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Mietwohnung – Zweifel an Ernsthaftigkeit eines Überlassungswillens

AG Frankfurt/Main – Az.: 33 C 2877/21 – Urteil vom 25.05.2022

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, die im Anwesen ………, ……… Frankfurt am Main gelegene Wohnung Nr. ………, 3. OG, bestehend aus 2 Zimmern, Küche, Bad und einem Kellerraum, zu räumen und geräumt an die Kläger herauszugeben.

Den Beklagten wird eine Räumungsfrist bis zum 31. Oktober 2022 gewährt.

Die Kläger werden verurteilt, an die Beklagten 987,03 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 1. Mai 2021 zu zahlen.

Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Kläger als Gesamtschuldner 16% und die Beklagten als Gesamtschuldner 84% zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten können die Räumung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 5.100,00 EUR abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leisten. Im Übrigen können die jeweiligen Vollstreckungsschuldner die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die jeweiligen Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

Tatbestand

Die Kläger begehren von den Beklagten die Räumung und Herausgabe von Wohnraum. Die Beklagten verlangen von den Klägern die Erstattung geleisteter Betriebskostenvorauszahlungen.

Die Beklagten sind Mieter einer im Haus ……… in Frankfurt am Main gelegenen Dreizimmerwohnung. Ob die Kläger als Rechtsnachfolger in den Mietvertrag eingetreten sind, ist zwischen den Parteien streitig. Der monatliche Bruttomietzins beträgt zurzeit 567,15 EUR.

Der dem Mietverhältnis zugrunde liegende Mietvertrag datiert auf den 17. September 1981; er enthält in § 6 eine Einbeziehung Allgemeiner Vertragsbestimmungen, deren Nr. 10 Abs. 1 folgende Formulierung aufweist:

„Das Wohnungsunternehmen wird von sich aus das Mietverhältnis grundsätzlich nicht auflösen. Es kann jedoch in besonderen Ausnahmefällen des Mietverhältnis schriftlich unter Einhaltung der gesetzlichen Fristen kündigen, wenn wichtige berechtigte Interessen des Wohnungsunternehmens eine Beendigung des Mietverhältnisses notwendig machen.“

Mit Schreiben vom 10. September 2020 sprachen die Kläger gegenüber den Beklagten eine Eigenbedarfskündigung aus.

Die Beklagten widersprachen der Kündigung mit Schreiben vom 10. Mai 2021.

Die Beklagte zu 2) leidet an einer depressiven Störung und befindet sich seit dem Jahr 2015 in regelmäßiger psychotherapeutischer Behandlung. Auf das fachärztliche Attest vom 11. November 2021 (Bl. 79 d.A.) sowie den Befundbericht der Dipl. Psychologin ……… vom 10. Mai 2021 (Bl. 45 d.A.) wird Bezug genommen.

Die Kläger behaupten, die Wohnung im Wege der Zwangsversteigerung per Zuschlag erworben zu haben. Sie behaupten ferner, die Wohnung für ihren Sohn und dessen minderjährige Tochter zu benötigen. Der Sohn sei geschieden und wohne derzeit in einem einzelnen Zimmer in einer Wohnungsgemeinschaft in ………. Die Kläger behaupten ferner, ihr Sohn und dessen ehemalige Ehefrau hätten sich im Scheidungsverfahren dahingehend geeinigt, dass die gemeinsame minderjährige Tochter sich dauerhaft bei der Mutter aufhält und dem Sohn der Kläger ein Umgangsrecht eingeräumt werde. Zur Ausübung dieses Umgangsrechts sei der Sohn auf eine eigene Wohnung angewiesen.

Die Kläger beantragen, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, die im Anwesen ………, ……… Frankfurt am Main gelegene Wohnung Nr. ………, 3. OG, bestehend aus 2 Zimmern, Küche, Bad und einem Kellerraum, zu räumen und geräumt an die Kläger herauszugeben.

Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.

Die Beklagten beantragen ferner hilfsweise für den Fall des Unterliegens, ihnen eine großzügige, in das Ermessen des Gerichts gestellte, Räumungsfrist zu gewähren.

Die Beklagten behaupten, die Kläger seien nicht aktivlegitimiert. Nicht die Kläger, sondern deren Sohn sei durch Zuschlagsbeschluss des Amtsgerichts Frankfurt vom ……… Ersteher der streitgegenständlichen Wohnung geworden und damit als Vermieter in das Mietverhältnis mit allen Rechten und Pflichten eingetreten. Schließlich behaupten die Beklagten, der gesundheitliche Zustand der Beklagten zu 2) ließe einen Umzug nicht zu.

Die Beklagten sind der Ansicht, dass Kündigungsschreiben vom 10. September 2020 genüge nicht den gesetzlichen Voraussetzungen der §§ 573 Abs. 2 Ziffer 2, 573 Abs. 3 S. 1 BGB. Sie sind ferner der Ansicht, Nr. 10 Abs. 1 der Allgemeinen Vertragsbestimmungen zum Mietvertrag führe dazu, dass eine Kündigung wegen berechtigten Interessen nur unter erschwerten Bedingungen für den bzw. die Vermieter möglich sei.

Widerklagend begehren die Beklagten die Rückzahlung von Betriebskostenvorauszahlungen für die Kalenderjahre 2016 bis 2019.

Mit Betriebskostenabrechnung vom 27. Juni 2017 rechneten die Kläger über die Betriebskosten für den Zeitraum vom 1. Januar 2016 bis zum 31. Dezember 2016 ab. Hieraus ergab sich ein Nachzahlungsbetrag zulasten der Beklagten in Höhe von 60,07 EUR. Mit Betriebskostenabrechnung vom 13. Juli 2018 rechneten die Kläger über die Betriebskosten für den Zeitraum vom 1. Januar 2017 bis zum 31. Dezember 2017 ab. Hieraus ergab sich zulasten der Beklagten eine Nachzahlungsverpflichtung in Höhe von 29,58 EUR. Mit Betriebskostenabrechnung vom 10. November 2019 rechneten die Kläger über Betriebskosten für den Zeitraum vom 1. Januar 2018 bis zum 31. Dezember 2018 ab. Aus dieser Abrechnung ergab sich zulasten der Beklagten ein Nachzahlungsbetrag in Höhe von 58,98 EUR. Schließlich rechneten die Kläger mit Betriebskostenabrechnung vom 29. Dezember 2020 über die Betriebskosten vom 1. Januar 2019 bis zum 31. Dezember 2019 ab. Aus dieser Abrechnung ergab sich zulasten der Beklagten ein Nachzahlungsbetrag in Höhe von 643,95 EUR. Hinsichtlich der Einzelheiten zu den Betriebskostenabrechnungen und der diesen zugrunde liegenden Hausgeldabrechnungen der ………-GmbH wird auf die jeweiligen Abrechnungen (Bl. 57 ff. d.A.) Bezug genommen.

Mit Schreiben vom 15. Februar 2021 erhob der Mieterschutzverein Frankfurt am Main e.V. für die Beklagten Einwendungen gegen die Betriebskostenabrechnungen 2019 und forderte die Kläger mit Schreiben vom 9. April 2021 auf, an die Beklagten bis zum 30. April 2021 ein Betrag in Höhe von 987,03 EUR zu zahlen. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die in Rede stehenden Schreiben des Mieterschutzvereins Frankfurt am Main e.V. (Bl. 62 f. sowie Bl. 64 f. d.A.) Bezug genommen.

Die Beklagten beantragen, die Kläger und Widerbeklagten zu verurteilen, an die Beklagten und Widerkläger 987,03 nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 1. 5.2.2021 zu bezahlen.

Die Kläger beantragen, die Widerklage abzuweisen.

Hinsichtlich der Ansprüche bezogen auf die Betriebskostenabrechnungen für Jahre 2016 und 2017 erheben die Kläger die Einrede der Verjährung.

Die Kläger behaupten, die Abrechnungen seien den Beklagten jeweils unmittelbar nach deren Erstellung vom Sohn der Kläger in den Briefkasten eingeworfen worden. Hinsichtlich der Nutzung der Waschküche behaupten die Kläger, diese sei nicht Gegenstand der mietvertraglichen Vereinbarung. Da diese im Eigentum eines Miteigentümers stehe, müssten die Kläger hierfür an den Miteigentümer den Betrag, den sie von den Beklagten verlangen, als Nutzungsentschädigung entrichten.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen A und B. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll zur mündlichen Verhandlung vom 19. April 2022 (Bl. 111 ff. d. A.) verwiesen.

Gründe

I.

Die zulässige Klage ist begründet. Die zulässige Widerklage ist ebenfalls begründet.

1. Den Klägern steht gegen die Beklagten ein Anspruch auf Räumung und Herausgabe der im Tenor näher bezeichneten Wohnung aus § 546 Abs. 1 BGB zu. Denn das zwischen den Parteien mit Mietvertrag vom 17. September 1981 begründete Mietverhältnis haben die Kläger durch Kündigung zum 31. Juli 2021 wirksam beendet.

a) Die Kläger sind aktivlegitimiert. Denn sie sind gemäß § 57 ZVG i.V.m. § 566 Abs. 1 BGB an die Stelle des bisherigen Vermieters in das mit den Beklagten bestehende Mietverhältnis eingetreten, nachdem sie die Wohnung im Wege der Zwangsvollstreckung erworben haben und ausweislich des seitens der Kläger mit Schriftsatz vom 25. Februar 2022 zu den Akten gereichten Grundbuchauszugs am 7. Januar 2009 als Eigentümer der streitgegenständlichen Wohnung in das Grundbuch eingetragen worden sind.

b) Den Klägern steht als Vermieter auch wegen Eigenbedarf gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses und damit ein Kündigungsrecht nach § 573 Abs. 1 S. 1 BGB zu.

aa) Nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB liegt ein berechtigtes Interesse des Vermieters an der Beendigung des Mietverhältnisses insbesondere dann vor, wenn der Vermieter die Räume als Wohnung für sich, seine Familienangehörigen oder Angehörige seines Haushalts benötigt.

(1) Dass die Kläger die streitgegenständliche Wohnung für ihren Sohn, den Zeugen A, benötigen, steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zur Überzeugung des Gerichts fest.

(a) Nach dem in § 286 Abs. 1 S. 1 ZPO normierten Grundsatz der freien Beweiswürdigung gilt ein Beweis als erbracht, wenn das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Ergebnisses der Beweisaufnahme und der sonstigen Wahrnehmungen in der mündlichen Verhandlung von der Richtigkeit einer Tatsachenbehauptung überzeugt ist. Die richterliche Überzeugungsbildung nach § 286 ZPO setzt keine absolute oder unumstößliche Gewissheit im Sinne des wissenschaftlichen Nachweises voraus, sondern nur einen für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil v. 7.4.2021 – VIII ZR 49/19; BGH, Urteil v. 16.4.2013 – VI ZR 44/12). Dies ist vorliegend der Fall.

(b) Der Zeuge A hat glaubhaft bekundet, dass er in die streitgegenständliche Wohnung einziehen möchte, unter anderem um dort das Umgangsrecht mit seiner Tochter aus seiner geschiedenen Ehe auszuüben. Der Zeuge hat insoweit in Übereinstimmung mit dem Vortrag der Klägerseite und den in dem Kündigungsschreiben vom 10. September 2020 dargelegten Gründen bekundet, dass seine Tochter – nach Vereinbarung mit seiner ehemaligen Ehefrau – an zwei Tagen in der Woche bei ihm wohnt, ihm jedoch zurzeit lediglich ein Zimmer in einer Wohnung in Reiskirchen zur Verfügung steht, sodass er das Umgangsrecht nicht nach seinen Vorstellungen ausüben kann. Daneben hat der Zeuge A bekundet, dass er auch gemeinsam mit der Zeugin B, mit der er seit mehreren Jahren eine nichteheliche Lebensgemeinschaft führt und ein gemeinsames Kind hat, in die streitgegenständliche Wohnung einziehen möchte.

(c) Das Gericht ist davon überzeugt, dass die Aussage des Zeugen glaubhaft und der Zeuge persönlich glaubwürdig ist. Der Zeuge hat seinen Wunsch, die Wohnung als eine zum privilegierten Familienkreis des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB gehörende Person nutzen, und sein Interesse an einer bedarfsgerechten Ausübung des Umgangsrechts mit seiner Tochter schlüssig und in nachvollziehbarer Weise dargelegt. Dass der Zeuge den Nachnamen des Freundes, bei dem er zurzeit wohnt, nicht nennen konnte und der Briefkasten zu dessen Wohnung ausweislich der mit den Parteien in Augenschein genommenen Bilder – entgegen der Aussage des Zeugen – nicht mit dem Namen des Freundes versehen ist, führt mangels Erheblichkeit dieses Umstands für die Begründung des Eigenbedarfs an der streitgegenständlichen Wohnung nicht zu einer anderweitigen Einschätzung. Unter Würdigung der gesamten Aussage vermag dies für das Gericht auch nicht gegen die Glaubwürdigkeit des Zeugen sprechen. Der Zeuge hat im Übrigen nachvollziehbar die Lage und Größe der Wohnung sowie des von ihm bewohnten Zimmers unter Vorhalt der Lichtbilder erläutern und seine finanzielle Beteiligung am Unterhalt der Wohnung, ungeachtet einer schriftlichen Vereinbarung, darzulegen vermocht.

c) Des Weiteren ist der seitens der Klägers angemeldete Eigenbedarf nach Auffassung des Gerichts von der Ernsthaftigkeit und Realisierbarkeit der Überlassungsabsicht getragen.

aa) Zwar kann es an der Ernsthaftigkeit eines etwaigen Überlassungswillens fehlen, wenn der Vermieter lediglich den Willen zur Überlassung der Wohnung an einen Angehörigen behauptet, den geltend gemachten Eigenbedarf jedoch lediglich vorschiebt, um einen gegebenenfalls unliebsamen Mieter loszuwerden. Sollten etwaige Indizien für solch einen Umstand vorliegen, ist zwar nicht ausgeschlossen, dass gleichwohl ein ernsthafter Überlassungswille besteht, jedoch sind insoweit an die Überzeugungsbildung des Gerichts besonders strenge Anforderung zu stellen (Blank/Börstinghaus, in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, 15. Aufl. 2021, § 573 BGB Rn. 80 m.w.N.).

bb) Unter Berücksichtigung des Vorstehenden geht das Gericht von einem ernsthaften Überlassungswillen des Klägers aus. Allein, dass vorherige Eigenbedarfskündigungen seitens der Kläger aus verschiedenen Gründen nicht zur Beendigung des Mietverhältnisses geführt haben, entfaltet nach Auffassung des Gerichts keine Indizwirkung dafür, dass ein ernsthafter Überlassungswille der Kläger lediglich zum Schein behauptet worden ist. Auch die mit der Widerklage eingeführten Diskussionen hinsichtlich der Betriebskostenabrechnungen führen bereits vor dem Hintergrund, dass das erste hierauf bezogene Schreiben des Mieterschutzvereins Frankfurt am Main e.V. mehr als fünf Monate nach Ausspruch der streitgegenständlichen Kündigung erstellt worden ist, nicht zu ernstlichen Zweifeln an dem Überlassungswunsch der Kläger.

d) Die Kündigung ist auch formell wirksam.

aa) Gemäß § 573 Abs. 3 BGB sind im Kündigungsschreiben die für eine berechtigte Beendigung des Mietverhältnisses bestehenden Gründe anzugeben. Dabei sind im Falle einer – wie hier streitgegenständlichen – Eigenbedarfskündigung die Personen, für die der Wohnraum benötigt wird, sowie der konkrete Sachverhalt, aus dem sich das Interesse dieser Personen an der Erlangung des Wohnraums ergibt, darzulegen (BGH, Urteil v. 15.3.2017 – VIII ZR 270/15; Häublein, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2020, § 573 Rn. 135). Dabei ist zwar die Angabe des Verwandtschaftsverhältnisses, nicht jedoch eine namentliche Nennung des Familienangehörigen erforderlich; eine Identifizierbarkeit ist insoweit ausreichend, solange der Mieter hierdurch die benannte Person zum privilegierten Familienkreis zuordnen kann (BGH, Urteil v. 30.4.2014 – VIII ZR 284/13; Häublein, a.a.O.).

bb) Diesen Voraussetzungen genügt das als Anlage zur Klageschrift vorgelegte Kündigungsschreiben (Bl. 5 f. d.A.). Das Kündigungsschreiben lässt mit der namentlichen Nennung des Sohnes der Kläger ohne Weiteres eine Identifizierung der eigenbedarfsberechtigen Person sowie deren Beiziehung zu den Vermietern erkennen. Daneben wird in dem Schreiben unter Beschreibung der aktuellen Familien- und Wohnsituation des Sohnes der Kläger dessen Interesse an der Erlangung der streitgegenständlichen Wohnung in einer den Voraussetzungen des § 573 Abs. 3 BGB genügenden Weise dargelegt.

cc) Dass der vom Zeugen A im Rahmen seiner Aussage formulierte Wunsch, in der streitgegenständlichen Wohnung auch mit der Zeugin B und dem gemeinsamen Kind wohnen zu können, nicht als (weitere) Begründung des Eigenbedarfs in dem Kündigungsschreiben enthalten war, führt nach Ansicht des Gerichts nicht zur formellen Unwirksamkeit der Kündigung, da die in dem Schreiben angegebenen Gründe insoweit für sich genommen bereits ausreichend waren.

e) Schließlich steht Nr. 1 Abs. 1 der Allgemeinen Vertragsbestimmungen zum Mietvertrag der Kündigung wegen Eigenbedarfs vorliegend nicht entgegen. Zwar wurde der streitgegenständliche Mietvertrag vom 17. September 1981 nach Maßgabe der „Allgemeinen Vertragsbedingungen“ für Mietverträge der Gemeinnützigen Wohnungswirtschaft geschlossen, die vom Gesamtverband Gemeinnütziger Wohnungsunternehmen im Jahr 1977 herausgegeben wurden. Da die Kläger das Eigentum an der Wohnung per Zuschlag im Wege einer Zwangsversteigerung erworben haben, können in den Mietvertrag einbezogene Klauseln, die unter Berücksichtigung der Gemeinnützigkeit des den Vertrag ursprünglich abschließenden Wohnungsunternehmens diesen über das gesetzliche Leitbild hinaus verpflichten, nach Übergang des Mietverhältnisses auf die nichtgemeinnützigen Erwerber nicht in gleichem Maße fortgelten. Andernfalls würde dies zu einer unangemessenen Beeinträchtigung des verfassungsrechtlich garantierten Eigentumsrechts eines nicht gemeinnützig tätigen Erwerbers führen. Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass die in Rede stehende Klausel der Allgemeinen Vertragsbestimmungen ihrem Wortlaut nach private Vermieter bereits nicht in die Pflicht nimmt.

f) Die Beklagten können von den Klägern trotz Widerspruchs gegen die Kündigung auch nicht die Fortsetzung des Mietverhältnisses auf unbestimmte Zeit verlangen.

aa) Nach § 574 Abs. 1 BGB kann der Mieter der Kündigung des Vermieters widersprechen und von diesem die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen, wenn die Beendigung des Mietverhältnisses für den Mieter, seine Familie oder einen anderen Angehörigen seines Haushalts eine Härte bedeuten würde, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist. Dabei muss für die Annahme einer die Fortsetzung des Mietverhältnisses begründenden Härte ein Übergewicht der Belange der Mieterseite festzustellen sein, die Interessenabwägung mithin zu einem klaren Ergebnis führen (vgl. hierzu BGH Urteil v. 22.5.2019 – VIII ZR 180/18; m.w.N.).

bb) Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nach umfassender Würdigung der hierfür angeführten Gründe in Abwägung mit den berechtigten Interessen der Vermieter, insbesondere deren Erlangungsinteresse als Erwerber einer Mietwohnung unter Beachtung der in Art. 14 Abs. 1 GG verbürgten Eigentumsgarantie, jedoch nicht gegeben.

(1) Dabei sind als Härtegründe im Sinne des § 574 BGB alle durch die Vertragsbeendigung entstehenden Nachteile wirtschaftlicher, finanzieller, gesundheitlicher, familiäre oder persönliche Art zu verstehen, wobei die Nachteile nicht mit absoluter Sicherheit feststehen müssen (LG Berlin, Urteil v. 7.5.20215 – 67 S 117/14; Hartmann, in: Schmidt-Futterer, Mietrecht; § 574 BGB Rn. 20).

(2) Soweit die Beklagtenseite sich auf eine jahrzehntelange Mietdauer in dem die Wohnung umfassenden Gebäudekomplex bzw. der Wohngegend bezieht, lässt der Vortrag eine substantiierte Darlegung von Umständen vermissen, um eine derart tiefe Verwurzelung zu belegen, bei der für sich genommen ein erzwungener Wohnungswechsel zu einer unzumutbaren Härte iSd § 574 Abs. 1 S. 1 BGB führt. Denn das Bestehen einer tiefen Verwurzelung hängt entscheidend von der individuellen Lebensführung des Mieters, wie etwa der Unterhaltung und Pflege sozialer Kontakte in der Nachbarschaft, der Erledigung von Einkäufen für den täglichen Lebensbedarf in der näheren Umgebung sowie die Teilhabe an kulturellen oder sonstigen Veranstaltungen und bzw. oder der Inanspruchnahme etwaiger Dienstleistungen in der näheren Wohnungsumgebung ab (vgl. hierzu BGH, Urteil v. 3.2.2021 – VIII ZR 68/19).

(3) Des Weiteren kann ein die Kündigung ausschließender Härtegrund auch nicht unter Berücksichtigung der seitens der Beklagten vorgetragenen Erkrankungen der Beklagten zu 2) angenommen werden.

(a) Grundsätzlich kann ein Mieter wegen Krankheit an eine Räumung einerseits dadurch gehindert sein, dass er gerade infolge der Krankheit nicht in der Lage ist, eine entsprechende Ersatzwohnung zu finden. Zum anderen kann einer Räumung entgegenstehen, dass sich der Gesundheitszustand bzw. die eigene Lebenssituation des Mieters durch einen Umzug erheblich verschlechtern würde (Hartmann, in: Schmidt-Futterer, Mietrecht; § 574 BGB Rn. 47; Hannappel, in: BeckOK BGB, 61. Ed., Stand: 01.02.2022, § 574 Rn. 17, je m.w.N.). Dabei genügt der Mieter in diesem Zusammenhang seiner Darlegungs- und Substantiierungslast, wenn er die Unzumutbarkeit eines Umzuges wegen einer schweren Erkrankung unter Vorlage eines (ausführlichen) fachärztlichen Attestes geltend macht (vgl. BGH, Urteil v. 28.4.2021 – VIII ZR 6/19; Siegmund, in: BeckOK Mietrecht, 27. Ed., Stand: 01.02.2022, § 574 Rn. 21a).

(b) Im Streitfall hat die Beklagtenseite ein fachärztliches Attest vom 11. November 2021 vorgelegt, demzufolge sich die Beklagte zu 2) weiterhin in einer depressiven Störung mit Krankheitswert befinde und ein Wohnungswechsel eine zusätzliche Belastung darstelle, die aus nervenärztlicher Sicht zu einer gesundheitlichen Verschlechterung führen würde (Bl. 79 d.A.). Hiermit ist jedoch nach Auffassung des Gerichts – insbesondere unter Berücksichtigung der ebenfalls verfassungsrechtlich geschützten Interessen der Kläger als Eigentümer der streitgegenständlichen Wohnung – nicht in einer die Interessen des Vermieters klar übersteigenden Weise dargelegt, dass die bestehenden Beschwerden der Beklagten zu 2) einem Umzug entgegenstünden, zumal bereits nicht dargelegt ist, welches Folgen für die Gesundheit der Beklagten zu 2) bei einem Wohnungswechsel zu erwarten stehen. Zwar hat die Beklagtenseite ferner einen im Vergleich zum vorgenannten Attest ausführlicheren, gleichzeitig jedoch auch älteren Befundbericht der Diplom-Psychologin ……… vom 10. Mai 2021 vorgelegt, demzufolge sich die Depression der Beklagten zu 2) bei drohendem Wohnungsverlust verstärkt und der Verlust der Wohnung eine unzumutbare Belastung darstellen würde. Nach Ansicht des Gerichts kann ein solcher Befundbericht jedoch mit Blick auf die an den Mieter für das Vorliegen einer unzumutbaren Härte iSd § 574 Abs. 1 BGB gestellten hohen Substantiierungsanforderungen nicht einem fachärztlichen Attest gleichgestellt werden.

(c) Da nach Ansicht des Gerichts insgesamt nicht in einer der Darlegungslast genügenden Weise vorgetragen ist, dass krankheitsbedingte Räumungshindernisse bestehen, war auch kein Raum, dem Beweisangebot der Beklagtenseite zur Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens in Bezug den Gesundheitszustand des Beklagten zu 2) nachzugehen.

h) Da das Mietverhältnis zwischen den Klägern und den Beklagten im Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs länger als acht Jahre andauerte, betrug die Kündigungsfrist gemäß § 573c Abs. 1 S. 1 BGB neun Monate. Unter Berücksichtigung dessen erfolgte die zum 31. Juli 2021 ausgesprochene Kündigung unter Beachtung der gesetzlichen Kündigungsfrist. Denn mangels entgegenstehendem Vortrag der Beklagtenseite ist die Kündigung den Beklagten jedenfalls vor Ende des drittens Werktags im Oktober 2021 zugestellt worden, sodass ist die gesetzliche Kündigungsfrist zum 30. Juni 2021 abgelaufen ist.

II.

Die zulässige Widerklage ist begründet.

1. Den Beklagten steht gegen die Kläger ein Anspruch aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB auf Rückzahlung auf im Wege der Vorauszahlung zu viel geleisteter Betriebskosten in Höhe von 987,03 EUR zu.

a) Die vorgelegten Betriebskostenabrechnungen für die Abrechnungsjahre 2016 bis 2019 sind inhaltlich fehlerhaft, soweit in diesen zu Lasten der Beklagten Betriebskosten für die Nutzung eines Trockenraumes in Höhe von jeweils 216,00 EUR berücksichtigt worden sind. Denn unabhängig davon, dass der von den Beklagten als Trockenboden bezeichnete Trockenraum ausweislich des ergänzend zu dem Mietvertrag hinzugetretenen Wohnungsbeschreibung und Übergabevertrages (Bl. 92R d.A.) als „Dachbodenabteil“ bereits zu der im Mietvertrag bezeichneten Wohnung gehört, mit der Folge, dass dessen Nutzung mit der Entrichtung des mietvertraglich vereinbarten Mietzinses bereits abgegolten ist, handelt es sich bei den hier geltend gemachten Kosten für die Nutzung des Trockenraums bereits nicht um Betriebskosten iSd § 566b Abs. 1 S. 1 BGB, § 1 Abs. 1 BetrKV.

b) Daneben ist die für das Abrechnungsjahr 2016 erstellte Betriebskostenabrechnungen inhaltlich fehlerhaft, soweit in diesem Hausreinigungskosten in Höhe von 60,00 EUR auf die Beklagten umgelegt wurden. Denn ein Vermieter kann die Kosten eines von ihm beauftragten Fremdunternehmens nicht auf den Mieter umlegen, soweit die Mieter zur Gebäudereinigung vertraglich verpflichtet sind. Dies ist ausweislich § 3 Abs. 4 des vorgelegten Mietvertrages jedoch der Fall. In gleicher Weise ist die für das Abrechnungsjahr 2018 erstellte Betriebskostenabrechnungen, mit welcher Kosten für die Treppenreinigung in Höhe von 150,00 EUR beansprucht wurden, inhaltlich fehlerhaft.

c) Schließlich ist die für das Abrechnungsjahr 2019 erstellte Betriebskostenabrechnung inhaltlich fehlerhaft, soweit in dieser für die Berechnung der auf den Wasserverbrauch umlegbaren Kosten ein Verbrauch von 100 Kubikmeter zugrunde gelegt wurde. Denn nach dem insoweit unbestrittenen Vortrag der Beklagtenseite hat die Ermittlung durch den Hausmeister tatsächlich nur einen Wasserverbrauch von 81 Kubikmeter betragen, sodass die hierdurch ermittelte Differenz von 62,41 EUR an die Beklagten zu erstatten ist.

d) Vor diesem Hintergrund steht den Beklagten aus vorausgezahlten Betriebskosten für das Abrechnungsjahr 2016 ein Guthaben in Höhe von 215,93 EUR, für das Abrechnungsjahr 2017 ein Guthaben in Höhe von 186,42 EUR, für das Abrechnungsjahr 2018 Guthaben in Höhe von 307,02 EUR sowie schließlich für das Abrechnungsjahr 2019 ein Guthaben in Höhe von 277,66 EUR zu.

e) Die Einwendungen der Beklagtenseite sind auch präkludiert. Denn die Einwendungsausschlussfrist des § 556 Abs. 3 S. 6 BGB beginnt erst mit dem Zugang der formell ordnungsgemäßen Abrechnung bei den Vermietern. Dafür, dass die Betriebskostenabrechnungen den Beklagten jeweils unmittelbar nach deren Erstellung durch Einwurf in den Briefkasten zugegangen sind, ist den nach allgemeinen Grundsätzen beweisbelasteten Klägerin die Beweisführung jedoch nicht gelungen. Denn nach der durchgeführten Beweisaufnahme steht nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Zeugen A und B die Abrechnungen in den Briefkasten der Beklagten eingeworfen haben. Zwar hat der Zeuge A in Übereinstimmung mit dem Klägervortrag bekundet, dass er die Abrechnungen unmittelbar nach deren jeweiligen Erstellung in Beisein der Zeugin B in den Briefkasten der Beklagten eingeworfen hat; jedoch haben beide ebenfalls bekundet, dass dies jeweils gegen Endes des Jahres gewesen sein soll, obgleich die zu den Akten gelangten Abrechnungen jeweils unterschiedliche Erstellungsdaten aufweisen, die mitunter bereits im Sommer liegen. (Abrechnung 2016 am 27.06.2017; Abrechnung 2017: 13.07.2018). In Anbetracht dessen und unter Berücksichtigung des Umstands, dass der Mieterschutzverein Frankfurt am Main e.V. für die Beklagten mit Schreiben vom 15. Februar 2021 die Nachreichung der Betriebskostenabrechnungen für die Jahre 2016, 2017 und 2018 forderten, vermochte sich das Gericht nicht von der Richtigkeit der Tatsachenbehauptung der Kläger überzeugen.

f) Da unter Berücksichtigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme nicht feststeht, dass die Betriebskostenabrechnungen für die Abrechnungsjahre 2016 und 2017 den Beklagten vor März 2021 zugegangen sind, greift auch die seitens der Kläger erhobene Einrede der Verjährung nicht durch.

2. Der zugesprochene Zinsanspruch ergibt sich gemäß §§ 280 Abs. 1, 2, 286 Abs. 1, 288 BGB aus Verzugsgesichtspunkten, nachdem der Mieterschutzverein für die Beklagten die Rückzahlung mit First bis zum 30. April 2021 gefordert hat.

III.

Die im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts stehende Gewährung der Räumungsfrist von auf Antrag der Beklagten beruht auf § 721 Abs. 1 S. 1 ZPO. Hierbei hat das Gericht die Interessen der Parteien gegeneinander abzuwägen, wobei maßgeblich die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind (Götz, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2020, § 721 Rn. 9). Auf Seiten der Kläger besteht das Interesse in der zügigen Erlangung des Wohnraums zum Zwecke der Realisierung des geltend gemachten Eigenbedarfs. Hingegen war auf Seiten der Beklagten der bei einer Räumungsfrist nach § 721 ZPO stets im Blick zu behaltende Zweck, nämlich die Bewahrung des Schuldners vor der Obdachlosigkeit, zu berücksichtigen. In Abwägung der vorgenannten Interessen hält das Gericht eine Räumungsfrist von fünf Monaten für angemessen.

IV.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 1 S. 1, 100 Abs. 4 ZPO.

V.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ §§ 708 Nr. 7, Nr. 11, 711, 709 S. 2 ZPO.

 

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