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Gebrauchsüberlassung der Mietwohnung an Familienangehörigen zulässig?

LG Berlin – Az.: 67 S 299/19 – Beschluss vom 28.07.2020

Die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz einschließlich der Kosten des Vergleichs werden gegeneinander aufgehoben.

Gründe

Überantworten die Parteien wie hier die Kostengrundentscheidung im Rahmen eines Prozessvergleichs dem Gericht, hat dieses gemäß § 91a Abs. 1 ZPO unter der Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen über die Kosten des Rechtsstreits zu entscheiden (vgl. BGH, Beschl. v. 8. Dezember 2006 – V ZR 249/05, NJW 2007, 835, beckonline Tz. 1 m.w.N.). Hängt die danach zu treffende Kostengrundentscheidung von der Beantwortung schwieriger oder sogar höchstrichterlich noch ungeklärter Rechtsfragen ab, sind die Kosten gegeneinander aufzuheben (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschl. v. 7. Februar 2018 – VII ZB 28/17, BeckRS 2018, 1997, beckonline Tz. 10). Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.

Die Beklagten wären ohne den Vergleichsschluss gemäß §§ 985 Abs. 1, 546 Abs. 1, Abs. 2 BGB nur dann zur Räumung und Herausgabe der Mietsache verpflichtet gewesen, wenn einer der streitgegenständlichen Kündigungen wirksam gewesen wäre.

Die Kündigung vom 9. November 2018 hat das Mietverhältnis aus den Gründen des Hinweisbeschlusses vom 12. Mai 2020 nicht zu beenden vermocht. Die Schriftsatzkündigung vom 3. Januar 2019 hätte das Mietverhältnis nur beendet, wenn sie entweder als außerordentliche oder als ordentliche Kündigung wirksam gewesen wäre.

Gemäß §§ 543 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 BGB liegt ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung wegen unbefugter Gebrauchsüberlassung vor, wenn der Mieter die Rechte des Vermieters dadurch in erheblichem Maße verletzt, dass er die Mietsache unbefugt einem Dritten überlässt. Zwar hätte der Beklagte zu 1) die Mietsache dem Beklagten zu 2) unbefugt überlassen, indem er nach Begründung des Mietverhältnisses und Inbesitznahme der Mietsache im Jahre 2011 den Besitz daran – nach eigenem Bekunden – „im Frühjahr 2014 komplett“ wieder aufgegeben und seinen Wohnsitz erneut in dem von seiner Ehefrau und seinen Kindern bewohnten Einfamilienhaus genommen hat, wenn es sich bei dem Beklagten zu 2) um einen „Dritten“ i.S.d. §§ 543 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 BGB gehandelt hätte. Jedenfalls ab dem Frühjahr 2014 wäre die Gebrauchsüberlassung an den Beklagten zu 2) dann nicht mehr „berechtigt“ i.S.d. §§ 540 Abs. 1, 553 Abs. 1 BGB und damit „unbefugt“ i.S.d. § 543 Abs. Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 BGB gewesen, selbst wenn die Klägerin schon zum Zeitpunkt des Mietvertragsschlusses im Jahre 2011 Kenntnis davon hatte, dass nicht nur der Beklagte zu 1) als alleiniger Mieter, sondern auch der Beklagte zu 2) die Wohnung in Besitz nehmen würde. Denn eine Gebrauchsüberlassung an Dritte ist – vorbehaltlich einer hier fehlenden Genehmigung des Vermieters zur vollständigen Drittüberlassung – allenfalls dann „berechtigt“ und nicht „unbefugt“ i.S.d. §§ 540 Abs. 1, 543 Abs. Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2, 553 Abs. 1 BGB, wenn der Mieter dem Dritten lediglich einen Teil des Wohnraums, nicht jedoch, wenn er ihm den gesamten Wohnraum überlässt (st. Rspr, vgl. nur BGH, Urt. v. 11. Juni 2014 – VIII ZR 349/13, NJW 2014, 2717, beckonline Tz. 29). Hier aber hat der Beklagte zu 1) dem Beklagten zu 2) ab dem Jahre 2014 den gesamten Wohnraum überlassen, nachdem er in das von seiner übrigen Familie bewohnte Einfamilienhaus zurückgekehrt ist.

Bei dem Beklagten zu 2) handelte es sich jedoch um den Bruder des Beklagten zu 1). Seine Aufnahme in die Mietsache war – ebenso wie die anderer Familienmitglieder – privilegiert, da er kein „Dritter“ i.S.d. §§ 540 Abs. 1, 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2, 553 Abs. 1 BGB ist (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urt. v. 12. Juni 2013 – XII ZR 143/11, NJW 2013, 2507, beckonline Tz. 7 m.w.N.). Ob die Besitzüberlassung an den genannten Personenkreis, auch wenn sie wie hier den gesamten Wohnraum betrifft, überhaupt „unbefugt“ i.S.d. § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BGB wäre (so LG Berlin, Urt. v. 18. April 2018 – 65 S 16/18, BeckRS 2018, 6651, Tz. 8; Bieber, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2020, § 540 Rz. 8; 20; Blank, in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, 19. Aufl. 2019, § 540 Rz. 26; Emmerich, in: BeckOGK, Stad: 1. Juli 2020, § 540 Rz. 14; Meyer-Abich, NZM 2020, 19, 20), kann dahinstehen. Es bedarf ebenfalls keiner abschließenden Entscheidung der Kammer, ob eine in der vollständigen Gebrauchsüberlassung an ein zuvor mit Kenntnis des Vermieters in die Mietsache aufgenommenes Familienmitglied liegende Pflichtverletzung mangels hinreichend ins Gewicht fallender wirtschaftlicher oder sonstiger Nachteile des Vermieters überhaupt geeignet wäre, die Rechte des Vermieters in dem von § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 BGB geforderten „erheblichen Maße“ zu verletzen oder jedenfalls eine außerordentliche oder ordentliche Beendigung des Mietverhältnisses gemäß §§ 543 Abs. 1 BGB, 573 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB zu rechtfertigen. Denn sämtliche dieser schwierigen und nicht zweifelsfrei zu beantwortenden abstrakten Rechtsfragen sind bislang höchstrichterlich vollständig ungeklärt.

Davon ausgehend ist der Verfahrensausgang bei summarischer Prüfung offen. Mangels anderer Verteilungskriterien sind die Kosten deshalb gegeneinander aufzuheben (vgl. BGH, Beschl. v. 7. Februar 2018 – VII ZB 28/17, BeckRS 2018, 1997, beckonline Tz. 10). Dass der Beklagte zu 1) im Umfang des in ersten Rechtszug ergangenen Anerkenntnisteilurteils hinsichtlich des dort tenorierten Zustimmungsanspruchs teilweise unterlegen wäre, rechtfertigt gemäß § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO keine davon abweichende Beurteilung, da das darauf entfallende Unterliegen verhältnismäßig geringfügig war und nur geringfügig höhere Kosten veranlasst hat.

Gründe, die Rechtsbeschwerde gemäß § 574 Abs. 2, Abs. 3 ZPO zuzulassen, bestanden nicht.

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