LG Nürnberg-Fürth – Az.: 14 S 6933/15 WEG – Beschluss vom 05.07.2016
Gründe
Die Kammer beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Neumarkt i.d. OPf. vom 20.08.2015, Az. 4 C 5/14 WEG, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil sie einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert. Auch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung ist nicht geboten.
1.
Durch Endurteil des Amtsgerichts Neumarkt i. d. Opf. vom 20.08.2015, auf dessen tatsächliche Feststellungen Bezug genommen wird, wurden die Beschlüsse der außerordentlichen Eigentümerversammlung vom 04.06.2014 zu dem Tagesordnungspunkt 1b „Wahl je eines Tiefgaragenvertreters“, dem Tagesordnungspunkt 6 (a – c) „Vergabe der Arbeiten zur Sanierung der Tiefgarage“, dem Tagesordnungspunkt 7 „Sonderumlage“, dem Tagesordnungspunkt 9 „Genehmigung der Jahresabrechnung 2012“, dem Tagesordnungspunkt 10 „Entlastung der Verwaltung für das Wirtschaftsjahr 2012“ und dem Tagesordnungspunkt 11 „Entlastung des Verwaltungsbeirats für das Wirtschaftsjahr 2012“ für ungültig erklärt.
Zur Begründung führte das Erstgericht aus, die Wohnungseigentümerversammlung vom 04.06.2014, in der die angefochtenen Beschlüsse gefasst worden seien, sei, nachdem der Kläger die Versammlung verlassen habe, nicht mehr beschlussfähig gewesen, weil weniger als die Hälfte der Eigentümer anwesend oder vertreten gewesen seien.
Gemäß § 16 Ziff. 4 Abs. 1 der Gemeinschaftsordnung sei die Eigentümerversammlung beschlussfähig, wenn „mehr als die Hälfte der Eigentümer vertreten ist“. Die Wohnungseigentümergemeinschaft habe damit in zulässiger Weise von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die in § 25 Abs. 3 WEG enthaltene Regelung zur Beschlussfähigkeit durch eine andere Regelung zu ersetzen. Die Feststellung der Beschlussfähigkeit habe daher nach dem Kopfzahlprinzip zu erfolgen, der Wortlaut der Gemeinschaftsordnung sei insoweit eindeutig.
Bei der Fassung der angefochtenen Beschlüsse seien, nachdem der Kläger, der zusätzlich fünf weitere Wohnungseigentümer wirksam vertreten habe, die Eigentümerversammlung zuvor verlassen hatte, nurmehr 61 der 127 Eigentümer anwesend oder vertreten gewesen. Dieser formale Mangel führe zur Anfechtbarkeit der gefassten Beschlüsse.
Ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Klägers sei nicht ersichtlich. Die Rechtsprechung zu den Pflichten eines GmbH-Gesellschafters, wonach dieser sich treuwidrig verhalte, wenn er einerseits die Beschlussunfähigkeit der Gesellschafterversammlung durch einen Boykott selbst herbeiführe, sich andererseits dann aber im Rahmen der Anfechtungsklage gegen die nachfolgend gefassten Beschlüsse auf die fehlende Beschlussfähigkeit berufe, sei nicht auf das Wohnungseigentumsrecht übertragbar.
Es sei auch nicht ersichtlich, dass der Kläger durch sein Verlassen der Eigentümerversammlung die weiteren Beschlussfassungen boykottieren habe wollen. Dies würde voraussetzen, dass dem Kläger im Zeitpunkt des Verlassens der Eigentümerversammlung bekennt war, dass er durch seinen Weggang die Beschlussunfähigkeit der Eigentümerversammlung herbeiführen würde und dies auch wollte. Dafür gebe es keinerlei Anhaltspunkte. Im Protokoll der Eigentümerversammlung sei festgehalten, dass die Versammlung auch nach dem Weggang des Klägers weiterhin beschlussfähig sei. Die Verwaltung sei offensichtlich selbst davon ausgegangen, dass Beschlussfähigkeit gegeben sei und habe die Versammlung deshalb fortgesetzt. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger die Voraussetzung für die Beschlussfähigkeit zum Zeitpunkt seines Weggangs besser habe einschätzen können als der Versammlungsleiter, der anders als der Kläger zur Feststellung der Beschlussfähigkeit die Anwesenheitslisten und Vollmachten zur Verfügung hatte, ergäben sich hieraus gerade nicht.
Die Beschlussunfähigkeit wirke sich auch auf sämtliche gefasste Beschlüsse aus. Es werde letztlich vermutet, dass der formelle Fehler für die gefassten Beschlüsse kausal gewesen sei. Diese Vermutung körne nur dadurch widerlegt werden, dass dar Nachweis erbracht werde, dass die Beschlüsse mit Sicherheit auch ohne den formellen Fehler in gleicher Weise gefasst worden wären. Diesen Nachweis habe die Beklagtenseite nicht führen können. Dass mit Sicherheit davon ausgegangen werden könne, dass die Versammlung auch bei Anwesenheit des Klägers ebenso abgestimmt hätte, ist weder vorgetragen noch ersichtlich.
2.
Mit der Berufung, die auf Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung und Abweisung der Klage hinsichtlich der Anträge auf Ungültigerklärung der Beschlüsse zu den Tagesordnungspunkten 6 (a – c), 7, 10 und 11 sowie des Beschlusses zu dem Tagesordnungspunkt 9, soweit dieser nicht nur hinsichtlich der Putz- und Hausmeisterkosten für ungültig erklärt wurde, gerichtet ist, wird geltend gemacht, die Teilungserklärung sei nicht ohne weiteres dahin zu verstehen, dass ein Wechsel vom Wertprinzip zum Kopfprinzip gewollt gewesen sei. Denn die Hälfte der Eigentümer lasse sich nicht nur nach dem Kopfprinzip sondern auch nach dem Wertprinzip feststellen. Nachdem die gesetzliche Regelung bei der Beurteilung der Beschlussfähigkeit von dem Wertprinzip ausgehe, hätte es in der Gemeinschaftsordnung des Zusatzes bedurft dass die „Hälfte“ abweichend von dem gesetzlichen Normalfall nicht nach Miteigentumsanteilen, sondern nach Köpfen zu bestimmen sei. Da es an diesem Zusatz fehle, sei die Hälfte entsprechend der gesetzlichen Regelung nach Miteigentumsanteilen zu bestimmen. Da auch nach Verlassen des Klägers und Berufungsbeklagten mehr als die Hälfte der Miteigentumsanteile anwesend oder durch Vollmacht vertreten gewesen seien, sei die Versammlung beschlussfähig gewesen.
Außerdem sei das Verhalten des Klägers rechtsmissbräuchlich.
Aus den besonderen Treuepflichten der Wohnungseigentümer untereinander erwachse insbesondere die Verpflichtung zur Herbeiführung notwendiger Beschlüsse. Auch aus § 21 Abs. 4 WEG ergebe sich ein Anspruch auf Mitwirkung der einzelnen Eigentümer. Aus der besonderen Treuepflicht resultiere beispielsweise auch, dass ein Wohnungseigentümer sich auf einen formellen Mangel – beispielsweise eine verkürzte Ladungsfrist – gemäß § 242 BGB nicht berufen könne. Der Fall, dass ein Eigentümer eine bereits begonnene Versammlung ohne erkennbaren Grund verlasse, könne nicht anders zu entscheiden sein.
Soweit das Erstgericht auf die Möglichkeit einer Zweitversammlung verweise, wären damit weitere Kosten und insbesondere hinsichtlich der Sanierung der Tiefgarage weitere Verzögerungen verbunden.
Die ständige Rechtsprechung, wonach zu vermuten sei, dass formelle Fehler für die gefassten Beschlüsse ursächlich seien, widerspreche der Normentheorie, nach der jeder das zu beweisen habe, was für ihn günstig sei.
3.
Indessen vermag dies der Berufung der Beklagten nicht zum Erfolg zu verhelfen.
Gemäß § 513 ZPO kann eine Berufung nur darauf gestützt werden, dass die Entscheidung auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) beruht oder die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen. Eine Rechtsverletzung nach § 546 ZPO ist gegeben, wenn eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist.
Solches ist nicht ersichtlich.
Zu Recht hat das Erstgericht entschieden, dass die Eigentümerversammlung bei den Abstimmungen zu den streitgegenständlichen Beschlüssen nicht (mehr) beschlussfähig war und die Beschlüsse daher für ungültig erklärt. Die Kammer teilt die Rechtsauffassung des Erstgerichts und macht sich diese ausdrücklich zu Eigen.
3.1.
Die Rechtsauffassung des Erstgerichts, wonach sich aus der Teilungserklärung ergebe, dass die Abstimmung in der streitgegenständlichen Wohnungseigentümergemeinschaft nach dem Kopfzahlprinzip zu erfolgen hat, ist nicht zu beanstanden. Ausdrücklich nimmt die in § 16 Ziff. 4 der als Bestandteil der Teilungserklärung vom 24.05.1393 geltenden Gemeinschaftsordnung darauf Bezug, dass die Eigentümerversammlung nur beschlussfähig ist, wenn mehr als die Hälfte der Eigentümer vertreten ist.
Bei der Auslegung der in der Teilungserklärung enthaltenen Gemeinschaftsordnung ist maßgebend auf den Wortlaut und den Sinn abzustellen, wie es sich für einer unbefangenen Betrachter nächstliegend ergibt; Umstände außerhalb der Eintragung dürfen nur herangezogen werden, wenn sie nach den besonderen Verhältnissen des Einzelfalles für jedermann ohne Weiteres erkennbar sind (allgemeine Meinung, z. B. BGH, 16.11.2012, V ZR 9/12 NJW 2013, 681, m.w.N.).
Die an diesem Maßstab ausgerichtete Auslegung führt nach Auffassung der Kammer dazu, dass es vorliegend auch für einen unbefangenen Beobachter nicht darauf ankommen kann, wie viele Miteigentumsanteile die in der Eigentümerversammlung anwesenden oder vertretenen Wohnungseigentümer inne haben, sondern deren Anzahl im Verhältnis zur Gesamtzahl der Gesamtzahl der Eigentümer maßgeblich ist, also bei der Feststellung der Beschlussfähigkeit das Kopfzahlprinzip gilt. Danach war die Eigentümerversammlung bei den streitgegenständlichen Beschlussfassungen nicht mehr beschlussfähig.
3.2.
Richtig hat das Erstgericht auch gesehen, dass dem Kläger ein rechtsmissbräuchliches Verhalten nicht anzulasten ist.
Ganz grundsätzlich sind die Wohnungseigentümer zur Teilnahme an der Eigentümerversammlung und zur Mitwirkung an der Willensbildung nicht verpflichtet (BGH, 17.10.2014, V ZR 9/14, NJW 2015, 613). Soweit im Einzelfall von einer Mitwirkungspflicht der Wohnungseigentümer aufgrund der gegenseitigen Treuepflicht auszugehen ist, liegt ein solcher Ausnahmefall jedenfalls hier nicht vor.
Dass hinsichtlich der Beschlussfassungen zu den Tagesordnungspunkten 7, 9, 10 und 11 Besonderheiten vorlägen, die eine Mitwirkung aufgrund der Treuepflicht des Klägers zwingend geboten erscheinen lassen würden, behaupten selbst die Beklagen nicht und ist angesichts dieser Beschlussgegenstände auch nicht ersichtlich.
Auch die von den Beklagten dargestellte Historie der Tiefgaragensanierung lässt nicht erkennen, dass der Kläger aufgrund einer ihn treffenden Treuepflicht vorliegend verpflichtet gewesen wäre, weiterhin an dar Eigentümerversammlung teilzunehmen, um eine (positive) Beschlussfassung zu dem Tagesordnungspunkt 6 zu ermöglichen. Denn gerade weil die Tiefgaragensanierung schon seit dem Jahre 2007 im Raum stand, dann aber offenbar – aus welchen Gründen auch immer- nicht vorrangig betrieben und zeitnah umgesetzt wurde, ist nicht ersichtlich, dass eine sofortige Beschlussfassung über die Durchführung der Sanierung zur Vermeidung schwerwiegender Nachteile für das Gemeinschaftseigentum oder das Sondereigentum einzelner Sondereigentümer zwingend erforderlich und daher eine weitere Mitwirkung durch den Kläger geschuldet war. Im Übrigen kann bei der Beurteilung, ob ein rechtsmissbräuchliches Verhalten anzunehmen ist, auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Eintritt der Beschlussunfähigkeit – auch dies hat das Erstgericht richtig gesehen – offenbar seitens des Klägers keineswegs bezweckt war. Selbst der Vertreter der WEG-Verwalterin, der als Versammlungsleiter fungierte, ging ausweislich des Protokolls der Eigentümerversammlung davon aus, dass diese weiterhin beschlussfähig sei, der Kläger wurde also auch nicht etwa darauf hingewiesen, dass – soweit er nicht weiter an der Versammlung teilnehme – wichtige Beschlüsse nicht mehr gefasst werden könnten.
Von einem rechtsmissbräuchlichem Verhalten des Klägers kann daher nicht ausgegangen werden.
3.3.
Und schließlich hat das Erstgericht zutreffend entscheiden, dass sich die mangelnde Beschlussfähigkeit auch auf die angefochtenen Beschlüsse ausgewirkt hat.
Nach ständiger Rechtsprechung und allgemeiner Meinung in der Literatur führt ein formeller Beschlussmangel zur Ungültigkeit des Beschlusses, wenn das Beschlussergebnis auf dem formellen Fehler beruht (nur beispielhaft: BGH, 07.03.2002, V ZB 24/01, NJW 2002, 1647; Bärmann-Merle, Wohnungseigentumsrecht, 13. Aufl., Rn. 185 ff. zu § 23 WEG). Die Kausalität zwischen dem formellen Mangel und dem Beschlussergebnis wird widerlegbar vermutet (u. a. BGH, a. a O., Tz. 30; OLG Hamburg, ZMR 2007, 550). Die Vermutung ist widerlegt, wenn feststeht, dass der angefochtene Beschluss auch bei Nichtvorliegen des formellen Fehlers so gefasst worden wäre.
Die Kammer sieht keine Veranlassung von diesen Rechtsgrundsätzen, die auch durch das Landgericht Nürnberg-Führt in ständiger Rechtsprechung vertreten werden, abzurücken. Diese Grundsätze gelten auch und gerade für den formellen Fehler der mangelnden Beschlussfähigkeit (z. B. OLG Frankfurt, 30.06.2003, 20 W 138/01, zitiert nach juris; Kümmel, ZMR 2014, 763, 768). Das Festhalten an dieser Rechtsauffassung ist nach Auflassung der Kammer schon deshalb geboten, weil es sich bei der Regelung der Beschlussfähigkeit um eine zentrale Schutzvorschrift handelt, die sicherstellen soll, dass die Meinungsbildung der Eigentümerversammlung in Anwesenheit eines bestimmten Mindestquorums der Eigentümer stattfindet. Dies gilt vorliegend umso mehr, als die Beschlussfähigkeit an das Kopfzahlprinzip gekoppelt wurde.
Da die Beklagten die Kausalitätsvermutung nicht widerlegen konnten, wurden die angefochtenen Beschlüsse durch das Erstgericht zu Recht für ungültig erklärt.
Die Entscheidung des Amtsgerichts ist damit nicht zu beanstanden, die Berufung ohne Aussicht auf Erfolg. Zur Vermeidung unnötiger Verfahrenskosten regt die Kammer an, eine Berufungsrücknahme in Betracht zu ziehen. Andernfalls ist beabsichtigt, die Berufung durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, da die dort genannten Voraussetzungen vorliegen.
Die Beklagten erhalten Gelegenheit, zu diesem Hinweis bis längstens 27.07.2016 Stellung zu nehmen.