AG Hamburg-St. Georg – Az.: 980 C 80/10 – Urteil vom 13.12.2011
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Zwangsvollstreckung der Beklagten gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte entsprechend Sicherheit leistet.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 18.480,00 € festgesetzt.
Tatbestand
Die Beklagte gehört der klagenden Wohnungseigentümergemeinschaft an. Sie ist Inhaberin von zwei Wohnungseigentumseinheiten. Bei der Einheit Nr. 1 handelt es sich um eine in sich abgeschlossene 2-Zimmerwohnung, belegen im Souterrainbereich des Hauses links. Die weitere Einheit, in der Klagschrift als Wohnung Nr. 5 bezeichnet – tatsächlich handelt es sich offenbar um die Wohnung mit der Bezeichnung Nr. 4 – umfasst die im Erdgeschoss links belegenen Räume, die durch eine im Sondereigentum der Klägerin befindliche Treppe mit Wohnräumen verbunden ist, die ebenfalls im Souterrain belegen sind.
Die Parteien stimmen darüber überein, dass die Beklagte in der Vergangenheit phasenweise die zu der letztgenannten Wohnung gehörenden Räume im Souterrain kurzzeitig an Feriengäste vermietet und diesbezüglich auch Werbung über das Internet getätigt hatte. Bezüglich der Wohnung Nr. 1 streiten die Parteien, ob eine derartige Kurzzeitvermietung stattfand. Durch Beschluss vom 22.09.2008 untersagte die Eigentümerversammlung die Nutzung von Wohnungen der Beklagten als Ferienappartements/Mietappartements zur Kurzzeitnutzung. Die hiergegen von der Beklagten erhobene Anfechtungsklage wurde vom Amtsgericht Hamburg-St.Georg (980 b C 54/08) und dem Landgericht Hamburg in der Berufungsinstanz (318 S 59/09) rechtskräftig abgewiesen.
In der Eigentümerversammlung vom 30.06.2009 wurde beschlossen, die fortlaufende Kurzzeitvermietung durch die Beklagte mit Hilfe eines Rechtsanwalts zu unterbinden. Demgemäß erhob die Klägerin diese Klage unter dem 29.06.2010, die am 05.07.2010 beim Gericht einging.
Zwischen der Beschlussfassung der Eigentümerversammlung vom 30.06.2009 und der Einreichung der Klagschrift in dieser Sache erging ein Urteil des Bundesgerichtshofs zur Geschäftsnummer V ZR 72/09, nach dem die Vermietung einer Eigentumswohnung an täglich oder wöchentlich wechselnde Feriengäste der zulässigen Wohnraumnutzung entspreche, wenn die Teilungserklärung nichts anderes bestimme und die Wohnungseigentümer nicht anderweitige Vereinbarungen getroffen haben.
Nachdem in diesem Rechtsstreit im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 09.11.2010 den Parteien ein Vergleichsvorschlag des Gerichts unterbreitet worden war, wurde dieser in der Eigentümerversammlung vom 06.07.2011 erörtert. Der Antrag, den Vergleichsvorschlag des Gerichts anzunehmen, wurde bei 0 Ja-Stimmen und 9 Nein-Stimmen und keiner Enthaltung abgelehnt.
Daraufhin stellte die Beklagte in jener Versammlung den Antrag festzustellen, dass die Vermietung von Wohnraum als Ferienappartement/Mietappartement mit Kurzzeitnutzung im Rahmen der Teilungserklärung und Gemeinschaftsordnung zulässig sei. Der entgegenstehende Beschluss der Eigentümergemeinschaft vom 22.09.2008 sei aufzuheben. Dieser Beschlussantrag wurde mit 2 Ja-Stimmen bei 9 Nein-Stimmen und 0 Enthaltungen abgelehnt.
Zur Geschäftsnummer 980 C 95/11 WEG erhob die Klägerin gegen die ablehnende Beschlussfassung Anfechtungsklage mit dem zusätzlichen Antrag auf Verpflichtung zu der begehrten Beschlussfassung. Mit Urteil vom 25.10.2011 wurde jene Klage abgewiesen.
Die Klägerin ist der Auffassung, die Beklagte sei aufgrund des bestandskräftigen Beschlusses vom 22.09.2008 verpflichtet, diesem Folge zu leisten. Daran ändere auch die jüngste Rechtsprechung des BGH nichts.
Die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verurteilen, es zur Vermeidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, € 50.000,00 aber nicht unterschreiten sollte, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu unterlassen, ihre im Kellergeschoss rechts und links belegenen Wohnungen (Nr. 1 und Nr. 4 gemäß Aufteilungsplan) des Hauses … als Ferienappartement/Mietappartement an Kurzzeitnutzer zu vermieten bzw. vermieten zu lassen; hilfsweise,
1.
die Beklagte zu verurteilen, es zur Vermeidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, € 50.000,00 aber nicht unterschreiten sollte, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu unterlassen, ihre im Kellergeschoss Mitte/Erdgeschoss rechts belegene Wohnung (Nr. 4 gemäß Aufteilungsplan) des Hauses … vollständig/teilweise als Ferienappartement/Mietappartement an Kurzzeitnutzer zu vermieten bzw. vermieten zu lassen;
2.
festzustellen, dass die Vermietung der im Kellergeschoss links belegenen Wohnung (Nr. 1 gemäß Aufteilungsplan) des Hauses … als Ferienappartement/Mietappartement an Kurzzeitnutzer gegen die geltende Beschlusslage verstößt und unzulässig ist.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie behauptet, die Wohnung Nr. 1 habe sie seit Oktober 2009 an einen Herrn … zu Wohnzwecken vermietet. Bezüglich dieser Wohnung finde somit keine Kurzzeitvermietung statt. Der die Beklagte beschränkende Beschluss könne nach der genannten Entscheidung des Bundesgerichtshofs keinen weiteren Bestand haben.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf das Verhandlungsprotokoll vom 09.11.2010 verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die Klägerin hat unter Anwendung der § 1004 Abs. 1 BGB i.V.m. § 15 Abs. 3 WEG keinen Anspruch auf Unterlassung der Kurzzeitvermietung bzw. Feststellung, dass die Vermietung gegen die geltende Beschlusslage verstößt und unzulässig ist.
Dahingestellt bleiben kann, ob tatsächlich nur der im Souterrain belegene Teil der von der Beklagten und ihrem Ehemann selbst benutzten Wohnung in der Vergangenheit kurzzeitig an Feriengäste vermietet wurde oder ob dies auch hinsichtlich der weiteren Wohnung zeitweise der Fall war. Selbst wenn man unterstellt, dass die von der Beklagten insoweit aufgestellte Behauptung einer Dauervermietung an einen Herrn … nicht zutreffen sollte, bleibt der Klage der Erfolg versagt.
Nach Auffassung des Gerichts ist der Beklagten gegenüber dem geltend gemachten Anspruch der aus § 242 BGB abzuleitende Einwand zuzubilligen, das Verlangen der Klägerin verstoße gegen Treu und Glauben, und zwar in Anbetracht der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 15.01.2010 in der Sache V ZR 72/09, abgedruckt in NJW 2010, 3093 ff. Darin wurde höchstrichterlich entschieden, dass die Vermietung einer Eigentumswohnung an täglich oder wöchentlich wechselnde Feriengäste Teil der zulässigen Wohnungsnutzung ist. Daraus folgt, dass eine derartige Nutzung von den übrigen Wohnungseigentümern im Wege einer Beschlussfassung jedenfalls dann nicht untersagt werden kann, wenn dies nicht, wie im vorliegenden Fall, in der Teilungserklärung ausdrücklich im Sinne eines entsprechenden Verbots geregelt ist.
Zu dieser Entscheidung des BGH steht die nach rechtskräftiger Abweisung der dagegen erhobenen Beschlussanfechtungsklage bestandskräftige Beschlussfassung der Wohnungseigentümer vom 22.09.2008 im Widerspruch, auf die die Klägerin ihr Klagbegehren stützt. Der „Konflikt“ zwischen bestandskräftiger Beschlussfassung der Wohnungseigentümer einerseits und dem Inhalt der genannten Entscheidung des Bundesgerichtshofs andererseits kann nach Auffassung des Gerichts nur in der Weise sinnvoll gelöst werden, den Wohnungseigentümern ausnahmsweise die Durchsetzung ihrer Beschlussfassung zu versagen, obwohl diese bestandskräftig ist.
Ausschlaggebend sind insofern die folgenden Überlegungen:
Der zu beurteilende Sachverhalt ist mit einer Konstellation vergleichbar, bei der sich die Frage stellt, ob und in welcher Weise sich eine Rechtsprechungsänderung auf die Frage der Vollstreckbarkeit einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung auswirkt. Die der grundsätzlich anzuerkennenden Unbeachtlichkeit einer geänderten Rechtsprechung für die Vollstreckbarkeit eines rechtskräftigen Urteils (vgl. Zöller-Herget, ZPO, § 767, Rdn. 13) zugrunde liegenden Erwägungen sind auf den vorliegenden Sachverhalt indes nicht übertragbar. Der Rechtsstandpunkt der Klägerin gründet sich nicht auf ein rechtskräftiges Urteil, sondern lediglich auf eine bestandskräftige Beschlussfassung einer Wohnungseigentümerversammlung. Dabei handelt es sich um ein Instrument der Willensbildung unter Wohnungseigentümern gemäß § 23 Abs. 1 WEG. Die Wirkungen beschränken sich auf den Binnenbereich innerhalb der Wohnungseigentümergemeinschaft. Eine derartige Beschlussfassung bleibt von der rechtlichen Bedeutung her hinter dem rechtskräftigen Urteil eines Gerichts zurück. Auch wenn im vorliegenden Fall die besagte Beschlussfassung im Rahmen der dagegen erhobenen Anfechtungsklage gerichtlich überprüft und rechtskräftig für rechtmäßig erklärt worden war, bleibt es doch dabei, dass es sich dabei nicht um eine gerichtliche Entscheidung handelte.
Dafür, dass sich im vorliegenden Fall die genannte BGH-Rechtsprechung zur grundsätzlichen Zulässigkeit der Kurzzeitvermietung durchzusetzen hat, sprechen nach Auffassung des Gerichts zudem die in der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeführten Gesichtspunkte für Ausnahmen von dem Grundsatz der Unbeachtlichkeit der Rechtsprechungsänderung für die Vollstreckbarkeit vorliegender rechtskräftiger gerichtlicher Entscheidungen. Nach dem Urteil des BGH vom 02.07.2009, I ZR 146/07, BGHZ 181, 373, ist eine Rechtsprechungsänderung, z.B. bei in die Zukunft gerichteten Unterlassungstiteln durchaus von Bedeutung. Grund für diese Ausnahme ist, dass bei Nichtberücksichtigung der geänderten Rechtsprechung nur aufgrund des bestehenden Vollstreckungstitels die betroffene Partei praktisch zeitlich unbegrenzt gehindert wäre, in den „Genuss“ der geänderten Rechtsprechung zu kommen. Dies wäre mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz auf Dauer nicht zu vereinbaren. Während bei einem ausschließlich in der Vergangenheit liegenden Streitgegenstand im Hinblick auf die Bedeutung der Rechtskraft der Ausgangsentscheidung deren Inhalt zu beachten bleibt, weil es sich eben um einen abgeschlossenen Sachverhalt handelt, so dass sich die Frage nach dem Vertrauen auf eine geänderte Rechtsprechung von vornherein gar nicht stellt, verhält es sich bei in die Zukunft gerichteten Sachverhalten gerade umgekehrt.
Bei seiner Beurteilung sieht das Gericht durchaus, dass die vom BGH in der Entscheidung BGHZ 181, 373 ff. vertretene Rechtsauffassung auf dem speziellen Rechtsgebiet des Wettbewerbsrechts ergangen ist, bei dem der höchstrichterlichen Rechtsprechung eine ungleich höhere Bedeutung im Sinne der Rechtssetzung durch Rechtsprechung zukommt als in anderen Bereichen des bürgerlichen Rechts, die vom Gesetzesrecht und der dazu entwickelten Rechtsdogmatik geprägt werden. Nach Auffassung des Gerichts ist es indes durchaus sachgerecht, im Wettbewerbsrecht entwickelte Anschauungen auf den hier einschlägigen Bereich des Wohnungseigentumsrechts zu übertragen. Dieses ähnelt dem Wettbewerbsrecht insoweit, als auch hier den Entscheidungen der Obergerichte, insbesondere des BGH, eine hohe Bedeutung für die Rechtsfindung zukommt. Einzelfragen des Wohnungseigentumsrechts sind in wenigen Rechtsnormen weitgehend lediglich konturenhaft geregelt und werden durch die Rechtsprechung ausgefüllt. Die im vorliegenden Fall einschlägige Frage, ob sich aus dem Sondereigentum des einzelnen Wohnungseigentümers die Berechtigung ergibt, dieses über die Eigennutzung hinaus auch zum Zwecke der Kurzzeitvermietung zu nutzen, wird im Wohnungseigentumsgesetzt nicht einmal ansatzweise beantwortet. Die besagte BGH-Entscheidung vom 15.01.2010 nimmt zur Begründung ihres Ergebnisses, die Kurzzeitvermietung sei grundsätzlich statthaft, eine an Art. 14 ausgerichtete Auslegung der Bestimmung des § 1 Abs. 2 WEG vor.
Genau wie in wettbewerbsrechtlichen Fallkonstellationen verhält es sich auch im vorliegenden Fall so, dass die „Ausgangsentscheidung“, nämlich die Beschlussfassung vom 22.09.2008, in die Zukunft weist. Bei Nichtbeachtung der BGH-Rechtsprechung zur Kurzzeitvermietung müsste sich die Beklagte somit auf unbestimmte Dauer für die Zukunft an der Beschlussfassung festhalten lassen. Das wäre ihr nicht zuzumuten.
Den vorstehenden Überlegungen und Argumenten zugunsten der Berücksichtigung der Rechtsgestaltung durch Rechtsprechung im Sinne der Nichtdurchsetzbarkeit des Beschlusses einer Wohnungseigentümerversammlung als Grundlage für ein Unterlassungsbegehren ist hinzuzufügen, dass sich dieses Ergebnis auch bei Anwendung der Grundsätze des Wegfalls der Geschäftsgrundlage (vgl. § 313 BGB) begründen lässt. Die Beschlussfassung der Wohnungseigentümer hat Vertragscharakter. Es handelt sich dabei um „gebündelte“ Willenserklärungen der Mehrheit von Wohnungseigentümern, denen nach den Regeln des Wohnungseigentumsgesetzes Durchsetzungskraft gegenüber der Minderheit zukommt. Grundlage für die Beschlussfassung der Wohnungseigentümer vom 22.09.2008, die Kurzzeitvermietung zu untersagen, war die herrschende Meinung in Rechtsprechung und Literatur, dass ein einzelner Wohnungseigentümer aus dem Recht zur Wohnungsnutzung nicht das Recht herleiten durfte, die Wohnung kurzzeitig an Feriengäste zu vermieten. Diese herrschende Auffassung, auf der auch erkennbar die Entscheidungen des Amts- und Landgerichts im Rahmen der Anfechtung der Beschlussfassung vom 22.08.2008 beruhten, wurde durch die nachfolgende BGH-Entscheidung geändert. Die Vertragsgrundlage wurde damit im Nachhinein gestört. Demgemäß ist es sachgerecht, eine Anpassung nach den Regeln des Wegfalls der Geschäftsgrundlage vorzunehmen (vgl. dazu BGH Urteil vom 11.07.2002, IX ZR 326/99, BGHZ 151, 316 ff.). Wenn somit im vorliegenden Fall sogar eine Anpassung der Beschlussfassung als erforderlich anzusehen ist, dann hat dies erst recht zur Folge, dass die vorangegangene, nicht angepasste Beschlussfassung als Grundlage für ein Unterlassungsbegehren nicht mehr in Betracht kommt.
Die Nebenentscheidungen richten sich nach den §§ 91, 708 Nr. 11, 711 ZPO.