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Auslegung einer Teilungserklärung zur baulichen Umgestaltung einer Sondereigentumseinheit

LG Hamburg – Az.: 318 S 236/10 – Urteil vom 29.02.2012

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Hamburg vom 31. August 2010 – Az. 102D C 12/10 – wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten ihrer Berufung.

Gründe

I.

Die Parteien sind Mitglieder der WEG S., H. (H.). Sie streiten um den Rückbau eines von der Beklagten vorgenommen Umbaus an ihrem Haus.

Wegen des Sachverhalts wird Bezug genommen auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil des Amtsgerichts (§ 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO), die wie folgt ergänzt werden:

In § 2 Abs. 4 b) – „Teilung“ – der zwischen den Parteien geltenden Teilungserklärung (TE) vom 29. Mai 2002 (vgl. UR-Nr. 0725/2002 des Hamburgischen Notars Dr. C. Anlage K6, Bl. 25 d. A.) heißt es: „Jeder Wohnungseigentümer ist berechtigt, (…) sein Wohnungseigentumsrecht nebst Sondernutzungsrechten nach seinen Wünschen um- oder auszubauen, und zwar auch dann, wenn dadurch in das Gemeinschaftseigentum eingegriffen wird, sofern die übrigen Wohnungseigentümer hierdurch nicht unzumutbar auf Dauer beeinträchtigt werden.“. Unter § 3 Abs. 2 – „Begriffsbestimmungen und Gegenstand des Wohnungseigentums“ – findet sich folgende Regelung: „Gegenstand des Sondereigentums sind die in § 2 Abs. 1 dieser Urkunde bezeichneten Räumlichkeiten sowie die dazu gehörenden Bestandteile des Gebäudes, die verändert, beseitigt oder eingefügt werden können, ohne daß dadurch das gemeinschaftliche Eigentum oder ein auf Sondereigentum beruhendes Recht eines anderen Eigentümers über das nach § 14 WEG zulässige Maß hinaus beeinträchtigt oder die äußere Gestaltung des Gebäudes verändert wird. (…)“.

Zu einer anberaumten „Beschlussfassung über den Ausbau der Dachterrasse des Hauses P., Familie (der Beklagten), zu Wohnraum“ im Rahmen von TOP 10 der Eigentümerversammlung vom 24. Juni 2008 (vgl. Protokoll, Anlage K5) ist es nicht gekommen; stattdessen wurde angedacht, die Zustimmung aller Eigentümer durch einen Umlaufbeschluss einzuholen. Dazu kam es nicht; im September 2009 begann die Beklagte mit den streitigen Umbauarbeiten.

Wegen der Örtlichkeiten wird Bezug genommen auf den Lageplan gemäß Anlage K1 (Bl. 14 d. A.) sowie die eingereichten Lichtbilder gemäß Anlagen K2-K4 (Bl. 15 ff. d. A.) und B1 (Bl. 78 f. d. A.).

Das Amtsgericht hat die Beklagte – nach Durchführung eines Ortstermins am 11. Juni 2010 (vgl. Protokoll, Bl. 93 d. A.) – mit seinem Urteil vom 31. August 2010 (Bl. 119 d. A.) verurteilt, die Aufstockung des Gebäudes S. zu beseitigen und den ursprünglichen Zustand wieder herzustellen. In den Entscheidungsgründen hat es dazu ausgeführt, dass den Klägern ein Beseitigungsanspruch gegen die Beklagte nach § 1004 BGB i. V. m. § 14 Ziff. 1 WEG sowie § 2 Abs. 4 b) TE zustehe. Die von der Beklagten vorgenommene bauliche Umgestaltung ihrer Dachterrasse in ein Vollgeschoss führe bei objektiver tatrichterlicher Bewertung zu einer dauerhaften und unzumutbaren Beeinträchtigung der Kläger im Sinne von § 2 Abs. 4 b) TE. Daher habe die Beklagte die Umbaumaßnahme zu beseitigen und den ursprünglichen Zustand wieder herzustellen. Maßstab sei hier nicht lediglich § 14 Ziff. 1 WEG, sondern diese Regelung in Verbindung mit derjenigen in § 2 Abs. 4 b) TE. Dadurch werde das Maß für eine beseitigungspflichtige Störung verschärft. Nicht bereits eine nicht unerhebliche vermeidbare Beeinträchtigung durch einen Ausbau des Sondereigentums sei zu unterlassen, sondern erst eine solche, die übrige Wohnungseigentümer unzumutbar und dauerhaft beeinträchtige. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme seien in hinreichender Weise Umstände verblieben, die diese Merkmale erfüllten. Lichteinfall und Schattenwurf hätten sich für die Kläger durch den jetzt unterbundenen Wechsel von Vollgeschossbauweise zu offener Dachterrasse deutlich verändert, ebenso die Blickweite bzw. der Radius für Panoramablicke in den Himmel. Ferner sei die von dieser ursprünglichen Bauweise ausgehende optische Auflockerung verloren gegangen; die nunmehr geschlossene und baulich nahe Gebäudefassade wirke erheblich bedrückender. Die gesamte architektonische Gestaltung der Anlage sei ohnehin geprägt von der geringen Entfernung der gegenüberliegenden Gebäudeblöcke und von Enge, reduziertem Lichteinfall, erheblichem Schattenwurf und geringer Blickweite, sowohl von den Terrassen als auch aus den Fenster der Geschosse aus. Diese im markanten Kontrast zu den hochwertigen Baumaterialien bestehenden Defizite hätten durch den Wechsel von Vollgeschossen zu offenen Dachterrassen offenkundig abgemildert werden sollen und täten dies auch. Diese Abmilderung sei durch den von der Beklagten vorgenommenen Umbau aber aufgehoben worden; die negativen Effekte seien weiter verschärft worden. Diese Veränderungen seien auf Dauer angelegt; sie hätten auch erheblichen Einfluss auf die Wohnqualität in den von den Klägern bewohnten Gebäuden. Kleinere gestalterische Abweichungen durch die Neugestaltungen der Beklagten begründeten hier keine unzumutbaren Beeinträchtigungen; solche seien es jedenfalls vorliegend nicht, die den Rückbau erforderlich machten. Die Beklagte habe mit ihrem baulichen Maßnahmen vielmehr das Vertrauen der Kläger darin erschüttert, dass ihre Immobilien im Wert von € 600.000,– bis € 700.000,– hinsichtlich der Wohnqualität nicht verändert werden dürften, ohne dass es zuvor eine Rücksprache oder Zustimmung mit bzw. von den Miteigentümern gegeben habe. In solchen Fälle müsse der zum Rückbau Verpflichtete hinnehmen, die erheblichen Kosten für den Rückbau zu tragen, weil sich das von ihm selbst gesetzte Risiko jetzt realisiert habe.

Gegen dieses Urteil, der Beklagten über ihren vormaligen Prozessbevollmächtigten zugestellt am 23. September 2010 (Bl. 132 d. A.), hat diese mit Schriftsatz vom 19. Oktober 2010 – Eingang bei Gericht am 21. Oktober 2010 (Bl. 136 d. A.) – Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Begründungsfrist am 22. November 2010 (Bl. 142 d. A.) bis zum 30. Dezember 2010 mit weiterem Schriftsatz vom 30. Dezember 2010 – Eingang per Telefax (Bl. 144 d. A.) – begründet.

Die Beklagte macht mit ihrer Berufung geltend, dass das Amtsgericht bezüglich der Frage der Unzumutbarkeit nicht den richtigen Maßstab angewendet habe. Außerdem erfüllten die von ihm festgestellten Tatsachen nicht dieses Merkmal. Das Amtsgericht habe den Rechtsbegriff der „Unzumutbarkeit“, wie er in § 2 Abs. 4 b) TE vorgegeben sei, fehlerhaft ausgelegt; es habe keinen festen Rahmen definiert, so dass sich die rechtliche Würdigung des Amtsgerichts in einem freien, einzig durch das subjektive Empfinden des Gerichts geprägten Raum bewegt habe.

Der durch § 2 Abs. 4 b) TE vorgegebene Maßstab sei hier aber vielmehr in entsprechender Anwendung nachbarschützender öffentlich-rechtlicher Regelungen, insbesondere des nachbarlichen Rücksichtnahmegebots zu bestimmen. Sofern – wie hier – die Anwendung wohnungseigentumsrechtlicher Vorschriften zur Nutzung und Veränderung des Sondereigentums in der Teilungserklärung abbedungen sei, richte sich der Schutz des benachbarten Miteigentümers insoweit nach allgemeinem Nachbarrecht und drittschützenden Normen des öffentlichen Rechts. Die Auslegung von § 2 Abs. 4 b) TE ergebe, dass die Wohnungseigentümer in Bezug auf die rechtliche und tatsächliche Gestaltung ihres Wohnungseigentumsrechts weitgehend wie Alleineigentümer berechtigt sein sollten; das enge Korsett der WEG-Normen solle keine Anwendung finden. Der in § 2 Abs. 4 b) TE enthaltene Begriff der Unzumutbarkeit sei an § 15 Abs. 1 BauNVO zu messen, der zentralen öffentlich-rechtlichen Verankerung des nachbarlichen Rücksichtnahmegebots. Deren Merkmale seien hier aber nicht erfüllt. Eine erdrückende Wirkung gehe von ihrem Umbau nicht aus; dieser sei nicht rücksichtslos erfolgt.

Eine erhebliche Beeinträchtigung von Belichtung oder Besonnung scheide schon deswegen aus, weil die bauordnungsrechtlichen Abstandsflächen eingehalten worden seien. Eine besondere „Situationsberechtigung“ des betreffenden Objekts sei nicht gegeben, so dass die Aussicht nach öffentlichem Recht nicht geschützt sei. Ferner gehe von dem Umbau keine erdrückende Wirkung aus; eine Art „Gefängnishofsituation“ habe sie, die Beklagte, nicht geschaffen.

Das Amtsgericht habe ferner nicht beachtet, dass zwischen den Parteien unstreitig sei, dass keine Belichtungsbeeinträchtigung von dem Umbau ausgehe. Eine mögliche Beeinträchtigung durch Schattenwurf hätten die Kläger auch nie in das Verfahren eingeführt; selbst das Amtsgericht habe bei dem Ortstermin dahingehende Feststellungen nicht getroffen. Außerdem hätte das Amtsgericht die Frage der Verschattung mangels eigener Sachkunde nicht selbst beantworten dürfen. Aus der von ihr, der Beklagten, vorgelegten Verschattungs-/Besonnungsstudie vom 22. November 2010 (Anlage Bk 1, Bl. 156 d. A.) ergebe sich, dass für die Wohneinheiten der beiden Kläger von ihrem Umbau ein „hohes Maß“ an zusätzlicher Verschattung nicht ausgehe. Im Übrigen bestreite sie, die Beklagte, dass von ihrem Umbau eine Verschattung ausgehe.

Der vermeintliche Beseitigungsanspruch der Kläger sei ferner nach § 242 BGB ausgeschlossen. Der Verlust an Himmelspanorama und das geringfügige Maß an zusätzlicher Verschattung stünden in keinem Verhältnis zu den Kosten des Rückbaus. Ferner habe sie, die Beklagte, eine Baugenehmigung für den Dachausbau erhalten. Sie habe auch auf die Auskunft der Verwaltung, wonach eine Zustimmung aller Miteigentümer für diese Baumaßnahme nicht erforderlich sei, vertrauen dürfen. Zudem seien die Kläger stets in Kenntnis der Maßnahme gewesen, hätten sich aber nicht im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes dagegen gewandt; erst als der Bau fertiggestellt gewesen sei, hätten die Kläger ein Rechtsmittel dagegen ergriffen. Neue Werte habe sie, die Klägerin, hier nicht geschaffen, sondern lediglich vorhandene ergänzt.

Die Beklagte beantragt, unter Abänderung des am 31. August 2010 verkündeten Urteils des Amtsgerichts Hamburg – Az. 102D C 12/10 – die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigen die angefochtene Entscheidung des Amtsgerichts. Es sei bereits zweifelhaft, ob die Auslegung von § 2 Abs. 4 b) TE, die das Amtsgericht vorgenommen habe, durch das Berufungsgericht überhaupt in vollem Umfang überprüfbar sei. Die Beklagte habe keinen Erfolg damit, die Regelung in § 2 Abs. 4 b) TE so zu lesen, dass damit die §§ 22 Abs. 1, 14 Ziff. 1 WEG vollständig abbedungen worden seien; nur und erst dann wäre ein Rückgriff auf die nachbarrechtlichen Vorschriften des öffentlichen Rechts zulässig. Hier sei es aber mitnichten so, dass die einzelnen Wohnungseigentümer wie Alleineigentümer zu behandeln seien. Auch bewege sich die Um- bzw. Ausbaumaßnahme, wie sie von der Beklagten vorliegend durchgeführt worden sei, nicht in dem Änderungsrahmen, der ihr durch die Regelung in § 2 Abs. 4 b) TE vorgegeben worden sei. Außerdem habe das Amtsgericht den Sachverhalt nicht fehlerhaft gewürdigt, sondern sei zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, dass die Umbaumaßnahme für sie, die Kläger, unzumutbar sei. Es sei auch nicht unstreitig, dass der Umbau nicht mit einem vergrößerten Schattenwurf verbunden sei; ferner reiche nach zutreffender Ansicht des Amtsgerichts auch aus, dass der Schattenwurf überhaupt verändert sei und dies sei vorliegend tatsächlich auch der Fall. Die von der Beklagten vorgelegte Studie sei daher bedeutungslos und darüber hinaus komme diese selbst schon zu dem Ergebnis, dass zumindest im Sommer eine stärke Verschattung eintreten werde.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von den Parteien im Berufungsverfahren eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Die Kammer hat die Örtlichkeiten gemäß Beschluss vom 20. April 2011 (Bl. 178 d. A.) durch den Berichterstatter als vorbereitenden Einzelrichter in Augenschein genommen. Insoweit wird Bezug genommen auf den Inhalt des Protokolls des Ortstermins vom 22. August 2011 (Bl. 216 d. A.).

II.

Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Die Voraussetzungen zur Zulässigkeit der Berufung der Beklagten sind erfüllt. Die Beklagte hat die statthafte Berufung form- und fristgerecht eingelegt, §§ 517, 519, 520 Abs. 2 ZPO. Ferner ist auch der nach § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO notwendige Wert der Beschwer von € 600,– überschritten.

2. Die Berufung ist allerdings unbegründet. Das Amtsgericht hat die Beklagte mit seinem angefochtenen Urteil im Ergebnis zu Recht zum Rückbau ihrer Aufstockungsmaßnahme verurteilt.

Die Kläger haben nach den §§ 1004 Abs. 1 S. 1, 823 Abs. 1, 249 ff. BGB einen Anspruch auf Beseitigung des derzeitigen und auf Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes in dem Bereich des Hauses S., in dem die Beklagte das Gebäude ausgebaut hat.

a) Abweichend von der Auffassung des Amtsgerichts sieht die Kammer allerdings den rechtlichen Anknüpfungspunkt für den Rückbauanspruch der Kläger ausschließlich in der gesetzlichen Regelung des § 14 Ziff. 1 WEG, ohne aber dazu zusätzlich § 2 Abs. 4 b) TE heranzuziehen. Die streitbehafteten Maßnahmen, die die Beklagte hat durchführen lassen, werden nicht von den vorliegend vereinbarten Rechten zur Vornahme von solchen baulichen Veränderungen gedeckt.

(1) Bei der Auslegung einer in das Grundbuch eingetragenen Teilungserklärung ist – wie bei der Auslegung von Grundbucheintragungen allgemein – im Rahmen einer objektiv-normativen Auslegung auf den Wortlaut und Sinn abzustellen, wie er sich aus unbefangener Sicht als nächstliegende Bedeutung der Eintragung ergibt; Umstände außerhalb der Eintragung können nur herangezogen werden, wenn sie nach den besonderen Verhältnissen des Einzelfalls für jedermann ohne weiteres erkennbar sind (vgl. dazu etwa nur BGH, NZM 2006, 465, 466 m. w. N.).

Nach Maßgabe dieser Auslegungskriterien wird die streitbehaftete Maßnahme, die die Beklagte hat durchführen lassen, nicht von der Regelung in § 2 Abs. 4 b) der Teilungserklärung erfasst.

Darin heißt es – im Sinne einer teilweisen Abbedingung der §§ 22 Abs. 1, 14 Ziff. 1 WEG – zwar, dass jeder Wohnungseigentümer zur Vornahme bestimmter baulicher Veränderungen befugt sei, sofern die übrigen Wohnungseigentümer hierdurch nicht unzumutbar auf Dauer beeinträchtigt werden würden. Allerdings handelt es sich bei hier konkret zu beurteilenden Baumaßnahme im Bereich der Dachterrasse des Hauses schon nicht um eine solche, wie sie den tatbestandlichen Voraussetzungen des § 2 Abs. 4 b) TE entspricht. Danach ist „jeder Wohnungseigentümer (…) berechtigt, (…) sein Wohnungseigentumsrecht nebst Sondernutzungsrechten nach seinen Wünschen um- oder auszubauen, und zwar auch dann, wenn dadurch in das Gemeinschaftseigentum eingegriffen wird“, wobei er befugt ist, „hierzu Gemeinschaftsleitungen und sonstige Gemeinschaftseinrichtungen (z. B. Leitungen) zu verlegen, zu verstärken oder in anderer Weise zu verändern.“

Bei der baulichen Umgestaltung der Einheit der Beklagten betreffend die ursprünglich dort vorhandene Dachterrasse handelt es sich weder um einen Um- noch um einen Ausbau ihres Wohnungseigentumsrechts im Sinne der vorgenannten Regelung in § 2 Abs. 4 b) TE. Darunter sind bei unbefangener Betrachtung nach dem nächstliegenden Sinn der Bedeutung solche (baulichen) Maßnahmen bzw. Veränderungen zu verstehen, die an oder innerhalb der vorhandenen Gebäudehülle vorgenommen werden, nicht aber solche, die – wie hier – durch den Versatz bzw. den Abbruch nebst Neuerrichtung von Außenmauern eine neue Form des Baukörpers schaffen, die zwingend mit der Begründung neuen gemeinschaftlichen Eigentums und der (räumlichen) Vergrößerung des Sondereigentums einhergehen. Dass auch der durch die Umwandlung der vormaligen Dachterrasse in ein Vollgeschoss geschaffene Raum im Gemeinschaftseigentum steht, ergibt sich aus § 5 WEG; im Zeitpunkt der Aufteilung des Grundstücks in Wohnungseigentum war dieser Raum nicht vorhanden und ist der Beklagten auch nicht als Sondereigentum zugewiesen worden (vgl. dazu OLG München, B. v. 05.10.2006 – 32 Wx 121/06, BeckRS 2006, 11774). Eine solche weitreichende Änderungsbefugnis zugunsten des Sondereigentümers, dessen Sondereigentum von der hiesigen Teilungserklärung erkennbar als „Wohnungseigentumsrecht“ bezeichnet wird, gibt die Regelung in § 2 Abs. 4 b) TE indes nicht her. Zwar gestattet diese Regelung den Um- und Ausbau des Sondereigentums, auch wenn dadurch in das Gemeinschaftseigentum – etwa durch Verlegung, Verstärkung oder sonstiger Änderung von Gemeinschaftsleitungen und sonstige Gemeinschaftseinrichtungen – eingegriffen wird. Dass diese Regelung den einzelnen Sondereigentümer aber berechtigten soll, gemeinschaftliches Eigentum durch Abriss vollständig untergehen zu lassen und (durch Neuerrichtung von Teilen der Gebäudehülle, also Dach und Fassade) neues Gemeinschaftseigentum in erheblichem Umfang zu schaffen, lassen weder Wortlaut noch Sinn der fraglichen Regelung als nächstliegende Bedeutung zu. Ein unbefangener Betrachter dieser Regelung darf sich bei verständiger Würdigung darauf einrichten, dass der jeweilige Sondereigentümer (nur) solche Maßnahmen vornimmt, die sich auf das bestehende Gemeinschaftseigentum, soweit es die Gebäudehülle betrifft, nicht umgestaltend auswirken. Sowohl der Begriff „Ausbau“ als auch der Begriff „Umbau“ bedeuten nach ihrem nächstliegenden, verobjektivierten Sinn, dass der jeweilige Sondereigentümer über die räumlichen Grenzen seines (bisherigen) Sondereigentums hinaus keine Baumaßnahmen durchführen lässt. Vielmehr ist danach insbesondere ein „Ausbau“ eines „Wohnungseigentumsrechts“ tatsächlich darauf beschränkt, dass die bestehenden Räumlichkeiten – ggfs. auch durch Inanspruchnahme von gemeinschaftlichem Eigentum wie tragenden Mauern oder (hier explizit benannt) Leitungsführungen – zu Wohnzwecken erstmals hergerichtet werden bzw. die bestehenden Wohnverhältnisse verbessert werden; letzteres überschneidet sich regelmäßig – jedoch nicht zwingend – mit einem „Umbau“. Soll dem jeweiligen Sondereigentümer eine weiterreichendere Befugnis eingeräumt werden, im Rahmen des Aus- oder Umbaus auch eine Änderung des Verlaufs des Außenmauerwerks und der Dachkonstruktion unter umfassender Neuschaffung von gemeinschaftlichem Eigentum vornehmen zu dürfen, bedarf es der gesonderten und konkreten Erwähnung, zumal die Umgestaltung eines Teilgeschosses und einer Dachterrasse in ein Vollgeschoss auch keine übliche Art des Aus- oder Umbaus einer Sondereigentumseinheit darstellt. Hinzu kommt in diesem Zusammenhang ergänzend auch noch, dass ein Miteigentümer den anderen Miteigentümern ohne Zustimmung (neues) Gemeinschaftseigentum nicht aufdrängen darf (vgl. OLG München, DNotZ 2007, 946, 947). Dies spricht nach Auffassung der Kammer umso mehr dafür, dass eine entsprechende Aus- und/oder Umbaubefugnis in der Teilungserklärung klar und unzweideutig zum Ausdruck kommen muss.

(2) Ob die streitbehaftete Maßnahme daher mit unzumutbaren Beeinträchtigungen für die Kläger verbunden ist oder nicht, bedarf keiner abschließenden Würdigung durch die Kammer. Daher kommt es auch nicht darauf an, ob das Amtsgericht diese Frage zutreffend gewürdigt hat. Mithin bedürfen auch die Erwägungen der Beklagten zur Heranziehung und zur Einhaltung des öffentlich-rechtlichen Nachbarrechts keiner weiteren Würdigung durch die Kammer; gleiches gilt für die Frage, ob solche Vorschriften dafür überhaupt als Maßstab heranzuziehen gewesen wären.

Dementsprechend kann auch die zwischen den Parteien ebenfalls streitige Frage, ob die Regelungen in den §§ 2 Abs. 4 b) und 3 Abs. 2 der Teilungserklärung inhaltlich derart widersprüchlich sind, dass nicht eine von ihnen, sondern das Gesetz zur Anwendung gelangt, dahinstehen.

b) Gemessen an § 14 Ziff. 1 WEG erweist sich das von der Beklagten durchgeführten Bauvorhaben, bei dem es sich unzweifelhaft um eine bauliche Veränderung im Sinne von § 22 Abs. 1 WEG handelt, als nachteilig im Sinne des Gesetzes. Mangels Zustimmung der Kläger, die von der Maßnahme auch nachteilig betroffen sind, ist die Baumaßnahme rechtswidrig (gewesen). Eine Beschlussfassung – auch im Umlaufverfahren – zur Frage der Umgestaltung des Hauses der Beklagten, in deren Rahmen die Kläger ihre Zustimmung dazu erteilt haben, existiert nicht.

Nach § 14 Ziff. 1 WEG ist jeder Wohnungseigentümer verpflichtet, von dem gemeinschaftlichen Eigentum nur in solcher Weise Gebrauch zu machen, dass dadurch keinem der anderen Wohnungseigentümer über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß hinaus ein Nachteil erwächst. Unter einem Nachteil in diesem Sinne ist jede nicht ganz unerhebliche Beeinträchtigung zu verstehen; nur konkrete und objektive Beeinträchtigungen gelten als ein solcher Nachteil, wobei entscheidend ist, ob sich nach der Verkehrsanschauung ein Wohnungseigentümer in der entsprechenden Lage verständlicherweise beeinträchtigt fühlen kann (std. Rspr.; vgl. etwa BGH, NZM 2011, 512). Bei der Bewertung, ob eine Beeinträchtigung erheblich ist, ist eine Interessenabwägung vorzunehmen, und zwar auch der grundrechtlich geschützten Positionen, wobei die Schwelle für das Vorliegen eines Nachteils im Lichte von Art. 14 GG insgesamt eher niedrig anzusetzen ist (BVerfG, NZM 2005, 182, 183). Es bedarf dazu jeweils der Bewertung der Umstände des Einzelfalls (s. OLG München, NZM 2005, 509, 510).

Bereits mit ihrer Klage vom 8. Februar 2010 haben die Kläger geltend gemacht, dass die Beklagte mit dem Umbau ihrer Dachterrasse in ein Vollgeschoss den optischen Gesamteindruck der Wohnanlage „in unerträglicher Art und Weise“ und „massiv“ verändert habe (vgl. Bl. 8 d. A.). Ob diese Schwelle der Beeinträchtigung der Kläger hier erreicht ist, bedarf keiner abschließenden Würdigung. Die Kammer ist nach den Feststellungen im Ortstermin vom 22. August 2011, die sich weitgehend mit der Aktenlage, insbesondere mit den von den Parteien eingereichten Lichtbildern und den Feststellungen des Amtsgerichts gemäß Protokoll vom 11. Juni 2010 decken, jedenfalls zu der Überzeugung gelangt, dass mit der streitbehafteten Baumaßname auch aus der Sicht eines vernünftigen Wohnungseigentümers eine nicht ganz unerhebliche Beeinträchtigung einhergeht, und zwar bezogen auf das optische Erscheinungsbild der Wohnanlage.

Die Wohnanlage der Parteien ist – wie auch das Amtsgericht schon zutreffend hervorgehoben hat – von einem überdurchschnittlich hohen architektonischen Anspruch geprägt, der sich sowohl in der Auswahl der verwendeten Baumaterialen als auch in der äußeren Gestaltung der Wohngebäude niedergeschlagen hat. Diese Gestaltungsmöglichkeiten haben ihre Schranken aber in dem begrenzten Platzangebot gefunden, das dazu geführt hat, dass die beiden parallel zueinander verlaufenden Gebäudeblöcke vergleichsweise dicht aneinander stehen und die Aussicht aus den jeweiligen Stadthäusern sehr stark von dem jeweils gegenüberliegenden Gebäuderiegel geprägt wird. Die Gebäudesilhouette war vor den durch die Beklagte veranlassten Aufbaumaßnahmen zudem im Wesentlichen geprägt durch eine Abwechslung zwischen Vollgeschoss und offener Dachterrasse. Letztere hat die Beklagte geschlossen und dadurch ein einheitliches „Vollgeschoss-Bild“ erzeugt, dass die vorherige architektonische Gestaltung des Gebäuderiegels jedenfalls im Bereich des Objekts der Beklagten vollständig aufgehoben hat. Und selbst wenn die Baumaßnahme und ihre Ausführung sach- und fachgerecht erfolgt sein sollte, so verbliebe dennoch eine nachteilige Wirkung für das Gesamtgefüge der Wohnanlage.

Der Einwand der Beklagten, dass bereits zuvor eine weitere Einheit in gleicher Weise baulich umgestaltet worden sei, verfängt nicht, weil auch davon eine nachteilige Auswirkung ausgeht und zudem auch im Wohnungseigentumsrecht der Grundsatz „keine Gleichheit im Unrecht“ gilt. Ob sich die Beklagte bei ihren Maßnahmen an der ebenso ausgebauten Einheit P6 orientiert hat oder nicht, kann hier dahinstehen. Maßgebend ist der jetzige – nachteilige – Zustand.

Auf weitere Nachteile, die von der Maßnahme ausgehen – etwa die behauptete Verschattung – kommt es danach nicht mehr an, wenngleich selbst aus der von der Beklagten in zweiter Instanz vorgelegten „Verschattungs-/Besonnungsstudie“ hervorgeht, dass die Verschattung der Einheit jedenfalls des Klägers zu 1) durch die Baumaßnahme der Beklagten zugenommen hat.

c) Der Beseitigungsanspruch der Kläger ist auch nicht deswegen ausgeschlossen, weil der Beklagten dessen Erfüllung nach Treu und Glauben nicht zumutbar ist (vgl. dazu etwa nur OLG Düsseldorf, ZMR 2003, 954). Dem Amtsgericht ist darin zuzustimmen, dass die Beklagte das Risiko des Rückbaus selbst eingegangen ist, indem sie ihre Baumaßnahme hat durchführen lassen, ohne die Zustimmung der übrigen Eigentümer, insbesondere der Kläger einzuholen. Ob sie dabei auf eine – unzutreffende – Aussage der Verwaltung, wonach sie dafür nicht die Zustimmung aller Miteigentümer benötige, vertraut hat oder nicht, bedarf hier keiner Entscheidung, weil sich die Beklagte dadurch gegenüber den Klägern nicht erfolgreich entlasten könnte. Zu den voraussichtlichen Kosten des Rückbaus hat die Beklagte nichts vorgetragen. Aus der ihr erteilten Baugenehmigung vermag die Beklagte gegenüber den Klägern im wohnungseigentumsrechtlichen Kontext nichts herzuleiten, weil diese unbeschadet der Rechte Dritte erteilt wird (vgl. § 72 Abs. 4 HBauO) und die Bauordnungsbehörde die relevanten Kriterien im Sinne von § 14 Ziff. 1 WEG – insbesondere die nachteilige Veränderung des optischen Gesamteindrucks der Anlage – ohnehin nicht zum Gegenstand ihrer Prüfung macht. Dass die Kläger ihren Beseitigungsanspruch nicht im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verfolgt haben, lässt ihr Vorgehen ebenso wenig als treuwidrig erscheinen wie der Umstand, dass zwischen dem Baubeginn und der Klageerhebung gerade einmal 5 Monate gelegen haben.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Ein Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ist nicht veranlasst, weil die Kammer die Revision nicht zugelassen hat und die Nichtzulassungsbeschwerde von Gesetzes wegen ausgeschlossen ist, vgl. § 62 Abs. 2 WEG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.

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