AG Pankow-Weißensee – Az.: 3 C 340/19 – Urteil vom 20.02.2020
1. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, ihre Wohnung im …, bestehend aus zwei Zimmern, Küche, WC/Bad, Flur und Nebengelass und Kellerraum zu räumen und geräumt an die Klägerin herauszugeben.
2. Die Beklagten haben gesamtschuldnerisch die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe eines Betrages von 1.000,00 Euro abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Die Klägerin vermietet den Beklagten jedenfalls seit Mitte August 2016 die im Tenor zu 1. bezeichnete Wohnung, dies aufgrund schriftlichen Mietvertrages vom 08. März 2016, zu dessen Einzelheiten auf die zur Akte gereichte Ablichtung (Blatt 6 bis 25 der Akte) Bezug genommen wird.
Die Beklagten halten in der 56,60 m2 großen Zweizimmerwohnung zwei Hunde. Nach wiederholten Beschwerden der Nachbarn mahnte die Klägerin die Beklagten unter dem 15. Dezember 2017 wegen wiederholter ruhestörender, teils deutlich nach 19.00 Uhr verursachter Belästigung der Mitbewohner durch laute Musik, Krach und Poltern, Toben und Bellen der Hunde ab und drohte für den Fall fortgesetzter Ruhestörung die fristlose Kündigung des Mietverhältnisses an. Vor dem Hintergrund dieser Abmahnung lud die Klägerin die Beklagte zu 1. für den 20. Februar 2018 zu einem Gespräch in ihre Niederlassung. Statt der Beklagten zu 1. erschien der nach eigener Darstellung aufgrund einer Hirnschädigung nur bedingt belastbare Beklagte zu 2. in Begleitung seines damaligen Betreuers bei der Klägerin. Deren Mitarbeiterin … fragte den Beklagten zu 2.: „Was wollen Sie denn hier, Sie sind doch gar nicht eingeladen?“. Nachdem die Mitarbeiterin … den Beklagten zu 2. wiederholt unterbrochen hatte, verließ dieser mit der Bemerkung, er wolle sich die Scheiße hier nicht mehr geben, deren Büro. Kurz darauf kehrte er in das Büro zurück, um ihr „siktir lan“ zuzurufen, was Türkisch ist und auf Deutsch „fick Dich“ heißt, die Kollegin … der Mitarbeiterin … als „Schlampe“ und beide als „Fotzen“ zu bezeichnen. Als der Beklagte zu 2. in der Absicht, die Niederlassung der Klägerin zu verlassen, im Foyer zunächst eine falsche Richtung einschlug, rief eine Mitarbeiterin des Empfangsbereichs ihm „hierher“ und „dreckiger Hund“ zu. Am Ausgang schlug der Beklagte zu 2. in Richtung der ihn hinausbegleitenden Mitarbeiterin …, traf aber die Türverglasung, die unter der Schlagwirkung stark verbog. Hinzukommenden weiteren Mitarbeitern der Klägerin zeigte der Beklagte zu 2. den Mittelfinger. Die von der Klägerin alarmierte Polizei nahm den Beklagten zu 2. schließlich in Empfang.
Daraufhin sprach der nachmalige Prozessbevollmächtigte der Klägerin unter dem 27. Februar 2018 sowohl den Beklagten unmittelbar als auch ihren seinerzeitigen Betreuern die fristlose, hilfsweise ordentliche Kündigung des Mietvertrages wegen fortgesetzter Ruhestörung und des vorstehend beschriebenen Vorfalls in ihrer Niederlassung aus. Zu den weiteren Einzelheiten der vorgenannten Kündigungsschreiben wird auf die zur Akte gereichten Ablichtungen (Blatt 28 bis 35 der Akte) Bezug genommen.
Mit Anwaltsschreiben vom 04. Juni 2018 sprach die Klägerin den Beklagten erneut die fristlose Kündigung des Mietvertrages wegen unerlaubter Haltung eines zweiten Hundes, fortdauernden Hundebellens und eines am 21. April 2018 erfolgten Polizeieinsatzes aus.
Als am 02. August 2018 ein von der Klägerin entsandter Handwerker zur Reparatur der unter anderem für die Warmwasserversorgung installierten Gastherme in der Wohnung der Beklagten erschien, versuchte der Beklagte zu 2. zunächst, diesen anzuspucken. Der Handwerker konnte aber ausweichen. Daraufhin packte der Beklagte zu 2. den Handwerker mit so festem Griff am Arm, dass er dort Blutergüsse erlitt, seinen Arbeitseinsatz abbrechen und die Polizei alarmieren musste, die mit zwei Streifenwagen und vier Beamten erschien. Bei einem daraufhin in der Wohnung der Beklagten verabredeten Treffen mit den seinerzeitigen Vertretern der Beklagten überreichte der nachmalige Prozessbevollmächtigte der Klägerin diesen auf den 06. September 2019 datierte schriftliche fristlose, hilfsweise ordentliche Kündigungen, dies jeweils unter Vorlage einer auf ihn lautenden Originalvollmacht der Klägerin. Zu den Einzelheiten der Kündigungsschreiben und der Vollmacht wird ebenfalls auf die zur Akte gereichten Ablichtungen (Blatt 45 bis 49 der Akte) Bezug genommen. Bei dieser Gelegenheit wurde über einen Auszug der Beklagten aus der Wohnung und die Beschaffung von Ersatzwohnraum gesprochen, wobei über die Einzelheiten Streit herrscht. Die Klägerin jedenfalls hat den Beklagten in der Folgezeit keinen Ersatzwohnraum angeboten. Vielmehr ließ sie den Beklagten mit Anwaltsschreiben vom 15. Juli 2019 sowie mit Schriftsätzen vom 23. Dezember 2019, 17. Januar und 03. Februar 2020 weitere fristlose und ordentliche Kündigungen unter anderem wegen unerlaubter Hundehaltung und fortgesetzter Ruhestörung durch Hundegebell aussprechen.
Die Klägerin nimmt die Beklagten im vorliegenden Rechtsstreit auf Räumung in Anspruch und beantragt sinngemäß, die Beklagten zu verurteilen, wie erkannt.
Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen, hilfsweise, ihnen eine angemessene Räumungsfrist von mindestens sechs Monaten zu gewähren.
Sie machen unter anderem geltend,
– der damalige Betreuer des Beklagten zu 2. habe bereits im März 2018 darauf hingewiesen, dass der Unfrieden im Haus seine Ursache in einer von Seiten der Wohnungsnachbarn angestrebten Vertreibung der Beklagten hat,
– die beiden Hunde störten nicht, ihre Haltung sei vom vertragsgemäßen Gebrauch der Wohnung gedeckt,
– man habe sich am 07. September 2018 mit der Klägerin geeinigt, dass sich alle Parteien um Ersatzwohnraum bemühen,
– sie seien sehr krank und auf sozialen Kontakt mit den Tieren angewiesen,
– die Beendigung des Mietverhältnisses begründe für sie eine Härte, zumal angemessener Ersatzwohnraum zu zumutbaren Bedingungen nicht zu beschaffen sei,
– sie wären wohl am 07. September 2018, seither aber nicht mehr an einer Beendigung des Mietverhältnisses interessiert (gewesen),
– der Mietvertrag lasse die Möglichkeit zur Genehmigung der Haltung eines zweiten Hundes offen,
– der Beklagte zu 2. habe die Mitarbeiterin … mit seinem Schlag nicht treffen wollen,
– deren unfreundlicher Empfang und die Art ihrer Gesprächsführung hätten seinen Ausfall provoziert,
– bei der Beurteilung seines ausfälligen Verhaltens müsse seine Hirnschädigung berücksichtigt werden.
Zu den weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird ergänzend auf die zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
I.
Die Beklagten sind gemäß §§ 546 Abs. 1, 427 BGB gesamtschuldnerisch zur Räumung der im Tenor zu 1. genannten Wohnung verpflichtet.
1.
Die fristlose Kündigung der Klägerin vom 27. Februar 2018 hat das Mietverhältnis gemäß §§ 568 Abs. 1, 164 Abs. 1, 569 Abs. 4, 543 Abs. 1 Satz 1 und 2, Abs. 3 Satz 2 Ziffer 2. BGB mit sofortiger Wirkung beendet.
a)
Die vom Beklagten zu 2. am 20. Februar 2018 gegen die Mitarbeiterinnen der Klägerin ausgesprochenen Beleidigungen „fick Dich“, „Schlampe“, „Fotzen“ und das ebenfalls als grobe Beleidigung zu wertende Ausstrecken des Mittelfingers gegen weitere Mitarbeiter der Klägerin machen der Klägerin zumal unter Berücksichtigung der bei dieser Gelegenheit vom Beklagten zu 2. außerdem versuchten bzw. verübten Tätlichkeit gegen die Mitarbeiterin … bzw. das Eigentum der Klägerin jede weitere Fortsetzung des Mietverhältnisses unzumutbar. Die Klägerin kann, darf und muss es nicht hinnehmen, dass Mieter ihre Mitarbeiter vor dem Hintergrund einer Meinungsverschiedenheit um ruhestörenden Lärm aus ihrer Wohnung auf das Gröbste beleidigen, bedrohen und gegen Personen und/oder Sachen gewalttätig werden.
Angesichts des massiv rechtswidrigen Verhaltens des Beklagten zu 2. war eine der fristlosen Kündigung vorausgehende Abmahnung entbehrlich.
Die Beklagte zu 1. muss sich die grob vertragswidrigen und unerlaubten Verhaltensweisen des Beklagten zu 2. im Rahmen ihrer Mietergemeinschaft zurechnen lassen, weshalb die Kündigung auch gegenüber der Beklagten zu 1. begründet ist.
b)
Die Einwände der Beklagten greifen nicht durch.
aa)
Ob die Meinungsverschiedenheit zum ruhestörenden Lärm auf unzutreffenden Sachverhaltsannahmen der Klägerin beruhte, ist letztlich unerheblich. Den Beklagten stand und steht es wie jedem anderen Mieter auch frei, sich gegen etwaige unrichtige Tatsachenbehauptungen zu wehren, nicht aber mit groben Beleidigungen und Gewalttätigkeit.
bb)
Dass die Mitarbeiterin … dem unangekündigt statt der geladenen Beklagten zu 1. erschienenen Beklagten zu 2. mit den im Tatbestand wiedergegebenen Worten begrüßt hat, ist nicht zu beanstanden und schon gar keine die genannten Beleidigungen und die Gewalttätigkeit des Beklagten zu 2. rechtfertigende Provokation. Das gilt in gleicher Weise für den Umstand, dass die Mitarbeiterin … den Beklagten zu 2. im Laufe des Gesprächs wiederholt unterbrochen hat. Insoweit ist schon nicht dargelegt oder ersichtlich, inwiefern diese Unterbrechungen unter Berücksichtigung des konkreten Gesprächsverlaufs, insbesondere des Gesprächsverhaltens des Beklagten zu 2. überhaupt untunlich gewesen sein könnte.
cc)
Ob der Beklagte zu 2. mit dem von ihm ausgeführten Schlag die Mitarbeiterin … treffen wollte, ist letztlich nicht ausschlaggebend. Er hat in Richtung der ihn zum Ausgang begleitenden Mitarbeiterin einen Schlag ausgeführt, was für diese die konkrete Gefahr einer ernsthaften Verletzung begründete, und sei es durch eine unkontrollierte, aber dem Beklagten zu 2. zuzurechnende Ausweichbewegung der Mitarbeiterin … selbst.
dd)
Der Beklagte zu 2. mag wegen einer Hirnschädigung bedingt belastbar sein. Dessen ungeachtet vermag er seine Gesprächspartner in mehreren Sprachen gröblich zu beleidigen und Gewaltausbrüche zu inszenieren. Weshalb diese Art grober Ausfälligkeit im Lichte seiner bedingten Belastbarkeit eine weniger schwerwiegende Rechtsverletzung oder von den Opfern gar hinzunehmen sein könnte, erschließt sich dem Gericht nicht ansatzweise.
ee)
Dass andere, im Empfangsbereich tätige Mitarbeiter der Klägerin den Beklagten zu 2. beim Verlassen der Niederlassung als „dreckigen Hund“ beleidigt haben, kann weder die vorangegangenen groben Beleidigungen seitens des Beklagten zu 2. entschuldigen oder verharmlosen, noch seine anschließende Gewalttätigkeit gegen die Mitarbeiterin … und/oder das Eigentum der Klägerin.
2.
Selbst wenn man im Verhalten des Beklagten zu 2. keine totale Unzumutbarkeit jeglicher Vertragsfortsetzung erkennen wollte: Die unter dem 27. Februar 2018 zugleich hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung des Mietvertrages hätte das Mietverhältnis gemäß §§ 568 Abs. 1, 573 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Ziffer 1., 573 c Abs. 1 Satz 1 BGB jedenfalls zum Ablauf des 31. Mai 2018 beendet.
Eine darin für die Beklagten liegende Härte im Sinne § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Dass Ersatzwohnraum zu zumutbaren Bedingungen nicht zu beschaffen sei, ist lediglich eine substanzfreie Behauptung der Beklagten. Inwiefern sie sich – unterstützt von ihren dazu bestellten Betreuern – überhaupt um Ersatzwohnraum gekümmert haben könnten, ist nicht ansatzweise vorgetragen oder sonst ersichtlich. Selbst wenn sie das Gespräch mit dem nachmaligen Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 07. September 2018 so hätten verstehen dürfen, dass auch die Klägerin etwaigen Ersatzwohnraum anbieten wollte, hätte das die Beklagten nicht der Obliegenheit enthoben, sich selbst darum zu kümmern.
3.
Jedenfalls aber hat die weitere fristlose Kündigung der Klägerin vom 06. September 2018 das Mietverhältnis nach den zu vorstehend Ziffer 1. genannten Vorschriften mit sofortiger Wirkung beendet. Die durch keinen Anlass erklärte, durch nichts zu rechtfertigende oder entschuldigende Beleidigung des von der Klägerin entsandten Handwerkers durch – wenn auch das Ziel verfehlende – Anspucken und die Zufügung einer Körperverletzung durch Tätlichkeit gegen seinen Arm mit der Folge von Blutergüssen machen jede weitere vertragliche Verbindung mit dem Beklagten zu 2. als Mieter einer Wohnung der Klägerin unzumutbar. Denn wie soll die Klägerin ihren Instandhaltungs- und Instandsetzungspflichten geordnet nachkommen, wenn der Beklagte die von ihr entsandten Handwerker und Mitarbeiter grund- und anlasslos tätlich angreift? Das gilt zumal im Lichte des Vorfalls vom 20. Februar 2018.
4.
Dass die Klägerin ihren Räumungsanspruch nicht sogleich gegen die Beklagten geltend gemacht hat, kann den Erfolg ihrer Klage nicht hindern. Eine stillschweigende Vertragsverlängerung nach § 545 Satz 1 BGB hat die Klägerin zu Punkt O auf Seite 13 des Mietvertrages wirksam ausgeschlossen. Die von der Klägerin seit den Kündigungsaussprüchen bis zur Klageeinreichung Anfang November 2019 mit den Beklagten gezeigte Geduld ist Ausdruck sozialer Rücksichtnahme, nicht aber ein Umstand, der die Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung oder gar die fortbestehende Wirksamkeit der von der Klägerin ausgesprochenen Kündigungen in Frage stellen könnte. Dass die Klägerin keinesfalls gewillt war, das Mietverhältnis mit dem Beklagten fortzusetzen, hat sie auch diesen gegenüber durch den fortlaufenden Ausspruch weiterer fristloser und ordentlicher Kündigungen hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht.
5.
Ob die Hunde der Beklagten stören, schon ihre bloße Haltung in der Wohnung ganz oder teilweise vertragswidrig ist und die weiteren von der Klägerin in ihren Kündigungen geltend gemachten Kündigungsgründe bestehen, ist bei dieser Sachlage unerheblich.
II.
Für die Einräumung einer Räumungsfrist besteht kein hinreichender Anlass. Jede weitere Vertragsfortsetzung ist wegen des Verhaltens des Beklagten zu 2. unzumutbar. Eine nachvollziehbare Entschuldigung der Beklagten für das Verhalten des Beklagten zu 2. gibt es nicht, auch nicht den Versuch einer solchen. Die Beklagten haben dem Gericht durch ihr unentschuldigtes Fernbleiben zum Verhandlungstermin auch verunmöglicht, sich mit einer etwaigen Unrechtseinsicht der Beklagten bekanntzumachen und ihnen ein womöglich überzeugendes Wort des Bedauerns oder der Entschuldigung zu entlocken. Aus demselben Grund konnten oder wollten die Beklagten dem Gericht auch etwaige eigene Bemühungen um Ersatzwohnraum nicht dartun. Ihr gesamtes Verhalten vor und im Rechtsstreit läuft mithin auf künftige Wohnungslosigkeit hinaus, woran ihre Betreuer anscheinend nichts zu ändern vermögen. Ein befristeter Räumungsaufschub erscheint somit sinnlos. Die nach § 721 ZPO mögliche Gewährung einer Räumungsfrist ist dazu gedacht, eine vermeidbare kurzfristige Obdachlosigkeit zu vermeiden. Im Falle der Beklagten ist eine Obdachlosigkeit nach Aktenlage, ihrem Verhalten im Prozess und eigener Darstellung aber unvermeidbar.
III.
Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1 Satz 1, 708 Nr. 7, 711 ZPO.