LG Frankfurt, Az.: 2-13 S 127/12
Urteil vom 12.05.2015
Leitsatz vom Verfasser nicht amtlich: Das Abschließen der Hauseingangstür in einem Mehrfamilienhaus führt zu einer erheblichen Gefährdung der Bewohner und ihrer Besucher. Durch das Abschließen der Hauseingangstür ist ein Verlassen des Gebäudes im Brandfalle oder in einer anderen Notsituation nur möglich, wenn ein Schlüssel mitgeführt wird. Dieses schränkt die Fluchtmöglichkeit erheblich ein, da es auf der Hand liegt, dass gerade in Paniksituationen nicht sichergestellt ist, dass jeder Bewohner und jeder Besucher des Hauses bei der Flucht einen Haustürschlüssel griffbereit mit sich führt, so dass sich eine abgeschlossene Haustür im Brand oder in einem sonstigen Notfall als tödliches Hindernis erweisen kann. Demzufolge wird in der überwiegenden in Rechtsprechung und Literatur eine Regelung dahingehend, dass die Hauseingangstür verschlossen werden muss, in Mietverträgen als unzulässig angesehen.
Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Amtsgerichts Kassel vom 31. Juli 2012 abgeändert. Der Beschluss zu Tagesordnungspunkt 10 der Eigentümerversammlung vom 21. Mai 2011 wird für ungültig erklärt.
Die Beklagten tragen die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf bis zu 3.000,00 € festgesetzt.
Gründe
I.
Die Parteien sind Mitglieder einer Wohnungseigentümergemeinschaft. In der Eigentümerversammlung vom 21. Mai 2011 haben die Wohnungseigentümer zu Tagesordnungspunkt 10 beschlossen, § 4.7 der Hausordnung wie folgt zu ändern:
„Im allgemeinen Interesse ist die Haustür in der Zeit von 22.00 Uhr abends bis 6.00 Uhr morgens verschlossen zu halten“.
Mit der vorliegenden Klage haben die Kläger diesen Beschluss angefochten. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen, hiergegen richtet sich die Berufung der Kläger.
Von der weiteren Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird gemäß § 540 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.
II.
Die zulässige Berufung ist begründet. Der angefochtene Beschluss ist für ungültig zu erklären.
Dabei kann dahinstehen, ob die angefochtene Regelung in der Hausordnung bereits gem. § 134 BGB in Verbindung mit der Hessischen Bauordnung nichtig ist, denn die getroffene Regelung entspricht jedenfalls nicht ordnungsgemäßer Verwaltung.
1. Mit dem angefochtenen Beschluss wurde die bestehende Hausordnung geändert. Eine Hausordnung enthält im Wesentlichen Verhaltensvorschriften, mit denen der Schutz des Gebäudes, die Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung und die Erhaltung des Hausfriedens sichergestellt werden soll, wobei insbesondere die §§ 13, 14 WEG, das öffentliche Recht und die Verkehrssicherungspflichten zu beachten sind. Dabei müssen die Regelungen der Hausordnung ordnungsgemäßer Verwaltung im Sinne des § 21 Abs. 3 WEG und einem ordnungsgemäßen Gebrauch im Sinne des § 15 Abs. 2 WEG entsprechen (vgl. nur LG München, ZWE 2013, 413 m. w. N.).
Unter Anlegung dieser Maßstäbe, entspricht die Regelung, während der Nachtzeiten die Haustür verschlossen zu halten, nicht ordnungsgemäßer Verwaltung. Denn insoweit sind bei einer Ergänzung der Hausordnung die schutzwürdigen Belange der Wohnungseigentümer zu berücksichtigen und gegeneinander abzuwägen (Bärmann/Merle § 21 Rn 81).
Diese Abwägung führt dazu, dass auch unter Berücksichtigung des Sicherungsbedürfnisses der beklagten übrigen Wohnungseigentümer die angefochtene Regelung nicht ordnungsgemäßer Verwaltung entspricht. Insoweit kann dahinstehen, ob die Hessische Bauordnung bereits dem Verbot entgegensteht und ob insoweit eine drittschützende Wirkung bestände, die für eine Nichtigkeit des Beschlusses gem. § 134 BGB Voraussetzung wäre (verneinend LG Köln ZMR 2014, 541).
Denn das Abschließen der Hauseingangstür führt zu einer erheblichen Gefährdung der Wohnungseigentümer und ihrer Besucher. Durch das Abschließen der Haustür ist ein Verlassen des Gebäudes im Brandfalle oder in einer anderen Notsituation nur möglich, wenn ein Schlüssel mitgeführt wird. Dieses schränkt die Fluchtmöglichkeit erheblich ein, da es auf der Hand liegt, dass gerade in Paniksituationen nicht sichergestellt ist, dass jeder Hauseigentümer und jeder Besucher der Wohnungseigentumsanlage bei der Flucht einen Haustürschlüssel griffbereit mit sich führt, so dass sich eine abgeschlossene Haustür im Brand oder in einem sonstigen Notfall als tödliches Hindernis erweisen kann. Demzufolge wird auch überwiegend in Rechtsprechung und Literatur – zu der vergleichbaren mietrechtlichen Thematik – eine Regelung dahingehend, dass die Haustür verschlossen ist, in Mietverträgen als unzulässig angesehen (vgl. Schmidt/Futterer, Mietrecht/Eisenschmid Mietrecht § 535 Rn 382; Ziebarth, NZM 2014, 621, 622; AG Frankfurt am Main, NZM 2005, 617; a. A. LG Köln, ZMR 2014, 541).
Diesem Interesse steht zwar das Interesse der übrigen Wohnungseigentümer gegenüber, aus Sicherheitsgründen die Haustür geschlossen zu halten. Insoweit steht auch für die Kammer außer Frage, dass dem Sicherungsbedürfnis durch eine geschlossene Haustür in höherem Maße als durch eine nichtverschlossene Haustür Rechnung getragen wird. Entgegen der Ansicht des Amtsgerichtes bedarf es insoweit einer Abwägung dieser Interessen – bei der sich schon die Frage stellen dürfte, ob sie gleichwertig sind – allerdings nicht, denn diese beiden Interessen stehen bezüglich eines Verschlusses der Haustür nicht in einem Ausschließlichkeitsverhältnis. Es gibt – auch dieses war Gegenstand der Eigentümerversammlung, auf welcher der angefochtene Beschluss gefasst wurde – Haustürschließungssysteme, welche beide Interessen vereinigen, die nämlich ein Verschluss des Hauseingangs zulassen, auf der anderen Seite ein Öffnen durch flüchtende Bewohner aber ohne einen Schlüssel ermöglichen.
Angesichts dieser Möglichkeit entspricht es jedenfalls nicht ordnungsgemäßer Verwaltung, wenn die Wohnungseigentümergemeinschaft beschließt, in den Nachtstunden die Haustür verschlossen zu halten und dadurch in Notsituationen Fluchtmöglichkeiten – mit gegebenenfalls tödlichem Risiko – erschwert. Ein derartiger Beschluss überschreitet das Ermessen der Wohnungseigentümer bei der Beschlussfassung über die Hausordnung deutlich, so dass auf die Anfechtung der angefochtene Beschluss für ungültig zu erklären ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
Die weiteren Nebenentscheidungen ergeben sich §§ 708 Nr. 10, 711, 713, 544 ZPO, 62 Abs. 2 WEG.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 49 a GKG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da der Rechtsstreit weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 ZPO).