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WEG – Beschlussnichtigkeit wegen Unbestimmtheit ist auf Extremfälle beschränkt

WEG-Beschluss: Grenzen der Nichtigkeit bei Unbestimmtheit

Das Landgericht Frankfurt am Main hat in einem aktuellen Fall entschieden, dass die Nichtigkeit eines WEG-Beschlusses aufgrund von Unbestimmtheit nur in extremen Fällen gegeben ist.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 2-13S94/22 >>>

Hintergrund des Falles

Die klagende Gemeinschaft forderte von den Beklagten, die als Erben eines verstorbenen Wohnungseigentümers agierten, die Zahlung einer Sonderumlage in Höhe von Euro 6.489,16. Laut Protokoll hatte die Gemeinschaft in einer Versammlung beschlossen, eine Sonderumlage für die „Instandsetzung Außenanlage Gemeinschaftseigentum“ in Höhe von „ca. Euro 18.000,00“ zu erheben. Die Beklagten bestritten jedoch, dass diese Versammlung stattgefunden hat und argumentierten, dass der Beschluss aufgrund seiner Unbestimmtheit nichtig sei.

Amtsgerichtliche Entscheidung

Das Amtsgericht Friedberg wies die Klage ab. Es vertrat die Ansicht, dass der Beschluss, unabhängig davon, ob die Eigentümerversammlung tatsächlich stattgefunden hat, aufgrund mangelnder Bestimmtheit nichtig sei. Es wurde argumentiert, dass die zu erhebende Sonderumlage nicht konkret beziffert wurde und aus dem Beschluss nicht hervorgeht, welchen Umfang die Maßnahme haben sollte.

Berufung und Entscheidung des Landgerichts

Die Klägerin legte Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts ein. Das Landgericht Frankfurt am Main gab der Berufung statt und entschied, dass der Klägerin der geforderte Betrag zusteht. Es wurde festgestellt, dass die Zahlungspflicht durch den Beschluss der Eigentümerversammlung begründet wurde. Das Gericht betonte, dass die Nichtigkeit eines Beschlusses nur in extremen Fällen gegeben ist. Ein Beschluss ist nur dann nichtig, wenn er keinen durchführbaren Inhalt hat, nicht eindeutig ist oder widersprüchlich ist. Wenn ein Beschluss jedoch noch einen durchführbaren Regelungsinhalt erkennen lässt, führt dies nicht zur Nichtigkeit, sondern nur zur Anfechtbarkeit.

Schlussbetrachtung

Das Landgericht Frankfurt am Main hat klargestellt, dass die Nichtigkeit eines WEG-Beschlusses aufgrund von Unbestimmtheit nur in extremen Fällen gegeben ist. Ein Beschluss, der noch einen durchführbaren Regelungsinhalt erkennen lässt, ist nicht nichtig, sondern lediglich anfechtbar. Dieses Urteil unterstreicht die Bedeutung einer sorgfältigen und klaren Formulierung von Beschlüssen in der Wohnungseigentümergemeinschaft.


Das vorliegende Urteil

LG Frankfurt/Main – Az.: 2-13S94/22 – Urteil vom 27.07.2023

1. Auf die Berufung der Klägerin und Berufungsklägerin wird das am 26.08.2022 verkündete Urteil des Amtsgerichts Friedberg (2 C 848/21 (23)) wie folgt abgeändert:

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin Euro 6.489,16 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29.04.2021 zu zahlen.

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von Euro 713,76 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29.04.2021 zu zahlen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz tragen die Beklagten.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

5. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf Euro 6.489,16 festgesetzt.

Gründe:

I.

Die klagende Gemeinschaft verlangt von den Beklagten als Erben des verstorbenen Eigentümers einer Wohneinheit die Zahlung einer Sonderumlage in Höhe von Euro 6.489,16. Die übrigen vier Wohneinheiten haben einen Eigentümer. Nach dem Protokoll hat die Gemeinschaft in einer Versammlung am 16.12.2020 durch diesen Eigentümer unter TOP 5.2 „Instandsetzung Außenanlage Gemeinschaftseigentum“ die Erhebung einer Sonderumlage in Höhe von „ca. Euro 18.000,00“ beschlossen. Der Umlageschlüssel soll sich nach den Miteigentumsanteilen richten. Die Beklagten haben u.a. mit Nichtwissen bestritten, dass die Versammlung stattgefunden hat und die Ansicht vertreten, der Beschluss sei unbestimmt und damit nichtig.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Tatbestand des amtsgerichtlichen Urteils Bezug genommen.

Das Amtsgericht (ZMR 2022, 1001) hat die Klage abgewiesen. Unabhängig davon, ob die Eigentümerversammlung am 16.12.2020 überhaupt stattgefunden habe, wäre der Beschluss jedenfalls mangels hinreichender Bestimmtheit nichtig. Die zu erhebende Sonderumlage sei nicht konkret beziffert und aus dem Beschluss ergebe sich nicht, welchen Umfang die Maßnahme haben solle.

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der Berufung und verfolgt die Klageanträge unverändert weiter.

II.

Die zulässige Berufung hat auch in der Sache Erfolg. Der Klägerin steht gegen die Beklagten ein Anspruch auf Zahlung einer Sonderumlage in Höhe von Euro 6.489,16 zu.

Die Zahlungspflicht wurde durch den Beschluss der Eigentümerversammlung vom 16.12.2020 unter TOP 5.2 des Protokolls begründet. Dem steht nicht entgegen, dass die Beklagten mit Nichtwissen bestritten haben, dass am 16.12.2020 eine Eigentümerversammlung stattgefunden hat, in der vier von fünf Einheiten vertreten waren und in der die Beschlüsse zu TOP 5.1 und 5.2 gefasst wurden. Die Beweislast dafür, dass der Inhalt des Protokolls unrichtig ist, trifft die Beklagten (vgl. Kammer ZWE 2020, 435, 436, Rn. 9). Denn nach der Rechtsprechung des BGH ist im Grundsatz „von dem protokollierten Wortlaut der Beschlüsse auszugehen“ (BGH NZM 2010, 285 = ZWE 2010, 130). Dies entspricht der Beweiskraft von Privaturkunden, die dahin geht, dass die Urkunden die Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit für sich haben (vgl. nur Zöller/Geimer, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 416 Rn. 10).

Demzufolge hat auch das Versammlungsprotokoll die Vermutung für sich, dass die Niederschrift den Inhalt der Beschlüsse vollständig und richtig wiedergibt (Bärmann/Merle, 15. Aufl. 2023, WEG § 24 Rn. 156; ausf. Becker ZWE 2016, 2). Dies führt nach den allgemeinen Regeln dazu, dass die Beweislast für einen abweichenden Geschehensablauf, der sich nicht aus der Urkunde ergibt, demjenigen zukommt, der sich hierauf beruft (BGH NJW 1999, 1702). Die Beklagten können daher nicht einfach pauschal die Beschlussfassung und die Versammlung mit Nichtwissen bestreiten.

Soweit die Beklagten insoweit zudem mit Nichtwissen bestritten haben, dass zu der Versammlung ordnungsgemäß eingeladen wurde, ist das Bestreiten mit Nichtwissen bereits nicht zulässig. Gemäß § 138 Abs. 4 ZPO ist eine Erklärung mit Nichtwissen nur über solche Tatsachen zulässig, die weder eigene Handlungen der Partei noch Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung sind. Den Beklagten werden hier als Rechtsnachfolger des Erblassers dessen Wahrnehmungen zum Zugang der Ladung zugerechnet. Jedenfalls aber hätte es den Beklagten oblegen, die Unterlagen des Nachlasses nach der Einladung durchzusehen.

Der Beschluss unter TOP 5.2 des Protokolls wäre zwar anfechtbar gewesen; nichtig mangels ausreichender Bestimmtheit ist der Beschluss aber nicht. Nichtig wegen Unbestimmtheit ist ein Beschluss nur, wenn er keinen durchführbaren Inhalt hat, nicht eindeutig ist, welche von mehreren Möglichkeiten gewollt ist, oder der Beschluss widersprüchlich ist (vgl. BeckOK WEG/Bartholome, 52. Ed. 3.4.2023, WEG § 23 Rn. 143).

Lässt der Beschluss noch einen durchführbaren Regelungsinhalt erkennen, führt dies nicht zur Nichtigkeit, sondern lediglich zur Anfechtbarkeit (vgl. BGH, Beschluss vom 10.09.1998 – V ZB 11/98, NJW 1998, 3713, 3716; BeckOK WEG/Bartholome, 52. Ed. 3.4.2023, WEG § 23 Rn. 144; Bärmann/Dötsch, 15. Aufl. 2023, WEG § 23 Rn. 302).

Nach dem klaren Konzept des § 23 Abs. 4 WEG ist die Nichtigkeit von Beschlüssen die Ausnahme und setzt mehr als eine materielle oder formelle Fehlerhaftigkeit des Beschlusses voraus (zutreffend LG München I ZMR 2021, 346). Denn anders als Anfechtungsgründe, die nur mit der fristgebundenen Beschlussanfechtungsklage (§ 44 Abs. 1 WEG) geltend gemacht werden können, kann der Einwand der Nichtigkeit in jedem Verfahren auch lange nach Ablauf der Anfechtungsfrist erhoben werden und ist bei Vortrag zu den Tatsachen in rechtlicher Hinsicht von jedem Gericht von Amts wegen zu berücksichtigen (vgl. BGH NJW 2023, 1884 Rn. 14 mwN). Diese für die GdWE bei der Beschlussumsetzung nachteiligen Fehlerfolgen müssen auf Extremfälle (ähnlich Bärmann/Dötsch § 23 Rn. 302 „krasse Fälle“) beschränkt bleiben.

Erforderlich ist daher, bei dem hier relevanten Beschluss über eine Sonderumlage, ob sich Umfang und Verteilung der Sonderumlage insoweit aus dem Beschluss entnehmen lassen, dass sich diesem bei Auslegung noch eine vollziehbare Regelung entnehmen lässt (vgl. OLG Hamburg ZMR 2008, 225). Dabei muss sich die objektiv-normativ vorzunehmende Auslegung – wie stets im Wohnungseigentumsrecht (vgl. etwa BGH NZM 2020, 67 Rn. 23) – daran orientieren, dass die Eigentümer Beschlüsse fassen wollen, die ihrer wohlverstandenen Interessenlage entsprechen und rechtmäßig sind. Verbleibt auf diesem Wege eine durchführbare Regelung ist der Beschluss entsprechend auszulegen, ggf. auch auf einen durchführbaren Kern zu reduzieren. Dass häufig bestehende Unsicherheiten im Rahmen der fristgerechten Anfechtung zum Klageerfolg geführt hätten, ist dabei ohne Relevanz.

Nach diesen Grundsätzen ist der Beschluss hier noch ausreichend bestimmt. Der Beschluss enthält zwar mit der Angabe „ca. Euro 18.000,00“ keine eindeutige Angabe der Höhe der Sonderumlage. Die Angabe ist aber nach der maßgeblichen objektiv-normativen Auslegung dahingehend zu verstehen, dass die Sonderumlage Euro 18.000,00 betragen soll, dieser Betrag also zunächst von den Eigentümern aufzubringen ist. Denn wie sich im Zusammenhang mit den übrigen zu TOP 5 gefassten Beschlüssen und der Überschrift zeigt, sollen damit Instandsetzungsarbeiten am Gemeinschaftseigentum Außenanlage finanziert werden, deren genaue Kostenhöhe wohl noch nicht feststand. Objektivnormativ ging es bei der Beschlussfassung also darum, den im Beschluss genannten Betrag von Euro 18.000,00 von den Eigentümern zu fordern. Damit lässt der Beschluss noch einen durchführbaren Regelungsinhalt erkennen, so dass er nicht nichtig ist, sondern allenfalls anfechtbar gewesen wäre.

Auch der angegebene Umlageschlüssel „nach den Miteigentumsanteilen“ ist hinreichend bestimmt, da eindeutig berechenbar und somit objektiv-normativ völlig eindeutig (LG München I ZMR 2021, 346). Die Höhe der Miteigentumsanteile lässt sich nämlich eindeutig aus der im Grundbuch zu wahrenden Teilungserklärung entnehmen. Ob eine Berechnung der auf die einzelnen Eigentümer entfallenden Kosten diesen bei Beschlussfassung daher bekannt war, kann insoweit dahinstehen.

Unerheblich ist, dass der Beschluss unter TOP 5.2 des Protokolls die Maßnahme, für die die Sonderumlage eingeholt werden soll, nur rudimentär bezeichnet. Zwar können die im Rahmen einer Sonderumlage erhobenen Beträge zweckgebunden sein; der Zweck kann allerdings auch allgemein gefasst werden (vgl. BeckOGK/G. Hermann, 1.6.2023, WEG § 28 Rn. 75; Bärmann/Becker, 15. Aufl. 2023, WEG § 28 Rn. 97 ff.).

Damit ist auch die Angabe „Instandsetzung Außenanlage Gemeinschaftseigentum“ jedenfalls ausreichend.

Im Übrigen würde auch eine Unbestimmtheit insoweit nicht zur Nichtigkeit des Beschlusses führen, eine unklare Zweckbezeichnung würde im Zweifel dazu führen, dass die Sonderumlage zur Erhöhung der Liquidität führen würde (näher Bärmann/Becker, 15. Aufl. 2023, WEG § 28 Rn. 97).

Die Klägerin hat gegen die Beklagte Anspruch auf Erstattung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von Euro 713,76 gemäß § 286 Abs. 1, 2 Nr. 1 BGB.

Nachdem die Beklagten die nach dem Beschluss am 28.02.2021 fällige Sonderumlage nicht geleistet hatten, gerieten sie in Verzug und haben die nach dem Verzugseintritt entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten zu erstatten. Bei einem Gegenstandswert von Euro 6.489,16 belaufen sich die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten auf Euro 713,76 (1,3-Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2300 VV RVG Euro 579,80, Auslagenpauschale gemäß Nr. 7002 VV RVG Euro 20,00, Umsatzsteuer gemäß Nr. 7008 VV RVG Euro 113,96).

Verzugszinsen stehen der Klägerin gegen die Beklagten nach §§ 286 Abs. 1 S. 1, 288 Abs. 1 BGB aus den Beträgen von Euro 6.489,16 und Euro 713,76 seit dem 29.04.2021 zu. Die Klägerin ließ die Beklagten mit anwaltlichen Schreiben vom 16.04.2021 zur Zahlung bis zum 28.04.2021 auffordern. Die Zinspflicht begann am Folgetag (vgl. MüKoBGB/Ernst, 9. Aufl. 2022, § 288 Rn. 19).

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 543 Abs. 2 S. 1 ZPO), es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung auf der Basis der Rechtsprechung des BGH.

Der Streitwert war auf den geltend gemachten Zahlungsbetrag in Höhe von Euro 6.489,16 festzusetzen.

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