AG Tempelhof-Kreuzberg – Az.: 8 C 146/13 – Urteil vom 24.04.2014
1. Die Beklagte wird verurteilt, die Wohnung B-Straße, … Berlin, Erdgeschoss links, bestehend aus 2,5 Zimmern, einer Küche, einem Flur, einem Wannenbad mit Toilette, einem Kellerraum und einem Balkon mit einer Wohnfläche von ca. 64 m² zu räumen und an den Kläger herauszugeben.
2. Der Beklagten wird eine Räumungsfrist bis zum 31.07.2014 gewährt.
3. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 5.000 EUR abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger ist Eigentümer der streitgegenständlichen 2,5-Zimmerwohnung mit einer Wohnfläche von 64 m². Er vermietete diese ab dem 01.07.2012 unbefristet an die Beklagte. Die Beklagte entschied sich eigens für diese Wohnung, weil ihr herzkranker und pflegebedürftiger Vater im gleichen Haus wohnte.
Mit Schreiben vom 18.01.2013 erklärte der Kläger die Kündigung des Mietverhältnisses wegen Eigenbedarfs. Zur Begründung verwies er auf seine Absicht, die Wohnung seiner Tochter J.M. zu überlassen, weil diese plante ihren Freund R.S. im Mai 2013 zu heiraten und mit ihm ein Kind zu bekommen. Die Tochter des Klägers wohnte zu diesem Zeitpunkt in der angemieteten Wohnung ihres Freundes, einer 2-Zimmerwohnung von unter 60 m² mit einer beheizten Fläche von unter 54 m². Die Suche des Paares nach einer bezahlbaren gemeinsamen Wohnung war bis dahin erfolglos verlaufen.
Mitte 2013 trennten sich der Kläger und seine Lebensgefährtin, die Zeugin X. Beide lebten in einer im gemeinsamen Eigentum stehenden Wohnung. Da der Kläger diese Wohnung zunächst der Lebensgefährtin überlassen wollte, teilte er seiner Tochter mit, dass er die streitgegenständliche Wohnung nunmehr für sich benötige. Die inzwischen verheiratete Tochter lebte zu diesem Zeitpunkt weiterhin in der Wohnung ihres Ehemannes. Mit Schriftsatz vom 25.11.2013 zeigte der Kläger den Wechsel der Bedarfsperson der Beklagten an.
Inzwischen ist die ehemalige Lebensgefährtin des Klägers aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen. Die Wohnung soll nach dem Auszug des Klägers verkauft werden.
Im Januar 2014 verstarb der Vater der Beklagten.
Der Kläger behauptet, er habe von der Familienplanung seiner Tochter bei Abschluss des Mietvertrages nichts gewusst. Er habe anderthalb Jahre keinen Kontakt zu ihr gehabt. Dieser sei erst Ende September 2012 wieder aufgenommen worden. Von der beabsichtigten Heirat habe er erst im November 2012 erfahren.
Der Kläger beantragt, die Beklagte zu verurteilen, die Wohnung B-Straße, … Berlin, Erdgeschoss links, bestehend aus 2,5 Zimmern, einer Küche, einem Flur, einem Wannenbad mit Toilette, einem Kellerraum und einem Balkon mit einer Wohnfläche von ca. 64 m² zu räumen und an den Kläger herauszugeben.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie behauptet, sie habe sich in der streitgegenständlichen Wohnung langfristig niederlassen wollen und dies auch dem Kläger mitgeteilt. Sie habe im Hinblick auf diese Absicht die Wohnung mit nicht unerheblichem Aufwand renoviert. Sie meint, es sei ihr unzumutbar, die Wohnung nach einer so kurzen Mietdauer verlassen zu müssen. Auch sei die zunächst beabsichtigte Überlassung der Wohnung an die Tochter des Klägers schon deshalb nicht sinnvoll gewesen, da dies nur einen Zuwachs von 5 m² Wohnfläche bedeutet hätte. Die Kündigung könne zudem nicht nachträglich auf den im Laufe des Prozesses entstandenen Eigenbedarf des Klägers gestützt werden.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen verwiesen.
Das Gericht hat gemäß Beweisbeschluss vom 19.09.2013 (Bl. 92 f. d. A.) Beweis erhoben, durch die uneidliche Vernehmung der Zeugen J.M. R.S. und D. X. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 03.04.2014 verwiesen.
Entscheidungsgründe
A. Die Klage ist begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Räumung und geräumte Herausgabe der Wohnung aus § 546 Abs. 1 BGB, denn das Mietverhältnis ist durch die Kündigung vom 18.01.2013 zum 30.04.2013 beendet worden.
I. Die Kündigung war wirksam, weil der Kläger zum Zeitpunkt der Kündigung ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses hatte, da er die Räume als Wohnung für einen Familienangehörigen benötigte, § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB.
1. Dass der Kläger den erforderlichen Überlassungswillen zu Gunsten seiner Tochter hatte, ist unstreitig. Der Kläger hatte auch ein berechtigtes Überlassungsinteresse.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist es auf Grund der Eigentumsgarantie des Grundgesetztes dabei nicht Sache der Gerichte, dem Vermieter Vorstellungen zum angemessenen Wohnen und zur Lebensplanung aufzudrängen. Überprüft werden kann nur, ob die vorgetragenen Gründe des Vermieters nachvollziehbar, das heißt nicht missbräuchlich, sind (etwa BVerfG, NJW 1994, 994). Es genügt dabei grundsätzlich, wenn der Vermieter einem Angehörigen eine Wohnung zur Verfügung stellen will, die gegenüber der bisherigen Vorteile bietet (Blank in Schmidt/Futterer, 11. Auflage, § 573 BGB Rn. 106).
Die vom Kläger vorgebrachten Gründe erfüllen die Anforderungen dieses eingeschränkten Prüfungsmaßstabes.
a) Dies ergibt sich schon unabhängig vom Kinderwunsch der Tochter. Es ist nämlich nachvollziehbar, dass das zusätzliche halbe Zimmer – auch wenn es nur mit einem geringen Zugewinn an Wohnfläche verbunden ist – einen Zugewinn an Wohnqualität bedeutet. Das zusätzliche Zimmer schafft Stauraum und verbessert dadurch die Nutzungsmöglichkeit der übrigen Räume. Auch in wirtschaftlicher Hinsicht bot die Eigentumswohnung des Vaters der Tochter Vorteile – insbesondere weil bei der Festlegung des Mietzinses auf die wirtschaftliche Situation der Tochter Rücksicht genommen werden kann.
b) Darüber hinaus bot die Wohnung auch im Hinblick auf den Kinderwunsches der Tochter gerade wegen des zusätzlichen Zimmers, das als Kinderzimmer genutzt werden kann, Vorteile. Dem steht nicht entgegen, dass der Kinderwunsch der Tochter erst zum Ende ihrer Ausbildung verwirklicht werden soll. Die Überlassung zum Zwecke der Familiengründung setzt nicht voraus, dass sich der Wunsch bereits in Form einer Schwangerschaft konkretisiert hat (Blank in Schmidt/Futterer, 11. Auflage, § 573 BGB Rn. 107). Es ist dabei auch verständlich, dass die Tochter nicht zunächst nur eine Wohnung für sich und ihren Ehemann suchen und dann innerhalb von ein bis zwei Jahren erneut umziehen will.
Unzulässig wäre eine Kündigung nur im Falle einer gänzlich unkonkreten Familienplanung, also wenn etwa der Kinderwunsch selbst noch nicht endgültig gefasst worden wäre. Davon ist indes bei der Tochter des Klägers nicht auszugehen. Die Ernsthaftigkeit der Familienpläne hat auch die Beklagte nicht in Abrede gestellt.
2. Die Kündigung – wenige Monate nach Abschluss des Mietvertrages – war auch nicht deshalb treuwidrig, weil der Bedarf bereits bei Vertragsabschluss vorhersehbar gewesen wäre.
Dies wäre anzunehmen, wenn bei Vertragsschluss hinreichend konkrete Anhaltspunkte dafür vorlagen, dass das Mietverhältnis nur von kurzer Dauer sein würde. Die bloße Möglichkeit, dass später ein solcher Bedarf auftreten könnte, genügt dafür nicht – andererseits ist es aber auch nicht erforderlich, dass der Vermieter den künftigen Bedarf genau kennt. Es genügt, wenn der Vermieter den künftigen Bedarf bei vorausschauender Planung in Erwägung hätte ziehen müssen (Blank in Schmidt/Futterer, 11. Auflage, § 573 BGB Rn. 138 m. w. N.)
Das kann dem Kläger nicht entgegengehalten werden. Er musste zum Zeitpunkt des Mietvertragsschlusses nicht in Erwägung ziehen, dass der abgebrochene Kontakt zu seiner Tochter wieder aufleben würde und dass diese darüber hinaus alsbald heiraten und zur Verwirklichung eines Kinderwunsches eine größere Wohnung benötigen würde.
Er war von seiner Tochter entfremdet und hatte zum Zeitpunkt des Mietvertragsschlusses keinen Einblick in deren gegenwärtigen Lebensumstände und etwaige Familienpläne. Davon ist nach Durchführung der Beweisaufnahme auszugehen. Die Zeugen haben übereinstimmend bekundet, dass es zwischen dem Kläger und seiner Tochter längere Zeit keinen Kontakt gab und dieser erst zum Ende des Jahres 2012 wieder enger wurde. Die Zeugin X. bekundete darüber hinaus, dass sie und der Kläger erst kurz vor dem gesetzten Datum von der bevorstehenden Hochzeit erfahren hätten. Über die streitgegenständliche Wohnung sei erstmals zum Anfang des Jahres 2013 gesprochen worden.
Die Aussagen der Zeugen sind glaubhaft. Die Schilderungen waren lebensnah und fügten sich stimmig ineinander. Lediglich hinsichtlich der Datierung einzelner Vorgänge gab es Abweichungen, was angesichts der verstrichenen Zeit aber verständlich ist und eher auf eine spontane, nicht abgesprochene Aussage deutet. Insbesondere hat auch die Zeugin X., die nach dem Bruch mit dem Kläger kein erkennbares Motiv hat, diesem zu helfen, gleichwohl die Aussagen der anderen Zeugen bestätigt.
II. Die ursprünglich wirksame Kündigung ist auch nicht deshalb unwirksam geworden, weil der Kläger die Wohnung nunmehr selbst beziehen will. Der Wegfall der ursprünglichen Gründe hat auf die Wirksamkeit einer einmal (wirksam) erklärten Kündigung, keinen Einfluss. Zwar muss der Vermieter grundsätzlich dem Mieter einen Vertrag über die Aufhebung der Kündigungswirkungen anbieten, dies ist aber nicht der Fall, wenn vor Wegfall der ursprünglichen Kündigungsgründe neue Gründe auftreten, die eine Vertragsbeendigung ebenfalls rechtfertigen und das Räumungsinteresse deshalb fortbesteht (Blank in Schmidt/Futterer, 11. Auflage, § 573 BGB Rn. 261 und 266).
1. Der Kläger beabsichtigte bis zur Trennung von seiner Lebensgefährtin die Überlassung der Wohnung an seine Tochter. Deren Bedarf hatte sich auch nicht zwischenzeitlich erledigt. Es gab keinen Zeitpunkt, zu dem es keine aktuellen Kündigungsgründe gab und zu dem der Kläger der Beklagten deshalb die Fortsetzung des Mietvertrages hätte anbieten müssen.
2. Der nunmehr geltend gemachte Bedarf der Wohnung für sich selbst, rechtfertigt ebenfalls die Kündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB.
Dem unbestrittenen Nutzungswillen steht ein berechtigtes Nutzungsinteresse zur Seite. Es ist – erneut unter Berücksichtigung des bereits dargelegten eingeschränkten Prüfungsmaßstabes – verständlich, dass der Kläger aus der nicht in seinem Alleineigentum stehenden Wohnung ausziehen und in eine kleinere Wohnung einziehen möchte. Er muss sich auch nicht darauf verweisen lassen, dass er die Einnahmen aus der Vermietung der streitgegenständlichen Wohnung zur Anmietung einer von ihm zu beziehenden Wohnung verwenden könne. Eine solche Argumentation verkennt die Bedeutung des Eigentumsrechts und drängt den Eigentümer gegen dessen Willen in die Rolle eines bloßen Kapitalanlegers (vgl. Blank in Schmidt/Futterer, 11. Auflage, § 573 BGB Rn. 97 m. w. N.).
III. Die von der Beklagten vorgetragenen Härtegründe stehen der Wirksamkeit der Kündigung schon deshalb nicht entgegen, weil sie einen Widerspruch nach § 574 BGB nicht erklärt hat.
B. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO – die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf den §§ 708 Nr. 7, 711 ZPO.
C. Der Beklagten wird gemäß § 721 Abs. 1 ZPO von Amts wegen die tenorierte Räumungsfrist gewährt. Dabei berücksichtigt das Gericht zugunsten der Beklagten die gerichtsbekannt angespannte Lage auf dem Berliner Wohnungsmarkt und die besondere Lebenssituation, in der sie sich nach dem Versterben ihres Vaters befindet. Es ist andererseits aber auch zu bedenken, dass der Kläger den Verkauf der jetzt bewohnten Räume plant und mithin auf einen baldigen Zugang zu seinem Eigentum angewiesen ist. Eine besonders dringliche Situation besteht aber nicht, denn die vom Kläger zwischenzeitlich als prekär bezeichneten Lebensumstände in der gemeinsamen Wohnung nach der Trennung von seiner Lebensgefährtin sind durch deren Auszug inzwischen beendet.