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Verkehrssicherungspflicht WEG-Verwalter

Sturz eines Wohnungseigentümers auf Treppe

AG Moers – Az.: 564 C 9/17 – Urteil vom 11.07.2019

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Beklagte war im Zeitraum vom 01.01.2011 bis zum 31.12.2015 Verwalterin der Wohnungseigentümergemeinschaft B

Die Eltern des Klägers waren Sondereigentümer der Eigentumswohnung Nr. 2 sowie Miteigentümer am Gemeinschaftseigentum. Der Kläger, geboren 1970, bewohnte diese Wohnung zusammen mit seinen Eltern seit dem Jahr 1974 bis in die 1990-iger Jahre, als er aus der elterlichen Wohnung auszog.

Als im Jahr 2000 sein Vater verstarb, erwarb der Kläger 1/8 Anteil des Vaters als Erbe.

Im Jahr 2013 erwarb der Kläger auch die Miteigentumsanteile seiner Mutter sowie das Sondereigentum an der Wohnung Nr. 2, nachdem seine Mutter pflegebedürftig wurde.

Im Garten der Wohnungseigentumsanlage, stehend im Gemeinschaftseigentum, befindet sich seit der Errichtung der Wohnungseigentumsanlage im Jahr 1974 eine ebenfalls im Gemeinschaftseigentum befindliche Notausgangstreppe von der Tiefgarage hinauf in den Garten. Diese Treppe ist vom Bauamt als mangelfrei abgenommen worden. Die Treppe führt entlang einer Mauer zu einer Kies-/Rasenfläche. Dort befindet sich ein Wasserhahn zur Gartenbewässerung. Auf die Lichtbilder, Hülle Bl. 170 d.GA., die die Örtlichkeit zeigen, wird ausdrücklich Bezug genommen.

Die Terrasse der Eigentumswohnung Nr. 2 des Klägers führt in den im Gemeinschaftseigentum befindlichen Garten und liegt etwa 5 Meter vom Wasserhahn entfernt, ist aber wegen der Bepflanzung rund um die Terrasse nicht in Sichtweite.

Der Kläger behauptet: Er habe sich am 05.10.2012 zu Besuch bei seiner pflegebedürftigen Mutter in der Wohnung Nr. 2 der Wohnungseigentumsanlage aufgehalten. Gegen 20.00 Uhr habe er sich mit seinem Bekannten, dem Zeugen C, auf die Terrasse begeben, um zu rauchen.

Er habe sodann ein plätscherndes Geräusch gehört.

Er habe das Geräusch dem nur wenige Meter entfernt liegenden Außenwasserhahn zuordnen können.

Er habe sich mit seiner Zigarette in der rechten Hand dorthin begeben und habe mit der linken Hand den Hahn zudrehen wollen.

Bei der Körperbewegung nach links sei er rückwärts die 13-stufige Treppe zur Tiefgarage (Lichtbild Hülle Bl. 36 a GA.) hinabgestürzt.

Dazu sei es gekommen, weil die oberste Stufe dem Gartenniveau nicht angepasst sei, sondern eine 15 cm hohe Kante aufweise. Seit Mitte der 1980-iger Jahre sei zur Vermeidung herunterlaufenden Regenwassers nämlich die Treppenanlage um die oberste Stufe ergänzt worden, was unstreitig ist.

Infolge des Sturzes habe er schwerste Verletzungen des Spinalmarks der Halswirbelsäule erlitten (Tetraparese) und sei als gelernter Pferdewirt zu 100 % berufsunfähig (Arztberichte Bl. 37 ff.GA.).

Die Beklagte hafte als zum Sturzzeitpunkt tätige Verwalterin vertraglich wegen seines 1/8 Eigentumsanteils zum Sturzzeitpunkt und zudem deliktisch.

Die bauliche Gestaltung der Treppenanlage stelle insbesondere auch deshalb, weil das linksverlaufende Geländer nicht bis zur nachträglich zugefügten obersten Stufe reiche, eine nicht akzeptable Stolperfalle dar.

Bei Begehung des Objekts hätte der Beklagten dies auffallen müssen und sie hätte zumindest eine Sicherung in Form eines Törchens anbringen müssen.

Die Beklagte hafte daher für die Unfallfolgen.

Er sei seither berufsunfähig und schwerstbehindert. Aufgrund seiner Vermögenswerte könne er keine Leistungen zum Lebensunterhalt  in Anspruch nehmen. Die Beklagte sei daher schadensersatzpflichtig in Form der Zahlung von Leistungen entsprechend der Leistungen der Bundesagentur für Arbeit bis zu seinem 67. Lebensjahr (= Zeitraum von 25 Jahren ab dem Unfalltag). Zudem schulde sie die Erstattung der Kosten seiner privaten Krankenversicherung von 600,00 EUR/Monat sowie Ausgleich seines Haushaltsführungsschadens.

Durch Urteil vom 24.04.2017 hat das Amtsgericht Moers die Klage wegen Verjährung abgewiesen.

Im Berufungsverfahren hat das Landgericht Düsseldorf eine Verjährung verneint und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückgewiesen.

Der Kläger beantragt,

1.

Die Beklagte zu verurteilen, ihm für den Zeitraum von Oktober 2012 bis Mai 2016 einen Haushaltsführungsschaden in Höhe von 70.266,00 EUR zu zahlen.

2.

Die Beklagte zu verurteilen, ihm ab dem Monat Juni 2016 einen monatlichen Haushaltsführungsschaden in Höhe von 2.250,00 EUR zu zahlen.

3.

Die Beklagte zu verurteilen, ihm für den Zeitraum von Oktober 2012 bis Mai 2016 einschließlich die monatlichen Krankenversicherungskosten in einer Gesamthöhe von 24.042,46 EUR zu zahlen.

4.

Die Beklagte zu verurteilen, ihm für den Zeitraum von November 2013 bis Mai 2016 einschließlich Wohngeld in Höhe von 12.009,00 EUR und ab dem Monat Juni 2016 fortlaufend monatlich Wohngeld in Höhe von 383,00 EUR zu zahlen.

5.

Die Beklagte zu verurteilen, ihm einen monatlichen Grundbetrag als Leistung zum Lebensunterhalt in Höhe von 400,00 EUR, für den zurückliegenden Zeitraum von Oktober 2012 bis Mai 2016 einschließlich einen Gesamtbetrag in Höhe von 17.400,00 EUR zu zahlen.

6.

Die Beklagte zu verurteilen, alle weitergehenden materiellen Schäden aus dem Unfallereignis vom 05.10.2012 zu ersetzen, soweit diese nicht auf den Sozialhilfeträge übergegangen sind.

7.

Die Beklagte zu verurteilen, außergerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 2.217,45 EUR aus dem Gesichtspunkt des Verzuges zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte bestreitet den Sturz des Klägers mit Nichtwissen.

Auch stelle die oberste Treppenstufe des Fluchtweges aus der Tiefgarage keine Stolperfalle dar.

Sie habe als Verwalterin die gesamte Wohnanlage zweimal im Jahr besichtigt und kontrolliert, ohne dass im streitigen Bereich des Gartens Beanstandenswertes aufgefallen sei.

Die Verkehrssicherungspflicht habe sie im Übrigen auf den Hausmeister gemäß Vertrag vom 16.07.2010 übertragen.

Die klägerseits behaupteten Verletzungsfolgen seien ebenso wie deren Unfallbedingtheit zu bestreiten. Wie sich aus dem Arztschreiben vom 14.11.2012 (Bl. 38 ff.GA.) ergebe, habe der Kläger erhebliche Vorschäden (Querschnittslähmungen nach Sturz im Jugendalter pp.) aufzuweisen.

Letztlich scheide eine Haftung wegen eines 100 %-igen Mitverschuldens des Klägers aus, der seit 1974 ununterbrochen in der Wohnung wohnhaft bzw. aufhältig gewesen sei.

Auch seien die Schadensersatzansprüche des Klägers der Höhe nach zu bestreiten.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Inaugenscheinnahme der Örtlichkeit sowie durch Vernehmung des Zeugen C. Diesbezüglich wird ebenso wie bezüglich der Anhörung des Klägers auf das Protokoll vom 12.09.2018 (Bl. 274 ff.GA.) Bezug genommen.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Verkehrssicherungspflicht WEG-Verwalter -
(Symbolfoto: Von Andrey_Popov/Shutterstock.com)

Die Klage ist unbegründet.

Dem Kläger stehen gegen die Beklagte keine Schadensersatzansprüche zu.

Sowohl eine vertragliche Haftung aus dem Verwaltervertrag (§§ 280, 249 BGB in Verbindung mit § 675 BGB) als auch eine deliktische Haftung wegen Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht (§§ 823, 249 ff. BGB) müssen ausscheiden.

Zwar steht nach der Beweisaufnahme vom 12.09.2018 zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger entsprechend seiner Behauptung am 05.10.2012 gegen 20.00 Uhr die Nottreppe, die von der Tiefgarage hinauf in den Garten führt, hinabstürzte.

Der Kläger selber hat erklärt, ein Plätschern vernommen und dem Wasserhahn an der Fluchttreppe zugeordnet zu haben.

Das Gericht hat sich bei dem Ortstermin vom 12.09.2018 die Treppe und den Wasserhahn angesehen und damit die Örtlichkeit in Augenschein genommen.

Die Wegstrecke zwischen der Terrasse der Erdgeschosswohnung und dem Wasserhahn beträgt etwa 5 Meter, so dass plausibel ist, dass der Kläger den tropfenden Wasserhahn hörte.

Der Wasserhahn ist in einer Entfernung von einem knappen halben Meter von der Treppe auf Bauchhöhe installiert. Die oberste Stufe weist einen Versatz von 5 cm zum Boden auf; zum Vorfallszeitpunkt befanden sich dort Waschbetonplatten, wie auf dem Lichtbild Bl. 170 d. Gerichtsakte.

Der Zeuge C hat den Sturz zwar nicht beobachtet, da er dem Kläger von der Terrasse nur ein Stück nachfolgte. Er hat aber bekundet, einen Schrei gehört zu haben. Er habe den Kläger daraufhin nicht mehr sehen können. Er sei zur Treppe geeilt und habe den Kläger am unteren Ende der Treppe gesehen, als dieser sich dort aufrappelte.

Nach diesen Erklärungen des Zeugen hat das Gericht keine Zweifel an der Schilderung des Klägers, dass er die Treppe hinabstürzte.

Offenbleiben kann, ob der Beklagten als zum damaligen Zeitpunkt tätige Verwalterin der Wohnungseigentümergemeinschaft B im Hinblick auf die bauliche Gestaltung der obersten Stufe der Nottreppe die Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht vorgeworfen werden kann.

Eine Gefahrenquelle wird nur dann haftungsbegründend, wenn sich aus einer zu verantwortenden Situation vorausschauend die naheliegende Gefahr ergibt, das Rechtsgüter Dritter verletzt werden können (BGH NJW 2004, 1449). Verpflichtet ist, wer für den Bereich der Gefahrenquelle verantwortlich ist.

Gemäß § 27 Abs. 1 Nr. 2 WEG trifft zwar den Verwalter die Pflicht zur Instandhaltung und Instandsetzung des gemeinschaftlichen Eigentums gegenüber den einzelnen Wohnungseigentümern (Bärmann, § 27 Rdnr. 349 a.).

Der Verwalter kann diese Pflicht allerdings delegieren.

Hier hat die Beklagte darauf verwiesen, durch den Verwaltervertrag vom 16.07.2010 die Verkehrssicherungspflicht auf den Hausmeister übertragen zu haben.

Bei einer Übertragung einer Verkehrssicherungspflicht hat der Übertragene (nur) dafür einzustehen, dass der nun Verpflichtete bereit und in der Lage ist, seine Verpflichtung zu erfüllen. Dies hat er zu überwachen.

Ob die zweimalige Begehung im Jahr, die die Beklagte selbst durchgeführt haben will, hierfür ausreichte, kann auch offenbleiben.

Bei der Inanspruchnahme wegen der Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht hat Berücksichtigung zu finden, dass eine Verkehrssicherung, die jegliche Schädigung ausschließt, nicht erreichbar ist. Es verbleibt vielmehr stets ein Gefahren- und Lebensrisiko, das der Einzelne selber zu tragen hat und für das er einen anderen nicht haftbar machen kann.

Es hat hierbei eine Risikoverteilung zwischen dem Verkehrssicherungspflichtigen und der beschädigten Person stattzufinden. Der Pflichtige muss nicht für alle denkbaren Möglichkeiten Sorge tragen. Der Dritte ist nur vor den Gefahren zu schützen, die er selbst bei Anwendung der von ihm zu erwartenden Sorgfalt nicht hätte erkennen oder vermeiden können (Palandt, BGB, § 823 Rdnr. 51).

Jedenfalls sind jegliche etwaige Ansprüche des Klägers wegen seines Mitverschuldens am Unfallereignis ausgeschlossen, § 254 BGB.

Bei der Frage eines Mitverschuldens im Sinne des § 254 BGB wegen Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht ist zu fragen, ob „ein Verschulden gegen sich selbst“ vorliegt. Besteht eine Mitverantwortung daran, sich in die Gefahrensituation begeben zu haben, so führt dies zu einer Minderung oder sogar zu einem Ausschluss des Schadensersatzanspruches gemäß § 254 BGB.

Hier trifft den Kläger unter zwei Gesichtspunkten ein Verstoß gegen die Vorschrift des § 254 BGB. Zum einen ist dem Kläger die Treppenanlage seit seiner Kindheit bekannt. Die Treppenanlage befindet sich in unmittelbarer Nachbarschaft zu der Terrasse der Wohnung, die er mit seinen Eltern in den Jahren 1974 bis 1997 durchgängig bewohnt hat.

Zwar mag die Treppenanlage nachträglich eine Erweiterung durch die obere Stufe erfahren haben. Dies ist aber in den 1980-iger Jahren erfolgt, d.h. zu einem Zeitpunkt, als der Kläger noch für mehrere Jahre in dem Objekt wohnhaft war.

Auch nach seinem Auszug im Jahr 1997 sind seine Eltern in der Wohnung verblieben und er hat die Örtlichkeit bei Besuchen immer wieder vor Augen geführt bekommen. Im Jahr 2011 ist er durch Erbschaft Miteigentümer der Wohnung geworden und hat mit Umbaumaßnahmen wegen der Pflegebedürftigkeit seiner Mutter begonnen. Hierdurch ist es immerhin noch einmal zu einer derartigen Erinnerungsauffrischung gekommen, dass er am Abend des 05.10.2012 das Tropfen dem Wasserhahn zuordnen konnte, der sich neben der Treppenanlage befindet. Dabei ist der Wasserhahn von der Terrasse der Wohnung aus nicht sichtbar, sondern wird durch Pflanzenbewuchs ebenso verdeckt wie durch den Umstand, dass sich der Wasserhahn „um die Ecke“ befindet.

Konnte der Kläger aber dennoch das Tropfen dem Wasserhahn zuordnen, so folgt daraus, dass ihm die Örtlichkeit hinlänglich bekannt war.

Dennoch hat er sich im Dunklen (20.00 Uhr, Mitte Oktober) zum Wasserhahn begeben und hat als Rechtshänder versucht, den Hahn mit der linken Hand zuzudrehen, weil er mit der rechten Hand eine Zigarette hielt.

Er hat sich mit dem Rücken seitlich nach links zur ihm bekannten Fluchttreppe gestellt, die steil und betoniert abwärts führt.

Soweit er auf die Stolperkante verweist, die die Beklagte seiner Ansicht nach durch ein Törchen hätte sichern müssen, führt dies nicht dazu, dass eine Resthaftung der Beklagten bei unterstellter Versicherungspflichtverletzung verbleibt.

Denn ein weiterer Mitverschuldensvorwurf, der zu einem vollkommenen Haftungsausschluss führt, trifft den Kläger wegen einer unterlassen Information der seiner Ansicht nach gegebenen erheblichen Gefahrenquelle.

Der Kläger verweist darauf, dass die oberste Stufe seit den 1980-iger Jahren vorhanden ist und einen „offenkundigen“ Versatz zur Rasen-/Kiesfläche als Stolperkante aufweise.

Wenn denn diese Kante als verkehrssichtungspflichtige Stolperkante einzuordnen sein sollte, muss sich der Kläger als Bewohner und Miteigentümer seit dem Jahr 2011 vorwerfen lassen, dass er diesen Umstand niemals zum Thema einer Eigentümerversammlung machte oder der Verwalterfirma sonst eine Information hierzu zukommen ließ. Gleiches gilt für die Wohnungseigentümergemeinschaft als Verband. Wenn aber die Wohnungseigentümer über Jahrzehnte diesen Zustand hinnehmen, ohne ihren Verwalter auf eine Stolperkante, die verkehrssicherungspflichtig sein könnte, hinzuweisen, kann sodann ein verunfallter Wohnungseigentümer die Verwalterfirma nicht wegen Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht wegen einer „offenkundigen Gefahrenquelle“ in Anspruch nehmen.

Vor diesem Hintergrund muss die Klage der Abweisung unterliegen.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 97, 709 ZPO.

Streitwert: 272.903,46 EUR.

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