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Atypischer Mietvertrag mit Tragung von Betriebskosten und Pflegeverpflichtung

Mietvertrag mit Pflegeverpflichtung ist unwirksam

Das Gericht hat entschieden, dass die Klägerin einen rechtmäßigen Herausgabeanspruch für das Grundstück 438 gegen den Beklagten hat. Dieser Anspruch besteht sowohl für das ehemalige Grundstück 164/13, das die Klägerin durch Erbschaft und Auflassung erworben hat, als auch für das Grundstück 164/14, das sie durch die Flurbereinigung erhielt. Der Beklagte hat kein Recht zum Besitz dieser Grundstücke und muss sie räumen. Seine Einwände wie die Forderung nach Verjährung oder ein Zurückbehaltungsrecht wurden abgewiesen.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 6 C 52/23   >>>

Das Wichtigste in Kürze


Die zentralen Punkte aus dem Urteil:

  1. Herausgabeanspruch: Die Klägerin hat einen rechtmäßigen Anspruch auf Herausgabe des gesamten Grundstücks 438.
  2. Eigentumserwerb: Die Klägerin erwarb das Eigentum an Teilgrundstück 164/13 durch Erbschaft und Auflassung und an 164/14 durch Flurbereinigung.
  3. Kein Besitzrecht: Der Beklagte hat kein Recht zum Besitz der betroffenen Grundstücksteile.
  4. Räumungspflicht: Der Beklagte ist verpflichtet, das Grundstück zu räumen und an die Klägerin herauszugeben.
  5. Unmöglichkeit der Leistung: Die Pflegeverpflichtungen des Beklagten wurden nach dem Umzug der Schwiegermutter unmöglich, was den Mietanspruch entfallen ließ.
  6. Zurückbehaltungsrecht abgewiesen: Der Beklagte kann kein Zurückbehaltungsrecht im Hinblick auf bezahlte Betriebskosten geltend machen.
  7. Verjährung irrelevant: Die Verjährungseinrede des Beklagten war nicht erfolgreich, da der Herausgabeanspruch nicht der Verjährung unterliegt.
  8. Kostentragung: Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.

Herausforderungen im Mietrecht: Eigentum, Pflegeverpflichtungen und Betriebskosten

Mietvertrag
(Symbolfoto: Zerbor /Shutterstock.com)

Im Mittelpunkt des Mietrechts stehen häufig komplexe Sachverhalte, die sowohl Eigentumsverhältnisse als auch Verpflichtungen aus Mietverträgen betreffen. Besonders interessant wird es, wenn atypische Konstellationen wie die Tragung von Betriebskosten oder Pflegeverpflichtungen im Spiel sind. Diese Themen werfen Fragen auf, die das Spannungsfeld zwischen den Rechten und Pflichten der Mieter und Vermieter betreffen. Dabei sind nicht nur die finanziellen Aspekte, sondern auch die persönlichen Beziehungen zwischen den beteiligten Parteien von Bedeutung.

Das Thema Räumung und Eigentum eines Grundstücks kommt ebenfalls oft zur Sprache, wenn es um strittige Mietverhältnisse geht. Die rechtliche Klärung solcher Fälle kann weitreichende Konsequenzen für alle Beteiligten haben. Erfahren Sie mehr über ein konkretes Urteil, das Licht in das komplexe Geflecht von Eigentumsrechten, mietrechtlichen Verpflichtungen und persönlichen Beziehungen bringt. Tauchen Sie ein in eine Welt, in der juristische Präzision auf menschliche Schicksale trifft.

Der Streit um Eigentum und Räumung eines Familiengrundstücks

Das Amtsgericht Torgau hatte einen komplexen Fall zu entscheiden, in dem es um die Herausgabe und Räumung eines Grundstücks ging, das im Zuge eines Flurbereinigungsverfahrens entstanden war. Das Grundstück, welches die Flurstücknummern 164/13 und 164/14 trug, befand sich teilweise im Besitz der Klägerin, der Tochter des Beklagten. Dieses Grundstück, zunächst im Alleineigentum der verstorbenen Ehefrau des Beklagten, ging durch Erbschaft und einen Teilerbauseinandersetzungsvertrag in das Alleineigentum der Klägerin über. Der Beklagte widerrief diesen Vertrag später wegen groben Undanks, was jedoch gerichtlich keine Anerkennung fand.

Atypischer Mietvertrag und Pflegeverpflichtungen

Interessant an diesem Fall ist die atypische Mietvereinbarung zwischen den Parteien. Der Beklagte hatte sich verpflichtet, seiner Schwiegermutter Pflegeleistungen zu erbringen und im Gegenzug das Grundstück ohne Nutzungsentgelt zu bewohnen. Zusätzlich übernahm er die Betriebskosten. Diese Vereinbarung wurde als atypische Miete eingestuft, da sie neben der Tragung der Betriebskosten auch nicht unerhebliche Pflegeleistungen umfasste. Die wirtschaftliche Bedeutung der Überlassung des Grundstücks an den Beklagten und der Umstand, dass dieses dem Beklagten und seiner verstorbenen Ehefrau als gemeinsamer ehelicher Wohnraum diente, spielten eine wesentliche Rolle in der gerichtlichen Beurteilung.

Komplizierte Rechtslage und die Folgen der Unmöglichkeit der Leistung

Nach dem Tod der Schwiegermutter und dem Auszug des Beklagten entfiel die Möglichkeit, die vereinbarten Pflegeleistungen zu erbringen. Gemäß § 326 Abs. 1 Satz 1 BGB entfiel damit der Anspruch des Beklagten auf Überlassung des Grundstücks. Der Beklagte weigerte sich, eine Nutzungsentschädigung für das Grundstück zu zahlen, was dazu führte, dass die Klägerin die Räumung des Grundstücks forderte. Interessant ist hier die Anwendung des allgemeinen Leistungsstörungsrechts neben den mietvertraglichen Regelungen, da die Unmöglichkeit der Hauptleistungspflicht des Mieters nicht durch die §§ 535 ff. BGB geregelt wird.

Gerichtsurteil: Herausgabeanspruch und Räumungsverpflichtung

Das Gericht stellte fest, dass der Klägerin hinsichtlich des gesamten Grundstücks ein Herausgabeanspruch gegen den Beklagten zusteht. Der Beklagte hatte weder hinsichtlich des Grundstücksteils, der dem ehemaligen Grundstück 164/13 entsprach, noch hinsichtlich des Grundstücksteils, der dem ehemaligen Grundstück 164/14 entsprach, ein Recht zum Besitz. Zusätzlich bestand kein Zurückbehaltungsrecht des Beklagten im Hinblick auf die von ihm bezahlten Betriebskosten. Der Beklagte wurde somit verurteilt, das Grundstück zu räumen und an die Klägerin herauszugeben.

In diesem Urteil spiegelt sich die Komplexität von Familienstreitigkeiten wider, die sich im Bereich des Mietrechts abspielen. Es zeigt, wie das Zusammenwirken von Erbrecht, Mietrecht und persönlichen Verpflichtungen zu rechtlichen Herausforderungen führen kann. Dieser Fall unterstreicht die Bedeutung einer klaren rechtlichen Regelung bei der Überlassung von Immobilien innerhalb der Familie, insbesondere wenn diese mit persönlichen Verpflichtungen verbunden ist.

Wichtige Begriffe kurz erklärt


Was versteht man unter einem atypischen Mietvertrag?

Ein „atypischer Mietvertrag“ ist ein Vertrag, der sich von den im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) und anderen Gesetzen vorgegebenen, dispositiven einzelnen Vertragstypen unterscheidet. Er wird aufgrund der Vertragsfreiheit rechtswirksam abgeschlossen und kann nach dem Willen der Vertragsparteien mit eigenem Inhalt ausgefüllt werden, auch abweichend von gesetzlich geregelten Bestimmungen.

Ein Beispiel für einen atypischen Mietvertrag ist der Leasingvertrag. Hierbei handelt es sich um eine Sonderform von Mietverträgen, bei denen der Leasinggeber dem Leasingnehmer eine Sache gegen Entgelt zur Nutzung überlässt. Der Unterschied zum Mietvertrag besteht darin, dass alle Rechte und Pflichten der Sache vom Leasinggeber auf den Leasingnehmer übertragen und abgewälzt werden. Der Bundesgerichtshof ordnet den Leasingvertrag in ständiger Rechtsprechung „in erster Linie“ einem Mietvertrag im Sinne der §§ 535 ff. BGB zu. Er gilt als atypischer Mietvertrag, weil wie beim Mietvertrag eine Nutzungsüberlassung vorliegt, wobei die Sach- und Preisgefahr – abweichend vom Mietrecht – ausdrücklich auf den Leasingnehmer überwälzt wird.

Trotz der Abweichungen von den gesetzlich geregelten Bestimmungen, gelten für atypische Mietverträge grundsätzlich die allgemeinen Regeln des Schuldrechts. Das bedeutet, dass auch bei atypischen Mietverträgen die grundlegenden Rechte und Pflichten der Vertragsparteien bestehen bleiben. Dazu gehören beispielsweise die Pflicht des Mieters zur Zahlung des Mietzinses und die Pflicht des Vermieters zur Überlassung der Mietsache.

Wie definiert sich die Pflegeverpflichtung im Rahmen eines Mietverhältnisses?

Die „Pflegeverpflichtung“ im Rahmen eines Mietverhältnisses bezieht sich in der Regel auf die Pflege von Garten- oder Grünflächen, die zur Mietsache gehören. Grundsätzlich ist der Vermieter für die Pflege des Gartens verantwortlich. Allerdings kann der Vermieter die Pflegeverpflichtung vertraglich auf den Mieter übertragen. In diesem Fall ist der Mieter für die Erhaltung des vertragsgemäßen Zustands des Gartens zuständig, was in der Regel einfache Pflegearbeiten wie Rasenmähen, Unkraut jäten, Laub entfernen oder das Umgraben und Pflegen von Beeten umfasst.

Die genauen Pflichten des Mieters hinsichtlich der Gartenpflege sollten im Mietvertrag klar geregelt sein, um Missverständnisse und Streitigkeiten zu vermeiden. Der Vermieter kann jedoch keine detaillierten Vorgaben zur Durchführung der Gartenarbeiten machen, solange der Garten nicht verwahrlost.

Es ist wichtig, zwischen der Pflegeverpflichtung im Rahmen eines Mietverhältnisses und der Pflegeverpflichtung im Zusammenhang mit der Pflege von pflegebedürftigen Personen zu unterscheiden. Letztere bezieht sich auf die Pflegeleistungen, die im Rahmen eines Betreuungs- oder Heimvertrags für pflegebedürftige Personen erbracht werden.


Das vorliegende Urteil

AG Torgau – Az.: 6 C 52/23 – Urteil vom 29.09.2023

1) Der Beklagte wird verurteilt, das Grundstück S. Straße und , 0… M., Flurstücknummer 438, Flur 1, Gemarkung Audenhain, nebst sämtlichen Aufbauten, insbesondere zwei Garagen, zwei Lager, einem Vorbau, einem Stall, einem Schuppen und einem Wohnhaus zu räumen und an die Klägerin herauszugeben.

2) Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.

3) Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch die Klägerin durch Leistung von Sicherheit in Höhe von 33.000,00 EUR abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Herausgabe und Räumung des Grundstücks mit der Flurstücknummer 438, Flur 1, der Gemarkung Audenhain (im Folgenden: Grundstück 438), das im Zuge eines Flurbereinigungsverfahrens aus den ehemaligen Grundstücken mit den Flurstücknummern 164/13 und 164/14, Flur 3, der Gemarkung Audenhain (im Folgenden: Grundstücke 164/13 und 164/14), hervorging.

Die Klägerin ist die Tochter des Beklagten.

Das Grundstück 164/13 mit einer Größe von 1.099 qm stand zunächst im Alleineigentum der am 25.10.2016 verstorbenen Ehefrau des Beklagten, die vom Beklagten und der Klägerin jeweils zur Hälfte beerbt wurde. Mit Teilerbauseinandersetzungsvertrag vom 19.12.2016 übertrug der Beklagte das Grundstück, das zum damaligen Zeitpunkt einen Wert von 40.000,00 EUR hatte, der Klägerin zu Alleineigentum. Die Klägerin wurde am 13.04.2017 als Eigentümerin in das Grundbuch eingetragen. Im Vertrag vom 19.12.2016 hatten die Parteien u.a. festgehalten, dass die Klägerin an die Erblasserin am 29.12.2013 ein unverzinsliches Darlehen in Höhe von 40.000,00 EUR ausreichte und dieses mit noch 40.000,00 EUR valutierte. Im Vertrag war ferner geregelt, dass die Darlehensverbindlichkeit gegenüber der Klägerin mit der Eigentumsumtragung erlischt. Der Kläger widerrief den Teilerbauseinandersetzungsvertrag vom 19.12.2016 wegen groben Undanks mit Schreiben vom 07.11.2022 und 18.11.2022.

Das Grundstück 164/14 stand zunächst im hälftigen Miteigentum des Beklagten und seiner verstorbenen Ehefrau, deren Anteil im Wege der gesetzlichen Erbfolge zur Hälfte auf den Beklagten und die Klägerin überging. Von nun an waren der Beklagte zu drei Viertel und die Klägerin zu einem Viertel Miteigentümer dieses Grundstücks. Es hat eine Größe von 139 qm und ist mit einem Wohnhaus und Nebengelassen bebaut, in dem seit ca. 50 Jahren der Beklagte gemeinsam mit seiner verstorbenen Ehefrau und seiner Schwiegermutter lebte. Für diese ist im Grundbuch ein am 28.04.2001 bewilligtes lebenslanges Wohnrecht eingetragen. Es bezieht sich auf ein bestimmtes Zimmer im ersten Obergeschoss bei Mitbenutzung von Küche und Bad sowie Hof und Garten.

Seit dem Tod seiner Ehefrau bewohnte der Beklagte das Haus zunächst mit seiner Schwiegermutter. Da diese auf Unterstützung und Pflege angewiesen war, vereinbarte die Klägerin mit dem Beklagten, dass er ihr bei den Einkäufen und Zubereiten von Mahlzeiten behilflich sein sowie ihr nach Bedarf Zugang zu der auf dem Grundstück 164/14 befindlichen Badewanne gewähren sollte. Im Gegenzug verzichtete die Klägerin auf die Zahlung eines Nutzungsentgelts für die alleinige Nutzung des Grundstücks 164/14. Die Betriebskosten, die aus der alleinigen Nutzung entstanden, sollte der Beklagte allein tragen. In der Folge beglich der Beklagte die ihm in Rechnung gestellten und das Grundstück betreffenden Schornsteinfegerkosten, Abwassergebühren, Grundsteuern und Prämien für die Wohngebäudeversicherung. Darüber hinaus trug er die Kosten für den Wasserverbrauch nicht nur hinsichtlich des Grundstücks 164/14, sondern auch hinsichtlich des Grundstücks 164/13. Im Juli 2017 zog die Schwiegermutter des Beklagten in ein Pflegeheim. Seit spätestens diesem Zeitpunkt bewohnte der Beklagte das Grundstück 164/14 gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin.

Mit Schreiben vom 11.11.2019 forderte die Klägerin den Beklagten zur Räumung des Grundstücks 164/13 auf und untersagte ihm ab dem 01.12.2019 den Zutritt zu ihrem Eigentum.

Zugleich verlangte sie vom Beklagten für das Grundstück 164/14 und weitere Grundstücke, die zu der aus ihr und dem Beklagten bestehenden Erbengemeinschaft gehörten, ab 01.12.2019 ein Nutzungsentgelt in Höhe von 680,32 EUR pro Monat. Mit Schreiben vom 23.11.2019 widersprach der Beklagte diesem Verlangen.

Bereits mit Erklärung vom 17.08.2010 stimmten der Beklagte und seine Ehefrau gegenüber dem Landratsamt Nordsachsen, Amt für ländliche Neuordnung, der Eingliederung des Grundstücks 164/14 in das damals für das Grundstück 164/13 geführte Grundbuchblatt 195 der Gemarkung Audenhain zu. Mit Flurbereinigungsplan vom 12.03.2020 erfolgte die gemeinsame Ausweisung der beiden Grundstücke im zukünftigen Flurstück 438, Flur 1, der Gemarkung Audenhain. Im zum Flurbereinigungsplan gehörenden Bestandsblatt war die Klägerin als Eigentümerin des neugebildeten Grundstücks verzeichnet. Die Flurbereinigungsbehörde ordnete am 19.04.2021 die Ausführung des Flurbereinigungsplans und deren sofortige Vollziehung an. Das Grundbuchamt des Amtsgerichts Torgau hat den Flurbereinigungsplan hinsichtlich der betroffenen Flurstücke noch nicht vollzogen.

Mit Schreiben vom 20.10.2021 berief sich die Klägerin auf ihr Eigentum am Grundstück 438 und forderte den Beklagten und seine Lebensgefährtin auf, bis 31.12.2021 das Grundstück zu verlassen. Mit Duplik vom 21.12.2022 kündigte die Klägerin ein etwaiges Nutzungsverhältnis höchst vorsorglich außerordentlich, hilfsweise ordentlich. Zur Begründung führte sie u.a. aus, dass der Beklagte die Zahlung eines Nutzungsentgelts ablehne.

Die Klägerin beantragt den Beklagten zu verurteilen, das Grundstück Grundbuch von Audenhain, Blatt 825, Flur 1, Flurstück 438, postalische Anschrift S. Straße und , 0… M. – auf anliegendem Lageplan schraffiert – nebst sämtlichen Aufbauten, insbesondere zwei Garagen, zwei Lager, einem Vorbau, einem Stall, einem Schuppen, einem Wohnhaus zu räumen und an die Klägerin herauszugeben.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Er macht gegen den Herausgabeanspruch der Klägerin ein Zurückbehaltungsrecht im Hinblick auf die Erstattung der von ihm bezahlten Betriebskosten geltend und erhebt die Einrede der Verjährung.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird ergänzend auf deren Schriftsätze sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 05.05.2023 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Klage ist begründet.

Der Klägerin steht hinsichtlich des gesamten Grundstücks 438 ein Herausgabeanspruch gegen den Beklagten zu. Der Beklagte hat weder hinsichtlich des Grundstücksteils, der dem ehemaligen Grundstück 164/13 (1), noch des Grundstücksteils, der dem ehemaligen Grundstück 164/14 (2) entspricht, ein Recht zum Besitz. Er kann das Grundstück nicht zurückbehalten (3). Der Herausgabeanspruch ist nicht verjährt (4). Die Klägerin kann vom Beklagten zudem die Räumung des Grundstücks verlangen (5).

1) Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Herausgabe des ehemaligen Grundstücks 164/13 aus §§ 985, 986 BGB.

a) Hinsichtlich dieses Grundstücksteils hat die Klägerin durch Auflassung und Eintragung ins Grundbuch am 13.04.2017 Eigentum erworben (§ 873 Abs. 1, § 925 Abs. 1 BGB).

b) Der Beklagte hat kein Recht zum Besitz an diesem Grundstücksteil.

c) Dem Beklagten steht gegen das Herausgabeverlangen der Klägerin auch nicht die Einrede des Rechtsmissbrauchs gemäß § 242 BGB zu, weil die Klägerin etwas herausverlangen würde, was sie sofort wieder zurückgeben müsste (vgl. BGH, Urteil vom 06.07.1990 – Lw ZR 5/88 -, BeckRS 2009, 89190). Ein Rückforderungsanspruch des Beklagten folgt nicht aus § 531 Abs. 2, §§ 812 ff. BGB. Der Beklagte kann den Teilerbauseinandersetzungsvertrag vom 19.12.2016 nicht wegen groben Undanks gemäß § 530 Abs. 1 BGB widerrufen, weil dieser Vertrag nicht als Schenkung einzuordnen ist.

aa) Eine Schenkung ist eine Zuwendung, durch die jemand aus seinem Vermögen einen anderen bereichert, wenn beide Teile darüber einig sind, dass die Zuwendung unentgeltlich erfolgt (§ 530 Abs. 1 BGB). Der Erwerb eines zugewendeten Gegenstands (auf den kein Rechtsanspruch besteht) ist unentgeltlich, wenn er nicht rechtlich abhängig ist von einer den Erwerb ausgleichenden Gegenleistung des Erwerbers. Dabei kommen als rechtliche Abhängigkeit, welche die Unentgeltlichkeit ausschließt und Entgeltlichkeit begründet, Verknüpfungen sowohl nach Art eines gegenseitigen Vertrags als auch durch Setzung einer Bedingung oder eines entsprechenden Rechtszwecks in Betracht (BGH, Urteil vom 03.06.2020 – IV ZR 16/19 -, NJW 2020, S. 2396 Rn. 13 m.w.N.).

bb) Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Die Übertragung des Eigentums am Grundstück 164/13 an die Klägerin war rechtlich vom Erlass der Darlehensverbindlichkeit in Höhe von 40.000,00 EUR der Klägerin gegenüber der Erblasserin abhängig, für die die Klägerin und der Beklagte gemäß ihren Erbanteilen jeweils zur Hälfte einzustehen hatten. Da das Grundstück zum damaligen Zeitpunkt einen Wert in Höhe der Darlehensverbindlichkeit hatte, entsprach der Erlass des Anteils des Beklagten an der Darlehensschuld wertmäßig exakt seinem Anteil am Grundstück 164/13. Wirtschaftlich stellte sich damit die Übertragung des Anteils des Beklagten an diesem Grundstück an die Klägerin als eine Übertragung zum Verkehrswert und nicht als unentgeltliche Schenkung dar.

2) Auch hinsichtlich des ehemaligen Grundstücks 164/14 steht der Klägerin ein Herausgabeanspruch gemäß §§ 985, 986 BGB gegen den Beklagten zu.

a) Hinsichtlich des Grundstücksteils, der dem früheren Grundstück 164/14 entspricht, hat die Klägerin mit der sofort vollziehbaren Ausführungsanordnung des Flurbereinigungsplans mit Wirkung zum 19.04.2021 kraft Gesetzes Eigentum erworben.

Nach § 61 Satz 2 FlurbG tritt durch die Ausführungsanordnung der im Flurbereinigungsplan vorgesehene Rechtszustand ein; dies gilt auch für die Anordnung der vorzeitigen Ausführung nach § 63 Abs. 1 FlurbG. Die bisherigen Grundstücke im Flurbereinigungsgebiet gehen im Rechtssinne unter; an ihre Stelle treten die durch den Flurbereinigungsplan neu gebildeten Grundstücke. Eigentümer der neuen Grundstücke werden kraft Gesetzes die im Flurbereinigungsplan genannten Personen; es vollzieht sich eine konstitutive Rechtsänderung außerhalb des Grundbuchs (vgl. BVerwG, Urteil vom 04.11.1959 – I C 118.59; BayObLG, Beschluss vom 16.04.1993 – 2Z BR 15/93 – BeckRS 1993, 12818 Rn. 9; SächsOVG, Urteil vom 06.09.2013 – F 7 C 13/12; OLG München, Beschluss vom 21.03.2016 – 34 Wx 265/14; Kauch, in: Düsing/Martinez, Agrarrecht, 2. Aufl. 2022, § 61 FlurbG Rn. 1).

Dass das Grundbuchamt des Amtsgerichts Torgau den Flurbereinigungsplan noch nicht vollzogen hat, ist daher unbeachtlich. Die noch zu erfolgende Eintragung des neuen Rechtszustands im Grundbuch hat keine rechtsbegründende, sondern nur verlautbarende Wirkung im Sinne einer Berichtigung des Grundbuchs zur Anpassung an den außerhalb des Grundbuchs eingetretenen neuen Rechtszustand (vgl. BayObLG, a.a.O. m.w.N.).

b) Dem Beklagten steht hinsichtlich des ehemaligen Grundstücks 164/14 kein Recht zum Besitz zu. Ein solches folgt insbesondere nicht aus einem zwischen den Parteien bestehenden Mietvertrag (aa). Auch aus anderen Gründen ist der Beklagte nicht zum Besitz dieses Grundstücksteils berechtigt (bb).

aa) Zwar ist die zwischen den Parteien geschlossene Vereinbarung als atypische Miete (§ 311 Abs. 1, § 535 BGB) und nicht als Verwaltungs- und Benutzungsvereinbarung unter Miterben gemäß § 2038 Abs. 2 Satz 1, § 745 BGB auszulegen ((1)). Jedoch ist der Anspruch des Beklagten auf Überlassung der gemieteten Sache gemäß § 326 Abs. 1 Satz 1 BGB entfallen ((2)).

(1) Die zwischen der Klägerin und dem Beklagten im Hinblick auf die Überlassung des Grundstücks 164/14 geschlossene Vereinbarung ist als atypische Miete (§ 311 Abs. 1, § 535 BGB) einzuordnen, bei dem die Gegenleistung neben der Verpflichtung zur Tragung von Betriebskosten in der Erbringung nicht unerheblicher Pflegeleistungen zugunsten der Schwiegermutter des Beklagten bestand.

(a) Zwischen Miterben können im Hinblick auf einzelne Gegenstände des Nachlasses Regelungen über dessen Gebrauch getroffen werden (§ 2038 Abs. 2, § 745 BGB). Das schließt die Möglichkeit des Abschlusses von Mietverträgen zwischen Miterben über einzelne Nachlassgegenstände jedoch nicht aus. Ein Mietvertrag ist in solchen Konstellationen regelmäßig anzunehmen, wenn einem Miterben die Sache zum alleinigen Gebrauch gegen Entgelt überlassen wird (vgl. BGH, Urteil vom 15.09.2010 – VIII ZR 16/10-, NZM 2010, S. 898 m.w.N., stRspr; vgl. auch Zehelein, in: Hau/Poseck, BeckOK BGB, 66. Edition, § 535 Rn. 36).

Für die rechtliche Einordnung als Miete (§ 535 BGB) ist entscheidend, ob die Gebrauchsüberlassung gegen Entgelt erfolgt. Dies gilt auch dann, wenn das vereinbarte Entgelt sehr niedrig ist, denn die Miete braucht dem Mietwert der Sache nicht zu entsprechen. Vielmehr stellt auch ein weit unter der Marktmiete liegendes Entgelt für den Gebrauch einer Sache eine Miete dar (BGH, Urteil vom 20.09.2017 – VIII ZR 279/16).

Ob eine entgeltliche Gewährung des Gebrauchs und damit ein Mietvertrag gemäß § 535 BGB besteht, ist durch Auslegung (§§ 133, 157 BGB) zu ermitteln (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 20). Bei einer (nahezu) unentgeltlichen Überlassung von Wohnraum zu Wohnzwecken kann die Differenzierung zu anderen Schuldverhältnissen im Einzelfall schwierig sein. Zur Abgrenzung der verschiedenen rechtlichen Möglichkeiten ist nach Anlass und Zweck der Gebrauchsüberlassung und gegebenenfalls sonstigen erkennbar zutage getretenen Interessen der Parteien zu unterscheiden. Dabei kann auch das nachträgliche Verhalten der Vertragsparteien zu berücksichtigen sein. Dieses kann zwar den objektiven Vertragsinhalt nicht mehr beeinflussen, aber Bedeutung für die Ermittlung des tatsächlichen Willens und das tatsächliche Verständnis der Vertragsparteien haben (BGH, a.a.O., Rn. 23, stRspr). Ob ein entsprechender Rechtsbindungswille vorhanden ist, ist anhand objektiver Kriterien aufgrund der Erklärungen und des Verhaltens der Parteien zu ermitteln, wobei vor allem die wirtschaftliche und die rechtliche Bedeutung der Angelegenheit heranzuziehen sind (BGH, a.a.O., Rn. 24, m.w.N.).

(b) Unter Berücksichtigung dieser Kriterien haben die Parteien vorliegend einen (atypischen) Mietvertrag geschlossen.

Zwar kann allein aus der Vereinbarung über das Tragen von Betriebskosten nicht auf einen Mietvertrag geschlossen werden. Auch bei einer Leihe hat der Entleiher gemäß §§ 598, 601 Abs. 1 BGB regelmäßig die der Erhaltung der Sache dienenden Kosten, die den Gebrauch der Sache erst ermöglichen, zu tragen. Sie sind nach dem Leitbild des Leihvertrags gerade von demjenigen zu tragen, dem der Gebrauch der Sache zusteht (vgl. BGH, Urteil vom 20.09.2017 – VIII ZR 279/16). Verwaltungs- und Benutzungsvereinbarungen unter Miterben gemäß § 2038 Abs. 2 Satz 1, § 745 BGB können ebenfalls von der gemeinschaftlichen Lasten- und Kostentragungspflicht des § 748 BGB abweichende Vereinbarungen vorsehen.

Jedoch hat sich vorliegend der Beklagte gegenüber der Klägerin neben der Tragung der Betriebskosten zu nicht unerheblichen Pflegeleistungen zugunsten seiner Schwiegermutter verpflichtet (Hilfe bei den Einkäufen und Zubereiten von Mahlzeiten, Gewährung von Zugang zu der im Haus befindlichen Badewanne), denen ein Entgeltcharakter zukommt. An der Erbringung dieser Leistungen hatte die Klägerin ein erhebliches Interesse. Ihr kam es vor allem darauf an, dass ihre Großmutter nicht alleine auf dem Grundstück 164/14 lebte, sondern zusammen mit dem Beklagten, der seine Schwiegermutter unterstützen und sich um sie kümmern sollte.

Zudem ist vorliegend die wirtschaftliche Bedeutung der Überlassung des Grundstücks 164/14 an den Beklagten sowie der Umstand, dass dieses dem Beklagten und seiner verstorbenen Ehefrau als gemeinsamer ehelicher Wohnraum und Lebensmittelpunkt diente, bei der Vertragsauslegung zu berücksichtigen. Im Hinblick auf diesen Punkt ist nicht anzunehmen, dass die Parteien bei Abschluss ihrer Vereinbarung im Jahr 2016 lediglich eine rechtlich schwache Verwaltungs- und Benutzungsvereinbarung treffen wollten, die mit dem jederzeit möglichen Abschluss des Flurbereinigungsverfahrens hinfällig zu werden drohte und die dem Beklagten nicht dem Schutz des sozialen Mietrechts unterwerfen sollte. Schließlich war beiden Parteien bekannt, dass der Beklagte bereits mit Erklärung vom 17.08.2010 der Eingliederung des Grundstücks 164/14 in das damals für das Grundstück 164/13 geführte Grundbuchblatt 195 der Gemarkung Audenhain zustimmte und somit jederzeit der vollständige Verlust seiner Rechtsposition durch den Abschluss des Flurbereinigungsverfahrens im Raum schwebte.

(2) Der Anspruch des Beklagten auf Überlassung der gemieteten Sache ist jedoch gemäß § 326 Abs. 1 Satz 1 BGB entfallen.

(a) Das allgemeine Leistungsstörungsrecht ist vorliegend neben den mietvertraglichen Regelungen der §§ 535 ff. BGB anwendbar. Zwar verdrängen die speziellen Gewährleistungsvorschriften des Mietrechts als Sonderregelungen ab dem Zeitpunkt der Überlassung der Mietsache die allgemeinen Vorschriften über Leistungsstörungen (vgl. BGH, Urteil vom 18.06.1997 – XII ZR 192/95; BGH, Beschluss vom 25.11.1998, XII ZR 12/97; Herresthal; in: Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann, beck-online GROSSKOMMENTAR, § 326 Rn. 65 ff. ).

Sonderregelungen enthalten die §§ 535 ff. BGB jedoch nur im Hinblick auf die Unmöglichkeit der Pflichten des Vermieters zur Gewährung des Gebrauchs der Mietsache (§ 535 Abs. 1 BGB), nicht jedoch im Hinblick auf die Unmöglichkeit der Hauptleistungspflicht des Mieters, die beim typischen Mietvertrag in der Zahlung der Miete in Geld besteht (§ 535 Abs. 2 BGB) und die vorliegend neben der Verpflichtung zur Tragung von Betriebskosten die Erbringung nicht unerheblicher geldwerter Pflegeleistungen zugunsten der Schwiegermutter des Beklagten umfasst. Eine Verdrängung der Regelungen des allgemeinen Leistungsstörungsrechts durch die Regelungen der §§ 535 ff. BGB findet daher insoweit nicht statt.

(b) Die Verpflichtung zur Pflege und Unterstützung seiner Schwiegermutter ist dem Beklagten mit deren Umzug in ein Pflegeheim im Juli 2017 unmöglich geworden. Er wurde deshalb von seiner diesbezüglichen Leistungspflicht befreit (§ 275 Abs. 1 BGB).

Unter Leistung i.S.v. § 275 Abs. 1 BGB ist der Leistungserfolg zu verstehen. Unmöglichkeit liegt deshalb auch vor, wenn die Leistungshandlung zwar weiterhin erbracht werden, der Leistungserfolg jedoch nicht mehr herbeigeführt werden kann. Das gilt nicht nur, wenn der Leistungserfolg ohne Zutun des Schuldners eintritt (Zweckerreichung), sondern auch dann, wenn der Leistungserfolg wegen Zweckfortfall nicht mehr herbeigeführt werden kann (vgL Lorenz, in: Hau/Poseck, BeckOK BGB, 66. Edition, § 275 Rn. 44 ; Ernst, in: Münchener Kommentar zum BGB, 9. Aufl. 2022, § 275 Rn. 169; Riehm, in: Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann, beck-online GROSSKOMMENTAR, § 275 Rn. 123 ).

Vorliegend ist Unmöglichkeit durch Zweckfortfall mit dem Auszug der Schwiegermutter des Beklagten im Juli 2017 eingetreten. Ab diesem Zeitpunkt konnte der Beklagte den von ihm geschuldeten Leistungserfolg in Gestalt der Pflege- und Unterstützung der bei ihm wohnenden Schwiegermutter endgültig nicht mehr herbeiführen. Ihm ist damit die Erbringung der von ihm geschuldeten Leistung teilweise unmöglich geworden.

(c) Infolge der teilweisen Unmöglichkeit der vom Beklagten zu erbringenden Leistung ist sein Anspruch auf die Gegenleistung gemäß § 326 Abs. 1 Satz 1 BGB entfallen.

(aa) Eine Minderung der Gegenleistung gemäß § 326 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 i.V.m. § 441 Abs. 3 BGB scheidet aus. Die Anwendung von § 441 Abs. 3 BGB setzt voraus, dass die Gegenleistung, vorliegend also die Gebrauchsüberlassungspflicht der Klägerin, teilbar ist (vgl. Ernst, in Münchener Kommentar zum BGB, 9. Aufl. 2022, § 326 Rn. 31; Herresthal; in: Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann, beck-online GROSSKOMMENTAR, § 326 Rn. 142 unvertretbare und unteilbare Sache“ (vgl. Herresthal, a.a.O.) ist nicht teilbar, sondern kann nur durch das im Mietvertrag bestimmte konkrete Wohngrundstück erfüllt werden.

(bb) Der Anspruch des Beklagten auf Überlassung des Grundstücks 164/14 ist gemäß § 326 Abs. 1 Halbsatz 1 BGB entfallen.

a) Die Frage nach dem Schicksal der Gegenleistung bei vom Schuldner nicht zu vertretender Teilunmöglichkeit ist in der neueren Rechtsprechung weitgehend ungeklärt. Das Reichsgericht (Urteil vom 01.11.1923 – 27/22 -, Das Recht 1924, S. 264 f.) ging davon aus, dass die unmögliche Teilleistung durch eine entsprechende Erhöhung der anderen noch möglichen Teilleistung, die im entschiedenen Fall in einer Geldleistung bestand, kompensiert werde. Dies komme allerdings nicht in Betracht, wenn die Unmöglichkeit eines Teils der Leistung nach der Absicht der Parteien die ganze Leistungspflicht hinfällig mache.

Die Literatur folgt dieser Rechtsprechung im Wesentlichen. Ernst (in: Münchener Kommentar zum BGB, 9. Aufl. 2022, § 326 Rn. 33) meint daran anschließend, dass der Schuldner der unmöglich gewordenen Teilleistung berechtigt sei, den Gläubiger am Vertrag festzuhalten, indem er als „kombinierte“ Gesamtleistung den möglich gebliebenen Leistungsteil zusammen mit demjenigen Geldbetrag anbietet, der sich auf der Grundlage einer Veranschlagung der Gegenleistung in Geld als hypothetischer Minderungsbetrag ergeben würde. Soweit der Gläubiger an der ihm angebotenen, „kombinierten“ Gesamtleistung kein Interesse habe, sei er zum Totalrücktritt berechtigt.

Herresthal (in: Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann, beck-online GROSSKOMMENTAR, § 326 Rn. 142 m.w.N. ) geht davon aus, dass der Anspruch des Schuldners, der die eigene Leistung teilweise nicht erbringen könne, umfassend nach § 326 Abs. 1 Satz 1 BGB erlösche. Der Schuldner sei allerdings berechtigt, den noch möglichen Leistungsteil zusammen mit einer zusätzlichen Zahlung in Höhe eines hypothetischen Minderungsbetrags anzubieten, der sich entsprechend § 441 Abs. 3 BGB auf der Grundlage einer Veranschlagung der Gegenleistung in Geld ergeben würde. Wenn und soweit die Interessen des Gläubigers diesem Leistungsaustausch nicht entgegenstünden, mithin kein Interessewegfall in Bezug auf die angebotene, kombinierte Leistung des Schuldners (restliche Teilleistung und Ausgleichszahlung) bestehe, könne der Schuldner den Gläubiger auf diese Weise am Vertrag festhalten. Sofern der Gläubiger hingegen an dieser kombinierten Gesamtleistung kein Interesse habe, sei die entsprechende Berechtigung des Schuldners ausgeschlossen. Eines Totalrücktritts des Gläubigers bedürfe es in dieser Konstellation nicht, der Gläubiger könne diesen aber erklären, um zu einer rechtssicheren Abwicklung des Vertragsverhältnisses zu gelangen. Aufgrund der atypischen Vertragsdurchführung bei einer solchen kombinierten Leistungserbringung durch den Schuldner sei eine entsprechende Erklärung des Schuldners erforderlich, um die noch mögliche Teilleistung mit zusätzlichem finanziellen Ausgleich an die Stelle der vertraglich geschuldeten, aber teilweise unmöglichen Leistung zu setzen.

b) Das Gericht schließt diesen Auffassungen im Kern an, wonach der Schuldner, dem ein Teil der von ihm zu erbringenden Leistung unmöglich wird, nicht weiter kompensationslos die gesamte Gegenleistung beanspruchen kann. Die Lösung entspricht der synallagmatischen Verknüpfung von Leistung und Gegenleistung, wonach keine Partei zur Erbringung der Leistung verpflichtet ist, ohne gleichzeitig selbst die Gegenleistung zu erhalten (vgl Tettinger, in: Dauner-Lieb/Langen, BGB Schuldrecht, 4. Aufl. 2021, § 320 Rn. 1, Emmerich, in: Münchener Kommentar zum BGB, 9. Aufl. 2022, vor § 320 Rn. 10). Sie ist interessengerecht, orientiert sich an den Belangen beider Vertragsparteien und liefert auch in den Fällen des Zweckfortfalls akzeptable Lösungen. Soweit für den Zweckfortfall die Anwendung von § 326 Abs. 1 Satz 1 BGB mitunter als „anstößig“ empfunden wird und Korrekturen gefordert werden (Ernst, in Münchener Kommentar zum BGB, 9. Aufl. 2022, § 275 Rn. 170 ff.) sieht das Gericht vorliegend keinen derartigen Korrekturbedarf. Auch bei Zweckfortfall ist es nicht unbillig, dem Gedanken des funktionalen Synallagmas folgend dem Schuldner seinen Anspruch auf die gesamte Gegenleistung dann nicht zu belassen, wenn der Schuldner der Gegenleistung für die ihm entgehende Leistung nicht entschädigt wird.

c) Die Frage, unter welchen genauen Voraussetzungen der Schuldner der teilweise unmöglich gewordenen Leistung weiterhin die Gegenleistung beanspruchen kann, muss vorliegend nicht entschieden werden. Nach sämtlichen geschilderten Auffassungen kann der Schuldner den Gläubiger nur an dessen Leistung festhalten, wenn er ihn für die unmöglich gewordene Leistung angemessen entschädigt, ihm also in der Regel einen Geldbetrag zahlt, der dem Wert der unmöglich gewordenen Leistung entspricht. Verweigert der Schuldner die Zahlung einer solchen Entschädigung, kann sein Anspruch auf die Gegenleistung niemals bestehen bleiben.

So liegt der Fall hier. Der Beklagte hat sich der Zahlung einer Nutzungsentschädigung für das von ihm genutzte Grundstück verweigert. Dem Schreiben der Klägerin vom 11.11.2019, mit dem sie eine Nutzungsentschädigung für das zum damaligen Zeitpunkt noch zum Nachlass gehörenden Grundstücks forderte, widersprach der Beklagte mit seinem Schreiben vom 23.11.2019. Nachdem die Klägerin am 19.04.2021 kraft Gesetzes Eigentum am Grundstück 164/14 erwarb und den Beklagten am 20.10.2021 zur Räumung des Grundstücks aufforderte, bot er ihr ebenfalls keine Zahlungen an, um im Besitz des Grundstücks zu bleiben. Selbst in der mündlichen Verhandlung vom 05.05.2023 beharrte der Beklagte auf seinem Standpunkt. Eine gütliche Beilegung des Rechtsstreits, die die Zahlung einer Nutzungsentschädigung hätte beinhalten können, kam nicht zustande.

d) Ob der Beklagte die teilweise Unmöglichkeit der von ihm geschuldeten Leistung zu vertreten hat, ist unbeachtlich (vgl. RG a.a.O.; Herresthal. a.a.O.; Ernst, a.a.O.). Diese Frage wäre nur für das Bestehen eines Schadensersatzanspruchs gemäß §§ 283, 280 Abs. 1, 3 BGB von Bedeutung, der vorliegend nicht geltend gemacht wird.

e) Da bei teilweiser Unmöglichkeit der Leistung der Anspruch des Schuldners auf die Gegenleistung entsprechend kraft Gesetzes entfällt (vgl. Herresthal. a.a.O., Ernst, a.a.O., Schmidt, in: Hau/Poseck, BeckOK BGB, 66. Edition, § 323 Rn. 7 ) bedarf es keines Rücktritts des Schuldners der Gegenleistung. Ein solcher Rücktritt wäre nur dann erforderlich, wenn der Gläubiger an der vom Schuldner angebotene Gegenleistung kein Interesse hat (Ernst, a.a.O.). Da der Beklagte eine Gegenleistung zur Kompensation der unmöglich gewordenen Teilleistung nicht angeboten hat, war die Erklärung eines Rücktritts – die ohnehin in den Schreiben der Klägerin vom 20.10.2021 und 21.12.2022 zu erblicken gewesen wäre – nicht erforderlich.

bb) Dem Beklagten steht auch aus anderen Rechtsgründen kein Recht zum Besitz zu.

(1) Eine stillschweigende Verlängerung des Mietverhältnisses in analoger Anwendung von § 545 BGB scheidet aus. Eine Fortsetzung des Mietverhältnisses zu den bisherigen Bedingungen (vgl. Herrmann, in: Hau/Poseck, BeckOK BGB, 66. Edition, § 545 Rn. 7 ) kommt in den Fällen der teilweisen Unmöglichkeit der Leistung des Mieters nicht in Betracht, da die bisherigen Bedingungen (Erbringung nicht unerheblicher Pflegeleistungen zugunsten der Schwiegermutter des Beklagten) unmöglich geworden waren und nicht mehr erfüllt werden können.

(2) Umstände, die dafürsprechen, dass nach der teilweise unmöglich gewordenen Leistung konkludent ein neuer Mietvertrag zwischen den Parteien geschlossen wurde, hat der dafür darlegungs- und beweispflichtige Beklagte nicht vorgetragen. Gegen eine solche Annahme spricht zuvörderst, dass die Klägerin bereits am 11.11.2019 vom Beklagten ein Nutzungsentgelt als Gegenleistung für dessen weiteren Verbleib auf dem Grundstück 164/14 verlangte, was der Beklagte jedoch nicht akzeptierte.

(3) Das Rechtsverhältnis zwischen den Parteien unterlag mit Auszug der Schwiegermutter des Beklagten im Juli 2017 den Regelungen der § 2038 Abs. 2 Satz 1, § 745 BGB. Ob sich daraus für die Zeit bis zum Eigentumserwerb durch die Klägerin ein zwischenzeitliches Recht des Beklagten zum Besitz des ehemaligen Grundstücks 164/14 ergeben hat, muss nicht entschieden werden. Jedenfalls wurde mit Erlass der sofort vollziehbaren Ausführungsanordnung des Flurbereinigungsplans mit Wirkung zum 19.04.2021 und dem damit einhergehenden Eigentumserwerb durch die Klägerin die am Grundstück bestehende Gemeinschaft aufgelöst; ein sich möglicherweise aus der Erbengemeinschaft ergebendes Besitzrecht des Beklagten ist spätestens zu diesem Zeitpunkt entfallen.

(4) Dem Beklagten steht kein Zurückbehaltungsrecht aus § 1000 Satz 1 BGB im Hinblick auf die von ihm für das Grundstück 164/14 gezahlten Betriebskosten (Schornsteinfegerkosten, Abwassergebühren, Grundsteuern und Prämien für die Wohngebäudeversicherung) sowie der für beide Grundstücke getragenen Trinkwasserkosten zu.

Der Beklagte kann von der Klägerin hierfür keinen Verwendungsersatz verlangen.

Bei den für das Grundstück 164/14 angefallenen Kosten handelt es sich um Aufwendungen, die der Beklagte zur Bestreitung von Lasten der Sache gemacht hat. Er diese auch für die Zeit nach dem Auszug seiner Schwiegermutter zu tragen, weil ihm in diesem Zeitraum die Nutzungen verblieben sind (§ 995 Satz 1, 2 Halbsatz 1 BGB). Schornsteinfegerkosten, Abwassergebühren, Grundsteuern und Prämien für die Wohngebäudeversicherung fallen allesamt unter den Anwendungsbereich der Vorschrift (vgl. Spohnheimer, in: Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann, beck-online GROSSKOMMENTAR, § 995 Rn. 5 ff. m.w.N. ; Fritzsche, in: Hau/Poseck, BeckOK BGB, 67. Edition, § 995 Rn. 4 ff. m.w.N. ).

Bei den Trinkwasserkosten handelt es sich nicht um zu ersetzende Verwendungen i.S.v. §§ 994, 996 BGB. Darunter fallen Vermögensaufwendungen des Besitzers, die nach seinem Willen der Sache unmittelbar zugutekommen sollen, also ihrer Erhaltung, Wiederherstellung oder Verbesserung dienen (vgl. Fritzsche, a.a.O., § 994 Rn. 12 m.w.N., § 996 Rn. 3.

5) Der Beklagte kann nicht erfolgreich die Einrede der Verjährung erheben.

Der Herausgabeanspruch der Klägerin unterliegt gemäß § 902 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht der Verjährung. Dass das Amtsgericht Torgau den Flurbereinigungsplan hinsichtlich der betroffenen Flurstücke noch nicht vollzogen hat, steht in analoger Anwendung des § 902 Abs. 2 BGB der Unverjährbarkeit des geltend gemachten Anspruchs nicht entgegen.

Im Übrigen begänne die dreißigjährige Verjährungsfrist des § 197 Abs. 1 Nr. 2 BGB gemäß § 200 BGB (vgl. Fritzsche, in: Hau/Poseck, BeckOK BGB, 67. Edition, § 985 Rn. 39 ) erst mit Eigentumserwerb der Klägerin am ehemaligen Grundstücks 164/14 am 19.04.2021 zu laufen und nicht bereits mit Auszug der Schwiegermutter des Beklagten im Juli 2017.

6) Der über den Herausgabeanspruch – der sich in der Verschaffung des unmittelbaren Besitzes an der Sache, insbesondere der Ermöglichung des Zugangs und der Duldung der Wegnahme erschöpft (vgl. BGH, Urteil vom 05.07.2001 – IX ZR 327/99 -, NJW 2001, S. 2966) – hinausgehende Räumungsanspruch folgt aus § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

III.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 11, § 711 Satz 1,2, § 709 Satz 2 ZPO, die die vorläufige Vollstreckbarkeit der Hauptsache einschließlich der Kostengrundentscheidung betrifft (vgl. Ulrich, in: Vorwerk/Wolf, BeckOK-ZPO, 49. Edition, § 708 Rn. 3.3 m.w.N. ).

Beschluss

Der Streitwert wird auf 23.880,00 EUR festgesetzt.

Gründe:

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 41 Abs. 1 GKG und orientiert sich an dem vom Gericht anhand des unstreitigen Vortrags der Klägerin geschätzten Betrag der für das Grundstück 438 zu erzielenden jährlichen Nettokaltmiete.

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