In § 14 Abs. 1 der Satzung ist ausdrücklich geregelt, dass ein Mitglied nicht berechtigt ist, die Wohnung leer stehen zu lassen oder als Zweitwohnung zu halten, sofern eine Wohnungsnachfrage anderer Genossenschaftsmitglieder besteht oder die Genossenschaft die Wohnung anderweitig zu Erfüllung ihres satzungsgemäßen Zwecks gemäß § 2 der Satzung benötigt. Unstreitig warten 470 Genossenschaftsmitglieder der Klägerin auf eine Zweizimmerwohnung im streitgegenständlichen Stadtteil F-W, so dass gemäß § 14 der Satzung auch eine Wohnungsnachfrage anderer Genossenschaftsmitglieder besteht und die Klägerin die Wohnung anderweitig zur Erfüllung ihrer satzungsgemäßen Zwecks benötigt. Die unstreitige und der Kammer als Berufungszivilkammer in Mietsachen gerichtsbekannte und in der mündlichen Verhandlung erörterte Tatsache der erheblichen Wohnungsknappheit in der Stadt F. betrifft nicht nur die Allgemeinheit, sondern auch die Genossenschaftsmitglieder der Klägerin, die noch nicht mit einer Genossenschaftswohnung versorgt werden konnten. Dieses sich aus dem Genossenschaftszweck der Klägerin ergebende berechtigte Interesse ist im Rahmen der Interessenabwägung des § 573 Abs. 1 BGB zu berücksichtigen (BGH Urteil vom 10.09.2003 – VIII ZR 22/03; OLG Karlsruhe Rechtsentscheid vom 23.12.1983 – 9 ReMiet 4/83 – ‚= NJW 1984, 2584; OLG Stuttgart Rechtsentscheid vom 11.6.1991 – REMiet 1/91 – = NJW-RR 1991, 1226; LG Heidelberg Urteil vom 25.11.2013 – 5 S 33/13 – = DWW 2014, 63; LG München I LG München I, Urteil vom 03. Juli 1991 – 14 S 142/91 – = WuM 1992, 16; LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 23. Juni 1992 – 13 S 9409/91 – = WuM 1993, 280; LG Köln Urteil vom 14.03.1991 – 1 S 434/90 -; AG Dresden Urteil v. 14.01.1994 – 9 C 3450/93 – = ZMR 1994, 518; Blank/Börstinghaus, 6. Aufl. 2020, BGB § 573 Rn. 186).

b) Entgegen der Ansicht der Berufung handelt es sich bei der streitgegenständlichen Zweizimmerwohnung um eine Zweitwohnung im Sinne der Satzung. Zwar erfolgte die Nutzung der Zweizimmerwohnung zusammen mit der nicht streitgegenständlichen Dreizimmerwohnung durch den Beklagten bereits seit Beginn des Mietverhältnisses im Jahre 1978 durch seine Eltern im Rahmen eines einheitlichen Hausstandes. Unstreitig sind die Wohnungen jedoch baulich nicht verbunden und verfügen jede über ein Bad und eine Küche, also die für eine Wohnung wesentlichen Nutzräume. Insofern erfüllt die streitgegenständliche Zweizimmerwohnung den Begriff der Zweitwohnung im Sinne von § 14 Abs. 1 der Satzung der Klägerin. Der Zweitwohnungsgedanke war dem Mietverhältnis auch bereits seit Beginn immanent, wie § 4 des Mietvertrags vom 13.2.1978 zeigt, nach dem das Mietverhältnis zunächst bis zum Ende der Ausbildung der Kinder befristet wurde.

Somit liegt gemäß §§ 14 Abs. 1, 15 Abs. 3 der Satzung der Klägerin ein schuldhafter Verstoß des Beklagten gegen seine genossenschaftliche Treuepflicht vor, indem er die streitgegenständliche Wohnung auf das Aufforderungsschreiben der Klägerin vom 28.2.2019 nicht zurückgegeben hat.

c) Im Rahmen der Interessenabwägung ist auch zu berücksichtigen, dass dem Beklagten die nicht streitgegenständliche Dreizimmerwohnung verbleibt und er durch die Kündigung der Zweizimmerwohnung seinen Haushalt lediglich verkleinern muss, nicht jedoch – wie sonst bei einer Wohnraumkündigung die Regel – seinen gesamten Lebensmittelpunkt verliert. Überwiegende Interessen des Beklagten ergeben sich auch nicht aus der Kündigung der ursprünglich zu den beiden Wohnungen gehörenden Mansarden. Die Kündigung der Mansarden erfolgte bereits vor Eintritt des Beklagten in das Mietverhältnis im Jahr 2013 und unter Reduzierung der Miete. Zudem verfügen beide Wohnungen unstreitig über einen Kellerraum.

d) Der gemäß § 574b BGB fristgerecht erhobene Widerspruch des Beklagten vom Oktober 2019, bei der Klägerin eingegangen am 30.10.2019 (Anlage K 6), führt nicht zu einer Fortsetzung des Mietverhältnisses nach § 574 BGB. Der Beklagte hat in dem Widerspruchsschreiben geltend gemacht, dass bereits ein berechtigtes Interesse der Klägerin gemäß § 573 BGB nicht gegeben sei und durch die mit der Kündigung einhergehende erhebliche Verringerung des Wohnraums sein Lebensmittelpunkt durchaus beeinträchtigt werde. Eine Begründung des Widerspruchs ist nach § 574b Abs. 1 Satz 2 BGB grundsätzlich nicht erforderlich (vgl. Lützenkirchen, Mietrecht, 3. Auflage, § 574b BGB Rn. 25 f.). Im Prozess trifft den Mieter jedoch die Darlegungs- und Beweislast für einen Härtegrund nach § 574 BGB (Lützenkirchen, a.a.O., § 574 Rn. 10). Die Abwägung der beiderseitigen Interessen ergibt im vorliegenden Fall, dass die Verringerung des Wohnraums von 5 auf 3 Zimmer für den Beklagten keine Härte darstellt, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen der Klägerin nicht zu rechtfertigen ist, § 574 Abs. 1 BGB:

Der Beklagte bewohnte die streitgegenständliche Zweizimmerwohnung zwar seit ihrer Anmietung im Jahr 1978 in einem gemeinsamen Hausstand mit seinen Eltern. Erst seit dem Tod des letztversterbenden Vaters im Jahr 2013 ist der Beklagte jedoch selbst Vertragspartner des Nutzungsvertrags mit der Klägerin und bewohnt seither beide Wohnungen alleine. Angesichts der genossenschaftlichen Treuepflicht des Beklagten gemäß § 15 der Satzung der Klägerin und der Tatsache, dass der Beklagte beide Wohnungen nunmehr nur noch alleine und nicht wie bei der Anmietung zusammen mit seinen Eltern bewohnt, stellt die Beeinträchtigung des Lebensmittelpunktes des Beklagten durch eine Verringerung der Wohnfläche keine Härte dar, die nach Abwägung mit den oben dargestellten Interessen der Klägerin nicht zu rechtfertigen wäre.

III.

Dem Beklagten war gemäß § 721 Abs. 1, Abs. 5 ZPO eine Räumungsfrist bis 30.09.2021 zu gewähren. Nachdem das Nutzungsverhältnis bereits seit 31.12.2019 durch die wirksame Kündigung der Klägerin beendet ist erscheint diese Frist gemäß § 721 Abs. 1 ZPO angemessen. Dies insbesondere unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Beklagte durch die Räumung der Zweizimmerwohnung nicht wohnungslos wird, sondern lediglich seinen Hausstand auf die derzeit parallel genutzte Dreizimmerwohnung reduzieren muss.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO sind nicht ersichtlich: Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung im Rahmen der Interessenabwägung des § 573 Abs. 1 BGB. Die zugrundeliegenden Rechtsfragen sind höchstrichterlich geklärt.

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