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Bestandsschutzklausel ohne tatbestandliche Beschränkung – Eigenkündigung

Urteil hebt Räumungsklage wegen Mängeln auf

Im Zentrum des Falls steht die Anfechtung eines Urteils des Amtsgerichts Mitte durch den Beklagten, der gegen die Kündigungen seiner Vermieterin und die daraus resultierende Räumungsklage vorgeht, indem er Mängel der Mietsache geltend macht, welche seiner Ansicht nach im erstinstanzlichen Verfahren nicht ausreichend berücksichtigt wurden.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 67 S 250/23 >>>

✔ Das Wichtigste in Kürze

  • Das Landgericht Berlin hat das Urteil des Amtsgerichts Mitte aufgehoben und zur erneuten Verhandlung zurückverwiesen, da wesentliche Verfahrensmängel, insbesondere die unzureichende Beweisaufnahme zu behaupteten Mängeln der Mietsache, festgestellt wurden.
  • Es wird betont, dass das Berufungsgericht die umfassende Beweisaufnahme für notwendig hält, um zu klären, ob die vom Beklagten geltend gemachten Beeinträchtigungen durch die touristische Nutzung benachbarter Wohnungen und weitere Mängel, wie Wassereinbrüche, eine Mietminderung oder den Ausschluss des Zahlungsverzugs rechtfertigen könnten.
  • Die Entscheidung unterstreicht die Bedeutung einer sorgfältigen und vollständigen Beweiserhebung im Gerichtsverfahren, insbesondere wenn es um die Geltendmachung von Mängeln der Mietsache geht.
  • Es wird darauf hingewiesen, dass das Amtsgericht nun die Möglichkeit hat, auf Basis einer umfangreichen Beweisaufnahme erneut zu entscheiden, wobei auch die rechtlichen Folgen einer eventuellen touristischen Nutzung der Nachbarwohnungen neu zu bewerten sind.
  • Die Bestandsschutzklausel im Mietvertrag des Beklagten, die ohne tatbestandliche Beschränkung jede vermieterseitige Kündigung erfasst, einschließlich solcher, die auf Zahlungspflichtverletzungen gestützt sind, wird als relevant für das Verfahren hervorgehoben.
  • Das Landgericht hat entschieden, dass die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils aufgrund gesetzlicher Bestimmungen erfolgt, wobei eine Revision nicht zugelassen wurde.
  • Abschließend betont das Urteil die Bedeutung eines zweizügigen Instanzenzugs zur sorgfältigen Überprüfung und Fairness im Rechtsprozess, insbesondere bei umfangreichen Beweisaufnahmen.

Bestandsschutz beim Mietvertrag

Eine Bestandsschutzklausel soll Mieter vor unberechtigter Kündigung durch den Vermieter schützen. Sie ist fester Bestandteil vieler Mietverträge und wird meist im Zusammenhang mit einer Eigenbedarfskündigung diskutiert. Weniger bekannt ist, dass Bestandsschutzklauseln ohne tatbestandliche Einschränkung deutlich weiterreichenden Kündigungsschutz bieten – auch bei Kündigungen wegen Zahlungsverzugs.

Verstößt ein Vermieter gegen eine solche Klausel, können Kündigungen unwirksam sein. Die Folge: Mieter behalten das Recht auf Weiterbewohnung der Wohnung. Diese spezielle Form des Bestandsschutzes wirft rechtliche Fragen auf. Was genau regeln entsprechende Klauseln? Welche Anforderungen müssen sie erfüllen? Und welche Rechte haben Mieter im Streitfall?

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➜ Der Fall im Detail


Der Streit um Mietmängel und deren Folgen

In einem aufsehenerregenden Fall hat das Landgericht Berlin II (Az.: 67 S 250/23) ein Urteil des Amtsgerichts Mitte aufgehoben, das zuvor der klagenden Vermieterin Recht gegeben hatte. Diese forderte vom beklagten Mieter sowohl Räumung als auch Zahlung nach mehreren Kündigungen. Die Kündigungen wurden mit Zahlungsverzug und unpünktlichen Mietzahlungen begründet, obwohl der Beklagte Mängel der Mietsache geltend machte. Diese Mängel, einschließlich Beeinträchtigungen durch die touristische Nutzung benachbarter Wohnungen, wurden vom Amtsgericht nicht hinreichend berücksichtigt, was zur Berufung des Beklagten führte.

Berufungsgericht sieht Verfahrensfehler

Das Berufungsgericht identifizierte wesentliche Mängel im ersten Verfahren und entschied auf eine Rückverweisung des Falls zur erneuten Verhandlung. Besonders kritisiert wurde, dass das Amtsgericht trotz substantiierten Vortrags des Beklagten zu den Mängeln keine Beweise erhoben hatte. Diese Entscheidung unterstreicht die Notwendigkeit einer umfassenden Beweisaufnahme, wenn behauptete Mängel der Mietsache eine Rolle spielen.

Die Bedeutung der Bestandsschutzklausel

Eine Schlüsselrolle im Verfahren spielte die Bestandsschutzklausel des Mietvertrags, die ohne tatbestandliche Beschränkung formuliert wurde. Das Berufungsgericht stellte klar, dass diese Klausel nicht nur Eigenbedarfskündigungen, sondern alle vermieterseitigen Kündigungen umfasst. Diese Interpretation erweitert den Schutz des Mieters erheblich und fordert eine genaue Prüfung der Kündigungsgründe, insbesondere im Kontext von Zahlungspflichtverletzungen.

Umfangreiche Beweisaufnahme erforderlich

Das Landgericht betonte die Notwendigkeit einer umfangreichen Beweisaufnahme, um die vom Beklagten geltend gemachten Mängel der Mietsache zu klären. Diese Mängel könnten, sofern sie nachgewiesen werden, den Zahlungsverzug des Beklagten ausschließen oder zumindest mindern. Die Entscheidung hebt hervor, dass die Feststellung und Bewertung von Mängeln eine detaillierte Untersuchung erfordert, die im ersten Verfahren nicht geleistet wurde.

Keine Revision zugelassen

Interessant ist auch, dass das Gericht keine Revision gegen sein Urteil zuließ, was die Endgültigkeit der Entscheidung im Instanzenzug betont. Die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wurde bestätigt, womit das Verfahren zunächst auf die Ebene des Amtsgerichts zurückverlagert wird, wo nun eine neue Bewertung unter Berücksichtigung der vom Landgericht aufgezeigten Fehler erfolgen muss.

Dieser Fall zeigt eindrucksvoll, wie komplex Mietrechtsstreitigkeiten sein können, insbesondere wenn es um die Beurteilung von Mängeln und deren Auswirkungen auf Kündigungen geht. Die Bedeutung einer sorgfältigen Verfahrensführung und Beweisaufnahme kann nicht hoch genug eingeschätzt werden, um den Interessen beider Parteien gerecht zu werden.

✔ Häufige Fragen – FAQ

Was versteht man unter einer Bestandsschutzklausel?

Eine Bestandsschutzklausel ist eine vertragliche Vereinbarung, die Mietverhältnisse vor bestimmten Kündigungsgründen schützen soll. Sie gewährt dem Mieter einen erhöhten Kündigungsschutz und sichert so den langfristigen Bestand des Mietverhältnisses.

Bedeutung für Mieter

Für Mieter von Gewerberäumen ist der langfristige Bestandsschutz besonders wichtig, da sie bei einer Kündigung Gefahr laufen, ihr Geschäft und damit ihre wirtschaftliche Existenz zu verlieren. Die Bestandsschutzklausel verhindert, dass der Vermieter das Mietverhältnis aus beliebigen Gründen kündigen kann.

Rechtliche Aspekte

Nach § 573 Abs. 4 BGB sind Vereinbarungen, die zum Nachteil des Mieters von den gesetzlichen Kündigungsvorschriften abweichen, unwirksam. Eine Bestandsschutzklausel, die den Kündigungsschutz für den Mieter erhöht, ist jedoch zulässig.

Der erhöhte Kündigungsschutz aus einer solchen Klausel geht auch auf einen neuen Vermieter über, wenn die Immobilie verkauft wird (§ 566 Abs. 1 BGB).

Bestandsschutzklauseln finden sich häufig in Mietverträgen von Wohnungsbaugenossenschaften oder gemeinnützigen Vermietern, die über die reine Einnahmenerzielung hinausgehende Zwecke verfolgen.

Wie wirkt sich eine Bestandsschutzklausel ohne tatbestandliche Beschränkung auf Kündigungen aus?

Eine Bestandsschutzklausel ohne tatbestandliche Beschränkung auf bestimmte Kündigungsgründe wie Eigenbedarf gewährt dem Mieter einen sehr weitreichenden Kündigungsschutz. Hier einige zentrale Punkte:

Erhöhte Anforderungen an Kündigungen

  • Der Vermieter kann das Mietverhältnis nicht mehr aus beliebigen Gründen kündigen, sondern muss ein besonders wichtiges Interesse für die Kündigung darlegen.
  • Für eine Eigenbedarfskündigung reicht der bloße Eigenbedarf nicht aus. Es muss ein „Eigenbedarf +x“, also zusätzliche gewichtige Umstände vorliegen, die die Kündigung zwingend erforderlich machen.
  • Bei der Prüfung sind nicht nur die Vorstellungen des Vermieters relevant, sondern auch die Zumutbarkeit für den Mieter, anderweitig Ersatzwohnraum zu finden.

Weitreichender Bestandsschutz

  • Die Klausel schützt den Mieter nicht nur vor Eigenbedarfskündigungen, sondern vor sämtlichen ordentlichen Kündigungen durch den Vermieter.
  • Selbst bei Verkauf der Immobilie geht der erhöhte Kündigungsschutz auf den neuen Eigentümer über (§ 566 Abs. 1 BGB).
  • Solche Klauseln finden sich häufig bei Wohnungsbaugenossenschaften oder gemeinnützigen Vermietern, die über reine Gewinnerzielung hinausgehende Zwecke verfolgen.

Der Mieter genießt somit einen sehr hohen Bestandsschutz, der Kündigungen durch den Vermieter außer in zwingenden Ausnahmefällen praktisch ausschließt.

Was bedeutet „Eigenkündigung“ im Kontext eines Mietverhältnisses?

Der Begriff „Eigenkündigung“ im Kontext eines Mietverhältnisses bezieht sich auf die Kündigung des Mietvertrags durch den Vermieter aufgrund von Eigenbedarf.

Hier die wichtigsten Punkte:

  • Eine Eigenkündigung oder Eigenbedarfskündigung ist ein gesetzlich geregelter Kündigungsgrund, bei dem der Vermieter die Wohnung für sich selbst oder nahe Angehörige wie Kinder oder Eltern benötigt (§ 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB).
  • Der Vermieter muss den Eigenbedarf glaubhaft darlegen und begründen. Ein vorgetäuschter Eigenbedarf ist rechtsmissbräuchlich und kann zu Schadensersatzansprüchen des Mieters führen.
  • Es reicht nicht aus, wenn der Vermieter die Wohnung lediglich anderweitig besser vermieten oder verkaufen möchte. Der Eigenbedarf muss echt und zwingend sein.
  • Bei einer berechtigten Eigenbedarfskündigung hat der Mieter aber oft die Möglichkeit, der Kündigung zu widersprechen und so den Auszug hinauszuzögern, wenn ihn die Kündigung besonders hart trifft.
  • Die Kündigungsfrist bei Eigenbedarf beträgt regulär 3 Monate zum Quartalsende, kann in Ausnahmefällen aber auch länger sein.

Die Eigenkündigung ist also ein Sonderfall, bei dem das Interesse des Vermieters an der Nutzung überwiegt, solange der Eigenbedarf nachgewiesen und nicht nur vorgeschoben ist.

§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils

  • § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO (Zivilprozessordnung): Regelt die Möglichkeit der Rückverweisung eines Falls an das vorherige Gericht, wenn im ersten Rechtszug wesentliche Mängel vorlagen, die eine umfangreiche Beweisaufnahme erforderlich machen. Im Kontext des vorliegenden Falls wurde das Urteil des Amtsgerichts aufgehoben und zur neuen Verhandlung zurückverwiesen, weil das Verfahren an wesentlichen Mängeln litt.
  • § 536 Abs. 1 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch): Bestimmt das Recht zur Minderung der Miete bei Mängeln der Mietsache. Dieser Paragraph ist relevant, da im Fall behauptet wurde, dass Mängel an der Mietsache nicht zur einer gerechtfertigten Minderung geführt haben, was zentraler Bestandteil der rechtlichen Auseinandersetzung war.
  • § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB: Betrifft das außerordentliche Kündigungsrecht mit gesetzlicher Frist bei schuldhafter erheblicher Verletzung vertraglicher Pflichten durch den Mieter. Dieser Aspekt ist relevant für die Beurteilung der Wirksamkeit der Kündigungen, die im Urteil diskutiert wurden.
  • Mietrecht: Der gesamte Fall bewegt sich im Bereich des Mietrechts, speziell im Kontext von Kündigungen, Mietmängeln und den Rechten und Pflichten von Mietern und Vermietern.
  • Beweisaufnahme: Obwohl keine spezifische gesetzliche Regelung genannt wurde, spielt die Beweisaufnahme eine wesentliche Rolle in der juristischen Prüfung und Beurteilung von behaupteten Mietmängeln und deren Auswirkungen auf Kündigungsentscheidungen.
  • Bestandsschutzklauseln im Mietvertrag: Diese Klauseln, die ohne tatbestandliche Beschränkung jede vermieterseitige Kündigung erfassen können, sind spezifisch für den Mietvertrag und wurden im Kontext des Urteils als besonders relevant hervorgehoben, insbesondere in Bezug auf ihre Auslegung und Anwendung in diesem Fall.


Das vorliegende Urteil

LG Berlin II – Az.: 67 S 250/23 – Urteil vom 13.02.2024

Auf die Berufung des Beklagten wird das am 20. August 2023 verkündete Urteil des Amtsgerichts Mitte aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten des Berufungsverfahrens an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die klagende Vermieterin begehrt von dem beklagten Mieter nach Ausspruch mehrerer Kündigungen Räumung und Zahlung.

Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, die vom Beklagten behaupteten Mängel der Mietsache berechtigten nicht zu einer über einen von der Klägerin bereits gewährten Mietnachlass hinausgehenden Minderung. Der Vortrag des Beklagten zu angeblichen Beeinträchtigungen durch die touristische Nutzung mehrerer Nachbarwohnungen sei nicht hinreichend substantiiert.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Urteil des Amtsgerichts Bezug genommen.

Gegen das ihm am 31. August 2023 zugestellte Urteil hat der Beklagte mit am 26. September 2023 eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese nach vorheriger Fristverlängerung mit am gleichem Tag eingegangenem Schriftsatz vom 10. November 2023 begründet.

Die Berufung rügt im Wesentlichen, das Amtsgericht habe verfahrensfehlerhaft keinen Beweis erhoben, obwohl der Beklagte hinreichend konkret zu den von ihm behaupteten Mängeln vorgetragen habe.

Der Beklagte beantragt, das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen, hilfsweise, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen.

Die Klägerin beantragen, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die erst- und zweitinstanzlich gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die statthafte, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

Der Rechtsstreit war wie geschehen unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils gem. § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO auf den Antrag des Beklagten an das Amtsgericht zurückzuverweisen. Danach darf das Berufungsgericht die Sache unter Aufhebung des Urteils zurückverweisen, soweit das Verfahren des ersten Rechtszugs an einem wesentlichen Mangel leidet und auf Grund dieses Mangels eine umfangreiche oder aufwändige Beweisaufnahme erforderlich ist. Diese Voraussetzungen sind erfüllt.

Das angefochtene Urteil beruht auf einer fehlerhaften Behandlung des Parteivorbringens, indem es zwischen den Parteien streitige Tatsachen als unstreitig behandelt und eindeutiges Parteivorbringen offensichtlich sachwidrig und damit objektiv fehlerhaft gewürdigt hat (vgl. BVerfG Beschluss vom 7. April 1981 – 2 BvR 911/80, BVerfGE 57, 42; Heßler, in: Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 538 Rz. 18, 25, jeweils m.w.N.).

Das Amtsgericht hat den von der Klägerin geltend gemachten Räumungsanspruch bejaht, da Mängel der Mietsache der Wirksamkeit der im Wesentlichen auf Zahlungsverzug und unpünktliche Mietzahlungen des Beklagten gestützten Kündigungen nicht entgegengestanden hätten. Die geltend gemachten Mietzinsansprüche bestünden ebenfalls, da die von dem Beklagten behaupteten Mängel sämtlich nicht vorgelegen hätten.

Das ist – mit Ausnahme der von der Berufung nicht mehr angegriffenen Verneinung baubedingter Umfeldmängel – nicht frei von Verfahrensfehlern. Denn das Amtsgericht hat es trotz hinreichenden Sachvortrags des Beklagten verfahrensfehlerhaft unterlassen, Beweis über die vom Beklagten behaupteten Beeinträchtigungen durch die touristische Nutzung der benachbarten Wohnungen zu erheben (vgl. zu letzterem Kammer Urt. v. 6. Oktober 2016 – 67 S 203/16, ZMR 2017, 237 m.w.N.). Soweit das Amtsgericht näheren Sachvortrag des Beklagten zu den von ihm behaupteten Mängeln vermisst hat, beruht dies auf einer Überspannung der Substantiierungsanforderungen an den Sachvortrag des Mieters zum Vorliegen von ihm behaupteter Mängel (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschluss vom 27. Juli 2016 – XII ZR 59/14, NZM 2016, 796, beckonline Tz. 5 ff.). Das Vorbringen des Beklagten ist entscheidungserheblich, weil es möglich ist, dass die behaupteten Beeinträchtigungen im Falle ihrer Erweislichkeit jedenfalls in der Zusammenschau mit der im Wesentlichen unstreitigen Vielzahl von Wassereinbrüchen in einem über die von der Klägerin gewährte Minderung hinausgehenden Ausmaß dem vom Amtsgericht angenommenen Zahlungsverzug des Beklagten entgegenstehen oder diesen sogar vollständig ausschließen.

Davon ausgehend ist nunmehr unter Ausschöpfung sämtlicher Beweismittel zunächst umfänglicher Beweis zu dem von dem Beklagten behaupteten Mängeln der Mietsache – mit Ausnahme der im ersten Rechtszug behaupteten baubedingten Umfeldmängel – zu erheben. Dabei wird das Amtsgericht abhängig vom Ausgang der Beweiserhebung zu berücksichtigen haben, dass Mängel der Mietsache den Mieter nicht nur zur Minderung des Mietzinses nach § 536 Abs. 1 BGB berechtigen, sondern zusätzlich auch zur Zurückbehaltung des Mietzinses (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urt. v. 3. November 2010 – VIII ZR 330/09, NJW-RR 2011, 447, beckonline Tz. 12). Das Zurückbehaltungsrecht kann auch konkludent ausgeübt werden und hindert unabhängig von seiner Ausübung den Eintritt des Verzuges (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urt. 7. Oktober 1998 – VIII ZR 100/97, NJW 1999, 53). Das Amtsgericht wird abhängig vom Beweisergebnis zusätzlich zu erwägen haben, ob, gegebenenfalls welche zusätzlichen gewährleistungs- und kündigungsrechtlichen Folgen sich aus einer etwaigen touristischen Nutzung der benachbarten Wohnungen nach dem Urteil des OVG Berlin-Brandenburg vom 28. September 2023 (5 B 5/22) ergeben.

Hinsichtlich des Räumungsanspruchs hat das Amtsgerichts entsprechend § 563 Abs. 2 ZPO davon auszugehen, dass die in § 4 Abs. 3 des Mietvertrags enthaltene gesetzesverstärkende Bestandsschutzklausel der Auslegung der Klägerin zuwider nicht nur Eigenbedarfskündigungen, sondern mangels tatbestandlicher Einschränkung jede vermieterseitige Kündigung erfasst. Dazu zählen auch auf Zahlungspflichtverletzungen des Mieters gestützte Kündigungen (vgl. Kammer, Urt. v. 22. August 2019 – 67 S 51/19, WuM 2019, 581, beckonline Tz. 21 ff.). Die Reichweite der Klausel wird allerdings durch dessen Satz 3 mitbestimmt. Danach richtet sich „die fristlose Kündigung … nach Nr. 10 AVB, Fassung D 2001“. Der Klägerin wird Gelegenheit zu geben sein, die bislang nicht zu den Akten gelangten „AVB“ nachzureichen. Unabhängig davon hat das Amtsgericht davon auszugehen, dass die streitgegenständlichen Kündigungen, soweit sie auf einen Zahlungsverzug des Beklagten gestützt sind, im Lichte von § 4 Abs. 3 des Mietvertrages allenfalls dann wirksam sind, wenn zusätzlich die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB erfüllt sind. Soweit die Klägerin über den Zahlungsverzug hinaus weitere Zahlungs- und sonstige Pflichtverletzungen des Beklagten behauptet hat, reichen diese gemäß § 4 Abs. 3 des Mietvertrages zur kündigungsbedingten Beendigung des Mietverhältnisses nicht aus.

Die Kammer hat das ihr gemäß § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO eingeräumte Ermessen hinsichtlich einer eigenen Sachentscheidung oder einer Aufhebung und Zurückverweisung mit dem sich aus dem Tenor ersichtlichen Ergebnis ausgeübt (vgl. BGH, Urt. v. 5. Juli 2011 − II ZR 188/09, NZG 2011, 996, beckonline Tz. 7). Denn eine Aufhebung und Zurückverweisung war hier wegen des Umfangs der durchzuführenden Beweisaufnahme nicht nur gerechtfertigt, sondern trotz der damit für die Parteien verbundenen Nachteile allein wegen des Erhalts eines zumindest zweizügigen Instanzenzugs zur Überprüfung der umfangreichen Beweiserhebung geboten (vgl. BGH, Urt. v. 5. Juli 2011, a.a.O.).

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Gründe, die Revision gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO zuzulassen, bestanden nicht.

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