Skip to content
Menü

Mischmietverhältnis als Wohn- oder Geschäftsraummiete

Der Präzedenzfall der Räumungsklage: Wohn- oder Gewerberaum?

In einer entscheidenden juristischen Auseinandersetzung, die tief in die komplexe Materie des Mietrechts eintaucht, geht es um die Klassifizierung eines Mietverhältnisses und die daraus resultierenden Rechte und Pflichten der Beteiligten. Im Herzen Berlins, in einem altehrwürdigen Fabrikgebäude, befinden sich die strittigen Räumlichkeiten mit einer Gesamtfläche von etwa 401 Quadratmetern. Sie wurden sowohl für Wohn- als auch für gewerbliche Zwecke genutzt. Die entscheidende Frage, ob das Hauptaugenmerk auf der gewerblichen oder der Wohnnutzung liegt, hat das Berufungsverfahren stark geprägt und wird wohl in der Rechtsprechung noch lange nachhallen.

Direkt zum Urteil Az: 8 U 201/21 springen.

Der Kern des Falles

Im Zentrum des Streits steht eine Räumungsklage. Die beiden beklagten Parteien sind durch das Berufungsurteil des Kammergerichts (KG) dazu verurteilt, die strittigen Räumlichkeiten zu räumen und an den Kläger herauszugeben. Interessant ist hier, dass das Urteil des Landgerichts Berlin vom 15.10.2021 abgeändert wurde. Ursprünglich hatte das Landgericht die Räumungs- und Herausgabeklage als unzulässig abgelehnt, da es die Räumlichkeiten als Wohnraum klassifizierte.

Der Wendepunkt

Der Kläger argumentierte jedoch, dass die Auslegungskriterien des Bundesgerichtshofs (BGH) zur Bestimmung des Schwerpunkts eines Mischmietverhältnisses unzutreffend angewandt worden seien. Er betonte, dass der Schwerpunkt auf der gewerblichen Nutzung liege, unterstützt durch Indizien wie die Lage in einem Fabrikgebäude, vorvertragliche Auskünfte der Beklagten und die baulichen Gegebenheiten. Diese Argumente haben das KG offensichtlich überzeugt, da es das ursprüngliche Urteil abänderte und die Räumungs- und Herausgabeklage für zulässig erklärte.

Kosten und Konsequenzen

Die Kosten des Rechtsstreits und des Berufungsverfahrens wurden den Beklagten auferlegt. Eine wichtige Konsequenz des Urteils ist die Vollstreckbarkeit. Die Beklagten dürfen die Vollstreckung nur durch eine Sicherheitsleistung in Höhe von 15.000 Euro abwenden, während der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten muss. Darüber hinaus wurde eine Räumungsfrist bis zum 30.06.2022 gewährt, allerdings nur für die im 1. OG gelegenen Räumlichkeiten.

Dieser Fall unterstreicht die Bedeutung einer genauen Prüfung der vertraglichen Bedingungen und des tatsächlichen Nutzungszwecks einer Immobilie im Mietrecht. Er hebt auch die komplexen juristischen Aspekte hervor, die bei Mischmietverhältnissen zu berücksichtigen sind.


Das vorliegende Urteil

KG – Az.: 8 U 201/21 – Urteil vom 28.04.2022

Auf die Berufung des Klägers wird das am 15.10.2021 verkündete Urteil des Landgerichts Berlin -3 O 263/21- abgeändert:

Die Beklagten zu 2) und 3) werden als Gesamtschuldner verurteilt, die im Hause S… x in … B…, Hinterhaus Fabrikgebäude, EG links von der Hofdurchfahrt und 1. OG gelegenen Gewerberäume, insgesamt ca. 401 qm, zu räumen und an den Kläger herauszugeben.

Für die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz gilt Folgendes:

Die Gerichtskosten tragen jeweils zur Hälfte der Kläger und als Gesamtschuldner die Beklagten zu 2) und 3). Der Kläger trägt die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1) und 4). Die Beklagten zu 2) und 3) tragen 74% der außergerichtlichen Kosten des Klägers. Im Übrigen findet eine Kostenerstattung nicht statt.

Die Beklagten zu 2) und 3) haben die Kosten des Berufungsverfahrens als Gesamtschuldner zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagten zu 2) und 3) dürfen die Vollstreckung wegen des Räumungs- und Herausgabeanspruchs durch Sicherheitsleistung in Höhe von 15.000 Euro abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Im Verhältnis des Klägers zu den Beklagten zu 2) und 3) darf jede Partei die Vollstreckung wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Den Beklagten zu 2) und 3) wird (nur) in Bezug auf die oben genannten Räume im 1. OG eine Räumungsfrist bis 30.06.2022 gewährt

Gründe:

A.

Mischmietverhältnis als Wohn- oder Geschäftsraummiete
In einem Präzedenzfall um die Räumung gemischter Wohn- und Gewerberäume in Berlin entschied das Kammergericht zugunsten des Klägers nach einer überzeugenden Argumentation zum Hauptnutzungszweck. (Symbolfoto: Andrey_Popov/Shutterstock.com)

Die Berufung des Klägers richtet sich gegen das am 15.10.2021 verkündete Urteil des Landgerichts Berlin, mit dem seine auf Räumung und Herausgabe gerichtete Klage als unzulässig abgewiesen worden ist. Das Landgericht hat ausgeführt, dass mit dem Mietvertrag vom 16.05.2011 ein Wohnraummietverhältnis begründet worden sei, so dass die ausschließliche sachliche Zuständigkeit des Amtsgerichts nach § 23 Nr. 2 lit a GVG gegeben sei. Wegen der tatsächlichen Feststellungen wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.

Der Kläger macht geltend: Das Landgericht habe die nach der Rechtsprechung des BGH (BGHZ 202, 39) geltenden Auslegungskriterien für die Bestimmung, ob das Mischmietverhältnis im Schwerpunkt auf eine vertragsgemäße Nutzung zu Wohnzwecken oder zu gewerblichen Zwecken gerichtet sei, unzutreffend angewandt. Tatsächlich nenne es nur ein für die Wohnnutzung sprechendes Kriterium, nämlich die Nutzung der überwiegenden Fläche im 1. OG (238 qm, gegenüber 163 qm im EG) zu Wohnzwecken. Sämtliche weiteren Indizien sprächen für den Schwerpunkt auf der gewerblichen Nutzung, insbesondere Vertragsüberschrift, Inhalt der Vertragsbestimmungen, Lage in einem Fabrikgebäude, die vorvertraglichen Auskünfte der Beklagten (befristetes Projekt für einen Verein), Hervorhebung der gewerblichen Nutzung bei bloßer Gestattung der zusätzlichen Wohnnutzung, die baulichen Gegebenheiten und die vereinbarte Befristung mit Verlängerungsoption.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Landgerichts Berlin vom 15.10.2021 -3 O 263/21- abzuändern und die Beklagten zu 2) und 3) als Gesamtschuldner zu verurteilen, die im Hause S… x in … B…, Hinterhaus Fabrikgebäude, EG links von der Hofdurchfahrt und 1. OG gelegenen Gewerberäume, insgesamt ca. 401 qm, zu räumen und an den Kläger herauszugeben.

Die Beklagten zu 2) und 3) beantragen, die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise, ihnen eine angemessene Räumungsfrist zu bewilligen, weiterhin hilfsweise, im Falle einer Verurteilung das Räumungsurteil gemäß § 712 Abs. 1 S. 2 ZPO für nicht vollstreckbar zu erklären, und höchst vorsorglich, ihnen gemäß § 712 Abs. 1 ZPO zu gestatten, die vorläufige Vollstreckbarkeit eines eventuellen Räumungsurteils ohne Rücksicht auf die Sicherheit der Klägerseite durch eigene Sicherheitsleistung abzuwenden.

Die Beklagten zu 2) und 3) erwidern: Die Vertragsparteien seien bei Vertragsschluss übereingekommen, dass das 1. OG im Sinne des von den Beklagten vorgelegten Konzepts zu Wohnraum für sieben Personen umgebaut werde. Die Vertragsüberschrift und die Lage in einem Fabrikgebäude seien keine Indizien für eine überwiegende gewerbliche Nutzung.

B.

Die Berufung ist begründet.

1) Die Klage ist zulässig. Das Landgericht war sachlich zuständig, da es sich nicht um eine zur ausschließlichen Zuständigkeit der Amtsgerichte führende Streitigkeit aus einem Wohnraummietverhältnis (§ 23 Nr. 2 lit a GVG) handelt, und der Wert der Räumungsklage den Betrag von 5.000,00 Euro übersteigt (§§ 71 Abs. 1, 23 Nr. 1 GVG).

Zutreffend hat das Landgericht ausgeführt, dass es für die Einordnung des Mischmietverhältnisses als Wohn- oder Geschäftsraummiete darauf ankommt, ob die Auslegung gemäß §§ 133, 157 BGB unter Berücksichtigung der im Urteil des BGH vom 09.07.2014 -VIII ZR 376/13, BGHZ 202, 39 = NJW 2014, 2864 dargelegten denkbaren Umstände des Einzelfalls ergibt, dass der Parteiwille bei Vertragsschluss auf den vorherrschenden Vertragszweck einer gewerblichen Nutzung gerichtet war. Das ist jedoch vorliegend entgegen der Ansicht des Landgerichts der Fall.

a) Dafür, dass der Vertrag im Schwerpunkt auf eine gewerbliche Nutzung gerichtet ist, sprechen folgende Indizien:

(1.) Der Vertrag wurde als „Mietvertrag über Gewerberäume“ überschrieben, und er enthält Bestimmungen, die für ein Gewerberaummietverhältnis typisch sind (vgl. BGH a.a.O., Rn 37, 46).

Zu diesen gehört die Vereinbarung einer befristeten Laufzeit mit Verlängerungsoption zugunsten der Mieter, die eine für Gewerberaumnutzung typische Laufzeitregelung darstellt und für Wohnraummietverträge unüblich ist (zur Bedeutung der Laufzeitvereinbarung s. BGH a.a.O., Rn 47).

Im Falle der Optionsausübung sollte nach § 3 MV die „ortsübliche Vergleichsmiete für Gewerberäume von gleicher Güte und Ausstattung“ maßgeblich sein. Die Optionsregelung wurde in § 3 Abs. 3 MV mit einem ordentlichen Kündigungsrecht zugunsten der Mieter „gemäß der gesetzlichen Kündigungsfrist (§ 580a BGB)“ ergänzt, und somit die Kündigungsregelung des Gewerbemietrechts für maßgeblich erklärt.

Weiteres Indiz ist die Aufnahme einer Regelung über eine Umsatzsteuerpflicht in § 12 MV (vgl. BGH a.a.O., Rn 49).

(2.) Maßgeblich für einen Gewerberaummietvertrag spricht weiter der Aufbau der vertraglichen Regelungen, nämlich dass der Vertragszweck in § 2 Abs. 1 MV ausdrücklich mit „ausschließlich zum Betrieb eines Ateliers, Workshopräume, Ausstellungsraum sowie einer Holz- und Metallwerkstatt“ angegeben wurde, während die Wohnnutzung nicht als vereinbarter Vertragszweck aufgenommen wurde, sondern am Ende des Vertrags in § 17 Abs. 4 MV in der Weise erwähnt wurde, dass eine Wohnnutzung unter Beachtung der öffentlich-rechtlichen Vorschriften gestattet ist und der Vermieter dann „auf sein Kündigungsrecht gemäß § 2 (verzichtet)“ (vgl. BGH a.a.O., Rn 37, 48).

(3.) Ganz erheblich für eine schwerpunktmäßige Gewerbenutzung sprechen auch die Stellung der Mieter, die Anbahnung des Vertrags und die räumlichen Gegebenheiten (vgl. BGH a.a.O., Rn 38).

Die vier vertragschließenden Mieter waren Gründungsmitglieder des Vereins M… und traten ausweislich ihres Schreibens vom 18.02.2011 auch als solche auf, in welchem sie angaben, auf der Suche nach Räumen „für unseren Verein“ zu sein. Sie gaben an, beide Etagen „als einen Zusammenschluss von Wohnen und Arbeiten“ nutzen zu wollen, da sie sehr viel Zeit mit ihren Projekten und in ihren Arbeitsräumen verbrächten und so auch die Einbruchsgefahr minimiert und Schaden von Arbeitsgeräten, Materialien, Kunstobjekten und Werken abgewendet werden könne. Nach den beigefügten Zeichnungen war im Erdgeschoss ein großer Raum für Ausstellungen, Workshops und Atelier vorgesehen, und im Obergeschoss ein Ausbau mit sieben Zimmern, einer großen Wohndiele, einer Küche und einem Bad. Im Nutzungskonzept wurde angegeben, dass im Obergeschoss sieben Personen wohnen sollten.

Eine (schwerpunktmäßige) Wohnraumnutzung setzt voraus, dass der Wohnraum vom Mieter zu eigenen Wohnzwecken genutzt werden soll (s. BGH NZM 2021, 218; NJW 2008, 3361 Rn 11). So spricht etwa die Anmietung mehrerer Wohnungen durch eine Person gegen die Nutzung zu eigenen Wohnzwecken (s. BGH NZM 2021, 218 Rn 25). Vorliegend liegt es entsprechend, da ausweislich der als Anlage B 2 vorgelegten „Bewerbung“ der Mieter sieben Einzelzimmer von sieben einzelnen Personen belegt werden sollten (und nicht etwa einer siebenköpfigen Familie eines der Mieter o.ä.), es sich somit nicht um Wohnraum gerade nur für die vier (anfänglichen) Mieter handeln sollte. Ihre Stellung als Mieter leitete sich zudem aus ihrer Eigenschaft als Gründungsmitglieder des Vereins ab, der in den Räumen seinen Zwecken nachgehen sollte. Das Bewohnen sollte im engen Zusammenhang mit der vom Vereinszweck umfassten künstlerischen Tätigkeit stehen.

Die Fläche im Erdgeschoss prägt, unabhängig von ihrer geringeren Größe, den Charakter des Mietobjekts.

Die bei der Gestaltung des Vertrags und nach der Interessenbegründung in der Bewerbung im Vordergrund stehende gewerbliche Nutzung tritt nach außen in Erscheinung und ist mit Publikumsverkehr verbunden. Die im Obergeschoss gelegenen Wohnräume, die die Führung einer Wohngemeinschaft mit sieben Zimmern für in den Gewerberäumen tätige Künstler erlauben, haben einem dem Gewerbe untergeordneten und dienenden Charakter. Der Fall liegt ähnlich demjenigen einer Wohnung, die mit einem Laden oder einer Gaststätte verbunden ist. In einem solchen Fall liegt der Schwerpunkt des Vertragszwecks regelmäßig in der gewerblichen Nutzung (s. Guhling/Günter/ Makowski, Gewerberaummiete, 2. Aufl., vor § 535 Rn 66; Emmerich/ Sonnenschein in: Emmerich/Sonnenschein, Miete, 11. Aufl., vor § 535 Rn 11; OLG Stuttgart NZM 2008, 726; OLG Hamm ZMR 1986, 11).

b) Diese Vielzahl von erheblichen Umständen, die für eine vereinbarte schwerpunktmäßige Gewerbenutzung sprechen, wird durch den bloßen Umstand, dass die Wohnräume mit 238qm/401qm ca. 60% der Gesamtfläche ausmachen, nicht widerlegt. Zwar „kann“ eine Indizwirkung auch dem Verhältnis der für eine gewerbliche und eine Wohnnutzung vorgesehenen Flächen zukommen (s. BGH a.a.O., Rn 38). Gegenüber den diversen klar für einen Gewerbezweck sprechenden Indizien kommt dem Umstand, dass die zugelassene Wohnnutzung sich auf eine etwas größere Teilfläche bezieht, vorliegend jedoch keine maßgebliche Bedeutung zu.

Der Mietvertrag enthält auch keine Bestimmungen, die nur bei einer Wohnraumnutzung verständlich wären.

§ 6 sieht eine Kaution vor, die drei Monatsmieten entspricht. Auch wenn § 551 BGB (nur) für Wohnraummietverhältnisse eine Höchstgrenze von drei Monatsmieten vorgibt, folgt aus der Höhe des vereinbarten Betrags noch kein Anzeichen für ein Wohnraummietverhältnis. Entsprechendes gilt für § 11 MV, der bei Modernisierungsmaßnahmen eine Mieterhöhung von 11% p.a. vorsieht und sich damit an die Wohnraumvorschrift des § 559 BGB anlehnt.

c) Der Senat hat die Beklagten mit Verfügung vom 02.03.2022 darauf hingewiesen, dass ein Gewerbemietverhältnis vorliege. Ihre Ausführungen im Schriftsatz vom 19.04.2022 führen zu keiner anderen Beurteilung.

Es ist hervorzuheben, dass es keinen Erfahrungssatz gibt, dass bei einem Mischmietverhältnis grundsätzlich die Wohnnutzung überwiegt (s. BGHZ 202, 39 Rn 36). Der gewollte Schwerpunkt des Nutzungszwecks im Zeitpunkt des Vertragsschlusses ist durch Auslegung im Einzelfall (BGH a.a.O., Rn 39, 44) zu ermitteln, anhand von Vertragsinhalt und weiteren Umständen.

Ob und inwieweit es sich bei dem Mietvertrag um ein vom Kläger gestelltes „Formular“ handelt, ist für die Ermittlung des gewollten Nutzungszwecks nicht primär maßgeblich, da die Verwendung von Formularen dem Regelfall der mietvertraglichen Praxis entspricht und insoweit eben schon die „Verwendung des Formulars“ als Grundlage des beiderseits unterzeichneten Vertrags ein Indiz für die Auslegung ist (BGH a.a.O., Rn 37).

Die Schutzbedürftigkeit von Wohninteressenten auf dem Berliner Wohnungsmarkt ist hier nicht maßgeblich, da dies nichts daran ändert, dass nach der Auslegung durch den Senat konkret der Zweck der gewerblichen Nutzung im Vordergrund stand.

Dass die vier (anfänglichen) Mieter nicht mit dem Verein identisch sind, ist kein Indiz für eine Wohnraumnutzung. Zwar würde ein Wohnzweck bei Anmietung durch einen Verein von vornherein ausscheiden. Jedoch liegt ein Wohnraummietverhältnis auch bei Anmietung durch natürliche Personen nicht zwingend vor, sondern nur, wenn der Wohnraum den Schwerpunkt des Nutzungszwecks darstellt und eigenen Wohnzwecken der Mieter dient (vgl. BGH NZM 2021, 218 Rn 23, 25). Der Mietzweck war vorliegend (gleich, wer Mietpartei war) im Schwerpunkt auf die künstlerische Nutzung als Atelier etc gerichtet. Die Einnahme der Mieterstellung durch die vier Gründer ist auch schon damit erklärbar, dass sich der Verein noch in der Gründungsphase befand und zudem ein Vermieter einen e.V. aus wirtschaftlichen Gründen ohnehin nicht als (alleiniges) Haftungsobjekt akzeptieren wird, eine Haftungserklärung der Gründer somit ohnehin erforderlich geworden wäre.

2) Die Klage ist gemäß § 546 Abs. 1 BGB begründet, da das Mietverhältnis mit Ablauf der Optionszeit am 15.05.2021 geendet hat (§ 3 MV i.V.m. § 542 Abs. 2 BGB). Die Vorschrift des § 575 BGB, die eine wirksame Befristung von Wohnraummietverhältnissen von gewissen Voraussetzungen abhängig macht und bei deren Nichtvorliegen zu einem Mietverhältnis auf unbestimmte Zeit führt (§ 575 Abs. 1 S. 2 BGB), ist wegen Vorliegens eines Gewerbemietverhältnisses nicht anwendbar.

3) Den Beklagten zu 2) und 3) ist nach § 721 Abs. 1 ZPO eine Räumungsfrist bis 30.06.2022 zu gewähren, jedoch nur in Bezug auf die – räumlich getrennten, zu Wohnzwecken genutzten – Räume im 1. Obergeschoss.

Streitig ist, ob bei einem Mischmietverhältnis mit Schwerpunkt in der Gewerbemiete eine Räumungsfrist gewährt werden kann (dafür: Schmidt-Futterer/Lehmann-Richter, Mietrecht, 15. Aufl., § 721 ZPO Rn 7: bei räumlicher Teilbarkeit aber grds. nur für die Wohnräume; dagegen: Zöller/Seibel, ZPO, 34. Aufl., § 721 Rn 2; Guhling/Günter/Geldmacher, Gewerberaummiete, 2. Aufl., ProzessR, Kapitel 3, Rn 62 mit Nachw. zu beiden Ansichten, und dem Hinweis, dass bei räumlicher Trennung § 721 ZPO für den Wohnbereich doch anwendbar sein könne, der Mieter jedoch bei Zurückweisung der Teilrückgabe nach § 266 BGB auch für den gewerblichen Teil Nutzungsentschädigung schulde, a.a.O., Rn 62a).

Dem Zweck des § 721 ZPO folgend, Obdachlosigkeit zu vermeiden, ist nach Auffassung des Senats die Gewährung einer Räumungsfrist für zum Wohnen genutzte Räume eines Gewerbemietverhältnisses zulässig (s.a. Senat, 8 U 111/16, Beschluss vom 18.07.2016, WuM 2016, 571). In der vorliegenden Situation eines Mischmietverhältnisses kommt eine Räumungsfrist diesem Zweck entsprechend jedoch nur für die Wohnräume in Betracht, wenn diese räumlich von den übrigen gewerblich genutzten Räumen abgetrennt sind, was vorliegend unstreitig der Fall ist. Ob bei fehlender räumlicher Trennbarkeit trotz nur untergeordneter Wohnnutzung eine Räumungsfrist für die Gesamträume eines Mischmietverhältnisses zu gewähren wäre, steht hier nicht zur Entscheidung.

Der Senat hält eine Räumungsfrist bis 30.06.2022 (ca. zwei Monate nach mündlicher Verhandlung) für angemessen und ausreichend, zumal die Beklagten über ihren Prozessbevollmächtigten bereits seit dem 03.03.2022 Kenntnis davon haben, dass das Berufungsgericht der Beurteilung des Landgerichts nicht folgt und sie voraussichtlich zur Räumung verurteilt werden.

3) a) Die Kostenentscheidung erster Instanz beruht auf den §§ 91 Abs. 1, 100 Abs. 4, 269 Abs. 3 ZPO, die für das Berufungsverfahren auf den §§ 91 Abs. 1, 100 Abs. 4 ZPO.

b) Die Vollstreckbarkeitsentscheidung folgt aus den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Ein Verzicht auf die Vollstreckbarerklärung nach § 712 Abs. 1 S. 2 ZPO kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil die Beklagten nicht vortragen und glaubhaft machen, zur Sicherheitsleistung nicht in der Lage zu sein, sondern vielmehr (hilfsweise) selbst um Abwendung der Vollstreckung gegen eigene Sicherheitsleistung bitten.

Eine Gestattung nach § 712 Abs. 1 S. 1 ZPO, die Vollstreckung durch eigene Sicherheitsleistung ohne Rücksicht auf eine Sicherheitsleistung des Klägers abzuwenden, kommt ebenfalls nicht in Betracht, weil die Vollstreckung den Beklagten keinen „nicht zu ersetzenden Nachteil“ bringen würde.

Die Schwierigkeit allein, eine neue Wohnung zu finden, begründet einen solchen Nachteil nicht, da sie regelmäßige Folge einer vorläufigen Räumungsvollstreckung ist (s. BGH, V. ZS, WuM 2017, 162).

Maßgeblich ist der Nachteil, der infolge des dauerhaften Verlustes der Räume droht, wenn der Vermieter sie nach der vorläufigen Vollstreckung anderweitig vermietet (s. BGH a.a.O.). Der BGH nimmt in Wohnraummietsachen an, dass eine solche Gefahr bei Wohnraumvollstreckungen regelmäßig droht und einen unersetzlichen Nachteil darstellt (s. NJW-RR 2019, 589 Rn 7). In der Gewerbemiete nimmt der BGH hingegen an, dass ein unersetzlicher Nachteil bei Verlust der Gewerberäume regelmäßig nicht besteht (s. ZMR 2020, 98; NJW-RR 2017, 1355 Rn 5 f.).

In Bezug auf die Ateliernutzung ist ein unersetzlicher Nachteil nicht zu erkennen. Auch die

– ggf. bei unberechtigter Vollstreckung – dauerhaft entfallende Möglichkeit der kombinierten Nutzung von Atelier und WG-Zimmer begründet keinen unersetzlichen Nachteil i.S. von § 712 ZPO. Selbst wenn neue Räume mit dieser Kombination nicht leicht zu finden sein mögen, ist dies zum einen nicht unmöglich, und führt zum anderen nicht etwa zu einer Existenzgefährdung, sondern lediglich zum Wegfall eines Bequemlichkeitsfaktors.

Vorliegend käme die Anwendung von § 712 ZPO somit nur bei Annahme maßgeblicher Nachteile wegen dauerhaften Wegfalls gerade der Wohnnutzung in Betracht. Selbst wenn man – ungeachtet der nur den Nebenzweck bildenden Wohnraumnutzung – die Grundsätze der BGH-Rechtsprechung für Wohnraummietverhältnisse anwenden wollte, ist ein unersetzlicher Nachteil auch insoweit jedoch nicht zu bejahen. Denn es handelt sich um „WG-Zimmer“, die von vornherein im Kontext einer Mitnutzung der Atelierräume angemietet wurden und genutzt werden sollten. Anders als bei einer „Wohnung“ im herkömmlichen Sinn, die auf unbestimmte Zeit angemietet wird und bei Geltung der §§ 573 ff BGB den schützenswerten und langfristigen, ggf. lebenslangen „Lebensmittelpunkt“ bildet, dessen endgültiger Verlust einen nicht ersetzbaren Nachteil darstellt (vgl. BGH NJW-RR 2019, 589 Rn 7), kann ein solcher bei einem WG-Zimmer nicht angenommen werden. Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass das Mietverhältnis von vornherein auf 10 Jahre befristet war und diese Zeit abgelaufen ist (vgl. auch BGH ZMR 2020, 98).

c) Revisionszulassungsgründe i.S. von § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Der Senat weicht nicht von der Rechtsprechung des BGH ab (s. BGHZ 202, 39), sondern hat deren Grundsätze zugrunde gelegt und gelangt unter Berücksichtigung der tatsächlichen Umstände des Falles zu dem Auslegungsergebnis, dass ein Gewerbemietverhältnis vorliegt.

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

Unsere Hilfe im Mietrecht & WEG-Recht

Wir sind Ihr Ansprechpartner in Sachen Mietrecht und Wohneigentumsrecht. Vom Mietvertrag über Mietminderung bis hin zur Mietvertragskündigung.

Rechtsanwälte Kotz - Kreuztal

Rechtstipps aus dem Mietrecht

Urteile aus dem Mietrecht

Unsere Kontaktinformationen

Rechtsanwälte Kotz GbR

Siegener Str. 104 – 106
D-57223 Kreuztal – Buschhütten
(Kreis Siegen – Wittgenstein)

Telefon: 02732 791079
(Tel. Auskünfte sind unverbindlich!)
Telefax: 02732 791078

E-Mail Anfragen:
info@ra-kotz.de
ra-kotz@web.de

Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Kotz
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Notar mit Amtssitz in Kreuztal

Bürozeiten:
MO-FR: 8:00-18:00 Uhr
SA & außerhalb der Bürozeiten:
nach Vereinbarung

Für Besprechungen bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung!