Interpretation und Auslegung von Mietverträgen: Uneinheitliche Angaben und Auswirkungen auf Kündigungsrechte
In der komplexen Welt des Mietrechts spielen Verträge eine zentrale Rolle. Doch was passiert, wenn diese Verträge Lücken aufweisen oder unterschiedliche Angaben enthalten? Das Landgericht (LG) Freiburg hatte sich in einem Urteil vom 30. Juni 2020 (Az.: 9 S 4/20) mit einem solchen Fall auseinanderzusetzen. Der Streit drehte sich um die Auslegung eines Mietvertrages, in dem Uneinigkeiten über den vereinbarten Kündigungsverzicht bestanden.
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Übersicht
Unbefristeter Kündigungsverzicht und Vertragsauslegung
Gemäß der Entscheidung des LG Freiburg sind allgemeine Geschäftsbedingungen nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn zu interpretieren. Dabei steht die Sichtweise der durchschnittlichen Vertragspartner im Fokus. Im vorliegenden Fall konnten die Richter keinen unbefristeten Kündigungsverzicht erkennen. Sie kamen zu dem Schluss, dass die Mietparteien sich auf einen am 01.04.2013 beginnenden Mietvertrag auf unbestimmte Zeit geeinigt hatten.
Eigenbedarfskündigung und Zeugenaussagen
Der nächste Abschnitt der Entscheidung befasste sich mit der Problematik einer Eigenbedarfskündigung. Für eine solche Kündigung gibt es strenge Voraussetzungen und Fristen. Interessant ist hier, dass das Gericht auch Zeugenaussagen zur Beurteilung heranzog. Der Zeuge S. bestätigte, dass der Zeitpunkt, zu dem ein möglicher Eigenbedarf eintreten würde, den Vermietern zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses nicht bekannt war.
Eigenbedarfskündigung und die Rolle von Treu und Glauben
Die Kläger hatten bereits zuvor eine Eigenbedarfskündigung eingereicht, diese aber nicht weiter verfolgt. Die Richter stellten fest, dass die Frist verstrichen war, innerhalb derer die Vermieter das Mietverhältnis aus Gründen von Treu und Glauben nicht wegen Eigenbedarfs kündigen konnten. Dieser Aspekt verdeutlicht, wie wichtig es ist, rechtliche Fristen im Auge zu behalten.
Prüfung der Zumutbarkeit einer neuen Wohnung
In der finalen Phase der Entscheidung nahmen die Richter die Zumutbarkeit einer alternativen Wohnung in den Blick. Sie verwarfen die Behauptung des Amtsgerichts, dass es der Beklagten nicht möglich sei, eine angemessene Wohnung zu finden. Insbesondere die finanziellen Möglichkeiten der Beklagten oder andere mögliche Hindernisse für die Anmietung einer angemessenen Wohnung wurden dabei berücksichtigt.
Das Urteil zeigt eindrücklich, wie komplex die Auslegung von Mietverträgen und die damit verbundenen Kündigungsrechte sein können. Dabei spielen eine Vielzahl von Faktoren, wie Zeugenaussagen, die Einhaltung von Fristen und die Bewertung der Zumutbarkeit neuer Wohnverhältnisse eine zentrale Rolle.
Das vorliegende Urteil
LG Freiburg – Az.: 9 S 4/20 – Urteil vom 30.06.2020
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Kenzingen vom 17.12.2019, Az. 2 C 73/19, wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Amtsgerichts Kenzingen ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Der Beklagten wird eine Räumungsfrist bis zum 31.08.2020 gewährt.
5. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Kläger verlangen von der Beklagten die Räumung und Herausgabe einer Mietwohnung.
Am 20.03.2013 schlossen die Parteien zum 01.04.2013 einen Mietvertrag über eine im Anwesen in der B. Straße … in H. belegene Wohnung.
Das bei Vertragsschluss von den Parteien verwendete Mietvertragsformular ist zweifach ausgefüllt worden. Ein Exemplar verblieb bei den Klägern, eines bei der Beklagten.
In dem von den Klägern in Kopie vorgelegten Formular, welches die Unterschrift beider Seiten trägt, findet sich folgende Eintragung (AS I 5):
…………
In der von der Beklagten vorgelegten Fassung, welche nur von den Klägern unterzeichnet wurde, findet sich die Eintragung im weiter unten liegenden Feld (AS I 97):
……….
Unter dem 01.09.2017 kündigten die Kläger das Mietverhältnis und machten Eigenbedarf für ihren frisch verheirateten Sohn geltend (AS I 29), der mit seiner Ehefrau bei den Klägern wohnt.
Im Frühjahr 2018 kam es außerdem zu einem Rechtsstreit über eine Mieterhöhung der durch eine Klagerücknahme der hiesigen Kläger am 21.08.2018 beendet wurde (AS I 87 f.).
Als die Ehefrau des Zeugen L. G. schwanger wurde, kündigten die Kläger erneut wegen Eigenbedarfs unter dem 20.10.2018 zum 28.02.2019. Wegen der Einzelheiten wird auf das erstinstanzlich durch die Kläger als Mehrdruck vorgelegte Kündigungsschreiben Bezug genommen (AS I 37).
Mit Schreiben vom 20.02.2019 erhob die Beklagte Sozialwiderspruch (AS I 33-35; B 4: AS 81-83), weil es ihr nicht möglich sei, angemessenen Ersatzwohnraum zu finden.
Das Amtsgericht Kenzingen hat der Klage mit Urteil vom 17.12.2019 stattgegeben und eine Räumungsfrist bis zum 31.03.2020 gewährt. Dabei hat das Amtsgericht im Wesentlichen ausgeführt, dass die Kündigung den formellen Anforderungen des § 573 Abs. 3 BGB genüge, obwohl der Name des Sohnes nicht genannt wurde, und dass die Kläger das tatsächliche Bestehen des Eigenbedarfs bewiesen hätten. Ein Kündigungsverzicht sei nicht vereinbart worden. Die Kündigung sei auch nicht rechtsmissbräuchlich wegen der von der Beklagten eingewandten Vorhersehbarkeit des Eigenbedarfs. Im Rahmen der nach § 574 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Interessenabwägung sei schließlich ein Überwiegen des klägerischen Interesses an der Erlangung der Wohnung festzustellen.
Mit der hiergegen am 17.01.2020 eingelegten und nach entsprechender Fristverlängerung am 20.03.2020 begründeten Berufung verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Die Beklagte ist insbesondere der Ansicht, die Kläger hätten aufgrund der im von der Beklagten vorgelegten Vertragsformular (B 1) enthaltenen Eintragung unter der Überschrift „Mietvertrag auf unbestimmte Zeit mit wechselseitigem Kündigungsverzicht“ wirksam auf das Recht zur ordentlichen Kündigung verzichtet.
Die Kündigung sei überdies jedenfalls rechtsmissbräuchlich, weil der angeführte Eigenbedarf bei Mietvertragsabschluss jedenfalls vorhersehbar gewesen sei, worüber die Beklagte hätte aufgeklärt werden müssen.
Weiter meint die Beklagte, dass die Bedarfsperson, für die Eigenbedarf geltend gemacht wurde, im Kündigungsschreiben vom 20.10.2018 nicht hinreichend individualisiert worden sei, da Eigenbedarf für einen in dem Haushalt der Kläger lebenden Sohn und dessen Ehefrau geltend gemacht wurde, ohne diesen namentlich zu bezeichnen.
Schließlich sei der Sozialwiderspruch der Beklagten beachtlich, weil sie trotz bereits unternommener erheblicher Bemühungen nicht in der Lage sei, angemessenen Ersatzwohnraum zu zumutbaren Bedingungen zu finden. Aufgrund dessen liege eine Härte im Sinne des § 574 Abs. 2 BGB vor, weshalb der Beklagten ein Anspruch auf Verlängerung des Mietverhältnisses zustehe.
Die Beklagte beantragt: Auf die Berufung wird das Urteil des Amtsgerichts Kenzingen vom 17.12.2019, Az. 2 C 73/19, aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Die Kläger beantragen, die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigen das erstinstanzliche Urteil.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird Bezug genommen auf die Ausführungen in dem angefochtenen Urteil des Amtsgerichts Kenzingen vom 17.12.2019 und die wechselseitigen Schriftsätze beider Instanzen.
Von einer Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird im Übrigen nach den §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 S. 1 ZPO abgesehen.
II.
Die zulässige Berufung ist in der Sache unbegründet. Das Amtsgericht hat richtig entschieden. Die Angriffe der Berufung rechtfertigen keine andere Entscheidung.
Den Klägern steht der klageweise geltend gemachte Anspruch auf Räumung und Herausgabe der Mietwohnung gem. § 546 Abs. 1 BGB zu. Denn der Mietvertrag mit der Beklagten ist durch die auf Eigenbedarf gestützte ordentliche Kündigung vom 20.10.2018 beendet worden.
1. Zutreffend geht das Amtsgericht zunächst davon aus, dass das Schreiben der Kläger vom 20.10.2018 den an eine Kündigung zu stellenden formellen Anforderungen genügt.
Gemäß § 573 Abs. 3 Satz 1 BGB setzt die Wirksamkeit einer Kündigungserklärung namentlich voraus, dass die Gründe für ein berechtigtes Interesse des Vermieters an der Beendigung des Mietverhältnisses in dem Kündigungsschreiben angegeben sind (BGH, Urt. v. 30.04.2014, VIII ZR 284/13, juris Rdn. 7).
Im Falle einer Eigenbedarfskündigung muss der Vermieter die Personen bezeichnen, für die die Wohnung benötigt wird. Lässt sich die Bedarfsperson aus der Kündigungserklärung selbst nicht auch nur annähernd ermitteln, ist die Kündigung aus formellen Gründen unwirksam. Die namentliche Nennung der Bedarfsperson wird man allerdings nur dann fordern können, wenn keine eindeutige Kenntnis auf Seiten des Mieters anzunehmen ist oder die Bedarfsperson nicht sonst näher bezeichnet ist (vgl. zu den Einzelheiten: Blank, in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, 14. Aufl. 2019, § 573 Rdn. 224).
Im Streitfall findet sich in der Kündigung vom 20.10.2018 (AS I 37) derjenige Sohn als Bedarfsperson bezeichnet, der im September des Jahres 2017 frisch verheiratet war und sowohl zuvor als auch in der Folge mit den Klägern in einer Wohnung lebte. Dies ist eindeutig der Zeuge L. G., der damit jedenfalls identifizierbar ist, obwohl er nicht namentlich genannt wird.
2. Die Parteien haben keinen Kündigungsausschluss vereinbart, der zur Unwirksamkeit der Kündigung vom 20.10.2018 führt.
a) Das Recht zur Kündigung wurde insbesondere nicht durch die im Mietvertragsformular in § 2 Nr. 2 S. 2 enthaltene Regelung ausgeschlossen.
Vorformulierte Vertragsbestandteile werden nur dann Vertragsinhalt, wenn sie von den Parteien bewusst und gewollt einbezogen werden (§ 305 Abs. 2 BGB). Ist eine Klausel von den Parteien, obwohl nach der Gestaltung hierfür vorgesehen, nicht ausgefüllt worden, so wird die dort getroffene Regelung mangels Einigung nicht Bestandteil des Vertrages (Hannemann, in: Hannemann/Wiegner, Mietrecht, 5. Aufl. 2019, § 10 Rdn. 48 m.w.N.).
Im Streitfall ist der im Formular zum Kündigungsverzicht enthaltene Satz in § 2 Nr. 2 S. 2 sowohl in dem von den Klägern als auch in dem von der Beklagten vorgelegten Exemplar nicht ausgefüllt, obwohl ein zum Ausfüllen vorgesehenes Feld über die Befristung des Kündigungsverzichts vorhanden ist und der einschlägige Satz ohne eine Eintragung unvollständig bleibt. Bereits durch diese Auslassung haben sich die Parteien isoliert betrachtet dazu entschieden, die genannten Kündigungsmöglichkeiten überhaupt nicht einzuschränken.
b) Aber auch mit Augenmerk auf die weiteren Textteile ergibt sich aus der maßgeblichen Sicht eines objektiven Dritten bei vernünftiger Beurteilung nicht die Vereinbarung eines Kündigungsverzichts.
Zwar ist der Beginn des Mietverhältnisses mit der Datumsangabe „01.04.2013“ in der von der Beklagten vorgelegten Fassung unter der Überschrift „Mietvertrag auf unbestimmte Zeit mit wechselseitigem Kündigungsverzicht“ anders als in dem bei den Klägern verbliebenen Exemplar unter der darüber befindlichen Variante „Mietvertrag auf unbestimmte Zeit“ eingetragen.
Dies genügt angesichts der im zu entscheidenden Einzelfall gegebenen Umstände aber entgegen der Berufung nicht dafür, von der Vereinbarung eines unbefristeten Kündigungsverzichts auszugehen.
Allgemeine Geschäftsbedingungen sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden, wobei die Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zu Grunde zu legen sind (vgl. nur: BGH, Urt. v. 25.01.2006, VIII ZR 3/05, juris Rdn. 16 m.w.N.).
Schon unter Berücksichtigung des im Formular direkt an den unvollständig gebliebenen Satz angeschlossenen, fett gesetzten Hinweises – solcher Fettsatz findet sich im Fließtext des Formulars nur an wenigen Stellen –, dass der einzutragende Zeitraum vier Jahre nicht überschreiten dürfe, spricht der objektive Inhalt der in Rede stehenden Textpassage bei der gebotenen verständigen Würdigung gegen die Vereinbarung eines dieser Anweisung zuwiderlaufenden unbefristeten Kündigungsverzichts. Es ist fernliegend, davon auszugehen, dass die Parteien in einem Satz etwas vereinbaren wollen, was im nächsten Satz für rechtlich unmöglich erklärt wird.
Zudem stehen die jeweils tatsächlich ausgefüllten Sätze des Formulars der beiden Exemplare nicht einmal in inhaltlichem Widerspruch zueinander. So heißt es bei den Klägern (AS I 5):
„Das Mietverhältnis beginnt am 01.04.2013. Es läuft auf unbestimmte Zeit und kann unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist ordentlich (vgl. § 17 Ziff. 1) gekündigt werden.“
Bei den Beklagten lautet der mit demselben Datum versehene Satz (AS I 97):
„Das Mietverhältnis beginnt am 01.04.2013 und läuft auf unbestimmte Zeit.“
So ist der nach den vorhandenen Eintragungen übereinstimmend gewollte Erklärungsgehalt seinem objektiv ermittelbaren Sinn folgend dahin auszulegen, dass die Parteien sich schlicht über einen am 01.04.2013 beginnenden Mietvertrag auf unbestimmte Zeit einig wurden. Anders sind die Erklärungen im zu entscheidenden Einzelfall von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise nicht zu verstehen.
c) Nichts anderes ergibt sich vor dem Hintergrund der sogenannten Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB.
Diese Vorschrift betrifft allein die im Streitfall nach dem Vorstehenden nicht gegebene Situation eines offenen Ergebnisses, bei der sich durch Auslegung kein eindeutiger Erklärungsgehalt einer Klausel ermitteln lässt. Nur für diesen hier nicht vorliegenden Fall einer Unklarheit enthält der § 305 c Abs. 2 BGB dann eine Entscheidung zu Lasten des Verwenders.
Zu Recht weist das Amtsgericht noch darauf hin, dass die von der Beklagten in erster Instanz angeführte Entscheidung des Landgerichts Berlin (Urt v. 06.12.2017, Az.: 65 S 175/17) eine von der vorliegenden abweichende Sachverhaltskonstellation mit anderen Formulierungen des Vertrages betraf (dort: „[…]“ die Vertragspartner streben ein längerfristiges Mietverhältnis an […]“), weshalb sich dort ein eindeutiger Inhalt der Vertragsklausel nicht ermitteln ließ, so dass, anders als vorliegend, die Unklarheitenregel des § 305 c Abs. 2 BGB zur Anwendung berufen war (abweichend gelagert auch: BGH, Versäumnisurt. v. 11.12.2013, VIII ZR 235/12, juris Rdn. 13: Wille der Parteien zum längerfristigen Mietverhältnis durch bestimmt vereinbarte Mietdauer dokumentiert).
d) Ob es sich, was nach den äußeren Umständen naheliegt, bei der Eintragung im Formular der Beklagten um einen bloßen Fehler beim Übertragen vom beiderseits unterzeichneten Exemplar der Kläger handelt, kann nach dem Vorstehenden offenbleiben.
e) In rechtlicher Hinsicht braucht überdies die Frage nicht entschieden zu werden, ob überhaupt, wovon die Berufung ausgeht, bei einem beidseitigen Kündigungsausschluss der Kündigungsverzicht des Vermieters bindend bleibt, wenn der Kündigungsverzicht des Mieters wegen überlanger Bindung unwirksam ist (hierzu näher: Blank, in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, 14. Aufl. 2019, § 573c Rdn. 23; Rolfs, in: Staudinger, BGB, Neubearb. 2018, § 573c Rdn. 56 f.; Wiek, WuM 2006, 152, 155).
3. Den Klägern bleibt ihr Kündigungsrecht auch nicht aufgrund rechtsmissbräuchlichen Verhaltens versagt.
a) Zwar setzt sich ein Vermieter, der eine Wohnung auf unbestimmte Zeit vermietet, obwohl er entweder entschlossen ist oder zumindest erwägt, also ernsthaft in Betracht zieht (BGH, Urt. v. 04.02.2015, VIII ZR 154/14, juris; Urt. v. 04.02.2015, VIII ZR 154/14, juris insbes. Rdn. 19 und 27), die Wohnung alsbald selbst in Gebrauch zu nehmen, mit einer später hierauf gestützten Eigenbedarfskündigung zu seinem früheren Verhalten in Widerspruch, so dass die Eigenbedarfskündigung wegen Rechtsmissbrauchs unwirksam ist, wenn der Mieter, der mit einer längeren Mietdauer rechnete, bei Vertragsschluss nicht über die Aussicht einer begrenzten Mietdauer aufgeklärt wurde (vgl. auch: BGH, Urt. v. 21.01.2009, VIII ZR 62/08, juris; Urt. v. 20.03.2013, VIII ZR 233/12, juris).
Im Streitfall tragen die Kläger immerhin mit der Klageschrift vor, sie hätten „die Immobilie in H. hauptsächlich zu dem Zweck erworben, dass ihre Kinder irgendwann eine eigene Wohnung haben würden, wenn sie eine solche benötigten“ (AS I 3).
b) Doch bedarf es keiner abschließenden Entscheidung, ob die Kläger die Beklagte bei Abschluss des Mietvertrags hierauf hätten hinweisen müssen.
Denn dem sich nach den vorbezeichneten Grundsätzen widersprüchlich und daher rechtsmissbräuchlich verhaltenden Vermieter bleibt das Kündigungsrecht nicht etwa dauerhaft, sondern nur für einen bestimmten Zeitraum verwehrt (vgl. nur: Fleindl, in: Bub/Treier MietR-HdB, 5. Aufl. 2019, Kapitel IV. Rdn. 144 m.w.N.). Dabei bildet der Zeitraum von vier bis fünf Jahren einen ungefähren Richtwert für die im Einzelfall maßgebliche Frist, innerhalb derer der Vermieter das Mietverhältnis mit Rücksicht auf Treu und Glauben nicht wegen Eigenbedarfs kündigen kann (BGH, Urt. v. 21.01.2009, VIII ZR 62/08, juris Rdn. 18; Blank, in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, 14. Aufl. 2019, § 573 Rdn. 138 m.w.N.; Schönleber, in: Hannemann/Wiegner, Mietrecht, 5. Aufl. 2019, § 28 Rdn. 587 m.w.N.). Allerdings ist auch hier eine Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls erforderlich. So kann eine nach Verletzung der vorvertraglichen Hinweispflicht ausgesprochene Kündigung auch schon vor Ablauf von vier bis fünf Jahren ihren rechtsmissbräuchlichen Charakter verlieren, während in bestimmten Konstellationen, der Vorwurf des treuwidrigen Verhaltens auch länger währen kann (vgl. nur Hinz, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2016, § 573 Rdn. 69 m.w.N.).
Vorliegend waren die Kläger jedenfalls im Zeitpunkt der Kündigungserklärung am 20.10.2018 (AS I 37), fünf Jahre und sieben Monate nach Mietvertragsabschluss (AS I 23/ 111), nach den gegebenen Einzelfallumständen mit ihrer auf Eigenbedarf gestützten Kündigung nicht mehr wegen Rechtsmissbrauchs ausgeschlossen.
aa) Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass, wie das Amtsgericht zu Recht feststellt, den Klägern zumindest der Zeitpunkt der tatsächlichen Eigennutzung im Zeitpunkt der Vermietung unklar war (AS I 398).
Soweit die Berufung meint, diese Feststellung finde keine Stütze im Parteivortrag, ist durch die Kläger erstinstanzlich mit Schriftsatz vom 22.08.2019 dargelegt worden, dass „bei Abschluss des Mietvertrages […] in keiner Weise absehbar [war], ob und wann ihr Sohn heiraten und den Wunsch nach einer eigenen Wohnung äußern würde“ (AS I 315).
Ohne Erfolg wendet sich die Beklagte sodann gegen die amtsgerichtliche Beweiswürdigung.
Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist das Berufungsgericht grundsätzlich an die Tatsachenfeststellungen des ersten Rechtszuges gebunden (vgl. nur: BGH, Urt. v. 30.11.2004, X ZR 133/03, juris Rdn. 16). Die Bindung des Berufungsgerichts entfällt gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO nur dann, wenn konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit entscheidungserheblicher Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Konkrete Anhaltspunkte in diesem Sinn sind alle objektivierbaren rechtlichen oder tatsächlichen Einwände gegen die erstinstanzlichen Feststellungen, aus denen sich Zweifel an ihrer Richtigkeit ergeben; sie können sich unter anderem aus Parteivorbringen ergeben und liegen schon dann vor, wenn aus Sicht des Berufungsgerichts eine gewisse – nicht notwendig überwiegende – Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass im Fall der Beweiserhebung die erstinstanzliche Feststellung keinen Bestand haben wird (st. Rspr.; s. BGH, Beschl. v. 21.03.2018, VII ZR 170/17, juris Rdn. 15). Die bloße Möglichkeit einer anderen Bewertung der Beweisergebnisse reicht hingegen nicht aus, um die erstinstanzliche Beweiswürdigung zu erschüttern (OLG Düsseldorf, Urt. v. 01.07.2016, I-7 U 68/15, juris).
Nach diesen Grundsätzen hat die Kammer auch in Ansehung der Berufungsbegründung keine ernsthaften Zweifel im oben genannten Sinne an der vom Amtsgericht getroffenen Feststellung, der Zeitpunkt, zu dem der Eigenbedarf eintreten würde, sei den Klägern bei Mietvertragsabschluss unklar gewesen.
So erklärte der Zeuge S. G., der ältere Sohn der Kläger, es sei zunächst angedacht gewesen, dass er selbst in die Wohnung einziehe. Er habe dann aber ein eigenes Haus gekauft, in dem sich auch die Wohnung befinde, in welche die Kläger mit dem Zeugen L. G., ihrem jüngeren Sohn, eingezogen seien. Dieser gab im Zuge seiner erstinstanzlichen Vernehmung an, sein Eigennutzungswunsch sei erst einige Jahre nach Mietvertragsschluss, nämlich nach seiner Heirat im Jahr 2017 und daraufhin zunehmenden Spannungen im Alltagsleben mit den Eltern entstanden. Dass der Zeitpunkt, zu dem ein etwaiger Eigenbedarf eintreten würde, von den weiteren Entwicklungen über den Verlauf des Mietverhältnisses hin abhing und den Klägern bei Vertragsschluss unbekannt war, hat das Amtsgericht vor dem Hintergrund der widerspruchsfreien Angaben der Zeugen folgerichtig festgestellt.
bb) Überdies bestand der vom Amtsgericht (nach zutreffender und von der Berufung auch nicht angegriffener Beweiswürdigung) bejahte Eigenbedarf bereits seit über einem Jahr, als die Kündigung unter dem 20.10.2018 (AS I 37) ausgesprochen wurde. Bereits zuvor war eine Eigenbedarfskündigung vom 01.09.2017 (AS I 29) von den Klägern nicht weiterverfolgt worden. Jedenfalls in diesem Zeitpunkt der erneuten Anmeldung des Eigenbedarfs aufgrund der Erwartung eines in der Folge allerdings verstorbenen Säuglings war die Frist verstrichen, innerhalb derer die Kläger das Mietverhältnis mit Rücksicht auf Treu und Glauben nicht wegen Eigenbedarfs kündigen konnten.
4. Dass die Eigenbedarfskündigung eine bloße Sanktion für Angriffe der Beklagten auf ein Mieterhöhungsverlangen und auf Nebenkostenabrechnungen darstelle (AS I 75) und deshalb treuwidrig sei, wird von ihr zweitinstanzlich nicht mehr geltend gemacht. Zu Recht kam das Amtsgericht überdies zu dem Ergebnis, dass Anhaltspunkte hierfür weder dargetan noch sonst ersichtlich sind; zumal bereits die erste, nicht weiter verfolgte Eigenbedarfskündigung vom 01.09.2017 (AS I 29) diesen vermeintlich anlassgebenden Ereignissen zeitlich vorgelagert war.
5. Das mithin inzwischen beendete Mietverhältnis ist auch nicht auf den Widerspruch der Beklagten gemäß den §§ 574, 574a BGB befristet oder unbefristet fortzusetzen. Die Beklagte kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass der Verlust der Wohnung für sie eine Härte bedeuten würde, die auch unter Berücksichtigung der Interessen der Kläger nicht gerechtfertigt werden könne.
Zutreffend hat das Amtsgericht einen Anspruch der Beklagten auf Fortsetzung des Mietverhältnisses wegen nicht zu beschaffenden angemessenen Ersatzwohnraums zu zumutbaren Bedingungen (§ 574 Abs. 2 BGB) verneint.
Eine Ersatzwohnung ist angemessen, wenn sie im Vergleich zu der bisherigen Wohnung den Bedürfnissen des Mieters entspricht und sie finanziell für ihn tragbar ist. Dabei sind die Lebensführung des Mieters und seine persönlichen und finanziellen Lebensverhältnisse maßgebend. Die Wohnung muss allerdings dem bisherigen Wohnraum weder hinsichtlich ihrer Größe, ihres Zuschnitts oder ihrer Qualität noch nach ihrem Preis vollständig entsprechen (BGH, Urt. v. 22.05.2019, VIII ZR 180/18, juris Rdn. 50 m.w.N.).
Gemessen daran hat das Amtsgericht die Feststellung zu Recht nicht getroffen, dass eine Wohnung, in welcher die Beklagte als Einzelperson leben kann, nicht zu zumutbaren Bedingungen zu beschaffen ist, weil ein solcher Wohnraum auch in der näheren Umgebung von H. überhaupt nicht zur Verfügung steht, die Beklagte nicht über die hierfür erforderlichen finanziellen Mittel verfügt oder sonstige beachtliche Gründe sie an einer Anmietung einer angemessenen Wohnung hindern.
Die Beklagte verfügt ausweislich ihrer Selbstauskunft bei Mietvertragsabschluss über ein Gesamtnettoeinkommen von 1.100,00 €.
Die Anstrengungen, welche die Beklagte unternahm, um angemessenen Ersatzwohnraum zu finden, sind in der eingereichten, handschriftlich kommentierten Zusammenstellung von Annoncen dokumentiert (AS I 121-305). Dass die Beklagte in der bislang verstrichenen Zeit erfolglos hinreichende Anstrengungen unternommen hätte, um angemessenen Ersatzwohnraum zu finden, lässt sich allein anhand dieser Auflistung allerdings nicht feststellen. Hierin ist dem Amtsgericht zuzustimmen. Nur ganz vereinzelt lässt sich der Auflistung entnehmen, warum die Wohnungssuche jeweils erfolglos blieb. Auch mit der Berufung führt die Beklagte nicht näher aus, inwiefern sie sich überhaupt um die aufgelisteten Wohnungen bemühte und woran ihre Bewerbungen scheiterten und ob sie überdies einen Makler eingeschaltet, den Radius ihrer Suche geographisch erweitert oder auch auf ausreichend großzügig geschnittene Einzimmerwohnungen erstreckt hätte, oder was sie hieran jeweils hinderte.
III.
Gemäß § 721 Abs. 1 ZPO war der Beklagten eine Räumungsfrist bis zum 31.08.2020 zu gewähren.
Mit der Möglichkeit der Gewährung einer Räumungsfrist mildert der § 721 ZPO die Schwierigkeiten des Übergangs aus dem beendeten Mietverhältnis, insbesondere bei der Wohnungssuche. In der Corona-Krise hat diese Intention besondere Bedeutung, da es eine Vielzahl von Berichten gibt, wonach der Wohnungsmarkt jedenfalls in der Zeit des mittlerweile beendeten sog. Shutdowns weitgehend zum Erliegen gekommen ist. Die Chance, Ersatzwohnraum zu finden, ist bei ohnehin vielfach angespannten Wohnungsmärkten nochmals gesunken (vgl. zum Ganzen näher: Streyl, in: Schmidt, COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 1. Aufl. 2020, Rdn. 112-119). Bei der Entscheidung über die Räumungsfrist hat eine Abwägung der Gläubiger- und Schuldnerinteressen im Einzelfall zu erfolgen (vgl. nur: Herget, in: Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 721 Rdn. 6).
Vorliegend war dabei insbesondere zu berücksichtigen, dass die Beklagte ihren Zahlungspflichten, soweit ersichtlich, stets nachkommt. Das Mietverhältnis bestand immerhin über einen Zeitraum von über fünf Jahren. Andererseits bestehen bei den Klägern beengte räumliche Verhältnisse. Für einen begrenzten Zeitraum von noch 2 Monaten kann den Klägern das Verbleiben der Beklagten vor diesem Hintergrund gleichwohl noch zugemutet werden. Eine weitergehende Räumungsfrist wäre den Klägern allerdings nicht mehr zumutbar.
IV.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruhen auf den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) liegen nicht vor.