Zählerverwechslung führt zu Stromlieferungsstreit
In einem aktuellen Rechtsstreit geht es um die Bezahlung von Stromlieferungen, nachdem eine Zählerverwechslung bei der Übergabe einer Wohnung auftrat. Die beteiligten Parteien sind die Grundversorgerin, die Klägerin, und die Beklagte, die Mieterin der Wohnung. Der Fall wirft Fragen bezüglich der Zuständigkeit für die Stromrechnungen auf und ob ein Vertragsverhältnis zwischen den beiden Parteien entstanden ist.
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Übersicht
Die Situation
Die Beklagte zog im Juli 2018 in eine Wohnung ein und schloss Verträge mit verschiedenen Stromanbietern ab. Bei der Wohnungsübergabe wurde jedoch der falsche Stromzähler abgelesen und in das Übergabeprotokoll eingetragen. Die Klägerin rechnete daraufhin Stromlieferungen für die falsche Zählernummer ab.
Die Klage
Die Klägerin fordert die Zahlung von insgesamt 657,03 Euro zuzüglich Zinsen und Mahnkosten für die Stromlieferungen. Sie argumentiert, dass ein Vertragsverhältnis durch den tatsächlichen Bezug des Stroms zustande gekommen sei. Die Beklagte hingegen ist der Ansicht, dass kein Vertragsverhältnis entstanden sei und beantragt, das Versäumnisurteil aufrechtzuerhalten.
Das Urteil
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Es ist kein Vertragsverhältnis zwischen den Parteien entstanden, da die Beklagte Verträge mit anderen Stromanbietern abgeschlossen hatte. Die Entnahme von Strom kann in diesem Fall nicht als Annahme einer Realofferte der Klägerin ausgelegt werden. Außervertragliche Ansprüche sind ebenfalls nicht begründet.
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Das vorliegende Urteil
AG Frankfurt – Az.: 29 C 903/21 (19) – Urteil vom 28.04.2022
Das Versäumnisurteil vom 2.11.2021 wird aufrechterhalten.
Die Klägerin trägt auch die weiteren Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, sofern nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des aus dem Urteil jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet. Die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil darf nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aus dem Versäumnisurteil jeweils zu vollstreckenden Betrages fortgesetzt werden.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Bezahlung von Stromlieferungen.
Die Klägerin ist Grundversorgerin […]. Die Beklagte zog mit dem Mitmieter Herrn A am 18.7.2018 in die Wohnung [Anschrift], 2. Obergeschoss rechts, ein; diese Wohnung wird von der [Verwalterin] im Auftrag der [Vermieterin] GmbH verwaltet. Aufgrund eines Versehens des mit der Durchführung der Wohnungsübergabe beauftragten Mitarbeiters der [Verwalterin] wurde bei der Übergabe der Wohnung der zu der Wohnung 2. OG links gehörende Stromzähler abgelesen und dessen Zählerstand und -nummer (Nr. 11040) in das Übergabeprotokoll eingetragen; für den weiteren Inhalt des Übergabeprotokolls wird auf dessen Ablichtung bei der Akte, Bl. 20, verwiesen. Die Beklagte hatte bis zum 30.9.2018 bei dem Stromversorger [Stromanbieter 1] einen Stromversorgungsvertrag, sie erhielt von dieser für die Zählernummer 11040 eine Schlussrechnung für den Zeitraum 18.7.2018 – 30.9.2018 über 28,04 EUR für einen Gesamtverbrauch von 21,8 kWh. Vom 1.10.2018 – 3.6.2019 hatte die Beklagte einen Stromlieferungsvertrag mit [Stromanbieter 2] abgeschlossen, dem ebenfalls die Zählernummer 11040 zugrunde lag; hierfür erhielt die Beklagte von [Stromanbieter 2] eine Rechnung über 305,45 EUR, für deren näheren Inhalt auf die Ablichtung bei der Akte, Bl. 37, verwiesen wird. Am 3.6.2019 stellte die [Verwalterin] anlässlich des Auszugs der Beklagten die Zählerverwechselung fest und informierte hierüber sowohl die Beklagte als auch die Klägerin. Die [Verwalterin] teilte mit Email vom 4.6.2019 mit, dass der Wohnung 2. OG rechts tatsächlich die Zählernummer 11027 zugeordnet sei, und die Zählernummer 11040 der Wohnung 2. OG links. Der Mieter der Wohnung 2. OG links war bis zum Tag des Einzugs der Beklagten, dem 18.7.2018, bei der Klägerin mit der Zählernummer 11040 zur Versorgung angemeldet, diese Zählernummer wurde im System der Klägerin sodann vom 18.7.2018 – 3.6.2019 als „fremdversorgt“ gekennzeichnet und nicht mehr abgerechnet, woraufhin der Mieter ab dem 4.6.2019 fortlaufend wieder bei der Klägerin als zur Versorgung angemeldet im System geführt wird. Nach der Information über den Fehler teilte die Beklagte ihrem vertraglichen Stromversorger [Stromanbieter 2] die Verwechselung mit, woraufhin sie zunächst von [Stromanbieter 2] am 31.7.2019 eine korrigierte Schlussrechnung für die Zählernummer 11040 mit einer teilweisen Rückzahlung der darauf geleisteten Beträge erhielt (Rechnung Bl. 39 f. d.A.), und sodann am 6.11.2019 eine neue Schlussrechnung für die Zählernummer 11027 über einen Betrag von 601,91 EUR für einen Verbrauch von 1.952 kWh (Rechnung Bl. 41 f. d.A.).
Mit Schlussrechnung vom 5.6.2019 (Bl. 27 f. d.A.) rechnete die Klägerin für die Zählernummer 11027 im Zeitraum vom 18.7.2018 – 31.5.2019 insgesamt 572,75 EUR für einen Verbrauch von 1.690 kWh gegenüber der Beklagten ab und mit weiterer Schlussrechnung vom 29.8.2019 (Bl. 24 f. d.A.) im Zeitraum vom 1.6.2019 – 31.7.2019 insgesamt 84,28 EUR für einen Verbrauch von 227 kWh. Die Zahlung dieser Beträge verfolgt sie mit der Klage weiter.
Durch Versäumnisurteil vom 2.11.2021, der Klägerin zugestellt am 19.11.2021, ist die Klage, die auf Zahlung von 657,03 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.6.2019 sowie Mahnkosten in Höhe von 0,88 EUR lautete, abgewiesen worden (Bl. 72 d.A.). Die Klägerin legte hiergegen mit Schriftsatz vom 30.11.2021, eingegangen am 6.12.2021, Einspruch ein.
Die Klägerin ist der Ansicht, zwischen der Beklagten und ihr sei über die Versorgung mit Strom, bezogen auf die Zählernummer 11027, ein Vertragsverhältnis durch tatsächlichen Bezug des Stroms zustande gekommen, das sie zur Abrechnung gegenüber der Beklagten berechtige. Jedenfalls aber sei die Beklagte um den erhaltenen Strom aus der Zählernummer 11027 bereichert.
Die Klägerin beantragt, das Versäumnisurteil aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 657,03 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.6.2019 sowie Mahnkosten in Höhe von 0,88 EUR zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, das Versäumnisurteil aufrechtzuerhalten.
Entscheidungsgründe
Durch den statthaften und fristgemäßen Einspruch ist der Rechtsstreit in den Zustand vor der Säumnis zurückversetzt worden, § 342 ZPO. In der Sache hat der Einspruch jedoch keinen Erfolg. Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zahlung des von der Beklagten über die Zählernummer 11027 im Zeitraum vom 18.7.2018 bis 3.6.2019 – der Dauer des Mietverhältnisses über die Wohnung [Anschrift] 2. OG rechts – bezogenen Stroms aus Energielieferungsvertrag. Denn der Abschluss eines Vertrages zwischen den Parteien ist nicht zustande gekommen. Grundsätzlich kommt auch im Energielieferungsrecht ein Vertragsschluss durch Abgabe zweier übereinstimmender Willenserklärungen der Vertragspartner zustande, wobei es aufgrund des Kontrahierungszwangs des Grundversorgers ausreicht, dass der Verbraucher den Strom, den der Grundversorger generell anbietet, in Kenntnis der Umstände entnimmt. Der Vertragsschluss erfolgt dann durch konkludente Erklärungen bzw. konkludente Annahme einer Realofferte, siehe § 2 Abs. 2 StromGVV (BGH, Urt. v. 6.7.2011, VIII ZR 217/10, juris, Rn. 16).
Auch der Inhalt konkludenter Erklärungen ist jedoch der Auslegung zugänglich. Eine konkludente Erklärung über die Annahme der Realofferte des Grundversorgers liegt daher dann nicht vor, wenn der Abnehmer im gleichen Zeitraum einen Vertrag mit einem anderen Stromlieferanten abgeschlossen hat, da der Verbraucher mit der Entnahme in diesem Fall keine Erklärung abgibt, sondern lediglich die vertragsgemäße Leistung des anderen Versorgers entgegennimmt (BGH a.a.O., Rn. 18). Die Entnahme von Strom kann folgerichtig auch dann nicht als Annahme einer Realofferte des Gebietsversorgers zum Abschluss eines Stromlieferungsvertrages ausgelegt werden, wenn der Abnehmer einen Vertrag mit einem anderen Stromlieferanten abgeschlossen hat, dieser jedoch ohne Kenntnis des Abnehmers den Strom tatsächlich nicht liefert (OLG Hamm, NJOZ 2005, 31, Leitsatz, zit. nach beck-online). Dieser Fall ist dem hier vorliegenden vergleichbar.
Der Klägerin ist zuzugeben, dass auf ihrer Seite keine Zählerverwechselung vorlag und nichts dafür ersichtlich ist, dass sie die Verwechselung, die durch die [Verwalterin] hervorgerufen wurde, hätte erkennen können oder müssen. Allerdings bestehen dennoch bereits Zweifel am Vorliegen einer Realofferte der Klägerin durch die Bereitstellung von Strom an der Zählernummer 11027 am 18.7.2018, dem Beginn der Stromentnahme durch die Beklagte. Denn nach ihrem eigenen Vortrag im Schriftsatz vom 11.3.2022 ging die Klägerin damals davon aus, dass betreffend den über den Zähler 11027 abgegebenen Strom ein Drittvertrag existierte und sie also dort keinen eigenen Strom bereitstellte. Jedenfalls aber fehlte es an einer konkludenten Erklärung der Beklagten bei der faktischen Abnahme des Stroms an der Zählernummer 11027. Denn die Beklagte ging bei der Abnahme des Stroms unstreitig davon aus, dass es sich um den vertragsgemäß von [Stromanbieter 1] (18.7.2018-30.9.2018) und sodann [Stromanbieter 2] (1.10.2018-3.6.2019) bereitgestellten Strom handelte. Gemäß den oben dargestellten Grundsätzen ist ihrer Handlung daher kein auf einen Vertragsschluss mit dem Grundversorger gerichteter Wille zu entnehmen.
Außervertragliche Ansprüche sind ebenfalls nicht begründet. Zwar wird durch § 38 EnWG ein gesetzliches Schuldverhältnis begründet, wenn die Energieversorgung ohne vertragliche Grundlage allein aufgrund der Entnahme durch den Letztverbraucher erfolgt (BGH, a.a.O., Rn. 20 m.w.N.). Sinn der Regelung ist es aber, für den ersatzversorgungsberechtigten Kunden eine Auffangbelieferung für den Fall sicherzustellen, dass ein reguläres Lieferverhältnis nicht besteht (BGH, a.a.O.); der Fall, dass – wie hier – der Grundversorger eine vertragliche Beziehung zum Verbraucher neben der unstreitig bestehenden Vertragsbindung eines privaten Energieversorgungsunternehmens behauptet, ist nach dem Sinn der Vorschrift nicht von ihr erfasst (zum vergleichbaren Fall der Lieferantenkonkurrenz s. BGH, a.a.O., Rn. 20).
Ein Anspruch aus Geschäftsführung ohne Auftrag (GoA) scheitert daran, dass die Beklagte unstreitig einen Vertrag über die gesamte Zeit der Belieferung mit Strom abgeschlossen hatte, dieses Vertragsverhältnis geht der GoA vor. Der gleiche Vorrang des Vertragsverhältnisses gilt für bereicherungsrechtliche Ansprüche und schließt diese vorliegend aus (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 21 zu Ansprüchen aus GoA und Bereicherungsrecht); aus der objektiven Sicht des Leistungsempfängers, der Beklagten, stellte sich die streitgegenständliche Stromlieferung nicht als Leistung der Beklagten, sondern ihres privatrechtlich verpflichteten Energieversorgers dar (vgl. OLG Hamm, a.a.O., S. 33). Darüber hinaus ist eine ungerechtfertigte Bereicherung der Beklagten durch die Stromversorgung nicht ersichtlich. Der der Beklagten gelieferte Strom ist entsprechend den von ihr abgeschlossenen Strombelieferungsverträgen sowohl durch die Firma [Stromanbieter 1] (Bl. 44 d.A.) als auch durch [Stromanbieter 2] (Rechnung über 601,91 EUR) für den jeweiligen Bezugszeitraum abgerechnet worden. Dass die Beklagte aufgrund der Korrektur der Zählernummer von [Stromanbieter 2] zunächst eine Rückzahlung der geleisteten Zahlung erhalten hat, begründet keine Bereicherung, weil danach die Schlussrechnung über 601,91 EUR für den Leistungszeitraum erfolgte. Die Beklagte hat unbestritten vorgetragen, dass sich die Rechnung trotz der Angabe „für den Zeitraum vom 1. August 2019 bis 31. August 2019“ auf den Zeitraum 1.10.2018 – 31.8.2019 beziehe, indem dort unter neuer Kundennummer die bisherigen vertraglichen Zeiträume zusammengefasst seien; dafür, dass es sich um eine Gesamtabrechnung handelt, spricht auch die Höhe des Verbrauchs von 1.952 kWh, da die Klägerin für den vergleichbaren Zeitraum (18.7.2018-31.5.2019 + 1.6.2019-31.7.2019) einen Verbrauch von insgesamt 1.917 kWh (1.690 kWh + 227 kWh) ermittelt hat.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 Abs. 1 ZPO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit betreffend das Versäumnisurteil aus § 709 S. 3 ZPO, im Übrigen aus § 708 Nr. 11, 711 ZPO.