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Aufhebungsvereinbarung – Anfechtungsrecht wegen Arglist bei Verschweigen einer Neuvermietung

OLG München – Az.: 14 U 464/17 – Urteil vom 09.11.2017

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 13.01.2017, Az. 13 O 132/16, abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kläger werden auf die Widerklage vom 10.3.2017 verurteilt, an die Beklagte 11.381,42 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 18.11.2016 zu bezahlen.

Im Übrigen wird die Widerklage abgewiesen.

3. Die Kläger haben die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.

Die Kläger, die das seit 1993 teilweise, nämlich in Form eines Großteils des 1. Obergeschosses, an die Beklagte vermietete Anwesen aufgrund eines Zuschlagsbeschlusses vom 9.8.2011 im Zwangsversteigerungsverfahren erworben haben, machen nach erstinstanzlichem Abschluss des Urkundenprozesses mit Vorbehaltsurteil vom 21.10.2016 im Nachverfahren weiterhin Zahlungsansprüche gegen die Beklagte aus einem Aufhebungsvertrag vom 7.10.2015 gemäß Anlage K 5 geltend.

Hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen wird auf das angefochtene Urteil vom 13.1.2017 Bezug genommen.

Im Berufungsverfahren ergab sich ergänzend, dass dem Vertragsangebot der Beklagten vom 7.10.2015 gemäß Anlage K 13 ein Vorschlag der Kläger mit E-Mail vom 30.9.2015 vorausgegangen war (Anlage zum Protokoll vom 12.10.2017, zu Bl. 169/171 d.A.).

Das Landgericht Kempten hat die Klage auf Zahlung von 10.710,00 Euro nebst Zinsen und vorgerichtlichen Kosten zunächst mit Vorbehaltsurteil vom 21.10.2016 antragsgemäß zugesprochen und danach im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO mit „Schlussurteil“ vom 13.1.2017 das Vorbehaltsurteil für vorbehaltlos erklärt.

Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Klage aufgrund der zwischen den Parteien geschlossenen Vereinbarung vom 8.10.2015 begründet sei, weil die Beklagte sich ohne Erfolg darauf berufen habe, ihre Willenserklärung mit Schreiben vom 2.11.2015 angefochten zu haben. Der Einwand der Anfechtung sei bereits deshalb ausgeschlossen, weil das Gericht diesen Gesichtspunkt bereits im Vorbehaltsurteil geprüft habe und insoweit keine neuen Tatsachen vorgebracht worden seien.

Das Gericht sei im Nachverfahren gemäß § 318 ZPO an seine im Vorbehaltsurteil getroffene Entscheidung gebunden, soweit diese nicht – was hier nicht der Fall sei – auf der dem Urkundenprozess eigentümlichen Beschränkung der Beweismittel beruhe.

Weitere Einwände gegen die Klageforderung habe die Beklagte auch im Nachverfahren nicht erhoben.

Mit ihrer Berufung rügt die Beklagte die Verletzung materiellen Rechts.

Dem Erstgericht mag zwar in Bezug auf die Bindungswirkung des Vorbehaltsurteils zuzustimmen sein. Dieses sei allerdings nicht rechtskräftig geworden, sondern mit der Berufung angegriffen worden.

Die Beklagte vertrete weiterhin die Ansicht, dass die Anfechtung die Vereinbarung vom 7.10.2015 zu Fall gebracht habe und das Vorbehaltsurteil, das Basis des Schlussurteils sei, so nicht hätte ergehen dürfen.

Sie rügen – entsprechend ihrer Berufung gegen das Vorbehaltsurteil -, dass das Erstgericht zu Unrecht davon ausgegangen sei, dass eine Offenbarungspflicht der Kläger nicht bestanden habe.

Die Beklagte sei nach ihrer Kündigung mit Schreiben vom 10.4.2015 gemäß Anlage K 3 und der Mitteilung der Kläger, dass diese erst zum 31.8.2016, also 10 Monate später als dem gewünschten Zeitpunkt wirksam sei, in Vertragsverhandlungen zur vorzeitigen Beendigung des Mietverhältnisses eingetreten.

Ausgangspunkt für die Beklagte sei dabei die Tatsache gewesen, dass sie den Klägern für die restliche Mietzeit von 10 Monaten nach dem 31.10.2015 aus dem Vertrag noch einen Betrag von 18.344,60 Euro (incl. USt) schulde.

Auf die Aufhebungsvereinbarung vom 7.10.2015 habe sich die Beklagte eingelassen, da sie eine Mietreduzierung von (jeweils netto) 9.915,60 Euro auf 7.500,00 € und eine Reduzierung der Nebenkosten von 5.500,00 € auf 1.500 € für eine vertretbare Risikoverteilung erachtet habe, und zwar in der Annahme, dass die Kläger sich nun um die Neuvermietung kümmern müssten, und eine Neuvermietung vor oder nach dem 31.8.2016 möglich wäre.

Die Kläger hätten aber nicht mit offenen Karten gespielt.

Die Beklagte hätte, nachdem sie den Klägern bereits zuvor den Zutritt in die Mieträume gewährt habe, dort am 27.10.2015 festgestellt, dass die Büroräume bereits nahezu vollständig zu einer Flüchtlingsunterkunft umgebaut worden seien, und bei weiteren Recherchen erfahren, dass die Kläger schon am 29.9.2015 den Mietvertrag gemäß Anlage K 14 mit dem Landratsamt O. mit einem Mietbeginn 1.12.2015 unterschrieben hatten.

Unter diesen Umständen sei im Hinblick auf § 537 Abs. 2 BGB – Gebrauchsüberlassung an einen Dritten – klar gewesen, dass die Kläger zum 7.10.2015 nur über eine Bruttomiete für 1 Monat in Höhe von 1.834,66 Euro hätten verhandeln können, während die Beklagte in der irrigen Meinung belassen worden sei, dass ein Betrag von 18.344,60 Euro zur Disposition stünde.

Dies und die Anfechtungserklärung der Beklagten mit Schreiben vom 2.11.2015 seien unstreitiger Sachverhalt gewesen, jedoch vom Erstgericht nicht zutreffend gewürdigt worden. Hätte das Erstgericht die von ihm aufgestellten Grundsätze zur Offenbarungspflicht richtig angewendet, hätte es hier zwingend zu dem Schluss kommen müssen, dass eine solche bestanden habe. Der Vermieter habe insbesondere bei einem – wie im vorliegenden Fall – langjährigen Mietverhältnis auch die Vermögensinteressen des Mieters zu wahren.

Dies gelte auch für die Beendigung des Mietverhältnisses.

Unbestritten habe der Vermieter – entsprechend der Schadensminderungspflicht – angebotene und in jeder Hinsicht vergleichbare Nachmieter zu akzeptieren. Folge er dem nicht, werde der Mieter von seiner Zahlungspflicht frei. Dies sei auf die vorliegende Vertragsgestaltung übertragbar.

Die Mietvertragsaufhebung sei für die Beklagte von besonderer wirtschaftlicher Bedeutung gewesen und es sei ein Unterschied, ob eine oder zehn Mieten Ausgangspunkt der Verhandlungen sei.

Die Kläger könnten nicht behaupten, dass die Beklagte mit ihnen diese Vereinbarung auch dann geschlossen hätte, wenn diese gewusst hätte, dass nur einen Monat später das Landratsamt die Miete bezahle, und zwar in einer geschätzten Höhe von monatlich mindestens 21.000,00 Euro. Zwar sei es zutreffend, dass der Vertragszweck der Vertragsaufhebung erreicht worden sei, jedoch mit einer Fehlvorstellung bzw. Unkenntnis der Beklagten dahingehend, dass schon zum 1.11.2015 gemäß § 537 Abs. 2 BGB eine Befreiung von der Miete eintreten würde.

Die Rechtsprechung zum vorgetäuschten Eigenbedarf zeige gleichfalls, dass Mieter und Vermieter in einem Dauerschuldverhältnis der Treuepflicht und gegenseitigen Rücksichtnahmepflicht unterliegen würden.

Aufgrund der rechtswirksamen Anfechtung durch die Beklagte könnten die Kläger die Klageforderung nicht auf die Vereinbarung vom 7.10.2015 gemäß Anlage K 5 stützen.

Da die Beklagte zur Vermeidung der Zwangsvollstreckung an die Kläger die mit Vorbehaltsurteil titulierte Forderung nebst einer Vollstreckungsgebühr bereits am 17.11.2016 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung an die Klägervertreter überwiesen habe, stehe der Beklagten nunmehr ein entsprechender Rückforderungsanspruch zu, der in diesem Verfahren gemäß § 302 Abs. 4 Satz 3 und 4 ZPO in Verbindung mit einer Zinsforderung als Schadensersatz geltend gemacht werden könne.

Die Beklagte beantragt: unter Abänderung des am 13.1.2017 verkündeten Schlussurteils des Landgerichts Kempten, AZ: 13 O 132/16, die Klage abzuweisen sowie die Klägerin zu verurteilen, an die Beklagte 11.381,42 € nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über Basiszinssatz ab dem 18.11.2016 zu bezahlen.

Die Kläger beantragen Zurückweisung der Berufung und verteidigen das Ersturteil.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze und übergebenen Anlagen Bezug genommen.

Das Berufungsgericht hat mit Verfügung vom 28.4.2017 Hinweise erteilt.

II.

A. Die zulässige Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Kempten vom 13.1.2017 ist – ebenso wie die Berufung gegen das Vorbehaltsurteil, über die im Verfahren 14 U 4562/16 entschieden wird, begründet.

1. Der Aufhebungsvertrag vom 7.10.2015 ist gemäß § 142 Abs. 1 BGB nichtig.

Die Beklagte hat die Aufhebungsvereinbarung mit den Klägern vom 7.10.2015 mit Schriftsatz vom 2.11.2015 gemäß Anlage B 1 gemäß §§ 123 Abs. 1, 124 BGB erfolgreich wegen arglistiger Täuschung durch Verschweigen der mit Wirkung ab 1.12.2015 erfolgten anderweitigen Vermietung angefochten.

Die Kläger waren im Rahmen der Vertragsverhandlungen über die Aufhebung des Mietverhältnisses entsprechend § 311 Abs. 2 BGB i.v. mit § 242 BGB verpflichtet, die Beklagte über diesen Umstand in Kenntnis zu setzen, da die rechtswirksame Neuvermietung bereits mit Wirkung ab 1.12.2015 – für die Kläger erkennbar – für die Höhe der Abfindungszahlung der Beklagten von maßgeblicher Bedeutung war, die entsprechende Mitteilung für die Kläger zumutbar war und außerdem von der Beklagten nach Treu und Glauben erwartet werden durfte. Der Senat ist auch davon überzeugt, dass das Verschweigen des rechtswirksamen Vertragsschlusses vom 29.9.2015 dafür ursächlich war, dass die Beklagte am 7.10.2015 zu dem Aufhebungsvertrag gemäß Anlage K 5 mit den darin enthaltenen Konditionen bereit war.

1.1. Eine Aufklärungspflicht der Kläger entfällt zunächst auch für den Fall nicht, dass die gesetzlichen Vertreter der Beklagten bei Abfassung ihres Kündigungsschreibens vom 10.04.2015 bewusst eine bei Anwendung der tatsächlich gegebenen Rechtslage unzutreffende und zu ihrem Vorteil verfrühte Kündigungsmöglichkeit schon zum 31.10.2015 angegeben haben sollten:

1.1.1. Die von der Beklagten mit Schreiben vom 10.4.2015 ausgesprochene „fristgemäße“ Kündigung war nach § 2 Ziffer 1 des Mietvertrags vom 15.3.1993 erst zum 31.8.2016 wirksam, was die Kläger der Beklagten mit Schreiben vom 20.4.2015 zutreffend mitgeteilt haben.

Nach der genannten Regelung im Vertrag vom 15.3.1993, in den die Kläger gemäß § 57 ZVG i.V. mit § 566 BGB eingetreten sind, verlängerte sich das ab 1.9.1993 beginnende und zunächst auf 3 Jahre befristete Mietverhältnis jeweils um 2 Jahre, falls nicht rechtzeitig 6 Monate vor (verlängertem) Vertragsende gekündigt wird.

Die ausdrücklich als „fristgemäß“ bezeichnete Kündigung der Beklagten war daher per se weder vertragswidrig noch generell unwirksam, allerdings war das im Kündigungsschreiben bezeichnete Vertragsende unzutreffend.

1.1.2. Denn die Kläger haben sich ihrerseits nach der Zurückweisung dieses Vorbringens auf Verhandlungen mit der Beklagten über eine vorzeitige Vertragsbeendigung eingelassen und damit zu erkennen gegeben, dass sie ein etwaiges Fehlverhalten der Beklagten nicht als so schwerwiegend ansehen, dass damit die Grundlage für ein weitere zukünftige, vertrauensvolle Vertragsabwicklung entfallen wäre. Damit aber waren sie ihrerseits gehalten, im Rahmen der nun stattfindenden Verhandlungen über eine vorzeitige Vertragsbeendigung auch etwa bestehenden Aufklärungspflichten im Zusammenhang mit Vereinbarungen über die Höhe einer Abfindungszahlung nachzukommen.

1.1.3. Ein von den Vertretern der Beklagten nur fahrlässig unzutreffend berechneter Kündigungstermin wäre darüber hinaus unabhängig von der Reaktion der Kläger nicht geeignet gewesen, diese von irgendwelchen Verpflichtungen gegenüber der Beklagten zu entbinden.

1.2. Im vorliegenden Fall bejaht der Senat eine Aufklärungspflicht der Kläger gegenüber der Beklagten über die Tatsache der bereits vor Abschluss des Aufhebungsvertrags mit der Beklagten erfolgten Weitervermietung des streitgegenständlichen Objekts. Dabei kommt es weder darauf an, ob die Kläger zur Suche eines Nachmieters verpflichtet waren noch darauf, ob für die Beklagte die Möglichkeit einer Weitervermietung des Objekts als Asylbewerberunterkunft naheliegend war oder nicht.

Die entsprechende Verpflichtung der Kläger ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus dem Grundsatz von Treu und Glauben, aus der im Rahmen jeglicher Vertragsverhandlungen bestehenden Aufklärungspflicht über Umstände, die für die Willensbildung der anderen Partei von wesentlicher Bedeutung sind und aus der gesetzlichen Wertung des § 537 Abs. 2 BGB:

1.2.1. Dem Grundsatz von Treu und Glauben kommt im Mietverhältnis aufgrund dessen Charakter als Dauerschuldverhältnis besondere Bedeutung zu (vgl. Looschelders/Olzen in Staudinger, Neubearbeitung 2015, Rn. 763, 765 ff zu § 242 m.w.N.).

Eine Vertragspartei ist grundsätzlich nicht gehalten, der anderen das Vertragsrisiko und die Prüfung der Vorteilhaftigkeit des Vertrags abzunehmen. Das Bestehen und der Umfang der Aufklärungspflicht richten sich im Einzelfall nach den Interessen der Vertragsparteien unter Berücksichtigung des Informationsbedürfnisses einerseits und der Zumutbarkeit andererseits (BGH, Urt. vom 1.6.2017, Az. VII ZR 95, 16, Rn. 18, zitiert nach Juris m.w.N.).

Im Rahmen eines bestehenden Schuldverhältnisses – und das Mietverhältnis der Parteien bestand während der Verhandlungen über den Aufhebungsvertrag noch – ergibt sich aus Treu und Glauben die Pflicht, den anderen Teil unaufgefordert über entscheidungserhebliche Umstände zu informieren, insbesondere wenn dieser redlicherweise Aufklärung erwarten darf.

1.2.2. Weiter besteht – und dies gilt auch für Vertragsverhandlungen betreffend die einvernehmliche vorzeitige Beendigung eines Mietverhältnisses – im Rahmen jeglicher Vertragsverhandlungen eine Aufklärungspflicht hinsichtlich aller Umstände, die für den Vertragsschluss bzw. die Willensbildung der anderen Partei von wesentlicher Bedeutung sind (Grüneberg in Palandt, BGB, 76. Aufl., Rn. 37 zu § 242 m.w.N., BGH, a.a.O., Tz. 18).

Für eine entsprechende Aufklärungspflicht spricht aus der Sicht des Senats insbesondere auch, dass die Beklagte – wenn nicht aus dem Munde der Kläger – von der Tatsache der Nachvermietung allenfalls noch durch Zufall, nicht aber durch eigene, ihr zumutbare Bemühungen erfahren konnte.

1.2.3. Schließlich gibt § 537 Abs. 2 BGB eindeutig zu erkennen, dass ein Vermieter Miete für sein Objekt für denselben Zeitraum nicht doppelt erhalten soll. So ist insbesondere auch anerkannt, dass allein die Tatsache einer Nachvermietung dem früheren Mieter ab diesem Zeitpunkt einen Anspruch auf vorzeitige Vertragsentlassung gibt ( vgl. Bieber in Münchener Kommentar zum BGB, 7.Aufl., Rn. 15 zu § 537), und hieraus folgt für den Senat, dass ein bisheriger Mieter selbstverständlich im Rahmen von Verhandlungen über einen Aufhebungsvertrag über die Tatsache der Nachvermietung auch zu informieren ist.

Dem steht auch nicht entgegen, dass ein Rechtsmissbrauch des früheren Mieters die Anwendbarkeit von § 537 Abs. 2 BGB ausschließt (vgl. Palandt-Weidenkaff, BGB, 76.Aufl., Rn. 12 zu § 537), da ein solcher – wie vorstehend unter 1.1.2. ausgeführt – selbst im Fall eines bewusst verfrüht angegebenen Kündigungsdatums durch die Beklagte – andere Möglichkeiten eines Rechtsmissbrauchs durch die Beklagte sind ohnehin nicht ersichtlich – zum Zeitpunkt der hier maßgeblichen Verhandlungen keine Wirkungen mehr gezeitigt hätte.

1.3. Im Rahmen der Korrespondenz hinsichtlich der von der Beklagten gewünschten und von den Klägern bereits im Schreiben vom 20.4.2015 grundsätzlich für möglich dargestellten vorzeitigen Beendigung des Mietverhältnisses bezifferte die Klagepartei mit einer E-Mail vom 25.8.2015 ausgehend von einer vollständigen Mietzahlung bis einschließlich Oktober 2015 ihre künftigen Mietansprüche für die Zeit von November 2015 bis August 2016 mit insgesamt 18.344,56 Euro (inkl. NK und MwSt) und bot einen 10 %igen einmaligen Nachlass für den Fall an, dass der gesamte Betrag im November 2015 bezahlt würde (Anlage K 10).

Gegenstand des im Raum stehenden Aufhebungsvertrags war zum einen der vorgezogene Beendigungszeitpunkt, zum anderen die von der Beklagten zu entrichtende Abfindung für die entfallende weitere Mietzeit.

Nachdem die Beklagte mit Schreiben vom 28.9.2015, 13.22 Uhr, mitgeteilt hatte, dass sie ihre Geschäftsräume in der vorangegangenen Woche bezogen habe und „in den kommenden Wochen“ die von den Klägern gemieteten Räume endgültig leeren werde (Anlage K 12), unterzeichneten die Kläger am nächsten Tag den Mietvertrag mit dem Freistaat Bayern gemäß Anlage K 14, mit dem sie rechtsverbindlich mit Wirkung ab 1.1.2016 die Räume im 2. Obergeschoss des streitgegenständlichen Anwesens und mit Wirkung bereits ab 1.12.2015 (insgesamt aufgrund Vorgabe des Mieters bis „31.11.2020“ befristet) die noch von der Beklagten angemieteten Räume im 1. Obergeschoss des streitgegenständlichen Anwesens als (möblierte) Asylbewerberunterkunft an den Freistaat Bayern vermieteten.

Die zu Wohnzwecken angemieteten Räume sind nach § 3.1 des Vertrags vom 29.9.2015 in einem „ordnungsgemäßen“ Zustand zu übergeben und nach Ziffern 3.6 und 3.7 für die Dauer der Mietzeit auf eine bestimmte Art und Weise auszustatten.

Die Kläger gewährleisteten, dass das Mietobjekt den öffentlich-rechtlichen Anforderungen entspricht, wobei Mängel, die die Ausübung der vom Mieter beabsichtigten Nutzung nicht wesentlich beeinträchtigten, die Übergabe nicht behindern sollten (Ziffern 3.3 und 3.5). Eine Regelung über bestimmte, von den Klägern zu erbringende Umbaumaßnahmen enthält der vorliegende Mietvertrag nicht.

Nach Ziffer 3.4 wird eine 4-wöchige Mietbeginnverzögerung vom Mieter akzeptiert (Anlage K 14). Nach § 4 Ziffer 4.1 verpflichtete sich der Freistaat, an die Kläger – jeweils unabhängig von der tatsächlichen Belegung – für den ersten Monat der Mietzeit einen der Höhe nach unbekannten (da in der vorgelegten Urkunde geschwärzten) Mietzins für 35 Personen und ab dem zweiten Monat (einschließlich des 2. OG) einen Mietzins für 70 Personen zu bezahlen.

Nach dem Inhalt der unbedingten vertraglichen Vereinbarungen mit dem Freistaat Bayern, hatten die Kläger die streitgegenständlichen Räume ab 1.12.2015 bzw. spätestens 4 Wochen danach in einem zu Wohnzwecken geeigneten Zustand als Asylbewerberunterkunft zur Verfügung zu stellen und ab dem Übergabezeitpunkt – unabhängig von der tatsächlichen Belegung – einen Vergütungsanspruch entsprechend der vereinbarten Miete für 35 Asylbewerber.

Auf die Frage, ob der Freistaat sich aufgrund des akuten Wohnraumbedarfs für Asylbewerber im Zeitraum Ende 2015 im Rahmen einer Vertragsänderung auch darauf eingelassen hätte, anstelle des 1. Obergeschosses die nach Klägerangaben im September 2015 frei gewordenen Räume im Erdgeschoss des streitgegenständlichen Anwesens anzumieten, kommt es für die Frage einer Aufklärungspflicht nicht entscheidungserheblich an, da die Kläger und der Freistaat Bayern im September 2015 – aufgrund von hier unbekannten Erwägungen – einen rechtswirksamen Mietvertrag hinsichtlich des 1. und 2. Obergeschosses geschlossen haben.

Unstreitig wurde die Beklagte von dem bereits erfolgten Vertragsschluss mit dem Nachmieter nicht in Kenntnis gesetzt, obwohl bereits Ende September 2015 feststand, dass die Kläger einen Nachmieter für die streitgegenständlichen Räume gefunden hatten, der sich verpflichtet hatte, ab der vereinbarten Übergabe am 1.12.2015, spätestens 4 Wochen danach eine Miete zu bezahlen, die nach der unwidersprochenen Schätzung der Beklagten die – nach dem noch bestehenden Mietvertrag – von der Beklagten zu entrichtenden Miete überstieg.

Im Hinblick auf das neue Mietverhältnis mit dem Freistaat Bayern benötigten die Kläger für die erforderlichen Umbauarbeiten baldmöglichst Zugang zu den von der Beklagten angemieteten Räumen, was ihnen von der Beklagten in Unkenntnis des tatsächlichen Hintergrundes auch ermöglicht wurde.

1.4. Mit E-Mail vom 30.9.2015 unterbreiteten die Kläger der Beklagten ein Angebot für eine Vertragsaufhebung zum 31.10.2015 dahingehend, dass die Beklagte einen Mietabschlag von 8.000,00 Euro zzgl. gesetzl. MwSt und einen Nebenkostenabschlag von 2.500 Euro für entfallende Restmietzeit bezahlt, wobei die Nebenkosten 2015 ordnungsgemäß abgerechnet werden sollten. Die Beklagte schlug daraufhin mit E-Mail vom 7.10.2015 gemäß Anlage K 13 vor, „sich in der Mitte zu einigen“, nämlich auf noch 7,5 Monatsmieten in Höhe von insgesamt 7.500 Euro und 1.500 Euro Nebenkostenpauschale, zusammen 9.000 Euro (jeweils zzgl. MwSt.).

Die Beklagte hat sich letztlich in Ziffer 2. und 3. des Vertrags vom 7.10.2015 zur Bezahlung eines Mietabschlags von 7.500 Euro zzgl. gesetzl. MwSt. für die entfallene Restmietzeit und eines Nebenkostenabschlags von 1.500,00 Euro für die entfallene Restmietzeit verpflichtet, wobei aufgrund der E-Mail der Beklagten vom 7.10.2015 ersichtlich war, dass die Beklagte noch immer davon ausging, dass sie ohne die Aufhebungsvereinbarung zur Zahlung von Mieten und Nebenkosten für insgesamt 10 weitere Monate in Höhe eines Betrags von insgesamt über 18.000,00 Euro ausging.

Tatsächlich hatten die Kläger aufgrund des Mietvertrags mit dem Freistaat Bayern bereits ab 1.12.2015 oder zumindest 4 Wochen später gegen diesen einen Anspruch auf Miete für die Überlassung der Räume an Asylbewerber. Zugleich hatte die Beklagte ab diesem Zeitpunkt gemäß § 242 BGB einen Anspruch auf vorzeitige Vertragsentlassung (vgl. Bieber in Münchener Kommentar zum BGB, 7. Aufl., Rn. 15 zu § 537).

Auch wenn die Kläger bis zur Übergabe an den Freistaat umfangreichere Umbaumaßnahmen durchführen mussten, bestand Anfang Oktober 2015 für die Kläger keine Veranlassung, die Durchführbarkeit des Mietvertrags mit dem Freistaat Bayern bei der auch von der Beklagten erwünschten Beendigung des Mietverhältnisses mit der Beklagten zum 31.10.2015 in Frage zu stellen.

1.5. Das bewusste Verschweigen dieses Umstands durch die Kläger war für den Vertragsschluss vom 7.10.2015 kausal i.S. von § 123 Abs. 1 BGB.

Die Ursächlichkeit i.S. dieser Vorschrift liegt vor, wenn der Getäuschte seine Willenserklärung ohne die Täuschung überhaupt nicht, mit einem anderen Inhalt oder zu einem anderen Zeitpunkt abgegeben hätte (vgl. Ellenberger in Palandt, BGB, 76. Aufl., Rn. 24 zu § 123 m.w.N.), was die Beklagte hier glaubhaft behauptet hat.

Der Senat verkennt nicht, dass grundsätzlich die Voraussetzungen der Anfechtung wegen arglistiger Täuschung in vollem Umfang von demjenigen zu beweisen sind, der sich darauf beruft, wobei die Anforderungen nicht überzogen werden dürfen.

Bei nach Art des Rechtsgeschäfts zu erwartenden typischen Geschehensabläufen hat die Rechtsprechung einen Anscheinsbeweis für die Ursächlichkeit einer Täuschung zugelassen (vgl. Singer/von Finckenstein in Staudinger BGB, Neubearbeitung 2017, Rn. 89 zu § 123, Ellenberger a.a.O., Rn. 24, 30 a.E. zu § 123, jeweils m.w.N.).

Es wird auch die Auffassung vertreten, dass es bei einer – wie hier – bejahten Verletzung einer Aufklärungspflicht Sache des Verletzers ist, zu beweisen, dass die Willenserklärung auch bei gehöriger Aufklärung abgegeben worden wäre (vgl. Ellenberger, a.a.O., Rn. 30 a.E.).

Im vorliegenden Fall kann sich die Beklagte zwar mangels eines typischen Rechtsgeschäfts nicht auf einen Anscheinsbeweis berufen, es liegen jedoch Umstände vor, die nach der Lebenserfahrung zur Überzeugung des Senats für die Ursächlichkeit i.S. von § 123 Abs. 1 BGB sprechen.

Die Geschäftsgrundlage und Verhandlungsposition der Beklagten hätte sich hinsichtlich des Abfindungsbetrages nicht unerheblich verändert, wenn der Beklagten vor dem 7.10.2015 der Umstand der bereits rechtswirksam vereinbarten Nachvermietung ab 1.12.2015 bekannt gewesen wäre.

Hätte die Beklagte gewusst, dass die Kläger ab 1.12.2015 bzw. spätestens ab dem 1.1.2016 für die Gebrauchsüberlassung der streitgegenständlichen Räume an Dritte einen Zahlungsanspruch gegen den Freistaat Bayern mindestens in Höhe der mit der Beklagten vereinbarten Miete und Betriebskosten haben würden, und dass die Kläger den Zugang zu den Mieträumen sobald als möglich benötigten, um die erforderlichen umfangreichen Umbaumaßnahmen im Hinblick auf dieses Mietverhältnis zu beginnen, hätte sie sich nach Überzeugung des Senats nicht bzw. jedenfalls nicht am 7.10.2015 auf die vereinbarte Mietzahlung für 7,5 Monate und eine Nebenkostenpauschale für ca. 3 Monate eingelassen.

Auch wenn die Beklagten ein erhebliches Interesse an einer baldigen einvernehmlichen Aufhebung des streitgegenständlichen Mietvertrags hatten, um nicht für die nicht mehr benötigten Räume weitere 18.344,60 Euro an die Kläger bezahlen zu müssen, hätten sie bei Kenntnis des Nachmietvertrages und damit zugleich einer Minimierung des Weitervermietungsrisikos der Kläger aus einer anderen, und zwar für sie günstigeren Ausgangsposition über den Abfindungsbetrag verhandeln können.

Da die Kläger am 29.9.2015 das noch vermietete und nicht vollständig geräumte 1. Obergeschoss des streitgegenständlichen Anwesens anstelle des nach ihrem Vortrag bereits seit September leer stehenden Erdgeschosses und zeitlich 1 Monat vor dem angeblich ebenfalls bereits leer stehenden 2. Obergeschosses an den Freistaat Bayern vermietet haben, liegt es auf der Hand, dass es für die Kläger und/oder das Landratsamt sachliche Gründe dafür gab, warum das 1. Obergeschoss für die beabsichtigte Nutzung, insbesondere auch des 2. Obergeschosses geeigneter oder gar erforderlich war.

Eine Änderung des Mietvertrages mit dem Freistaat Bayern dahingehend, dass anstelle des 1. Obergeschosses das Erdgeschoss vermietet werde, mag in der damaligen Situation enormer Flüchtlingszuströme zwar in Betracht gekommen sein, hätte jedoch zumindest einen Mehraufwand und Zeitverlust und somit Einkommenseinbußen für die Kläger zur Folge gehabt.

Abgesehen davon, dass es nicht im Ermessen der Kläger steht, der Beklagten nachträglich wirtschaftliche Überlegungen vorzurechnen, die im Rahmen der Aufhebungsvereinbarung hätten angestellt werden können, ist nicht ersichtlich, dass die vereinbarten Zahlbeträge der Abfindung sonstiger berechtigter Ansprüche der Kläger aus dem Mietvertrag gedient hätten.

 

Zutreffend ist, dass in Ziffer 4. auch entsprechend dem Vorschlag der Kläger vom 30.9.2015 vereinbart wurde, dass die Beklagte die Mieträume nur besenrein übergeben müsse.

Soweit die Kläger nachträglich argumentiert haben, dass mit dem von der Beklagten übernommenen Zahlbetrag auch die in § 11 und 17 des Mietvertrags vereinbarten, aber unterbliebenen Schönheitsreparaturen und Beseitigungspflichten der Beklagten bei Beendigung abgegolten worden seien, ergibt sich Derartiges weder aus dem Wortlaut des Vertrags vom 7.10.2015 noch aus sonstigen Umständen.

Abgesehen davon, dass die Klausel betreffend Schönheitsreparaturen in § 11 Abs. 2 des Mietvertrags vor dem Hintergrund der aktuellen höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. z.B. BGH, Urteil vom 12.3.2014, Az. XII ZR 108/13) nicht unproblematisch erscheint, sollten die in Ziffer 2. und 3. des Vertrags vom 7.10.2015 vereinbarten Summen ausdrücklich als „Abschlag“, gemeint war ersichtlich Abfindung, für die Miete bzw. auf die Nebenkosten bezahlt werden, die die Beklagte ohne die einvernehmliche Vertragsbeendigung zum 31.10.2015 hätte noch bis 31.8.2016 an die Kläger leisten müssen.

Die Vereinbarung der besenreinen Rückgabe könnte als Ersatz für die Pflichten der Beklagten gemäß § 17 des Mietvertrags verstanden werden. Im Übrigen ist jedoch in Ziffer 5. des Vertrags ausdrücklich geregelt, dass „alle anderen Vertragsbestandteile“ (der in der Überschrift genannten Mietverträge vom 19.3.1993, 8.1.2002 und der Zusatzvereinbarung vom 20.9.2001) unverändert bestehen bleiben sollten.

Schließlich ist es fraglich, ob bzw. in welcher Höhe die Beklagte den Klägern angesichts der bereits für die nachfolgende Nutzung begonnenen Umbauarbeiten ohne entsprechenden Rückbau die vereinbarte Miete geschuldet hätten.

Das streitgegenständliche Objekt war von der Beklagten ausdrücklich zum Betrieb von Büros angemietet worden. Hierfür wären die Räume nach zerstörenden Eingriffen in die Gebäudesubstanz nicht mehr bzw. nur mehr eingeschränkt geeignet gewesen.

B. Da die Beklagte unstreitig zur Abwendung der Zwangsvollstreckung aus dem Vorbehaltsurteil 11.381,42 Euro an die Kläger bezahlt hat, steht ihr gemäß §§ 600 Abs. 2, 302 Abs. 4 Satz 3 ZPO ein entsprechender Rückforderungsanspruch zu.

Die darauf zugesprochenen Zinsen ergeben sich aus § 304 Abs. 4 Satz 4 ZPO i.V. mit §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB.

Soweit darüber hinaus Zinsen in Höhe von 9 % eingeklagt wurden, ist die Klage hinsichtlich der Differenz unbegründet, da es sich bei dem Rückforderungsanspruch nicht um eine Entgeltforderung i.S. von § 288 Abs. 2 BGB handelt (vgl. Grüneberg in Palandt, BGB, 76. Aufl., Rn. 8 zu § 288 i.V. mit Rn. 27 zu § 286 m.w.N.).

III.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO i.V. mit § 26 Nr. 8 EGZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen von § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.

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