Skip to content
Menü

Einstweilige Einstellung Räumungs-Zwangsvollstreckung aufgrund Corona-Krise

LG München I – Az.: 14 T 7328/20

1. Auf die sofortige Beschwerde der Gläubiger wird der Beschluss des Amtsgerichts München vom 10.06.2020, Az. 1539 M 42463/20, in Ziffer 1 aufgehoben.

Der Räumungsschutzantrag der Schuldnerin vom 27.05.2020, ergänzend begründet mit Schriftsatz vom 07.06.2020, wird vollumfänglich zurückgewiesen.

2. Die Schuldnerin trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

3. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

4. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 2.500,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Gläubiger wenden sich mit ihrer sofortigen Beschwerde vom 13.06.2020 gegen den Beschluss des Amtsgerichts München vom 10.06.2020, mit welchem die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Amtsgerichts München vom 11.03.2020 (Az. 452 C 19275/19) bis einschließlich 17.08.2020 in vollem Umfang einstweilen eingestellt worden ist.

Die Gläubiger nehmen die Schuldnerin im Verfahren vor dem Amtsgericht München, Az. 452 C 19275/19, u.a. auf Räumung und Herausgabe der verfahrensgegenständlichen Wohnung im Anwesen … in Anspruch.

Mit Urteil vom 11.03.2020 ist die Schuldnerin aufgrund wirksamer fristloser Kündigung wegen Zahlungsverzugs zur Räumung und Herausgabe der vorgenannten Wohnung verurteilt worden.

Nach der Räumungsmitteilung des zuständigen Gerichtsvollziehers zum Az. 16 DR II 378/20 ist die Zwangsräumung für den 17.06.2020 anberaumt. Die Gläubiger haben zuletzt beantragt, eine sog. „Hamburger-Räumung“ durchzuführen.

Mit Schriftsatz vom 27.05.2020, ergänzend begründet mit Schriftsatz vom 09.06.2020, hat die Schuldnerin Antrag auf Vollstreckungsschutz gemäß § 765a ZPO gestellt.

Mit Schriftsatz vom 04.06.2020 traten die angehörten Gläubiger dem Antrag auf Vollstreckungsschutz ausdrücklich entgegen. Dabei verwiesen sie insbesondere darauf, dass die Schuldnerin seit August 2019 keinerlei Mietzahlungen bzw. Nutzungsentschädigungszahlungen mehr erbringe. Die Schuldnerin berufe sich zudem lediglich in unsubstantiierter und nicht einlassungsfähiger Weise auf die Corona-Krise, obschon das Unvermögen der Schuldnerin, ihren vertraglichen bzw. nachvertraglichen Zahlungsverpflichtungen nachzukommen, mit dieser Krise ersichtlich nicht in Zusammenhang stehe. Die Schuldnerin habe auch nicht dargelegt, welche Bemühungen sie hinsichtlich der Suche nach Ersatzwohnraum an den Tag gelegt habe. Auch der gesundheitliche Zustand der Schuldnerin rechtfertige nicht die Gewährung von Vollstreckungsschutz. Dies gelte auch für die übrigen von der Schuldnerin vorgebrachten Umstände, die überdies – soweit sie erst Gegenstand des Schriftsatzes vom 09.06.2020 waren – als verspätet anzusehen seien.

Mit Beschluss vom 10.06.2020 (Az. 1539 M 42463/20) hat das Amtsgericht München auf den Antrag der Schuldnerin die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Amtsgerichts München vom 11.03.2020 (Az. 452 C 19275/19) „bis einschließlich 17.08.2020 in vollem Umfang einstweilen eingestellt“.

Hiergegen wendet sich die Gläubigerpartei im Wege der sofortigen Beschwerde vom 13.06.2020. Die Gläubiger rügen dabei insbesondere, dass sich das Amtsgericht München im angefochtenen Beschluss mit ihrem Schriftsatz vom 04.06.2020 nicht auseinandergesetzt und somit ihren Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt habe.

Das Vollstreckungsgericht sei weit über die Anträge der Schuldnerin hinausgegangen und habe damit § 308 ZPO verletzt. Der bis 17.08.2020 gewährte Räumungsschutz sei als „willkürlich“ zu erachten. Bei einem Zuwarten mit der Zwangsvollstreckung bis August 2020 würden – sofern die Schuldnerin auch weiterhin keine Zahlungen erbringe – Rückstände in Höhe von insgesamt 15.900,00 € auflaufen. Nach alledem könne die angefochtene Entscheidung keinen Bestand haben.

Mit Beschluss vom 15.06.2020 hat das Amtsgericht München der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und die Aktenvorlage bei dem Beschwerdegericht verfügt.

II.

Die sofortige Beschwerde der Gläubiger gegen die Entscheidung des Amtsgerichts München vom 10.06.2020 ist zulässig. Sie erweist sich überdies als begründet.

Der Entscheidung des Amtsgerichts, die Zwangsvollstreckung bis einschließlich 17.08.2020 in vollem Umfang einstweilen einzustellen, kann nicht gefolgt werden.

Die bevorstehende Räumung stellt für die Schuldnerin keine sittenwidrige Härte im Sinne des § 765a ZPO dar.

Nach § 765a ZPO kann das Vollstreckungsgericht eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung (etwa die drohende Zwangsräumung) ganz oder teilweise aufheben, untersagen oder einstweilen einstellen, wenn die Zwangsvollstreckungsmaßnahme für den Schuldner oder einen seiner Angehörigen, der mit ihm in den Räumlichkeiten wohnt, eine Härte bedeutet, die mit den guten Sitten nicht vereinbar ist. Bereits aus dem Wortlaut der Norm geht hervor, dass die Gewährung von Vollstreckungsschutz nur in besonderen Ausnahmesituationen in Betracht kommt („wegen ganz besonderer Umstände“). Es handelt sich damit um eine Ausnahmevorschrift, die eng auszulegen ist (BGH, Urt. v. 13.07.1965 – V ZR 269/62, BGHZ 44, 138 = NJW 1965, 2107). Das Gericht hat bei der Handhabung des § 765a ZPO keinen Ermessensspielraum (BGH, Urt. v. 13.07.1965 – V ZR 269/62, BGHZ 44, 138 = NJW 1965, 2107 MüKoZPO/Heßler ZPO § 765a Rn. 25), sodass die Gewährung von Räumungsschutz nur dann infrage kommt, wenn die Räumung gerade zum beabsichtigten Zeitpunkt nach der Überzeugung aller vernünftig denkenden Bürger sittenwidrig wäre und zu einem ganz untragbaren Ergebnis führen würde (BGH, Beschl. v. 12.11.2014 – V ZB 99/14, NJW-RR 2015, 393). Mit den Härten, die jede Zwangsvollstreckung mit sich bringt, muss sich der Schuldner dagegen grundsätzlich abfinden. Für die Anwendung des § 765a ZPO genügen daher weder allgemeine wirtschaftliche Erwägungen noch generelle soziale Gesichtspunkte.

Bei der Beurteilung der Frage, ob eine bestimmte Zwangsvollstreckungsmaßnahme im Einzelfall eine sittenwidrige Härte darstellt, ist nicht danach zu fragen, wer die Härte verursacht hat. Es ist also nicht maßgeblich, ob dem Gläubiger wegen der Durchführung der Zwangsvollstreckungsmaßnahme ein moralischer Vorwurf gemacht werden kann oder ob etwa der Schuldner die Härtegründe i.S.d. § 765a ZPO (zumindest auch) selbst verschuldet hat. Es ist lediglich auf die objektiven Auswirkungen der Vollstreckungsmaßnahme unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles abzustellen, ohne dass es darauf ankommt, ob das Vollstreckungsgericht die der Zwangsvollstreckung zugrunde liegende Entscheidung für richtig oder falsch hält (Thomas/Putzo/Seiler ZPO § 765a Rn. 8a). Dabei begründet es keine Härte i.S.d. § 765a ZPO, dass die Zwangsvollstreckung überhaupt durchgeführt wird; denn ein Schutz kann nur gegen bestimmte Vollstreckungsmaßnahmen, nicht jedoch gegen die Zwangsvollstreckung an sich gewährt werden (OLG Köln, Beschl. v. 07.02.1994 – 2 W 21/94, NJW 1994, 1743; OLG Köln, Beschl. v. 19.12.1994 – 2 W 178/94, NJW-RR 1995, 1472).

Unter Anwendung dieser Grundsätze ist die Zwangsvollstreckung vorliegend nicht einstweilen einzustellen, da eine sittenwidrige Härte i.S.d. § 765a ZPO nicht anzunehmen ist.

Soweit das Amtsgericht in der angefochtenen Entscheidung letztlich ausschließlich auf die Corona-Krise abstellt und hieraus pauschal das Erfordernis einer zeitlich befristeten einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung herleiten will, wird dies den Anforderungen an eine abwägende Entscheidung nach § 765a ZPO nicht gerecht. Zu Recht rügt die Beschwerde daher insbesondere, dass die schriftsätzlich vorgebrachten Interessen der Gläubiger keine Berücksichtigung gefunden hätten.

Letztlich stellt die Entscheidung in der Tat ausschließlich auf die Corona-Krise ab, ohne den konkreten Fall vor Augen zu haben.

Im Einzelnen ist vorliegend auszuführen:

1. Ohne Erfolg beruft sich die Schuldnerin zunächst auf ihren Gesundheitszustand.

Eine konkrete Gefahr für das Leben oder die Gesundheit eines Schuldners – welche die Annahme einer sittenwidrigen Härte rechtfertigt – kann auch ohne Suizidgefahr vorliegen. Eine physische oder psychische Belastung des Schuldners (oder eines Angehörigen des Schuldners) steht einer Zwangsvollstreckung aber erst dann entgegen, wenn hierdurch im Einzelfall ein schwerwiegender Eingriff in die körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) droht (BGH, Beschl. v. 02.12.2010 – V ZB 124/10, NZM 2011, 167). Allerdings reicht die Behauptung einer schweren oder gar lebensbedrohlichen Erkrankung des Schuldners für sich alleine nicht aus, wenn durch die drohende Zwangsräumung eine weitere Verschlechterung des Gesundheitszustandes nicht zu befürchten ist (BGH, Beschl. v. 02.12.2010 – V ZB 124/10, NZM 2011, 167 – für eine Krebserkrankung der Ehefrau des Schuldners). Eine Maßnahme nach § 765a ZPO ist daher in diesem Kontext nur dann gerechtfertigt, wenn gerade durch die drohende Zwangsräumung eine erhebliche Verschlechterung des gesundheitlichen Zustandes des Schuldners (oder eines Angehörigen) zu befürchten steht.

Dies ist vorliegend nicht der Fall. Es liegt bereits keine schwere oder gar lebensbedrohlichen Erkrankung vor.

Die Schuldnerin verweist im Schriftsatz vom 09.06.2020 lediglich auf eine chronische Erkrankung in Form einer „Kopfverletzung“ und auf das Erfordernis, die „Wunde“ regelmäßig (auch nachts) zu versorgen. Weiterer Sachvortrag hierzu ist jedoch nicht erfolgt. Ein ärztliches Attest ist ebenfalls nicht vorgelegt worden.

In diesem Lichte ist schon nicht ersichtlich, dass erhebliche gesundheitliche Beeinträchtigungen i.S.d. § 765a ZPO angenommen werden können.

Für eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Eintritts gravierender Erkrankungen, einer Beschleunigung des gesundheitlichen Verfalls oder einer Verkürzung der Lebenserwartung gerade aufgrund der bevorstehenden Zwangsräumung fehlen ebenfalls per se tragfähige Anhaltspunkte.

Die bloße Behauptung einer im Rahmen eines chronischen Krankheitsbildes regelmäßig zu versorgenden Wunde rechtfertigt grundsätzlich nicht die Gewährung von Vollstreckungsschutz, zumal nicht ersichtlich ist, dass deren Versorgung außerhalb des bisherigen Wohnraums mit einer nennenswerten Verschlechterung des gesundheitlichen Zustandes der Schuldnerin einhergehen würde.

2. Auch soweit sich die Schuldnerin auf fehlenden Ersatzwohnraum beruft, liegt eine sittenwidrige Härte nicht vor.

Ein Schuldner hat die mit einer Zwangsräumung regelmäßig einhergehenden Beeinträchtigungen hinzunehmen; dazu gehört gerade auch der Verlust der eigenen Wohnung.

Das Vorbringen eines Schuldners, er habe noch keine Ersatzwohnung gefunden, stellt für sich allein keinen Grund für eine Maßnahme nach § 765a ZPO dar (Zöller/Seibel ZPO § 765a Rn. 12). Von einer sittenwidrigen Härte kann vielmehr allenfalls dann ausgegangen werden, wenn der Mieter durch die Räumung tatsächlich obdachlos werden würde (Schmidt-Futterer/Lehmann-Richter § 765a ZPO Rn. 25). Dies wird jedoch in aller Regel nicht der Fall sein. Denn notfalls muss dem Schuldner seitens der zuständigen Sicherheitsbehörde eine Ersatzunterkunft beschafft werden dies kann bspw. in Form der öffentlich-rechtlichen Einweisung in die bisherige Wohnung oder der Unterbringung in einer Obdachlosenunterkunft erfolgen. Der Schuldner hat dies grundsätzlich hinzunehmen (LG Kleve, Beschl. v. 23.01.2013 – 4 T 295/12, DGVZ 2013, 161 = ZMR 2014, 251).

Hinzu kommt hier, dass die Schuldnerin lediglich unsubstantiiert behauptet, „Tag und Nacht“ auf der Suche nach einer neuen Unterkunft zu sein. Nähere Ausführungen hierzu finden sich in ihren Schriftsätzen indes nicht. Insoweit reicht freilich auch die Behauptung, mit einem Mitarbeiter der Diakonie gesprochen zu haben, welcher ihr aber mitgeteilt habe, dass „alles belegt“ sei, nicht im Ansatz aus.

3. Soweit die Schuldnerin vorliegend berufliche Schwierigkeiten anklingen lässt, vermag dies ihrem Räumungsschutzantrag ebenfalls nicht zum Erfolg zu verhelfen.

Selbst eine konkrete Gefährdung der beruflichen Existenz des Schuldners kann im Regelfall nicht zu einer vorläufigen Einstellung der Zwangsvollstreckung führen. Nur in absoluten Ausnahmefällen wird hiervon abgewichen werden können. Denn wirtschaftlich nachteilige Auswirkungen gehören gerade zu den Umständen, die einer Räumung immanent sind und daher grundsätzlich keine sittenwidrige Härte darstellen (Schmidt-Futterer/Lehmann-Richter § 765a ZPO Rn. 27).

Anzudenken ist die Gewährung von Vollstreckungsschutz in Form einer vorläufigen, zeitlich befristeten Einstellung der Zwangsvollstreckung mithin allenfalls dann, wenn der im gerichtlichen Beschluss konkret zu bezeichnende Zeitraum sicher ausreicht, um eine konkrete Gefahr der beruflichen Existenzvernichtung abzuwenden.

Dies ist hier ersichtlich nicht der Fall, zumal die Schuldnerin nicht einmal selbst behauptet, dass ein weiteres Zuwarten mit der Zwangsvollstreckung zu einer Stabilisierung ihrer beruflichen Situation führen könne. Es kommt daher nicht mehr darauf an, dass das – bestrittene – Vorbringen der Schuldnerin in Bezug auf ihre berufliche Situation widersprüchlich und in Teilbereichen diffus anmutet.

Gleichzeitig müsste freilich die fortlaufende Zahlung der geschuldeten Nutzungsentschädigung sichergestellt sein. Daher wird Vollstreckungsschutz insbesondere dann ausscheiden, wenn das Mietverhältnis (jedenfalls auch) wegen Zahlungsverzugs gekündigt worden ist (ähnlich BeckOK MietR/Fleindl BGB, Zwangsvollstreckung Rn. 176).

Auch in diesem Lichte kann Räumungsschutz daher nicht in Ansehung etwaiger beruflicher Schwierigkeiten der Schuldnerin gewährt werden. Denn die Schuldnerin erfüllt mitnichten die Verpflichtung zur Zahlung der laufenden Nutzungsentschädigung. Sie lässt vielmehr jeden Monat weitere erhebliche Rückstände auflaufen.

4. Festzuhalten ist damit, dass dem Vorbringen der Schuldnerin – unabhängig von den Interessen der Gläubiger – schon keine Härte i.S.d. § 765a ZPO entnommen werden kann.

5. Die Zwangsvollstreckungsmaßnahme müsste überdies für den Schuldner nach § 765a Abs. 1 S. 1 ZPO „unter voller Würdigung des Schutzbedürfnisses des Gläubigers“ eine sittenwidrige Härte darstellen. Das Schutzbedürfnis des Gläubigers ist in jedem Fall zu berücksichtigen und kann ein solches Gewicht erlangen, dass es eine Vollstreckungsschutzmaßnahme ausschließt. In Zweifelsfällen gebührt den Interessen des Gläubigers der Vorrang. Denn der Gläubiger hat gem. Art. 19 Abs. 4 GG einen verfassungsrechtlich verbürgten Anspruch auf effektiven Rechtsschutz (BGH, Beschl. v. 15.07.2010 – V ZB 1/10, NZM 2010, 836). Ihm dürfen daher nicht die Aufgaben überbürdet werden, die aufgrund des Sozialstaatsprinzips dem Staat und damit der Allgemeinheit obliegen. Vielmehr ist es Aufgabe des Staates, das Eigentumsrecht des Gläubigers zu wahren, titulierte Ansprüche notfalls mit Zwang durchzusetzen und dem Gläubiger zu seinem Recht zu verhelfen (BGH, Beschl. v. 15.07.2010 – V ZB 1/10, NZM 2010, 836). Hieraus folgt, dass nicht jede Vollstreckungsmaßnahme, die für den Schuldner eine unbillige Härte bedeutet, Vollstreckungsschutz nach § 765a ZPO rechtfertigt. Die Vollstreckung macht vielmehr erst an der Grenze der Sittenwidrigkeit Halt (LG München I, Beschl. v. 13.02.2019 – 14 T 16334/18, NZM 2019, 794; BeckOK MietR/Fleindl BGB Zwangsvollstreckung Rn. 160).

Bei der vorzunehmenden Interessenabwägung wird regelmäßig in erheblichem Maße aufseiten der Gläubigerinteressen zu berücksichtigen sein, wenn die Zahlung der Nutzungsentschädigung nach § 546a BGB nicht oder nicht mehr sichergestellt ist. Dies gilt in besonderem Maße dann, wenn der Gläubiger auf die Mieteinnahmen/die fortlaufende Zahlung der Nutzungsentschädigung dringend angewiesen ist, während sich die voraussichtlich nicht durchsetzbaren Zahlungsrückstände wegen Vermögenslosigkeit des Schuldners weiter erhöhen (LG Hildesheim, Beschl. v. 28.06.1995 – 5 T 535/95, MDR 1995, 1010 = NJW-RR 1995, 1164). Geht es beim Schuldner dagegen um den Schutz von Leib und Leben (namentlich bei konkreter Suizidalität), werden die vermögensrechtlichen Belange des Gläubigers regelmäßig zurücktreten müssen. Der Umstand allein, dass nach wie vor (insbesondere kündigungsgegenständliche) Mietrückstände aus einem zurückliegenden Zeitraum vorhanden sind, wird der Gewährung von Räumungsschutz in aller Regel nicht entgegenstehen, zumal durch Maßnahmen nach § 765a ZPO das Risiko des Ausfalls dieser Forderungen grundsätzlich nicht erhöht wird; es tritt daher insoweit keine Schadensvertiefung zum Nachteil des Gläubigers ein. Allerdings mag der unterbliebene Ausgleich von Mietrückständen ein Indiz für die künftige Nichtzahlung der geschuldeten Nutzungsentschädigung darstellen.

Diese Gesichtspunkte hat das Amtsgericht in seiner Entscheidung ebenfalls nicht berücksichtigt. Letztlich fehlt eine Interessenabwägung vollumfänglich. Dies wird den verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine Entscheidung nach § 765a ZPO ersichtlich nicht gerecht.

Dabei hätte das Amtsgericht insbesondere in erheblicher Weise in seine Entscheidung einfließen lassen müssen, dass die Schuldnerin seit August 2019 keine laufenden Zahlungen (Miete nach § 535 Abs. 2 BGB bzw. Nutzungsentschädigung nach § 546a BGB) mehr leistet und somit ihr – bereits zur fristlosen Kündigung führendes – rechtswidriges und vertragsuntreues Verhalten fortsetzt. Auch ist in keiner Weise absehbar, ob und wann die Schuldnerin wieder Zahlungen erbringen wird. Diesbezügliche Beteuerungen der Schuldnerin, die Miete an sich zahlen zu wollen, sind freilich unbehelflich.

6. Die Entscheidung einer einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung bis 17.08.2020 wird letztlich – ohne auf den konkreten Fall abzustellen – ausschließlich und vergleichsweise apodiktisch mit der Corona-Pandemie und ihren Auswirkungen auf das öffentliche Leben sowie den hieraus resultierenden Schwierigkeiten bei der Wohnungssuche begründet.

Dieser Ansatz trägt die angegriffene Entscheidung jedoch nicht.

Zwar verkennt das Beschwerdegericht keineswegs, dass die Corona-Pandemie, deren Ende zum jetzigen Zeitpunkt nicht absehbar ist, mit beispiellosen Auswirkungen auf nahezu alle Bereiche des öffentlichen Lebens einhergeht. Hiervon wird mit größter Wahrscheinlichkeit auch der ohnehin angespannte Wohnungsmarkt in der Landeshauptstadt München und ihrer Umgebung betroffen sein.

Diese Situation führt aber grundsätzlich nicht dazu, dass pauschal und ohne auf den konkreten Einzelfall abzustellen, eine einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung beschlossen werden darf.

Dies gilt jedenfalls dann, wenn sich der Schuldner lediglich allgemein auf die Corona-Krise und ihre allgemeinen Auswirkungen beruft, ohne auch nur ansatzweise darzulegen, inwiefern er selbst davon betroffen ist.

Die floskelhafte Behauptung, auf der Suche nach Ersatzwohnraum zu sein, dabei aber bislang keinen Erfolg gehabt zu haben, trägt einen Räumungsschutzantrag in aller Regel nicht. Dies gilt selbst in Zeiten der Corona-Krise.

Es ist durchaus nachvollziehbar, dass in Zeiten weitreichender pandemiebedingter Ausgangsbeschränkungen staatliche Zwangsvollstreckungsmaßnahmen zurückgefahren werden (müssen) oder gar vorübergehend vollumfänglich zum Erliegen kommen.

Diese staatlichen Beschränkungen zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung werden aber derzeit sukzessive und in hohem Umfang wieder zurückgefahren. Es besteht vor diesem Hintergrund auch die Verpflichtung der staatlichen Organe, ihre Arbeit wieder aufzunehmen, Zwangsvollstreckungen durchzuführen und somit Gläubigern in verfassungsrechtlich gebotener Weise effektiven Rechtsschutz zu gewähren.

Konkret auf den vorliegenden Fall bezogen ist ergänzend zu betonen, dass die Schwierigkeiten der Schuldnerin, Ersatzwohnraum zu finden und ihrer Verpflichtung zur monatlichen Zahlung der geschuldeten Nutzungsentschädigung nachzukommen, augenscheinlich nicht in maßgeblichem Zusammenhang zur aktuellen Corona-Krise stehen. So hatte die Schuldnerin bereits im August 2019 – und damit weit vor dem Beginn der aktuellen Pandemie – ihre Mietzahlungen eingestellt.

Auch von daher ist es nicht geboten, der Schuldnerin unter pauschaler Bezugnahme allein auf den Aspekt der Corona-Krise Räumungsschutz zu gewähren.

Nach alledem konnte die angegriffene Entscheidung keinen Bestand haben. Lediglich der dortige Ausspruch zu den Kosten (Ziffer 2) bleibt unberührt.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 788 Abs. 1 S. 1 ZPO; bei den Kosten des Beschwerdeverfahrens handelt es sich um notwendige Kosten der Zwangsvollstreckung.

Die Festsetzung des Werts des Beschwerdeverfahrens beruht auf §§ 47, 48 GKG i.V.m. § 3 ZPO. Maßgeblich ist das Interesse der Gläubiger an der Aufhebung des angefochtenen Beschlusses.

Da der ursprünglich angesetzte Zwangsvollstreckungstermin auf den 17.06.2020 fiel und die Zwangsvollstreckung im angefochtenen Beschluss bis 17.08.2020 einstweilen eingestellt wurde, ist auf diesen – zwei Monate umfassenden – Zeitraum und den sich daraus ergebenden Gesamtbetrag der Nutzungsentschädigungen abzustellen.

Die Rechtsbeschwerde ist nicht zuzulassen. Weder hat die Sache grundsätzliche Bedeutung, noch erfordert die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts, § 574 Abs. 3 S. 1, Abs. 2 ZPO.

 

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

Unsere Hilfe im Mietrecht & WEG-Recht

Wir sind Ihr Ansprechpartner in Sachen Mietrecht und Wohneigentumsrecht. Vom Mietvertrag über Mietminderung bis hin zur Mietvertragskündigung.

Rechtsanwälte Kotz - Kreuztal

Rechtstipps aus dem Mietrecht

Urteile aus dem Mietrecht

Unsere Kontaktinformationen

Rechtsanwälte Kotz GbR

Siegener Str. 104 – 106
D-57223 Kreuztal – Buschhütten
(Kreis Siegen – Wittgenstein)

Telefon: 02732 791079
(Tel. Auskünfte sind unverbindlich!)
Telefax: 02732 791078

E-Mail Anfragen:
info@ra-kotz.de
ra-kotz@web.de

Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Kotz
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Notar mit Amtssitz in Kreuztal

Bürozeiten:
MO-FR: 8:00-18:00 Uhr
SA & außerhalb der Bürozeiten:
nach Vereinbarung

Für Besprechungen bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung!