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Mietvertragsanfechtung wegen Täuschung über Eigentumsverhältnisse

LG Hamburg, Az.: 316 S 104/10, Urteil vom 20.09.2011

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Hamburg -St. Georg vom 25.11.2010, Az. 910 C 230/10, wird zurückgewiesen.

2. Der Beklagten wird eine weitere Räumungsfrist bis 31.1.2012 bewilligt.

3. Die Beklagte hat die Kosten der Berufung zu tragen.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Beschluss: Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 47.200,00 € festgesetzt.

Gründe

Von der Darstellung des Tatbestands wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 Satz 1 ZPO nach Maßgabe der folgenden Ausführungen abgesehen.

I.

Mietvertragsanfechtung wegen Täuschung über Eigentumsverhältnisse
Foto: fizkes/Bigstock

Die Kläger verlangen von der Beklagten mit der vorliegenden Klage die Räumung der von den Beklagten bewohnten Wohnung in der … Sie begründen das Räumungsverlangen damit, dass der Mietvertrag rückwirkend unwirksam geworden sei infolge ihrer Anfechtungserklärung. Die Beklagte habe bei Vertragsschluss arglistig über ihre Einkommensverhältnisse getäuscht.

Das Amtsgericht Hamburg St. Georg hat der Klage mit der Begründung stattgegeben, dass die Kläger den Mietvertrag der Parteien wirksam wegen arglistiger Täuschung i. S.d. § 123 BGB angefochten hätten. Die Beklagte hätte die Kläger über ihre schlechte finanzielle Gesamtsituation aufklären müssen. Die Vorlage der Einkommensnachweise entlaste die Beklagte insoweit nicht. Sie seien für den gewünschten Zweck nicht ausreichend gewesen, da es darum gegangen sei, sicherzustellen, dass die finanzielle Gesamtsituation der Beklagten es erlaubt, die Mietzahlungen sicherzustellen. Dass dies nicht der Fall sei, habe das Zahlungsverhalten der Beklagten nach Mietbeginn gezeigt.

Die Beklagte wendet gegen das Urteil des Amtsgerichts ein, sie habe nach Vorlage ihrer Einkommensnachweise davon ausgehen können, dass sich die Verwaltung die sämtlichen weiteren verfügbaren Auskünfte (Creditreform, Schufa, Schuldnerverzeichnis) selbst beschaffe. Sie habe nichts bewusst verschwiegen. Sie habe die von den Klägern geforderten Angaben ja gemacht. Es könne von einem Mieter nicht verlangt werden, dass er ungefragt über sämtliche Umstände, die für einen Vertragsabschluss relevant sein können, Auskunft gebe. Die Schlussfolgerung des Amtsgerichts, dass die finanzielle Gesamtsituation der Beklagten nicht geeignet gewesen sei, regelmäßige Mietzahlungen sicherzustellen, sei nicht gerechtfertigt. Im übrigen sei die Anfechtung eines Mietvertrages nach Überlassung eines Mietobjektes auch rechtlich unzulässig. Es komme nur eine Kündigung wegen Unzumutbarkeit gemäß § 543 BGB in Betracht.

Die Beklagte beantragt, unter Abänderung des Urteils des Amtsgerichts Hamburg – St. Georg vom 25.11.2010 (Az.910 C 230/10) die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Berufung zurückzuweisen.

Die Kläger sind der Auffassung, die rechtliche Würdigung des Amtsgerichts sei nicht zu beanstanden. Es werde auch unverändert davon ausgegangen, dass die Beklagte auch weiterhin ihren mietvertraglichen Pflichten nicht zuverlässig nachkommen werde, da die Beklagte weiterhin Schulden habe, wie sie selbst einräume. Weshalb die streitgegenständliche Wohnung für die Existenz der Beklagten notwendig sein solle, sei nicht erkennbar.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist unbegründet. Das Amtsgericht hat der Räumungsklage zu Recht und mit zutreffender Begründung stattgegeben.

Die Kläger haben gegen die Beklagte einen Anspruch auf Räumung der streitbefangenen Wohnung gemäß §§ 546, 985 BGB. Das Mietverhältnis der Parteien ist durch die Anfechtungserklärung der Kläger vom 3.3.2010 (Anlage K 3) gemäß §§ 123,142 BGB unwirksam geworden.

Die Anfechtung einer auf Abschluss eines Mietvertrages gerichteten Willenserklärung ist nach höchstrichterlicher Rechtsprechung und der herrschenden Meinung im Schrifttum (BGH NJW 2009, 1266; Schmidt – Futterer, 10. Auflage, Vor § 535 Rz 7 m.w.N.) auch nach Überlassung der Mietsache wirksam möglich und bewirkt, dass das Mietverhältnis rückwirkend vernichtet wird. Insbesondere eine Partei, die aufgrund einer arglistigen Täuschung zu einer Willenserklärung veranlasst worden ist, die sie bei Kenntnis der Umstände nicht abgegeben hätte, hat ein schutzwürdiges Interesse an der rückwirkenden Vernichtung ihrer Willenserklärung. Diesem Interesse trägt § 142 BGB Rechnung (BGH aaO).

Ein Anfechtungsgrund in Form der arglistigen Täuschung ist hier gegeben. Das Amtsgericht hat zu Recht darauf abgestellt, dass die Beklagte bei Abschluss des Mietvertrages über ihre wirtschaftlichen Verhältnisse, insbesondere über ihre Fähigkeit, die vereinbarte Miete stets vollständige und pünktlich zahlen zu können, bewusst getäuscht hat. Es lag auch aus Sicht der Beklagten auf der Hand, dass in ihrem konkreten Fall die vorgelegten Einkommensnachweise ein unzutreffendes Bild hinsichtlich ihrer Fähigkeit, den hohen Mietzins von € 2800 brutto zu zahlen, abgaben. Zwar wiesen die Bestätigungen ihrer kontoführenden Bank und ihres Steuerberaters hohe monatliche Einnahmen aus, die es ihr als Alleinstehende bei im übrigen gesunden wirtschaftlichen Verhältnissen problemlos ermöglicht hätten, den Mietzins aufzubringen. Dem hohen Einkommen stand jedoch eine hohe Schuldensumme gegenüber, aufgrund derer die Beklagte bereits dreimal – zuletzt ein halbes Jahr vor Unterzeichnung des streitbefangenen Mietvertrages – die eidesstattliche Versicherung hatte abgeben müssen. Im Fall der Beklagten stand zum einen zum Zeitpunkt des Abschlusses des Mietvertrages zu befürchten, dass andere Gläubiger die Eingänge auf ihrem Konto bis zum Pfändungsfreibetrag pfänden und einziehen würden. Zum anderen lag es nahe, dass die Beklagte bei entsprechender Zwangsvollstreckung zunächst ältere und titulierte Forderungen würde befriedigen müssen. Dass ihre Einnahmen zur Deckung sämtlicher Verbindlichkeiten nicht ausreichten, zeigte sich sodann deutlich in ihrem Zahlungsverhalten gegenüber den Klägern. Es wird insoweit auf die entsprechenden Ausführungen im Urteil des Amtsgerichts Bezug genommen. Zwar behauptet die Beklagte, zum Verzug mit den Zahlungen an die Kläger sei es nur wegen eines vorübergehenden Engpasses gekommen. Dagegen sprechen indes nicht nur die mehrfachen eidesstattlichen Versicherungen der Beklagten sondern auch der Umstand, dass ausweislich der Anlage K 3 im November 2008 tatsächlich rund ein Dutzend Gläubiger – erfolglos – die Zwangsvollstreckung gegen die Beklagte betrieb.

Zwar ist nicht jeder Mietinteressent zur Offenlegung seiner Einkommensverhältnisse verpflichtet. Es besteht keine allgemeine Pflicht, alle Umstände zu offenbaren, die für die Entschließung des anderen Teils eventuell von Bedeutung sein können (BGH NJW 1971, 1795; Palandt – Ellenberger, § 123 Rz. 5). Etwas anderes gilt im Hinblick auf Umstände, die den Vertragszweck vereiteln oder gefährden können (BGH NJW 1980, 2460; Palandt aaO). Auch ungefragt sind danach wahrheitsgemäße und vollständige Angaben gegenüber dem Vermieter zu den wirtschaftlichen Verhältnissen zu machen, wenn wie im Falle der Beklagten tatsächlich bereits eine hohe Verschuldung bzw. Überschuldung vorliegt, sodass der Mietinteressent aufgrund von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen anderer Gläubiger die monatliche Mietzahlung nicht mehr sicherstellen kann. Denn das diesbezügliche Informationsbedürfnis des Vermieters drängt sich in solch einer Situation förmlich auf. Dass die Beklagte angenommen haben will, dass die Verwaltung des Mietobjekts sich die notwendigen Daten zu ihren wirtschaftlichen Verhältnissen selbst beschaffen würde, ist nicht glaubhaft. Der Beklagten selbst war bewusst, dass die Kläger den in Mietvertrag in Kenntnis der wahren Sachlage nicht abgeschlossen hätten. Die Frage des Gerichts in der Berufungsverhandlung, ob sie davon ausgegangen sei, die Wohnung zu bekommen, sofern sie mitgeteilt hätte, dass sie vor fünf Monaten die eidesstattliche Versicherung abgegeben hat, hat sie verneint.

Auch eine Einschränkung des Anfechtungsrechts nach den Gesichtspunkten von Treu und Glauben (§ 242 BGB) kommt vorliegend nicht in Betracht. Weshalb ihre Existenz gefährdet sein soll, wenn sie nunmehr zu einem Wohnungswechsel gezwungen ist, wie sie in der Berufungsbegründung behauptet hat, hat die Beklagte – auch auf Nachfrage der Kammer in der Berufungsverhandlung – nicht plausibel zu erklären vermocht. Im Gegenteil dürfte ihr die nach ihren Angaben begonnene Neuordnung ihrer finanziellen Verhältnisse und Rückführung ihrer Schulden bei einer niedrigeren Mietzinsverpflichtung leichter fallen.

Das Amtsgericht hat zudem zutreffend ausgeführt, dass den Klägern ein Festhalten am Mietvertrag unter den Gesichtspunkten von Treu und Glauben deshalb nicht mehr zugemutet werden könne, weil sich das Risiko, dem durch die o. g. Aufklärungspflichten entgegengewirkt werden sollte, vorliegend auch dahingehend tatsächlich realisiert hat, als die Beklagte mit ihren Zahlungsverpflichtungen in Verzug geriet.

Soweit die Berufungsklägerin Einbauten und Investitionen vorgenommen hat, besteht die Möglichkeit der Wegnahme der Einrichtungen oder des Aufwendungsersatzes nach § 539 BGB. Auch dieser Umstand steht einer Unwirksamkeit des Mietvertrages nicht entgegen.

Die Bewilligung der Räumungsfrist erfolgt gemäß § 721 ZPO. Da derzeit keine Mietforderungen offen sind, ist eine (weitere) Räumungsfrist zu bewilligen, um der Beklagten ausreichend Zeit für die Suche nach einer neuen Wohnung zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 7 ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen. Die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO sind nicht erfüllt. Die Entscheidung enthält keine Abweichung von höchstrichterlicher Rechtsprechung. Es besteht auch kein Anlass, einen Rechtsentscheid wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtsfrage herbeizuführen, da für die zu treffende Entscheidung die umfassende Würdigung aller Umstände des Einzelfalles maßgeblich war.

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