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Mietvertragskündigung eines an Depression erkrankten Mieters

LG Berlin – Az.: 65 S 77/19 – Urteil vom 25.10.2019

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Neukölln vom 13. März 2019 – 13 C 513/18 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil des Amtsgerichts Neukölln vom 13. März 2019 ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Beklagten wird eine Räumungsfrist bis zum 29.02.2020 gewährt.

Gründe

I.

Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird gemäß §§ 522 Abs. 2 Satz 4, 544 ZPO, § 26 Nr. 8 EGZPO abgesehen.

II.

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist unbegründet. Im Ergebnis rechtfertigen die der Entscheidung zugrunde zu legenden Tatsachen keine andere Entscheidung, §§ 513, 529, 546 BGB.

Der Klägerin steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Räumung und Herausgabe der von ihr inne gehaltenen Räumlichkeiten gemäß § 546 Abs. 1 BGB zu. Die von der Klägerin mit Schreiben vom 10.09.2018 ausgesprochene Kündigung hat das zwischen den Parteien bestehende Mietverhältnis fristgemäß beendet.

Die Klägerin hat in dem vorgenannten Kündigungsschreiben sowohl die fristlose als auch die ordentliche Kündigung erklärt, weil die Beklagte die monatlich in Höhe von 272,50 € geschuldete Miete in den Monaten August und September 2018 nicht geleistet hat. Die fristlose Kündigung ist – nachdem die Beklagte am 25.09.2018 den Mietrückstand in Höhe von 545,- € beglich – gemäß § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB unwirksam geworden, nicht hingegen die fristgemäß ausgesprochene Kündigung.

Die Voraussetzungen des § 573 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB lagen im maßgeblichen Zeitpunkt des Ausspruchs und des Zugangs der Kündigung vom 10.09.2018 vor.

Nach dieser Norm kann ein Vermieter das Mietverhältnis kündigen, wenn er ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses hat, wobei ein solches insbesondere dann vorliegt, wenn der Mieter seine vertraglichen Pflichten schuldhaft nicht unerheblich verletzt hat.

Diese Voraussetzungen sind hier gegeben.

Die Beklagte hat ihre Hauptleistungspflicht aus § 535 Abs. 2 BGB verletzt, weil sie die Mieten der Monate August und September 2018 nicht entrichtete.

Diese Pflichtverletzung ist nicht unerheblich.

Der Gesetzgeber hat im Rahmen der §§ 543 Abs. 1, 2 Nr. 3 a), b), 569 Abs. 3 Nr. 1 BGB definiert, welches Zahlungsverhalten des Mieters er als so erhebliche Pflichtverletzung ansieht, dass es den Vermieter (sogar) zur außerordentlichen (fristlosen) Kündigung des Mietverhältnisses berechtigt (vgl. BGH, Urt. v. 14.07.2010 – VIII ZR 96/09, NJW 2010, 3020f., nach beck-online Rn. 15, mwN; MüKoBGB/Häublein, 7. Aufl. 2016, BGB § 573 Rn. 57). Ein solches Zahlungsverhalten kann im Rahmen des Kündigungstatbestandes des § 573 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB folgerichtig nur als gleichermaßen erhebliche Pflichtverletzung angesehen werden.

Hier erfüllte das Zahlungsverhalten der Beklagten mehrere Kündigungstatbestände der §§ 543 Abs. 1, 2 Satz 1 Nr. 3 a), 569 Abs. 3 Nr. 1 BGB.

Die Beklagte befand sich mit einem Betrag in Verzug, der die Miete für zwei Monate erreichte, so dass auch die Voraussetzungen für eine fristlose Kündigung gegeben waren.

Entgegen der Ansicht der Beklagten führt die von ihr bewirkte Schonfristzahlung nach § 569 BGB nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die in Übereinstimmung mit dem Gesetz, seinen Materialien und dem – inzwischen offenkundigen – Willen des Gesetzgebers steht, nicht zur Unwirksamkeit der fristgemäß ausgesprochenen Kündigung. Auch lassen sich keine konkreten allgemeinen Regeln aufstellen, unter welchen Voraussetzungen ein Ausgleich der Mietrückstände innerhalb der Schonfrist der Durchsetzung des Räumungsanspruchs aufgrund der (wirksamen) ordentlichen Kündigung entgegensteht (vgl. BGH Beschluss vom 06.01.2015 – VIII ZR 321/14 – zitiert nach juris; dort Rn.: 7; vorhergehend: LG Bonn Urteil vom 06.11.2014 – 6 S 154/14 – zitiert nach juris; dort Rn.: 20).

Diese nicht unerhebliche Zahlungspflichtverletzung erfolgte schuldhaft.

Mietvertragskündigung eines an Depression erkrankten Mieters
(Symbolfoto: Chanintorn.v/Shutterstock.com)

Als zugunsten des Mieters wirkendes Korrektiv wird im Rahmen des § 573 Abs.1, 2 Nr.1 BGB angesehen, dass der Kündigungstatbestand eine schuldhafte Pflichtverletzung voraussetzt, der Mieter demnach die Möglichkeit hat, sich – etwa wegen einer unverschuldeten Zahlungsunfähigkeit oder unverschuldeter Zahlungsengpässe – zu entlasten, (Rechtsgedanke des § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB; vgl. BGH, Beschl. v. 20.07.2016 – VIII ZR 238/15, WuM 2015, 682, nach juris Rn. 15f; Urt. v. 13.04.2016 – VIII ZR 39/15, WuM 2016, 365, nach juris Rn. 17; Urt. v. 10.10.2012 – VIII ZR 107/12, WuM 2012, 682, nach juris Rn. 24; MüKoBGB/Häublein, 7. Aufl. 2016, BGB § 573 Rn. 65). Diese Möglichkeit ist dem Mieter im Rahmen des Kündigungstatbestandes des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB versagt, denn nach §§ 286 Abs. 4, 276 Abs. 1 BGB gilt für den Schuldner im Falle des Verzugs bei Geldschulden eine strengere Haftung; er hat ohne Rücksicht auf ein Verschulden für seine finanzielle Leistungsfähigkeit einzustehen (vgl. BGH, Urt. v. 04.02.2015 – VIII ZR 175/14, WuM 2015, 152, nach juris Rn. 18; vgl. auch Sonnenschein in: Bericht der Expertenkommission Wohnungspolitik, BT-Drs. 13/159, S. 401).

Dies zugrunde gelegt, war es Sache der Beklagten, im Einzelnen darzulegen, dass sie die Pflichtverletzungen nicht zu vertreten hatte, wobei es ausreichte, dass sie darlegt und nachweist, dass ernstlich in Betracht kommende Möglichkeiten eines Verschuldens nicht bestehen, weil sie die ihr obliegende Sorgfalt beachtet hat (vgl. BGH, Beschl. v. 20.07.2016 – VIII ZR 238/15, WuM 2015, 682, nach juris Rn. 16; LG Berlin, Urteil vom 27. März 2019 – 65 S 223/18 –, Rn. 13 – 14, juris).

Die nicht unerhebliche Verletzung der Zahlungspflichten ist auch schuldhaft erfolgt.

Da das Gesetz keinen bestimmten Verschuldensmaßstab vorsieht, ist Maßstab § 276 BGB, wonach einfache Fahrlässigkeit ausreicht (vgl. BeckOGK/Geib, 1.10.2019, BGB § 573 Rn. 27; BeckOK MietR/Siegmund, 17. Ed. 01.06.2019, BGB § 573 Rn. 11, mwN).

Das Verschulden kann entfallen, wenn der Mieter sich in einem Zustand der Schuldunfähigkeit befand, Maßstab ist insoweit § 827 BGB (vgl. MüKoBGB/Häublein, 7. Aufl. 2016, BGB § 573 Rn. 64; BeckOK MietR/Siegmund, 17. Ed. 01.06.2019, BGB § 573 Rn. 11, mwN; Schmidt-Futterer/Blank, Mietrecht, 14. Aufl. § 573 Rn. 17).

Letztgenannte Voraussetzungen liegen nicht vor.

Ohne Erfolg verweist die Beklagte unter Bezugnahme auf das ärztliche Attest ihres Hausarztes, eines Arztes für Allgemeinmedizin, auf eine schwere psychische Belastung und eine damit im Zusammenhang stehende medikamentöse Behandlung mit Nebenwirkungen. Die Beklagte trägt selbst vor, dass die Erkrankung ihr und ihrem Hausarzt – der kein Facharzt für psychische Erkrankungen ist – seit mehr als acht Jahren bekannt ist. Hier setzt der Verschuldensvorwurf an, weshalb weder der Hausarzt zu vernehmen noch ein Sachverständigengutachten einzuholen ist.

Vorwerfbar ist der Beklagten bei Kenntnis der Erkrankung und ihrer Folgen, dass sie sich nicht um adäquate Hilfen bemüht hat, um abzuwenden, dass Vertragspartner, die dafür nicht einzustehen haben, die Folgen ihrer Erkrankung treffen. Es ist ihr zuzumuten, sich über Jahre eben nicht nur in die nach ihrem Vorbringen unzureichende hausärztliche Behandlung zu begeben, sondern eben in eine fachärztliche. Nach ihrem Vorbringen hat sie mehrere Anläufe zu nicht näher bezeichneten Zeitpunkten mit ebenfalls nicht näher dargestelltem Ergebnis bzw. Hinderungsgründen unternommen. Entscheidend hinzu kommt, dass der Beklagten insbesondere bekannt ist, dass infolge der Erkrankung Phasen auftreten, in denen sie nicht in der Lage ist, ihre Angelegenheiten zu regeln. Dies auch für diese Phasen sicherzustellen, ist ihre Aufgabe, der sie sich – da die Folgen ihr bekannt sind – in den Phasen zu stellen hat, in denen ihr dies – so ihr Vorbringen – möglich ist. Dafür sieht der Sozialstaat vielfältige Möglichkeiten vor; diese Aufgabe zu bewältigen oder Hilfestellung zu erbringen, obliegt keinem Vertragspartner einer kranken Person, auch nicht dem Vermieter.

Besondere Umstände des Einzelfalles, die festzustellen und zu würdigen Aufgabe des jeweiligen Tatrichters ist, können der Durchsetzung des Räumungsanspruchs unter dem Gesichtspunkt rechtsmissbräuchlichen Verhaltens gemäß § 242 BGB entgegen stehen. Ebenso können sich Anhaltspunkte aus dem Mieterverhalten nach Zugang der Kündigung ergeben, die den Schluss zu lassen, dass es nicht erneut zu Zahlungsrückständen kommen wird, wie etwa deshalb, weil es bisher keine gab (vgl. BGH Beschluss vom 23.02.2016 – VIII ZR 321/14 – zitiert nach juris; dort Rn. 5f).

Zugunsten der Beklagten ist zu berücksichtigen, dass sie den Mietrückstand in Höhe von 545,- € am 25. September 2018 und damit vor Rechtshängigkeit beglichen hat.

Ob, wie von der Klägerin aufgezeigt, die Mietrückstände der Beklagten, die schon zu Beginn des Mietverhältnisses im März 2009 auftraten und schließlich in einen Räumungstitel mündeten, in der Abwägung zu berücksichtigen sind, kann offen bleiben.

Das Mietkonto der Beklagten wies schon im Juni 2018 einen Rückstand (K8 90,25 €) auf und summierte sich im Juli 2018 auf 362,75, so dass schon zu diesem Zeitpunkt eine fristlose Kündigung möglich gewesen wäre. Auf die zwei Zahlungserinnerungen der Klägerin im Juni und Juli 2018 erfolgte keine Reaktion. Erst nach Ausspruch der Kündigung erfolgte der vorgenannte Ausgleich des Rückstands.

Zudem trägt die Klägerin vor, dass auch nach der Schonfristzahlung die Mietzahlungen nicht vollständig erfolgten. So wurde nach der Kündigung vom 10.09.2018 für den Monat Oktober statt der geschuldeten Miethöhe von 272,50 € nur ein Betrag in Höhe von 250,– € gezahlt, im November statt geschuldeter 295,50 € am 30.10.2018 lediglich 242,70 €, während im Monat Dezember statt geschuldeter 295,50 € in zwei Teilzahlungen lediglich insgesamt 291,18 € und im Januar 2019 statt geschuldeter 295,50 €, am 04.01.2019 ein Teilbetrag in Höhe von 150,- €, während die Restmiete am 14.01.2019 einging.

Zwar trifft es zu, wie die Beklagte vortragen lässt, dass sie ausweislich der vermieterseitigen Buchungen für das Jahr 2018 (Anlage K 9) das Jahr mit einem Guthaben i.H.v. 182,25 € startete, weil auch zu Beginn des Vorjahres 2017 ein Guthaben i.H.v. 281, 81 € bestand, welches die Beklagte das Jahr über „vor sich her schob“ und bewirkte, dass das Jahr 2017 mit dem Guthaben endete, welches, wie ausgeführt, in 2018 eingestellt wurde. Trotz dieses Ausgangsguthabens sind auf der Grundlage der vermieterseitigen Aufstellung ab Mai 2018 keine Zahlungen mehr erfolgt. Im Ergebnis zeigt dies zwar ein Bemühen der Beklagten, Rückstände nicht aufkommen lassen zu wollen. In der konkreten Situation reichte dies der Höhe nach aber nicht aus, um die völlige Zahlungseinstellung aufzufangen.

Im Hinblick auf das Zahlungsverhalten der Beklagten nach Ausspruch der Kündigung, wie es auch vom Amtsgericht dargestellt wurde, lässt sich eine Prognose dahingehend, dass es künftig zu Mietrückständen nicht mehr kommen wird, nicht treffen. Insofern überwiegt hier das Erlangungsinteresse der Klägerin.

Soweit sich die Beklagte allgemein auf die Situation am Berliner Wohnungsmarkt bezogen hat und sich insoweit auf eine Härte im Sinne von § 574 BGB beruft, steht dem schon die Norm selbst entgegen, weil gemäß § 574 Abs. 1 S. 2 BGB eine Härte dann nicht in Betracht kommt, wenn ein Grund vorliegt, der den Vermieter zur außerordentlichen fristlosen Kündigung berechtigt, was hier entsprechend den vorstehenden Ausführungen der Fall war.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Die Revision ist gemäß § 543 Abs. 1, 2 ZPO nicht zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht erfordern (Einzelfallentscheidung).

Der Beklagten war eine Räumungsfrist zu gewähren, § 721 Abs. 1 ZPO. Zwar hat die Beklagte zu Bemühungen um Ersatzwohnraum nichts vorgetragen. Die Kammer hält angesichts des Preissegments, in welchem die Beklagte die Wohnraumsuche vornimmt und der angesichts des gerichtsbekannt in der Vorweihnachtszeit nur eingeschränkten Wohnungswechsel die zuerkannte Räumungsfrist für angemessen und auch der Klägerin im Hinblick auf deren Erlangungsinteresse für zumutbar.

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