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Fristlose Mietvertragskündigung bei einmaliger Hausfriedensstörung

AG München – Az.: 474 C 18956/16 – Urteil vom 07.04.2017

1. Der Beklagte wird verurteilt, die 1 1/2- Zimmerwohnung im Anwesen … bestehend aus 1 1/2 Zimmern, 1 Küche, 1 Bad/WC, 1 Diele, 1 Balkon sowie einem zur Wohnung gehörigen Kellerabteil sofort zu räumen und an die Klägerin herauszugeben.

2. Der Beklagte wird ferner verurteilt, den Tiefgaragenstellplatz (Doppelbox) Nr. 148 im Anwesen … zu räumen und an die Klägerin herauszugeben.

3. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung hinsichtlich Ziffer 1 durch Sicherheitsleistung in Höhe von € 4.400,00 abwenden, falls nicht die Klägerin Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Im Übrigen ist das Urteil gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt vom Beklagten Räumung und Herausgabe der streitgegenständlichen Wohnung.

Mit Mietvertrag vom 16./21.06.1993 mietete der Beklagte von der Klägerin die im ersten Obergeschoss des Anwesens … gelegene 1½-Zimmerwohnung nebst Tiefgaragenstellplatz. Der monatliche Gesamtmietzins beläuft sich derzeit auf insgesamt € 363,09.

Mit Schreiben vom 23.08.2016 kündigte die Klägerin gegenüber dem Beklagten das Mietverhältnis fristlos sowie hilfsweise ordentlich wegen massiver Lärmbelästigungen und Störungen des Hausfriedens durch Geschrei, Schlägerei, Zertrümmerung in der Wohnung sowie übelsten Beschimpfungen und Bedrohungen gegenüber anderen Mitmietern. Die Kündigung begründete die Klägerin mit einem konkret geschilderten Vorfall vom 12.08.2016 (Anlage K 3, Bl. 14 f d.A.). Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf das Kündigungsschreiben Bezug genommen.

Anlässlich eines Polizeieinsatzes am 12.08.2016 beschlagnahmte die Polizei in der Wohnung des Beklagten eine Axt, Kampfmesser und andere gefährliche Gegenstände.

Mit Schreiben des Beklagtenvertreters vom 30.08.2016 wies dieser die Kündigung als ungerechtfertigt zurück (Anlage K 6, Bl. 18 f d.A.).

Mit Klageschrift vom 08.09.2016 kündigte die Klägerin das Mietverhältnis mit dem Beklagten erneut fristlos sowie hilfsweise ordentlich wegen Bedrohung eines Mitmieters und begründete diese Kündigung mit einem Vorfall vom 03.09.2016 (Bl. 4 d.A.).

Am 06.09.2016 erließ das Amtsgericht München, Abteilung für Familiensachen, auf Antrag der Zeugen … im Wege der einstweiligen Anordnung eine Gewaltschutzanordnung gegen den Beklagten (Anlage K 8, Bl. 29 ff d.A.).

Die Klägerin trägt vor, der Beklagte störe den Hausfrieden durch massive Belästigungen durch Geschrei, Schlägereien, Zertrümmerung der Wohnung sowie durch übelste Beschimpfungen und Bedrohungen der Mitmieter. Die Klägerin behauptet, der Beklagte habe am 12.08.2016 in seiner Wohnung seine Freundin geschlagen und lauthals beschimpft und es seien Zertrümmerungen innerhalb der Wohnung hörbar gewesen. Nachdem die Freundin des Beklagten aus der Wohnung geflüchtet sei, habe sie bei den Nachbarn … Sturm geklingelt und sei weiter vom Beklagten attackiert worden. Deshalb habe der Zeuge … die Wohnungstüre geöffnet und den Beklagten aufgefordert, sofort aufzuhören. Daraufhin habe sich der Beklagte in Richtung des Zeugen … umgedreht und sei auf diesen losgegangen. Der Zeuge … habe sich in seine Wohnung zurückgezogen, wobei der Beklagte begonnen habe, ihn und seine Familie zu bedrohen und mit übelsten Worten zu beschimpfen wie „Ich ficke Deine Mutter, Deine Frau, Dein Kind, komm raus Du Feigling, Du wirst rauskommen müssen, ich mache Dich und Deine Familie fertig, ich bringe Euch alle um“. Die Bedrohungen, Beschimpfungen und Schimpftiraden habe der Beklagte fortgesetzt, bis die Polizei gerufen wurde. Die Zeugen … fühlten sich durch den Vorfall massiv bedroht und seien verängstigt. Eine Aufrechterhaltung des Mietverhältnisses sei unmöglich.

Die Klägerin vertritt die Auffassung, dass aufgrund der Massivität des Vorfalls eine Abmahnung entbehrlich sei.

Weiter behauptet die Klägerin, der Beklagte habe die Zeugen … erneut am 03.09.2016 gegen 22.30 Uhr bedroht indem er dem Zeugen gegenüber geäußert habe: „Lass mich in Ruhe, sonst stirbst Du“. Die Zeugen … seien traumatisiert und massiv eingeschüchtert durch das Verhalten des Beklagten.

Die Klägerin beantragt:

1. Der Beklagte wird verurteilt, die 1 1/2 – Zimmerwohnung im Anwesen … bestehend aus 1 ½ Zimmern, 1 Küche, 1 Bad/WC, 1 Diele, 1 Balkon sowie einem zur Wohnung gehörigen Kellerabteil sofort, hilfsweise zum 31.05.2017 zu räumen und an die Klägerin herauszugeben.

2. Der Beklagte wird ferner verurteilt, den Tiefgaragenstellplatz (Doppelbox) Nr. 148 im Anwesen … zu räumen und an die Klägerin herauszugeben.

Der Beklagte beantragt, Klageabweisung.

Der Beklagte vertritt die Auffassung, dass die ausgesprochenen Kündigungen nicht gerechtfertigt seien, da Kündigungsgründe nicht bestünden. Er bestreitet den Sachvortrag der Klägerin zu den Vorfällen am 12.08.2016 und 03.09.2016, insbesondere habe er seine Lebensgefährtin nicht geschlagen und beschimpft und nichts in seiner Wohnung zertrümmert. Die Zeugin … habe auch nicht etwa an der Türe der Nachbarn geklingelt, vielmehr habe der Nachbar … zusammen mit seiner Frau aus reiner Neugierde während der Unterhaltung des Beklagten mit der Zeugin … die Türe geöffnet, sich in die Debatte eingemischt und den Beklagten zu beschimpfen begonnen. Der Beklagte habe sich bedroht und beleidigt gefühlt. Er bestreitet, den Zeugen … mit dem Tod bedroht zu haben und auf diesen „losgegangen“ zu sein.

Weiter bestreitet der Beklagte, sich am 03.09.2016 in der von der Klägerin behaupteten Weise geäußert zu haben. Er habe den Zeugen … gegrüßt und sei dann von diesem beschimpft und bedroht worden. Er bestreitet, dass die Familie des Zeugen … traumatisiert und durch das Verhalten des Beklagten eingeschüchtert sei.

Die Klägerin wiederum bestreitet die vom Beklagte behaupteten Beleidigungen und Bedrohungen des Beklagten durch die Zeugen ….

Das Gericht hat Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung der Zeugen … sowie der Zeuginnen … in der mündlichen Verhandlung vom 10.02.2017 aufgrund Beweisbeschlusses vom 13.01.2017. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 10.02.2017 (Blatt 147 ff d. A.) Bezug genommen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Protokolle der mündlichen Verhandlungen vom 13.01.2017 und 10.02.2017 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet.

I.

Der Klägerin steht gegen den Beklagten ein Anspruch auf Räumung und Herausgabe der streitgegenständlichen Mietwohnung gemäß § 546 Abs. 1 BGB zu, da das Mietverhältnis durch die außerordentliche Kündigung vom 23.08.2016 gemäß §§ 543 Abs. 1, 569 Abs. 2 BGB wirksam beendet wurde.

Das Kündigungsschreiben der Klägerin vom 23.08.2016 erfüllt nach Form und Inhalt die Voraussetzungen der §§ 568 Abs. 1, 569 Abs. 4 BGB. Im Kündigungsschreiben wird die behauptete Vertragsverletzung ausreichend konkret dargelegt. Die Klägerin hat das beanstandete Verhalten des Beklagten hinreichend genau durch Angabe konkreter Einzelheiten mit zeitlicher Zuordnung aufgeführt. Hierdurch war es der Beklagten möglich zu erkennen, welche Umstände zur Kündigung geführt haben.

Darüber hinaus liegt hier ein die außerordentliche Kündigung rechtfertigender wichtiger Grund nach §§ 543 Abs. 1, 569 Abs. 2 BGB vor.

Der vom der Klägerin behauptete und durch die Beweisaufnahme durch die Vernehmung der Zeugen zur Überzeugung des Gerichts bewiesene Vorfall vom 12.08.2016 stellt gem. §§ 543 Abs. 1, 569 Abs. 2 BGB eine nachhaltige und schuldhafte Störung des Hausfriedens durch den Beklagten dar, der eine Kündigung des Mietverhältnisses ausnahmsweise auch ohne Abmahnung rechtfertigt.

Ein wichtiger Grund im Sinne des § 543 Abs. 1 BGB ist gegeben, wenn dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere eines Verschuldens der Vertragsparteien, und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur sonstigen Beendigung des Mietverhältnisses nicht zugemutet werden kann, § 543 Abs. 1 BGB.

Der Kündigungstatbestand des § 569 Abs. 2 BGB ist hier erfüllt, da der Beklagte den Hausfrieden nachhaltig gestört hat, die Störung wegen ihrer Nachhaltigkeit die Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung begründet und eine Abmahnung vor dem Ausspruch der Kündigung gemäß § 543 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 BGB entbehrlich ist.

Um den Hausfrieden nicht zu stören, muss sich jede Mietvertragspartei bei der Nutzung der Mieträume so verhalten, dass die anderen Mieter nicht mehr gestört oder belästigt werden, als dies nach den konkreten Umständen unvermeidlich ist (Staudinger, § 569 Rn 24; MüKomm, § 569 Rn 17). Diese Verpflichtung folgt aus einer an der Verkehrssitte orientierten Auslegung des Mietvertrages. Werden jedoch die zur Wahrung des Hausfriedens erforderlichen Verhaltenspflichten vom Mieter nachhaltig verletzt, und hat dies zu Beeinträchtigungen des Vermieters oder einer anderen Mietpartei geführt, so ist der Hausfrieden gestört (Blank/Börstinghaus, 3. Aufl., § 569 Rn 24). Dies ist hier der Fall.

Die Klägerin hat substantiiert und nachvollziehbar vorgetragen, dass es durch den Beklagten am 12.08.2016 zu einer erheblichen und nachhaltigen Beeinträchtigung der Mitbewohner im Haus, nämlich den Zeugen … durch ruhestörendes, beleidigendes und bedrohendes Verhalten des Beklagten gekommen ist.

Die in der Sitzung vom 10.02.2016 vernommenen Zeugen … haben übereinstimmend und zur Überzeugung des Gerichts ausgesagt, dass der im Kündigungsschreiben vom 23.08.2016 ausgeführte Vorfall vom 12.08.2016 so, wie von der Klägerin behauptet, stattgefunden hat. Die Zeugen haben berichtet, dass aus der Wohnung des Beklagten zunächst die Geräusche eines sehr lauten und aggressiven Streits wie lautes Schreien, Hilferufe und Lärm durch Gegenstände zu hören waren, sich der Streit dann aus der Wohnung in das Treppenhaus vor die Wohnungstüre der Zeugen … verlagerte, die Zeugen durch den Türspion ihrer Wohnungstüre beobachtet haben, wie der Beklagte seine Lebensgefährtin, die als Zeugin benannte … geschlagen und wieder in die Wohnung zu zerren versucht hat, während diese um Hilfe gerufen hat, woraufhin der Zeuge … seine Wohnungstüre geöffnet und den Beklagten und seine Lebensgefährtin aufgefordert hat, aufzuhören. Die Zeugin haben weiter übereinstimmend angegeben, dass der Beklagte sodann auf die Wohnungstüre der Zeugen … zugegangen ist, die von der Zeugin … zugestoßen wurde, und die näher angegebenen Beschimpfungen wie z.B. „Ich ficke Deine Frau, ich ficke Deine Kinder“ und insbesondere auch Bedrohungen wie „Komm raus, ich bring Dich um!“ geschrien hat, und zwar über einen Zeitraum von ca. 20 Minuten, wobei der Beklagte auch mit den Fäusten an die Türe der Zeugen gehämmert hat. Weiter haben beide Zeugen von den massiven psychischen Auswirkungen dieses Vorfalls und ihrer Angst vor dem Beklagten berichtet.

Dass sich dieser Vorfall am 12.08.2016, so wie von der Klägerin behauptet und den beiden Zeugen … angegeben, ereignet hat, steht zur Überzeugung des Gerichts fest aufgrund der glaubhaften Aussagen der Zeugen …. Die Aussagen der Zeugen … in der mündlichen Verhandlung vom 10.02.2017 boten keine Anhaltspunkte, die Zweifel hinsichtlich ihrer Glaubwürdigkeit zu begründen vermögen. Die Aussagen der Zeugen waren sachlich, nachvollziehbar und in sich stimmig. Weder ließen die Zeugen eine feindliche noch eine von Vorbehalten geprägte Einstellung gegenüber dem Beklagten erkennen. Insbesondere waren auch keine Belastungstendenzen der Zeugen erkennbar, wenngleich die emotionale Betroffenheit bei der Schilderung der erlebten Vorfälle durch die Zeugen deutlich zum Ausdruck kam. Die Zeugen vermittelten den Eindruck, dass sie sich durch die geschilderten Vorfälle in nachvollziehbarer Weise von dem Beklagten massiv und nachhaltig beeinträchtigt, belästigt, beleidigt und bedroht fühlen und darüber hinaus große Angst vor dem Beklagten haben. Das Gericht hat aufgrund dessen keine Zweifel an der Richtigkeit der Bekundungen der Zeugen und es sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, die solche Zweifel zu begründen vermögen.

Soweit der Beklagte behauptet hat, die Zeugen … hätten ihn beleidigt und bedroht und der Vorfall hätte sich ganz anders abgespielt, so ist der Beklagte für den Gegenbeweis ebenso wie für die diesbezüglichen Behauptungen beweisfällig geblieben, nachdem sich die insoweit benannten Zeuginnen … nach entsprechender Belehrung des Gerichts jeweils auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht als Verlobte gemäß § 383 Abs. 1 Nr. 1 ZPO bzw. als Tochter des Beklagten gemäß § 383 Abs. 1 Nr. 3 ZPO berufen haben.

Aus der Gesamtschau der Aussagen der Zeugen … folgt zur Überzeugung des Gerichts, dass am Abend des 12.08.2016 zum einen vom Beklagten massive und andauernde Lärmbelästigungen der Mitbewohner im Haus ausgegangen sind und zum anderen – und weitaus schwerwiegender – strafrechtlich relevante Beleidigungen und Bedrohungen der Zeugen … erfolgten. Die Zeugen berichteten von einer Kette von Vorfällen, die in ihrer Intensität und in ihrem Ablauf weit über das normale und hinzunehmende Maß an Beeinträchtigungen hinausgeht und bei welchen die Mitbewohner der Beklagten mehr als nach den Umständen vermeidbar beeinträchtigt worden sind.

Eine Beleidigung ist der Angriff auf die Ehre eines anderen durch Kundgabe der Nichtachtung oder Missachtung (BGHSt 1, 289). Dagegen scheiden bloße Unhöflichkeiten oder Handlungen, die dem anderen Teil zwar missliebig sind, die aber keinen ehrverletzenden Charakter haben, als Kündigungsgründe aus (Blank/Börstinghaus, 3. Aufl., § 543 Rn. 19, m.w.N.). Auf dieser Grundlage liegen hier zweifelsfrei mit den wiedergegebenen Aussprüchen des Beklagten gegenüber den Zeugen … Beleidigungen im Sinne des Strafgesetzbuches vor. Solche Titulierungen gehen insbesondere aufgrund ihres ehrverletzenden Charakters weit über eine gegebenenfalls noch hinzunehmende Pöbelei oder Unhöflichkeit hinaus.

Daneben hat der Beklagte aber auch zweifelsfrei den Straftatbestand des § 241 Abs. 1 StGB erfüllt, da er die Zeugen … mit der Begehung eines gegen sie gerichteten Verbrechens bedroht hat.

Nach umfassender Würdigung der durchgeführten Beweisaufnahme steht für das Gericht fest, dass sich der Beklagte keineswegs so verhalten hat, wie es die Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme aus dem Mietverhältnis erfordert und seine Nachbarn und Mitbewohner mehr als nach den Umständen unvermeidlich gestört, belästigt, beleidigt und bedroht wurden.

Dies stellt ohne Zweifel ein Verhalten dar, dass einem Zusammenleben innerhalb der Hausgemeinschaft nicht gedeihlich und mithin schlechthin untragbar ist.

Die Störung des Hausfriedens durch den Beklagten war vorliegend auch nachhaltig im Sinne des § 569 Abs. 2. Nachhaltig ist eine Störung des Hausfriedens regelmäßig dann, wenn sie schwerwiegend ist. Zwar reichen kurze bzw. einmalige Störungen des Hausfriedens regelmäßig nicht für eine fristlose Kündigung aus (vgl. Staudinger – Volker Emmerich, § 569 BGB Rdnr. 26) allerdings kann aus Sicht des Gerichts auch ein einmaliger Vorfall den Hausfrieden so schwer stören, dass unter Abwägung aller Interessen, auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass das Mietverhältnis seit nahezu 23 Jahren besteht, eine Fortsetzung für den Vermieter nicht zumutbar ist (vgl. LG München I, Urteil vom 10. Oktober 2012; 14 S 9204/12, juris).

Ein solcher Fall ist hier gegeben. Aus Sicht des Gerichts liegen schon in dem bewiesenen Vorfall vom 12.08.2016 so massive Beleidigungen und Bedrohungen der Mitmieter … vor, dass von einer nachhaltigen und schwerwiegenden Störung des Hausfriedens auszugehen ist. Im Hinblick auf das äußerst aggressive Auftreten des Beklagten am 12.08.2016, wo er gegenüber seiner Lebensgefährtin insbesondere auch erhebliche physische Gewalt eingesetzt hat sowie aufgrund des Umstandes, dass die Zeugen … darüber informiert waren, dass der Beklagte auch Waffen wie eine Axt und Messer in seiner Wohnung aufbewahrt hat, die er dem Zeugen … zuvor selbst gezeigt hatte, durften die Zeugen die vom Beklagten erfolgten Bedrohungen auch durchaus ernst nehmen, was diese auch taten. Auch die ausgesprochenen Beleidigungen gehen weit über das Maß einer ggf. hinzunehmenden Unhöflichkeit hinaus.

Da der Beklagte mithin sowohl vorsätzlich als auch bewusst die Mitmieter massiv beleidigt und bedroht hat, liegt eine nachhaltige Störung des Hausfriedens nach § 569 Abs. 2 BGB vor, die – unabhängig von sonstigen bestrittenen Vorfällen – den Ausspruch einer Kündigung rechtfertigt, zumal dem Beklagten Vorsatz nach § 276 BGB zur Last fällt.

Nach Auffassung des Gerichts ist nach umfassender Abwägung der beiderseitigen Interessen auf Grundlage der durchgeführten Beweisaufnahme auch die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Vertragsverhältnisses wegen der Störung des Hausfriedens durch den Beklagten und ihrer Nachhaltigkeit gegeben.

Zwar sind grundsätzlich an das Tatbestandsmerkmal der Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung strenge Anforderungen zu stellen (BGH NJW 1993, 2528; BVerfG NJW 1994, 41); hieraus folgt, dass reine Animositäten, Lästigkeiten oder eine unsubstantiiert behauptete Zerrüttung keine Kündigung wegen einer Hausfriedensstörung rechtfertigen (Blank/Börstinghaus, 5. Aufl., § 569 Rn 28).

Fristlose Mietvertragskündigung bei einmaliger Hausfriedensstörung
(Symbolfoto: Andrey_Popov/Shutterstock.com)

Doch auch auf dieser Grundlage ist das Tatbestandsmerkmal hier erfüllt, da durch das Verhalten des Beklagten die zur Wahrung des Hausfriedens erforderlichen Verhaltenspflichten erheblich verletzt wurden und die Beeinträchtigungen weit über das Maß dessen hinausgehen, was von den Mitbewohnern im Haus zu tolerieren ist. Der insoweit vom Beklagtenvertreter im Schreiben vom 30.08.2016 (Anlage K 6, Bl. 18 d.A.) vertretenen Auffassung, wonach „bei einer generellen Betrachtung der gerade im sozialen Wohnungsbau regelmäßig vorkommenden Störungen des Hausfriedens“ der beschriebene Vorfall nicht derart schwerwiegend erscheint, dass er eine Beendigung des Mietverhältnisses nicht erlauben würde, kann nicht gefolgt werden. Die Würde des Menschen ist unantastbar, Art. 1 Absatz 1 Satz 1 GG, unabhängig vom konkreten Wohnumfeld oder sonstigen Umständen.

Im Rahmen der anzustellenden Interessenabwägung ist insbesondere zu berücksichtigen, dass das Verhalten des Beklagten durchaus hätte vermieden werden können sowie, dass es vorsätzlich erfolgt ist. Auch sind die massiven und nachhaltigen psychischen Auswirkungen auf die Mitbewohner … zu berücksichtigen. Allein der Umstand, dass das Mietverhältnis mit dem Beklagten schon seit 1993 besteht, vermag die Interessenabwägung nicht zu Gunsten des Beklagten zu entscheiden. Nach alledem ist die Zumutbarkeit der Fortsetzung des Mietverhältnisses hier nicht gegeben.

Der Vorfall vom 12.08.2016 rechtfertigt ausnahmsweise den Ausspruch der Kündigung auch ohne die nach § 543 Absatz 3 BGB grundsätzlich erforderliche Abmahnung. Nach § 543 Absatz 3 Satz 2 Nr. 2 BGB ist eine Abmahnung ausnahmsweise entbehrlich, wenn die sofortige Kündigung aus besonderen Gründen unter Abwägung der beiderseitigen Interessen gerechtfertigt ist. Eine Abmahnung ist danach entbehrlich, wenn durch das Fehlverhalten des anderen Teils die Vertrauensgrundlage zwischen den Parteien so schwerwiegend erschüttert ist, dass sie auch durch eine erfolgreiche Abmahnung nicht wieder hergestellt werden kann (vgl. Staudinger – Volker Emmerich, § 543 BGB Rdnr. 80).

Der Beklagte hat durch die massiven Beleidigungen und Bedrohungen der Mietmieter … am 12.08.2016 eine Einschüchterungs- und Bedrohungslage geschaffen, die durch eine bloße Abmahnung nicht mehr aus der Welt geschafft werden kann. Hierbei ist aus Sicht des Gerichts im besonderen Maße zu berücksichtigen, dass der Vermieter im Falle eines derartig gravierenden Fehlverhaltens wie vorliegend auch eine Schutzpflicht gegenüber den anderen Mietern im Haus hat. Aus Sicht des Vermieters ist bei derartig eindeutigen und nachhaltigen Bedrohungen und Beleidigungen auch mit einer Wiederholung und ggf. sogar einer Eskalation des Verhaltens zu rechnen. Dass der Beklagte zur Aggression neigt, zeigt sich nämlich bereits aus dem Vorfall vom 12.08.2016. Derartig schwerwiegende Vertragsverstöße können auch durch eine Abmahnung nicht mehr hergestellt werden (LG München I, Urteil vom 10. Oktober 2012; 14 S 9204/12, juris). Vielmehr muss dem Vermieter auch zum Schutz der bedrohten Mieter in diesem Fall die Möglichkeit eröffnet werden, das Mietverhältnis mit dem störenden Mieter durch eine sofortige Kündigung zu beenden (LG München I, a.a.O.). Eine Abmahnung war daher ausnahmsweise nach § 543 Absatz 3 Satz 2 Nr. 2 BGB entbehrlich.

Die Kündigung durch die Klagepartei vom 23.08.2016 hat daher das Mietverhältnis beendet. Der Beklagte war zur Räumung und Herausgabe zu verurteilen.

II.

Darüber hinaus steht aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Beklagte den Zeugen … am Abend des 03.09.2016 erneut in strafrechtlich relevanter Weise bedroht hat, § 241 Abs. 1 StGB, indem er diesem gegenüber äußerte, dass er ihn umbringen wird, wenn er die Anzeige nicht zurücknimmt.

Auch durch dieses Verhalten, auf welches die Kündigung vom 08.09.2016 gestützt wurde, hat der Beklagte den Kündigungstatbestand des § 569 Abs. 2 BGB erfüllt, da damit eine nachhaltige Störung des Hausfriedens vorliegt, die die Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung begründet. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird insoweit auf obige Ausführungen Beug genommen. Darüber hinaus liegt auch eine Abmahnung nach § 543 Absatz 3 BGB mit der am 23.08.2016 ausgesprochenen Kündigung vor.

Mithin wäre das Mietverhältnis jedenfalls durch die mit der Klageschrift ausgesprochene Kündigung vom 08.09.2016 wirksam beendet worden, wenn die Beendigung nicht schon durch die Kündigung vom 23.08.2016 erfolgt wäre.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

IV.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nrn. 7, 711 S. 1 ZPO.

V.

Dem Beklagten ist eine Räumungsfrist gemäß § 721 ZPO nicht zu gewähren. Grundsätzlich sind im Rahmen der Entscheidung nach § 721 ZPO die Interessen des Mieters und Vermieters gegeneinander abzuwägen. Dabei sind insbesondere das Alter und Bedürfnis des Mieters, die Dauer des Mietverhältnisses, der Bedarf des Vermieters, das Bereitstehen von Ersatzwohnraum sowie die Art und Weise der Pflichtverletzung und das Verschulden der Parteien gegeneinander abzuwägen.

Zu Gunsten des Beklagten spricht hier zwar die relativ lange Dauer des Mietverhältnisses. Zu Lasten des Beklagten sind jedoch die Art und Weise und die Intensität der Pflichtverletzungen sowie die Schutzpflicht des Vermieters gegenüber den anderen Mietern ebenso wie das Verschulden des Beklagten in die Abwägung einzustellen, so dass unter Berücksichtigung der genannten Punkte dem Beklagten eine Räumungsfrist nicht zu gewähren ist.

 

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