Übersicht
- Das Wichtigste: Kurz & knapp
- Revolution im Treppenhaus: BGH kippt „Alles-oder-Nichts“ bei der Jahresabrechnung – Was Wohnungseigentümer jetzt wissen müssen
- Der Stein des Anstoßes: Frau S. und die 10.000 Euro aus der Rücklage
- Die juristische Zwickmühle: Warum die Teilanfechtung umstritten war
- Die Entscheidung des BGH: Ein Sieg für Pragmatismus und Eigentümerrechte
- Leitsatz 1: Erhaltungsrücklage gehört nicht in die Abrechnungsspitze
- Was das BGH-Urteil für Sie als Wohnungseigentümer bedeutet: die praktischen Folgen
- Ihr Fahrplan bei Zweifeln an der Jahresabrechnung: Praktische Tipps
- FAQ: Häufige Fragen zur Teilanfechtung der Abrechnungsspitze
- Kann ich jetzt jeden kleinen Fehler in der Abrechnung anfechten?
- Was passiert, wenn der Fehler nicht klar abgrenzbar ist?
- Gilt das Urteil auch für alte Abrechnungen?
- Wer trägt die Kosten, wenn ich nur teilweise Recht bekomme?
- Muss die Verwaltung jetzt anders abrechnen?
- Was ist, wenn die Eigentümerversammlung den fehlerhaften Beschluss trotz Kenntnis des Fehlers fasst?
- Fazit: Ein Schritt zu mehr Gerechtigkeit im Wohnungseigentum

Das Wichtigste: Kurz & knapp
- Sie können jetzt nur fehlerhafte Teile der Jahresabrechnung Ihrer Wohnungseigentümergemeinschaft anfechten – nicht mehr nur alles komplett oder gar nichts. Das macht es einfacher und günstiger, Fehler zu korrigieren.
- Betroffen sind alle Wohnungseigentümer, die Jahresabrechnungen erhalten und mögliche Fehler entdecken, insbesondere wenn es um die korrekte Behandlung von Rücklagen wie der Erhaltungsrücklage geht.
- Praktisch heißt das: Wenn ein Teil der Abrechnung falsch ist, z. B. weil Entnahmen aus der Rücklage fälschlich eingerechnet wurden, können Sie diesen Teil gezielt anfechten, ohne die ganze Abrechnung anzufechten. So sparen Sie Zeit, Nerven und Prozesskosten.
- Hintergrund ist ein Urteil des Bundesgerichtshofs vom 11. April 2025, das feststellt, dass die Jahresabrechnung trotz reformiertem Gesetz in einzelne Teilbeträge zerlegt und bei Fehlern teilweise korrigiert werden kann – vorausgesetzt der Fehler ist klar abgrenzbar und die Eigentümer würden den Rest trotzdem akzeptieren.
- Die Entscheidung stärkt Ihre Rechte, verhindert unnötige Streitigkeiten und senkt die Kosten für Eigentümer und die Verwaltung. Zudem stellt sie klar, dass Rücklagenentnahmen nicht die Abrechnungsspitze erhöhen dürfen.
- Wichtig: Sie müssen Ihre Einwände innerhalb eines Monats nach dem Beschluss anmelden, sonst wird die Abrechnung rechtskräftig, auch wenn Fehler vorliegen. Prüfen Sie Ihre Abrechnung sorgfältig und wenden Sie sich gegebenenfalls frühzeitig an Experten oder Anwälte.
- Das Urteil gilt für alle Jahresabrechnungen nach der WEG-Reform 2020, bei denen die Anfechtungsfrist noch läuft oder Verfahren bislang nicht abgeschlossen sind.
Quelle: Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 11. April 2025 (Aktenzeichen V ZR 96/24)
Revolution im Treppenhaus: BGH kippt „Alles-oder-Nichts“ bei der Jahresabrechnung – Was Wohnungseigentümer jetzt wissen müssen
Stellen Sie sich vor, Sie erhalten die Jahresabrechnung Ihrer Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG). Ein dicker Umschlag, gefüllt mit Zahlenkolonnen, Umlageschlüsseln und am Ende die Aufforderung zu einer saftigen Nachzahlung. Beim Durchsehen entdecken Sie einen Fehler – vielleicht nur eine kleinere Position, aber dennoch ärgerlich und falsch. Bisher standen Sie oft vor einem Dilemma: Entweder Sie akzeptieren den Fehler zähneknirschend, oder Sie müssen die gesamte Abrechnung gerichtlich anfechten, mit hohen Kosten und ungewissem Ausgang. Dieses „Alles-oder-Nichts“-Prinzip hat viele Eigentümer frustriert und zu unnötigen Konflikten geführt. Doch damit ist jetzt Schluss.
Der Bundesgerichtshof (BGH), Deutschlands oberstes Zivilgericht, hat am 11. April 2025 ein Urteil gefällt, das die Spielregeln für die Anfechtung von WEG-Jahresabrechnungen grundlegend ändert (Aktenzeichen V ZR 96/24). Diese Entscheidung ist mehr als nur eine juristische Feinheit – sie ist ein echter Durchbruch für mehr Fairness und Pragmatismus in Wohnungseigentümergemeinschaften. Sie beendet eine jahrelange Unsicherheit und gibt Eigentümern ein schärferes Schwert an die Hand, um fehlerhafte Abrechnungen gezielt zu korrigieren, ohne gleich das ganze Zahlenwerk über Bord werfen zu müssen.
Der Stein des Anstoßes: Frau S. und die 10.000 Euro aus der Rücklage
Um die Bedeutung des Urteils zu verstehen, werfen wir einen Blick auf den konkreten Fall, der bis vor den BGH getragen wurde. Nennen wir die Klägerin Frau S. Sie ist Eigentümerin einer Wohnung in Leipzig. Wie jedes Jahr flatterte ihr die Jahresabrechnung ins Haus. Darin enthalten war auch die sogenannte „Abrechnungsspitze“.
Was ist das genau? Seit der Reform des Wohnungseigentumsgesetzes (WEG) beschließen die Eigentümer formal nicht mehr über die gesamte Abrechnung mit all ihren Einzelposten, sondern nur noch über das Ergebnis: Müssen Nachschüsse gezahlt werden, weil die monatlichen Vorschüsse (das Hausgeld) nicht ausreichten? Oder gibt es sogar eine Gutschrift, weil zu viel vorausgezahlt wurde? Dieses Ergebnis – die Differenz zwischen tatsächlichen Kosten und geleisteten Vorschüssen, aufgeteilt auf die einzelnen Eigentümer – nennt man Abrechnungsspitze. Sie ist der Betrag, der letztlich eingefordert oder erstattet wird.
In der Abrechnung von Frau S.‘ Gemeinschaft tauchte nun ein Posten auf, der Fragen aufwarf: 10.000 Euro waren aus der Erhaltungsrücklage entnommen worden. Die Erhaltungsrücklage ist eine Art gemeinsames Sparschwein der WEG, gedacht für größere Reparaturen und Instandhaltungen am Gemeinschaftseigentum, wie Dachreparaturen oder Fassadensanierungen. Diese Entnahme floss nun aber in die Berechnung der Abrechnungsspitze ein und erhöhte damit indirekt die von den Eigentümern zu tragenden Kosten, genauer gesagt verringerte mögliche Guthaben.
Frau S. und andere Eigentümer hielten das für falsch. Sie argumentierten: Geld aus der Rücklage ist bereits von den Eigentümern angespart worden. Es darf nicht wie eine neue Ausgabe behandelt werden, die über die Jahresabrechnung umgelegt wird. Sie zogen vor Gericht. Der Fall durchlief die Instanzen:
- Amtsgericht Leipzig (Urteil vom 20.07.2023, Az. 150 C 79/23): Hier bekamen die Kläger zunächst nicht vollständig Recht.
- Landgericht Dresden (Urteil vom 03.05.2024, Az. 2 S 327/23): Das Landgericht als Berufungsinstanz sah den Fehler. Es erklärte den Beschluss über die Abrechnungsspitze aber nicht komplett für ungültig, sondern nur teilweise – nämlich genau in Höhe des strittigen Betrags aus der Erhaltungsrücklage.
Diese Entscheidung des Landgerichts war mutig, denn sie widersprach der bis dahin vorherrschenden Meinung vieler Gerichte und Juristen. Sie war der Auslöser für die Grundsatzentscheidung des BGH. Die Kernfrage lautete: Ist eine solche „Teilanfechtung“ oder teilweise Ungültigerklärung der Abrechnungsspitze nach neuem WEG-Recht überhaupt zulässig?
Die juristische Zwickmühle: Warum die Teilanfechtung umstritten war
Vor der WEG-Reform 2020 war die Rechtslage anders. Damals beschlossen die Eigentümer über die gesamte Abrechnung. Einzelne Fehler konnten oft isoliert angefochten werden. Mit der Reform wurde aber klargestellt, dass nur noch über die Abrechnungsspitze (§ 28 Abs. 2 Satz 1 WEG) beschlossen wird.
Das führte zu einer kontroversen Debatte unter Juristen:
Argumente gegen die Teilanfechtung:
- Ein einziger Beschlussgegenstand: Die Gegner der Teilanfechtung, darunter renommierte Landgerichte wie Frankfurt am Main und München sowie viele Kommentatoren, argumentierten streng nach dem Wortlaut des Gesetzes: Beschlussgegenstand sei nur die Abrechnungsspitze, also der finale Saldo. Einzelne Kostenpositionen seien nicht Teil des Beschlusses.
- Fehler wirkt sich immer auf das Ganze aus: Ein Fehler in einer einzelnen Kostenposition, so die Argumentation, verfälsche zwangsläufig das Gesamtergebnis, also die Abrechnungsspitze. Daher könne der Beschluss nur insgesamt richtig oder falsch sein. Eine „Rosinenpickerei“, bei der nur einzelne Fehler herausgegriffen werden, sei nicht möglich. Das alte „Alles-oder-Nichts“-Prinzip lebte hier fort.
Argumente für die Teilanfechtung:
- Rechenweg bleibt prüfbar: Die Befürworter, zu denen sich nun auch der BGH zählt, hielten dagegen: Auch wenn formal nur über das Ergebnis abgestimmt wird, basiert dieses Ergebnis auf einem nachvollziehbaren Rechenweg mit einzelnen Kostenpositionen. Diese müssten prüfbar und bei Fehlern auch isoliert angreifbar bleiben.
- Abrechnungsspitze als Summe von Teilforderungen: Die Abrechnungsspitze sei letztlich nur die Summe vieler kleinerer Forderungen, die sich aus den einzelnen Kostenarten (Heizung, Wasser, Versicherung, Verwaltung etc.) ergeben. Wenn eine dieser Teilforderungen fehlerhaft sei, könne sie auch isoliert korrigiert werden.
- Praktikabilität: Wenn ein Beschluss nur teilweise für ungültig erklärt wird, muss die Gemeinschaft nicht die gesamte Abrechnung neu aufrollen und beschließen, sondern nur den fehlerhaften Teil korrigieren und darüber neu abstimmen. Das spart Zeit und Aufwand.
Der BGH stand also vor der Aufgabe, diesen juristischen Knoten durchzuschlagen und für Klarheit zu sorgen.
Die Entscheidung des BGH: Ein Sieg für Pragmatismus und Eigentümerrechte
Der V. Zivilsenat des BGH schloss sich in seiner Entscheidung vom 11. April 2025 der Auffassung an, die eine Teilanfechtung der Abrechnungsspitze zulässt. Die Richter knüpften dabei an frühere Rechtsprechung an, mussten diese aber an die veränderte Rechtslage nach der WEG-Reform anpassen. Ihre Begründung stützt sich auf mehrere Säulen:
- Praktische Vernunft: Die Richter betonten, dass Wohnungseigentümer in der Regel daran interessiert sind, Beschlüsse möglichst effizient und endgültig zu fassen. Ständige Wiederholungen von Eigentümerversammlungen wegen kleinerer Fehler sollen vermieden werden. Würde jeder noch so kleine Fehler zur Ungültigkeit der gesamten Abrechnungsspitze führen, wäre dieses Ziel unerreichbar. Es käme zu unnötigen Verzögerungen und Rechtsunsicherheiten. Das „Alles-oder-Nichts“-Prinzip sei lebensfremd.
- Prozessökonomie und Kosten: Ein weiterer wichtiger Punkt sind die Kosten. Müsste ein Eigentümer wegen eines Fehlers von vielleicht wenigen hundert Euro die gesamte Abrechnungsspitze anfechten, deren Gesamtsumme für die Gemeinschaft oft im fünf- oder sechsstelligen Bereich liegt, würde der Streitwert (der Wert, nach dem sich Gerichts- und Anwaltskosten berechnen) unverhältnismäßig hoch. Dies könnte Eigentümer davon abhalten, berechtigte Einwände geltend zu machen. Die Möglichkeit der Teilanfechtung begrenzt den Streitwert auf den tatsächlich strittigen Betrag und hält die Kosten im Rahmen. Das schützt den einzelnen Eigentümer vor übermäßigen Prozessrisiken.
- Die Teilbarkeitsprüfung nach § 139 BGB (analog): Wie entscheidet man nun, ob ein Fehler nur einen Teil oder doch den gesamten Beschluss kippt? Hier zieht der BGH eine Parallele zu einer Regelung aus dem allgemeinen Vertragsrecht, dem § 139 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Diese Vorschrift besagt vereinfacht: Ist ein Teil eines Rechtsgeschäfts (z. B. eines Vertrags) nichtig, ist im Zweifel das ganze Geschäft nichtig, es sei denn, man kann annehmen, dass es auch ohne den nichtigen Teil abgeschlossen worden wäre.Übertragen auf den WEG-Beschluss bedeutet das: Ein Beschluss über die Abrechnungsspitze ist dann teilweise anfechtbar, wenn zwei Bedingungen erfüllt sind:
- Rechnerische Trennbarkeit: Der fehlerhafte Teil (z.B. eine falsch berechnete Kostenposition) muss rechnerisch klar abgrenzbar und isolierbar sein vom Rest der Abrechnungsspitze. Im Fall von Frau S. waren das die klar bezifferbaren 10.000 Euro aus der Erhaltungsrücklage.
- Hypothetischer Wille der Eigentümer: Es muss anzunehmen sein, dass die Eigentümer den Beschluss auch ohne den fehlerhaften Teil – also mit der korrigierten, niedrigeren Abrechnungsspitze – gefasst hätten. Der BGH geht hier in der Regel davon aus, dass die Eigentümer das objektiv Vernünftige und Richtige gewollt hätten. Wenn also nur ein klarer Rechen- oder Buchungsfehler vorliegt, der Rest der Abrechnung aber korrekt ist, werden die Eigentümer im Normalfall den korrekten Teil auch beschließen wollen.
Im Fall von Frau S. sah der BGH beide Voraussetzungen als erfüllt an. Der Fehler (die Einbeziehung der 10.000 Euro) war klar abgrenzbar. Und es war davon auszugehen, dass die Eigentümer die Abrechnungsspitze auch ohne diesen fehlerhaften Betrag beschlossen hätten. Das Urteil des Landgerichts Dresden, das den Beschluss nur teilweise für ungültig erklärte, wurde somit bestätigt.
Leitsatz 1: Erhaltungsrücklage gehört nicht in die Abrechnungsspitze
Neben der grundsätzlichen Zulassung der Teilanfechtung stellte der BGH noch etwas Wichtiges klar, das im Fall von Frau S. der Auslöser war: Entnahmen aus der Erhaltungsrücklage sind verteilungsneutral und dürfen nicht in die Abrechnungsspitze einfließen.
Was bedeutet das? Die Abrechnungsspitze soll nur das Ergebnis der Verteilung der im Abrechnungsjahr tatsächlich angefallenen Kosten und Einnahmen widerspiegeln. Die Erhaltungsrücklage ist aber bereits vorhandenes Vermögen der Gemeinschaft. Wenn daraus Geld entnommen wird, um z. B. eine Reparatur zu bezahlen, dann ist das lediglich eine interne Umbuchung auf dem Gemeinschaftskonto. Es stellt keine neue, umlagefähige Ausgabe dar.
Experten-Wissen: Was ist die Erhaltungsrücklage?
Die Erhaltungsrücklage (früher oft Instandhaltungsrücklage genannt) ist eine zweckgebundene Ansparung der Wohnungseigentümergemeinschaft. Jeder Eigentümer zahlt monatlich über das Hausgeld einen Beitrag ein. Dieses Geld wird getrennt vom laufenden Verwaltungskonto angelegt und darf nur für Maßnahmen der Instandhaltung und Instandsetzung des Gemeinschaftseigentums verwendet werden (z. B. Reparaturen am Dach, Austausch der Heizung, Sanierung der Fassade). Sie ist essenziell, um die Werterhaltung der Immobilie zu sichern und unerwartete hohe Sonderumlagen zu vermeiden. Die Höhe der Rücklage wird von den Eigentümern beschlossen, oft auf Vorschlag des Verwalters. Eine Entnahme für laufende Betriebskosten ist unzulässig und führt, wie der BGH bestätigt hat, zu einem Fehler in der Abrechnung, wenn sie die Abrechnungsspitze beeinflusst.
Die Klarstellung des BGH bedeutet: Tauchen in Ihrer Jahresabrechnung Entnahmen aus der Erhaltungsrücklage auf, die sich auf die Höhe der Nachzahlung oder Gutschrift (Abrechnungsspitze) auswirken, ist dieser Teil der Abrechnung fehlerhaft und anfechtbar.
Was das BGH-Urteil für Sie als Wohnungseigentümer bedeutet: die praktischen Folgen
Die Entscheidung des BGH ist keine trockene Juristenkost, sondern hat handfeste Vorteile für alle Wohnungseigentümer und auch für die Verwaltungen:
- Gezielte Korrektur statt Total-Kollaps: Sie müssen nicht mehr befürchten, wegen eines einzelnen Fehlers die gesamte Abrechnung kippen zu müssen. Sie können nun gezielt den fehlerhaften Teil anfechten. Das macht die Rechtsdurchsetzung einfacher und zielgerichteter.
- Weniger Aufwand nach erfolgreicher Anfechtung: Wird nur ein Teil der Abrechnungsspitze für ungültig erklärt, muss die Eigentümerversammlung nur über diesen korrigierten Teil neu beschließen. Die unbeanstandeten Teile der Abrechnung bleiben gültig. Das spart Zeit und Nerven und vermeidet endlose Debatten über bereits geklärte Punkte.
- Geringere Prozesskosten: Da sich der Streitwert bei einer Teilanfechtung in der Regel auf den Wert des angefochtenen Teils beschränkt, sinkt das Kostenrisiko für den klagenden Eigentümer erheblich. Das senkt die Hemmschwelle, berechtigte Ansprüche durchzusetzen.
- Kostenentlastung für die Gemeinschaft: Auch die WEG profitiert. Wenn nicht mehr die gesamte Abrechnung angefochten wird, sind die potenziellen Prozesskosten für die Gemeinschaft geringer. Zudem wird die Verwaltung entlastet, da sie nicht die komplette Abrechnung neu erstellen und zur Abstimmung stellen muss. Der BGH spricht selbst von einer gravierenden Kostenentlastung der Gemeinschaft.
- Haftungsentlastung für die Verwaltung: Auch für Hausverwaltungen bringt das Urteil mehr Rechtssicherheit. Zwar müssen sie weiterhin korrekt abrechnen, aber das Risiko, dass wegen eines isolierten Fehlers die gesamte Arbeit eines Jahres zunichtegemacht wird, ist geringer.
- Eingrenzung weiterer Anfechtungen: Wird nach einer teilweisen Ungültigerklärung ein korrigierter Beschluss gefasst, können spätere Anfechtungen nur noch auf Fehler in den nachgebesserten Positionen gestützt werden. Der Rest ist „abgehakt“.
Ihr Fahrplan bei Zweifeln an der Jahresabrechnung: Praktische Tipps
Das BGH-Urteil stärkt Ihre Rechte, aber Sie müssen sie auch aktiv wahrnehmen. Wenn Sie Zweifel an Ihrer WEG-Jahresabrechnung haben, sollten Sie folgende Schritte beachten:
- Fristen beachten – Der Countdown läuft! Das Wichtigste zuerst: Für die Anfechtung eines WEG-Beschlusses gibt es eine sehr kurze Frist. Sie müssen innerhalb eines Monats nach der Beschlussfassung Klage beim zuständigen Amtsgericht einreichen (Anfechtungsklage). Die Frist beginnt in der Regel mit dem Tag der Eigentümerversammlung, in der der Beschluss gefasst wurde. Wird diese Frist versäumt, wird der Beschluss bestandskräftig, auch wenn er fehlerhaft ist! Handeln Sie also schnell.
- Abrechnung gründlich prüfen: Nehmen Sie sich Zeit für die Prüfung der Jahresabrechnung. Vergleichen Sie die Zahlen mit dem Wirtschaftsplan und den Vorjahresabrechnungen. Achten Sie besonders auf:
- Korrekte Anwendung des Verteilerschlüssels: Werden die Kosten (z. B. nach Miteigentumsanteilen, Wohnfläche oder Verbrauch) richtig auf die Eigentümer verteilt?
- Plausibilität der Kosten: Erscheinen einzelne Kostenpositionen ungewöhnlich hoch?
- Behandlung der Erhaltungsrücklage: Wurden Entnahmen korrekt verbucht und nicht fälschlicherweise in die Abrechnungsspitze einbezogen?
- Rechnerische Richtigkeit: Gibt es einfache Additions- oder Subtraktionsfehler?
- Belege einsehen: Sie haben als Wohnungseigentümer das Recht, die Abrechnungsunterlagen und Belege (Rechnungen, Kontoauszüge etc.) beim Verwalter einzusehen. Machen Sie davon Gebrauch, wenn Sie Unklarheiten feststellen. Kündigen Sie Ihren Besuch rechtzeitig an.
- Das Gespräch suchen: Sprechen Sie den Verwalter oder den Verwaltungsbeirat auf Unklarheiten oder vermutete Fehler an. Oft lassen sich Missverständnisse im Gespräch klären.
- Rechtzeitig handeln in der Versammlung: Wenn Sie Fehler entdecken, sollten Sie diese bereits in der Eigentümerversammlung ansprechen, in der über die Abrechnungsspitze beschlossen wird. Lassen Sie Ihre Einwände protokollieren. Auch wenn dies die Monatsfrist für die Klage nicht ersetzt, dokumentiert es Ihre Bedenken.
- Juristischen Rat einholen: Wenn sich Fehler bestätigen und keine Einigung erzielt wird, sollten Sie umgehend einen auf Wohnungseigentumsrecht spezialisierten Rechtsanwalt konsultieren. Dieser kann prüfen, ob eine Anfechtungsklage Aussicht auf Erfolg hat, ob die Voraussetzungen für eine Teilanfechtung vorliegen und die Klage fristgerecht einreichen.
Do’s & Don’ts bei der Anfechtung der Abrechnungsspitze
✅ Was Sie tun sollten:
- Frist von einem Monat nach Beschlussfassung für die Anfechtungsklage unbedingt einhalten!
- Abrechnung und Belege gründlich prüfen.
- Bei Fehlern zunächst das Gespräch mit Verwalter/Beirat suchen.
- Bei begründeten Zweifeln und fehlender Einigung rechtzeitig Anwalt für WEG-Recht einschalten.
- Konkret benennen, welcher Teil der Abrechnungsspitze fehlerhaft ist (Voraussetzung für Teilanfechtung).
❌ Was Sie vermeiden sollten:
- Die Monatsfrist verstreichen lassen – danach ist der Beschluss in der Regel unanfechtbar.
- Aus reiner Prinzipienreiterei klagen – prüfen Sie das Kostenrisiko und die Erfolgsaussichten.
- Den Verwalter pauschal beschuldigen – bleiben Sie sachlich und belegen Sie Ihre Einwände.
- Auf mündliche Zusagen zur Korrektur vertrauen, wenn die Klagefrist läuft – nur eine fristgerechte Klage sichert Ihre Rechte.
FAQ: Häufige Fragen zur Teilanfechtung der Abrechnungsspitze
Das neue BGH-Urteil wirft sicher einige Fragen auf. Hier die wichtigsten Antworten im Überblick:
Kann ich jetzt jeden kleinen Fehler in der Abrechnung anfechten?
Theoretisch ja, wenn der Fehler rechnerisch abgrenzbar ist und sich auf die Abrechnungsspitze auswirkt. Ob es wirtschaftlich sinnvoll ist, wegen kleiner Beträge zu klagen, müssen Sie selbst entscheiden. Der BGH hat aber klargestellt, dass auch kleine Fehler zur (Teil-)Ungültigkeit führen können.
Was passiert, wenn der Fehler nicht klar abgrenzbar ist?
Wenn der Fehler die gesamte Struktur der Abrechnung betrifft oder nicht isoliert herausgerechnet werden kann, bleibt es dabei, dass der gesamte Beschluss über die Abrechnungsspitze angefochten werden muss und ggf. für ungültig erklärt wird.
Gilt das Urteil auch für alte Abrechnungen?
Das Urteil gilt für alle Beschlüsse, die nach der WEG-Reform 2020 gefasst wurden und bei denen die Anfechtungsfrist noch nicht abgelaufen ist oder über die noch ein Gerichtsverfahren läuft. Für bereits bestandskräftige Beschlüsse ändert sich nichts.
Wer trägt die Kosten, wenn ich nur teilweise Recht bekomme?
Die Kostenentscheidung im Prozess trifft das Gericht. Bei einer Teilanfechtung, die erfolgreich ist, werden die Kosten in der Regel anteilig verteilt (Quotelung). Das heißt, die WEG trägt die Kosten bezogen auf den für ungültig erklärten Teil, Sie tragen die Kosten für den Teil, mit dem Ihre Klage abgewiesen wurde.
Muss die Verwaltung jetzt anders abrechnen?
Die Grundsätze ordnungsgemäßer Verwaltung und Abrechnung gelten weiterhin. Verwaltungen müssen aber nun damit rechnen, dass Fehler gezielter angefochten werden. Das Urteil ist ein Ansporn, noch sorgfältiger zu arbeiten, insbesondere bei der Behandlung der Erhaltungsrücklage.
Was ist, wenn die Eigentümerversammlung den fehlerhaften Beschluss trotz Kenntnis des Fehlers fasst?
Hier wird die Prüfung des „hypothetischen Willens“ spannend. Wenn die Eigentümer bewusst einen fehlerhaften Beschluss fassen (z. B. weil sie eine strittige Kostenposition mehrheitlich durchdrücken wollen), könnte argumentiert werden, dass sie den Beschluss ohne den fehlerhaften Teil nicht gefasst hätten. Dies könnte im Einzelfall doch zur Gesamtungültigkeit führen. Meist geht der BGH aber vom Willen zur objektiv richtigen Lösung aus.
Ändert das Urteil etwas an der Pflicht zur Zahlung des Hausgeldes?
Nein. Die Pflicht zur Zahlung der beschlossenen monatlichen Hausgeld-Vorschüsse bleibt von der Jahresabrechnung unberührt. Auch wenn Sie die Abrechnungsspitze anfechten, müssen Sie die laufenden Vorschüsse in der Regel weiterzahlen. Über strittige Nachzahlungen aus der angefochtenen Abrechnung kann es im Einzelfall gerichtliche Regelungen geben.
Fazit: Ein Schritt zu mehr Gerechtigkeit im Wohnungseigentum
Das Urteil des BGH zur Teilanfechtung der Abrechnungsspitze (V ZR 96/24) ist mehr als nur eine juristische Kurskorrektur. Es ist ein klares Signal für mehr Pragmatismus und Fairness im Wohnungseigentumsrecht. Es beendet eine unsichere Rechtslage und gibt Eigentümern ein wirksames Instrument an die Hand, um Fehler in der Jahresabrechnung zu korrigieren, ohne gleich einen juristischen Flächenbrand auszulösen.
Die Entscheidung stärkt die Position des einzelnen Eigentümers gegenüber der Gemeinschaft und der Verwaltung, indem sie das Kostenrisiko senkt und eine gezielte Rechtsverfolgung ermöglicht. Gleichzeitig fördert sie die Effizienz in den Gemeinschaften, da nicht mehr wegen jedes Fehlers das gesamte Abrechnungsprocedere wiederholt werden muss.
Für Sie als Wohnungseigentümer bedeutet das: Prüfen Sie Ihre Jahresabrechnung genau, kennen Sie Ihre Rechte und scheuen Sie sich nicht, bei klaren Fehlern zu handeln. Die kurze Anfechtungsfrist von einem Monat bleibt dabei die größte Hürde – schnelles Handeln ist entscheidend.
Mit dem Wissen um die neue Rechtsprechung können Sie Auseinandersetzungen um die Jahresabrechnung nun aber sachlicher, zielgerichteter und mit besseren Erfolgsaussichten führen. Das Zusammenleben in einer Wohnungseigentümergemeinschaft wird dadurch vielleicht nicht immer konfliktfrei, aber ein Stück weit gerechter und transparenter.