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Beseitigung eines elektronischen Video-Türspions eines Nachbarmieters

AG München –  Az.: 413 C 26749/13 – Urteil vom 04.12.2013

1. Die Beklagte wird verurteilt, die von ihr an ihrer Wohnungstüre der Wohnung … in … angebrachte Videokamera auf ihre Kosten zu entfernen und nicht wieder zu montieren.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 3.500,00 € abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 2.000,00 € festgesetzt.

Tatbestand

Beseitigung eines elektronischen Video-Türspions eines Nachbarmieters
Symbolfoto: Von BrandonKleinVideo /Shutterstock.com

Die Parteien streiten um die Beseitigung eines elektronischen Video-Türspions.

Die Parteien verbindet ein Mietverhältnis über die streitgegenständliche Wohnung im Erdgeschoss des Anwesens … in …

Die Beklagte montierte an ihrer Wohnungseingangstür einen elektronischen Video-Türspion. Dieser Türspion funktioniert dergestalt, daß er tagsüber im „Live-Modus“ das Geschehen im Hausflur im Bereich unmittelbar vor der Wohnungseingangstür auf einen in der Wohnung befindlichen Bildschirm überträgt, aber keine Aufnahmen fertigt. In der Nacht ist das Gerät auf „Automatikmodus“ geschaltet, wodurch bei Aktivierung eines Bewegungsmelders die Videokamera auslöst und das Geschehen im Flur/Treppenhaus im Bereich vor der Wohnungseingangstür der Beklagten aufzeichnet und speichert. Diese Aufnahmen können dann auf dem Bildschirm in der Wohnung oder einem PC angesehen werden.

Die Beklagte sichtet morgens die Aufnahmen der vorangegangenen Nacht und löscht diese, sofern nichts Verdächtiges festgestellt wird. Derzeit sind bei der Beklagten drei Aufnahmen gespeichert, welche den Nachbarn … zeigen.

Die Klägerin forderte die Beklagte mit Schreiben vom 04.04.2013 und 16.04.2013 jeweils unter Fristsetzung vergeblich zur Beseitigung der Kamera auf.

Mit rechtsanwaltlichen Schreiben vom 12.06.2013 und 31.07.2013 forderte die Klägerin die Beklagte erneut, zuletzt mit Fristsetzung zum 09.08.2013 vergeblich auf, die Kamera zu entfernen.

Die Klägerin ist der Auffassung, der installierte Video-Türspion verletze die Mitmieter und Dritte in ihrem Persönlichkeitsrecht und sei daher zu entfernen. Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht sei auch nicht durch Streitigkeiten mit den Mitmietern … gerechtfertigt, diese Streitigkeiten wurden bestritten.

Die Klägerin beantragte: Die Beklagte wird verurteilt, die Von Ihr an ihrer Wohnungstüre der Wohnung … in … angebrachte Videokamera auf ihre Kosten zu entfernen und nicht wieder zu montieren.

Die Beklagte beantragte Klageabweisung.

Die Beklagte trägt vor, sie sei zum Einbau und Betrieb des Türspions berechtigt. Ein Eingriff in das Persönlichkeitsrecht anderer Mieter oder Dritter liege nicht vor, sei aber im Übrigen gerechtfertigt, da die Beklagte Angst vor ihren Nachbarn, der Familie … habe, mit denen sie sich seit Jahren im Streit befinde. Die Beklagte hege seit langem den Verdacht, daß die Eheleute … vor ihrer Wohnungstür stinkende und ätzende Chemikalien versprühen, auch sei es schon mehrmals im Treppenhaus zu verbalen Auseinandersetzungen mit Beleidigungen und Bedrohungen der Eheleute …zu Lasten der Beklagten und einer weiteren Mitmieterin gekommen. Auch habe Herr… die Beklagte schon mehrmals tätlich angegriffen, indem er sie recht rüde in Wohnung gedrängt habe. Am 31.05.2013 gegen 11:00 Uhr habe der Herr … die Beklagte lauthals beschimpft und laut gegen die Wohnungstür geschlagen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird verwiesen auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen, das Protokoll der öffentlichen Sitzung vom 04.12.2013 und die sonstigen Aktenbestandteile.

Entscheidungsgründe

I.

Die zulässige Klage ist vollumfänglich begründet.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Beseitigung der elektronischen Video-Türspionanlage aus §§ 535, 242 BGB und aus §§ 823Abs. 1, 1004 BGB (vgl. Palandt, 73. A. 2014, Einf. v. § 823 Rn. 24 ff., 28 ff.). Hiernach besteht ein Anspruch auf Beseitigung, wenn das allgemeine Persönlichkeitsrecht von Mitmietern oder Dritten verletzt ist und dieser Eingriff nicht gerechtfertigt ist. Hierzu ist eine Interessenabwägung zwischen den Persönlichkeitsrechten der Mitmieter und Dritten und somit dem Schutzinteresse der Klägerin einerseits und dem Eigentumsrecht und Überwachungsinteresse der Beklagten vorzunehmen (vgl. hierzu LG München I, Urteil vom 17.03.2011, 31 S 23230/08).

Eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Mitmieter und Besucher des Anwesens liegt hier vor. Das allgemeinen Persönlichkeitsrecht gem. Art. 2 Abs. 1 GG gibt dem einzelnen einen Anspruch auf Achtung der individuellen Persönlichkeit auch gegenüber einer Privatperson. Es umfasst auch die Freiheit von ungewünschter Kontrolle oder Überwachung durch Dritte, insbesondere in der Privat- und Intimsphäre im häuslichen und privaten Bereich. Dies beinhaltet für die Mitmieter nicht nur die Freiheit, die Wohnung oder das Haus zu verlassen oder zu betreten, ohne daß ein Mitmieter dies stets überwacht und jederzeit feststellen kann. Es beinhaltet darüber hinaus auch das Recht, ungestört und unüberwacht Besuch zu empfangen (vgl. AG München. Urteil vom 16.10.2009, 423 C 34037/08) oder selbst durchzuführen.

Hier ist die Privatsphäre der Mitmieter und Besucher verletzt, da die Videoüberwachung und insbesondere die Videoaufzeichnung in der Nacht im häuslichen Bereich stattfindet. Eine Überwachung des Hausflures, der Hauseingangstür oder anderer gemeinschaftsbezogener Flächen scheidet grundsätzlich aus, da diese Bereiche allgemein zugänglich sind und nicht dem alleinigen Hoheitsbereich der Beklagten unterstehen oder ihrem alleinigen Hausrecht unterfallen (vgl. hierzu Eisenschmid in Schmidt-Futterer, 11. A,§ 535 Rn. 585). Denn die Mitmieter und Besucher, die berechtigt den Flur bzw. das Treppenhaus betreten, werden, sofern sie nachts an der Wohnungstür der Beklagten vorbeigehen, per Video aufgenommen. Da die Beklagte im Erdgeschoss des Anwesens wohnt, müssen die übrigen Mitmieter bzw. deren Besucher an ihrer Wohnungseingangstür vorbei, um zu ihren Wohnungen zu gelangen. Somit werden sie, unabhängig von ihrem Verhalten, nachts gefilmt und die Aufnahmen werden gespeichert. Die Beklagte entscheidet allein, ob die Aufnahmen gelöscht werden oder nicht. Dies stellt eine massive Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Mitmieter und Besucher dar.

Dieser Eingriff ist auch nicht gerechtfertigt. Das wäre nur der Fall, wenn die Überwachung zur Abwehr unmittelbar bevorstehender Angriffe auf die Person des Mieters geeignet und erforderlich war bzw. ist und dieser drohenden Rechtsverletzung nicht anders zumutbar begegnet werden kann (vgl. Eisenschmid in Schmidt-Futterer, 11. A. § 535 Rn. 588 a.E., AG München, Urteil vom 16.10.2009, 423 C 34037/08).

Die Maßnahme der Beklagten ist schon nicht geeignet, die behaupteten drohenden Rechtsverletzungen wirkungsvoll zu verhindern. Die Beklagte behauptet, sie sei mehrfach tagsüber von der Familie … verbal und tätlich angegriffen worden. Tagsüber ist die Videokamera im Türspion nach eigenem Vortrag der Beklagten auf „Live-Modus“ geschaltet und zeichnet nicht auf.

Eine Wirkung hat sie daher nicht auf die sich tagsüber zutragenden Geschehnisse. In der Nacht, in der die grundrechtverletzenden Videoaufzeichnungen gefertigt werden, steht aber ein solcher tätlicher oder verbaler Angriff auf die Beklagte nicht bevor, da diese nachts nicht im Treppenhaus aufhältig ist. Soweit die Beklagte den Verdacht hegt, daß die Familie … vor ihrer Tür Chemikalien versprüht, so fehlt es hier an einem konkret bevorstehenden Angriff. Vermutungen sind nicht ausreichend, einen solchen zu begründen.

Der Eingriff ist jedenfalls aber nicht gerechtfertigt, da das Interesse der Klägerin, die Video-Überwachungskamera zu entfernen, höher zu bewerten ist als das Interesse der Beklagten, den Bereich vor ihrer Wohnungstür dauerhaft zu überwachen.

Dabei war zugunsten der Beklagten berücksichtigen, daß die Beklagte sich im Streit mit den Nachbarn … befindet und nach eigenen Angaben Angst vor diesen hat. Auch kann (trotz des Bestreitens der Gegenseite) angenommen werden, daß es zu verbalen Auseinandersetzungen zwischen der Beklagten und den Mietern … gekommen ist und die Beklagte von Herrn … mehrmals recht rüde in ihre Wohnung gedrängt wurde.

Andererseits ist zugunsten der Klägerin zu berücksichtigen, daß diese aufgrund ihrer Vermieterstellung gegenüber den anderen Mietparteien und deren Besucher verpflichtet ist, Grundrechtsverletzungen durch einen Mitmieter zu unterbinden bzw. zu verhindern. Hierbei handelt es sich um Nebenpflichten aus dem Mietvertrag.

Es handelt sich im vorliegenden Fall um gravierende Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht der Mitmieter und deren Besucher, auf die hier fehlende Bekanntmachung der Videoaufnahmen im Treppenhaus durch ein Warnhinweis kommt es dabei nicht an. Auch im Fall eines Warnhinweises wären die Aufnahmen nicht gerechtfertigt. Weiter war auf Klägerseite zu berücksichtigen, daß in der Nacht durch das Gerät bei Auslösen des Bewegungsmelders Videoaufnahmen gefertigt und gespeichert werden, und zwar unabhängig davon, wer den Bewegungsmelder auslöst bzw. wie sich diese Person verhält. Die Fertigung und Speicherung von Aufnahmen erfolgt somit ohne jeden Zusammenhang zu einem etwaig bevorstehenden Angriff, sondern vielmehr völlig losgelöst von Person und Verhalten dieser Person. Als nächtlicher Angriff kann nach Vortrag der Beklagten allenfalls das von ihr vermutete Versprühen von Chemikalien vor der Tür durch die Familie … gesehen werden. Ein derartiger Angriff wiegt, selbst wenn er unmittelbar bevorstehen würde, indes nicht schwer genug, um einen solch massiven Grundrechtseingriff zu rechtfertigen.

Alsdann war zu bewerten, daß es allein im Entscheidungsbereich der Beklagten liegt, ob die Aufnahmen anschließend gelöscht werden oder aufbewahrt bzw. ob und ggf. wie diese verwendet werden. Ferner war zu berücksichtigen, daß die Beklagte jeden Morgen die in der Nacht zuvor getätigten Aufnahmen sichtet und dabei erfährt, wann welcher Mitbewohner nachts in welcher Begleitung, in welcher Stimmungslage und mit welchem Gesichtsausdruck das Treppenhaus betreten hat. Hierbei handelt es sich um private, sogar intime Momente, an deren Kenntniserlangung der Beklagten keinerlei berechtigtes Interesse zusteht.

Ferner war zu berücksichtigen, daß die Beklagte andere Möglichkeiten hat, etwaigen Angriffen bzw. Streitigkeiten mit der Familie … zu begegnen bzw. sich derer zu entziehen. Bei gravierenden Vorfällen bleibt es ihr unbenommen, die Polizei einzuschalten. Diese wird auch, sofern es sich um hinreichend schwerwiegende Vorkommnisse handelt, ihrer Verfolgungspflicht nachkommen. Sofern es sich um weniger schwerwiegende Sachverhalte handelt, bleibt es der Beklagten unbenommen, sich selbst deeskalierend zu verhalten. Ein derart massiver Eingriff in das Grundrecht anderer Mieter und deren Besucher ist jedenfalls nicht gerechtfertigt.

II.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708Nr. 11, 711 ZPO.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 3 ZPO, § 63 Abs. 2 GKG.

 

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