LG Chemnitz – Az.: 6 S 27/11 – Urteil vom 21.10.2011
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Teilurteil des Amtsgerichts Chemnitz vom 20. Dezember 2010 – Az.: 13 C 1010/10 – abgeändert:
Die Klage wird abgewiesen.
2. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
4. Die Kostenentscheidung bleibt der amtsgerichtlichen Entscheidung vorbehalten.
Gründe
I.
Gemäß § 540 Abs. 1 Ziffer 1 ZPO wird auf die tatsächlichen Feststellungen des amtsgerichtlichen Urteils Bezug genommen. Diese sind im Hinblick auf das Berufungsverfahren zu ergänzen wie folgt:
Die Beklagte verfolgt mit der Berufung den erstinstanzlichen Klagabweisungsantrag fort. Bei der Abwägung der grundrechtsrelevanten Parteiinteressen überwiege das Persönlichkeitsrecht der Beklagten an der Ausgestaltung ihrer Lebensverhältnisse, da die streitgegenständliche Kinderpiratenflagge ästhetisch nicht negativ wirke und als Vorhang diene. Vorliegend gelte dies schon deshalb, weil die Hausfassade erhebliche Sanierungsrückstände aufweise, das Gesamtbild also durch die Piratenfahne auch nicht beeinträchtigt werde.
Die Klägerin verteidigt das ergangene Urteil. Die Fahne sei vom Vermieter nicht hinzunehmen, da sie nicht zum normalen Mietgebrauch gehöre und Totenschädel generell in der öffentlichen Meinung negativ behaftet sein, im Zusammenhang mit einem Mietshaus auf Bewohner aus der „schwarzen Szene, Mitglieder einer Punkband etc.“ vermuten lasse und daher andere Interessenten von der Anmietung abhalte.
Zu den weiteren Einzelheiten des jeweiligen Parteivorbringens sowie zu den wechselseitig gestellten Anträgen wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Hauptverhandlungsprotokolle vom 30. Juni und 15. September 2011 Bezug genommen. Im letztgenannten Termin hat die Kammer Beweis erhoben durch Einnahme des Augenscheins, zum Ergebnis wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.
II.
Die Berufung der Beklagten ist zulässig, insbesondere form-und fristgerecht eingelegt und begründet, sie hat auch in der Sache Erfolg.
1. Das Amtsgericht hat die Auffassung vertreten, im Rahmen des vereinbarten vertragsgemäßen Mietgebrauches seien grundrechtsrelevante Parteiinteressen abzuwägen. Hierbei gehe das Eigentumsrecht der Klägerin und das damit verbundene Interesse, ihr Eigentum ansprechend zu gestalten, den persönlichen Anliegen des Mieters vor. Diese Auffassung teilt die Kammer nach durchgeführter Beweisaufnahme nicht.
a) Der Ausgangspunkt des Amtsgerichts ist im Wesentlichen zutreffend. Ungeachtet der Frage der Ausstrahlung von Grundrechten auf das privatrechtliche Vertragsverhältnis ist der Entscheidung zugrunde zu legen, dass – soweit mietvertragliche Regelungen nicht bestehen – die Wahrnehmung des überlassenen Gebrauchs (§ 535 Abs. 1 Satz 1 BGB) in der mietvertraglichen Treuepflicht ihre Grenzen findet; dies bedeutet, dass der Mieter bei der Ausübung des ihm überlassenen Gebrauches angemessen Rücksicht auf berechtigte Interessen des Vermieters zu nehmen hat.
Es ist also davon auszugehen, dass dem Mieter grundsätzlich die sozialübliche, an den Gepflogenheiten der Zeit orientierte Ausübung des Mietgebrauchs gestattet ist, er also in diesem Rahmen in der Ausgestaltung seiner Lebensverhältnisse in der Wohnung keine Einschränkungen findet. Einschränkungen bejaht die Rechtsprechung im Wesentlichen, soweit nicht vermietete Teile (beispielsweise die Fassade) betroffen sind; so sind Veränderungen an Balkonen durch bauliche Veränderungen oder die Anbringung von Antennen an der Fassade, grundsätzlich untersagt. Innerhalb der Wohnung – vorliegend durch Aushang im Fenster – sind die Grenzen enger zu ziehen. Hier ist der Gebrauch des Mieters nur dann beschränkt, wenn zum Beispiel diskriminierende oder beleidigende Meinungsäußerungen ausgehängt werden, bzw. diese Eingriffe in Persönlichkeitsrechte des Vermieters enthalten (vgl. Kossmann, Handbuch der Wohnraummiete, 6. Aufl., § 52 – Rz. 9), im Einzelfall (aber nicht grundsätzlich) auch bei politischen Aussagen (a.a.0.) sowie dann, wenn verunstaltende Plakate ausgehängt werden (vgl. hierzu Schmidt-Futterer, Mietrecht, 10. Aufl., § 535 – Rz. 367; LG Berlin, GE 2005, 675). Zu dem letztgenannten Gesichtspunkt ist der Rahmen eng zu ziehen, jedenfalls rechtfertigen Fragen des guten Geschmacks noch nicht den Eingriff in die Lebensführung des Mieters.
b1) Ausgehend von diesen Voraussetzungen war daher die Frage zu prüfen, ob die streitgegenständliche Piratenfahne das Anwesen verunstaltet (und deshalb für den Vermieter unzumutbar ist), insbesondere auch deswegen, weil Mietinteressenten eine Nutzung der Wohnung durch assoziale Kreise vermuten können und deshalb von einer Anmietung abgeschreckt werden. Dem war gegenüberzustellen, das Interesse des Mieters an der selbstbestimmten Nutzung seines unmittelbaren und engsten Lebensraumes (ohne dass hierzu auf die vom Amtsgericht angenommene Grundrechtsausstrahlung zurückgegriffen werden muss).
b2) Die Beweisaufnahme im Ortstermin hat zur Überzeugung des Gerichts ergeben, dass die streitige Fahne in der Fassade durchaus deutlich hervortritt, also jedem Passanten, auch Mietinteressenten, ins Auge springen wird. Ebenso deutlich erkennbar ist indes auch, dass es sich um eine Kinderpiratenfahne handelt; die Anlage K2 (Bl. 17 dA) gibt diesen Eindruck zutreffend wieder, als hier ein grinsender, wenig aggressiv wirkender Schädel mit Augenklappe zu sehen ist. Hieraus ist zu folgern:
Die Fahne mag nicht unbedingt zu einer ästhetischen Aufwertung der Fassade beitragen. Damit allein ist das Gebrauchsrecht des Mieters indes noch nicht überschritten, da der sozialübliche Rahmen nicht gesprengt ist. Die damit einhergehende bloße Beeinträchtigung des Erscheinungsbildes, die auch in anderer Weise, beispielsweise durch unpassende Vorhänge in schrillen Farben oder ähnliches hervorgerufen werden kann, rechtfertigt kein Verbot (siehe oben 1 a) .
Die Fahne mag auch im Einzelfall geeignet sein, ein „konservatives“ Publikum von der Anmietung abzuhalten. Maßgebend sind indes nicht die Aufforderungen besonders sensibler Mietinteressenten, sondern die Anschauungen der angesprochenen Verkehrskreise generell. Diese werden bei einer Kinderpiratenflagge weder auf rechtsradikalen Hintergrund oder assoziale Störenfriede schließen, sondern an eine Nutzung eben durch Kinder denken. Insoweit liegt also auch keine unzumutbare Einschränkung der wirtschaftlichen Nutzungsmöglichkeiten des Vermieters vor.
2. Da bereits aufgrund dieser Erwägungen ein Anspruch auf Entfernung nicht bestanden hat, kann dahinstehen, ob vermieterseits tatsächlich – wie im Prozess angeklungen – die Fahne mehrere Jahre hingenommen worden ist und inwieweit erhebliche Sanierungsrückstände an der Fassade bei der Gesamtabwägung der Frage, ob eine Verunstaltung vorliegt, zu berücksichtigen sind.
3. Zu prüfen hatte das Gericht auch, inwieweit die Beklagte schikanös i.S.v. § 226 BGB handelt. Hiernach ist die Ausübung eines Rechtes unzulässig, wenn sie nur den Zweck haben kann, einem anderen Schaden zuzufügen. Zu erwägen ist dies, weil der Sohn der Beklagten bereits 22 Jahre alt ist und daher das Interesse an einer Kinderpiratenflagge eher fernliegt. Dennoch ist die Frage im Ergebnis zu verneinen, da es auch einem bereits Erwachsenen unbenommen bleibt, sein Zimmer als „Piratenzimmer“ auszugestalten. Lediglich ergänzend ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass die vorliegende Entscheidung lediglich die Dekorierung eines Fensters mit einer Kinderpiratenflagge betrifft; damit ist nicht inzident die Befugnis bejaht, sämtliche Zimmer der Wohnung mit solchen Fahnen auszustatten bzw. generell die Befugnis zur Verwendung von Totenkopffahnen als Vorhängen.
III.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10 ZPO. Die Kostenentscheidung war dem Amtsgericht vorzubehalten, das einheitlich über die Kosten des gesamten Prozesses zu entscheiden hat.
Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe gemäß § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Die rechtlichen Ausgangspunkte der Entscheidung sind im Wesentlichen gesichert, es handelt sich um eine Tatsachenentscheidung für den Einzelfall.