Marihuana-Handel in Mietwohnung – fristlose Kündigung wirksam.
Die fristlose Kündigung einer Mietwohnung aufgrund von Marihuana-Handel und -Besitz in erheblicher Menge ist wirksam, entschied das Amtsgericht München in einem aktuellen Fall. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Handel innerhalb oder außerhalb der Wohnung stattfindet und ob der Täter Partei des Mietvertrags ist. Auch aktuelle Legalisierungsüberlegungen und Diskussionen im Zusammenhang mit der Droge seien unerheblich für die mietrechtliche Beurteilung. Eine Straftat könne hinreichenden Bezug zum Mietverhältnis haben, wenn sie innerhalb des Mietobjekts begangen wird. In diesem Fall war die Straftat einem Familienangehörigen des Mieters zuzuordnen, der längere Zeit in der Wohnung lebte. Ein Antrag auf Gewährung einer Räumungsfrist nach § 721 ZPO führt vorliegend nicht zu Erfolgsaussichten der Rechtsverteidigung. Obwohl umstritten ist, ob Prozesskostenhilfe für diesen Verfahrensteil bewilligt werden darf, wurde sie hier verneint. Die Beklagte zu 1) muss die Gerichtskosten tragen, eine Erstattung von außergerichtlichen Kosten erfolgt nicht.
LG München I – Az.: 14 T 7020/22 – Beschluss vom 03.07.2022
1. Die sofortige Beschwerde der Beklagten zu 1) gegen den PKH-Versagungsbeschluss des Amtsgerichts München vom 08.02.2022, Az. 452 C 8089/21, wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte zu 1) hat die Gerichtskosten zu tragen; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
3. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Beklagte zu 1) wendet sich mit ihrer sofortigen Beschwerde gegen den PKH-Versagungsbeschluss des Amtsgerichts München vom 08.02.2022.
II.
Die nach §§ 567, 127 Abs. 2 S. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde erweist sich als unbegründet.
Das Amtsgericht hat hinreichende Erfolgsaussichten der Rechtsverteidigung in zutreffender Weise verneint.
a) Auch nach Überzeugung des Beschwerdegerichts bestehen keine Zweifel an der Wirksamkeit der fristlosen Kündigung vom 16.04.2021.
Denn der Beklagte zu 2) betrieb offenbar von der verfahrensgegenständlichen Wohnung aus Handel mit Marihuana und bewahrte dort in erheblichem Maße Betäubungsmittel auf; im Rahmen einer polizeilichen Durchsuchung wurden 787,71 Gramm Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 10,9 % vorgefunden. Dies stellt offenkundig eine massiv vertragswidrige Nutzung des Mietobjekts dar.
Dabei kommt es nicht darauf an, dass es sich bei Marihuana lediglich um eine sog. „weiche Droge“ handelt. Auch der Hinweis der Beschwerde auf aktuelle Legalisierungsüberlegungen und -diskussionen im Zusammenhang mit dieser Droge sind unbehelflich. Dieser verfängt schon deshalb nicht, weil es bei der mietrechtlichen Beurteilung auf die aktuelle Rechtslage ankommt und nicht auf etwaige, zumal überaus ungewisse, künftige Gesetzesänderungen.
Ob der Handel von der Wohnung aus oder in der Wohnung betrieben wurde, spielt keine maßgebliche Rolle, denn in beiden Fällen liegt eine gravierende vertragswidrige Nutzung der Wohnung vor. Die Beschwerde lässt dabei auch außer Betracht, dass dem Beklagten zu 2) nicht „nur“ Handeltreiben mit Betäubungsmitteln anzulasten war, sondern auch deren unerlaubter Besitz (in nicht geringer Menge). Da die Betäubungsmittel unstreitig in der Wohnung aufbewahrt wurden, ist der unmittelbare Bezug zur Wohnung – und damit die mietrechtliche Relevanz der Straftat des Beklagten zu 2) – jedenfalls insoweit offenkundig.
Eine Straftat kann hinreichenden Bezug zum Mietverhältnis haben, wenn sie innerhalb des Mietobjekts begangen wird, was insbesondere bei der Aufbewahrung von BtM zu bejahen ist Schmidt-Futterer/Streyl, Mietrecht, 15. Auflage 2021 Rn. 58 m.w.Nachw.).
So verhält es sich hier.
Es kommt auch nicht entscheidend darauf an, dass der Beklagte zu 2), einer der volljährigen Söhne der Beklagten zu 1), nicht Partei des Mietvertrags ist.
Denn ein hinreichender Bezug zum Mietverhältnis kann nicht nur dann bestehen, wenn einer der Mietvertragsparteien der Straftäter ist. Vielmehr kann das Mietverhältnis ebenso betroffen sein, wenn die Straftat von einem Familienangehörigen, (engen) Freund, Untermieter oder Hausbewohner verwirklicht wird. Dies erfordert auch keine Zurechnung der Straftat im rechtlichen Sinn (§ 278 BGB), nicht einmal eine (rechtliche) Einbeziehung in den Pflichtenkreis des Mietverhältnisses; die Straftat muss nur dem Risikobereich des Gekündigten zuzuordnen sein. Denn genauso, wie die Vertrauensstörung auf Opferseite aus der Verletzung von nahestehenden, aber nicht mit der Vertragsdurchführung betrauten Personen resultieren kann, ist dies auf Täterseite der Fall (Schmidt-Futterer/Streyl, a.a.O. Rn. 51 m.w.Nachw.).
So stehe die Dinge auch hier, zumal die Beklagten zu 1) und 2) in eng(st)er verwandtschaftlicher Beziehung zueinander stehen (Mutter und Sohn) und der Beklagte zu 2) aufgrund ausdrücklicher Erlaubnis der Beklagten zu 1) längere Zeit in der verfahrensgegenständlichen Wohnung lebte.
b) Auch die Stellung eines Antrags nach § 721 ZPO führt vorliegend nicht zu Erfolgsaussichten der Rechtsverteidigung.
Umstritten ist insoweit die Frage, ob – sozusagen isoliert – für die Stellung eines Antrags auf Gewährung einer Räumungsfrist nach § 721 Abs. 1 ZPO Prozesskostenhilfe bewilligt werden darf. Diese Problematik kann insbesondere dann praktisch relevant werden, wenn zwar hinsichtlich der Verteidigung der Beklagtenpartei gegen den Räumungsanspruch – wie hier – keine Erfolgsaussichten bestehen, die Gewährung einer Räumungsfrist (auf Antrag oder von Amts wegen) im Rahmen eines klagestattgebenden Urteils aber ggf. in Betracht kommt. Unerheblich ist dabei letztlich, ob das Begehren der Beklagtenpartei nur auf die Erlangung einer Räumungsfrist abzielt oder ob er sich insgesamt gegen die Räumungsklage verteidigt; in ersterem Fall stünde die Frage einer vollumfänglichen Bewilligung, in der zweiten Konstellation die Möglichkeit einer Teilbewilligung von PKH im Raum.
Nach einer Auffassung könne dem Beklagten (namentlich also einem Mieter) im Rahmen des Räumungsrechtsstreits zumindest für den Verfahrensteil der Prüfung der Gewährung einer Räumungsfrist nach § 721 Abs. 1 ZPO (isoliert) Prozesskostenhilfe (PKH) bewilligt werden, auch wenn eine Erfolgsaussicht der Rechtsverteidigung gegen den Räumungsanspruch nicht anzunehmen sei. Lediglich für die Beiordnung eines Rechtsanwalts nach § 121 ZPO bestehe aufgrund der gebührenrechtlichen Vergütungsregelung in Nr. 3334 VV RVG auch in diesem Zusammenhang kein Rechtsschutzbedürfnis (AG Ludwigslust WuM 2013, 608). Begründet wird dieser Standpunkt insbesondere damit, dass auch die Frage der Gewährung einer Räumungsfrist nach § 721 Abs. 1 ZPO mit einer Beweisaufnahme (namentlich in Form der Einholung eines kostenintensiven medizinischen Sachverständigengutachtens) einhergehen könne. Es bestehe daher ein „wesentliches Bedürfnis für eine Gewährung von Prozesskostenhilfe jedenfalls für diesen Verfahrensteil“ (AG Ludwigslust WuM 2013, 608 [611]. Soweit die Gewährung einer Räumungsfrist nach § 721 Abs. 1 ZPO eine vorweggenommene Anordnung für das Vollstreckungsverfahren betreffe, könne der beklagte Mieter jedenfalls diesbezüglich nicht schlechter stehen, als wenn über die Räumungsfrist in einem gesonderten Verfahren zu entscheiden wäre. Ansonsten wäre dem Anspruch auf einen effektiven Rechtsschutz kaum Genüge getan.
Die verneinende Gegenauffassung führt insbesondere an, dass es insoweit ja – anders als nach § 721 Abs. 2 ZPO – nicht um ein selbständiges Nebenverfahren, sondern lediglich um eine „Annex-Entscheidung“ gehe. Die Bewilligung einer Räumungsfrist stelle auch kein Teilunterliegen des Klägers dar. Die eigentliche Rechtsverteidigung des beklagten Mieters habe somit keine Aussicht auf Erfolg. Es sei zwar nicht zu verkennen, dass auch an der Bewilligung einer Räumungsfrist ein erhebliches Interesse eines Räumungsschuldners/Mieters bestehen könne. Da der beklagte Mieter aber primär Klageabweisung beantrage, insoweit keine Erfolgsaussicht bestehe und alle Verfahrenskosten auch von diesem Streit voll erfasst seien, müsse die Gewährung von Prozesskostenhilfe allein bezogen auf die Frage einer Räumungsfrist nach § 721 Abs. 1 ZPO abgelehnt werden. Es komme hinzu, dass gemäß § 721 Abs. 1 ZPO über die Frage einer Räumungsfrist ohnehin auch von Amts wegen zu entscheiden sei und ggf. keine besonderen Probleme gegeben seien, die einen anwaltlichen Vortrag erforderlich machten. Damit könne schließlich ein Bedürfnis einer anwaltlichen Vertretung entfallen. Ohne anwaltliche Vertretung bedürfe der beklagte Mieter aber allein für die Frage der Räumungsfrist keiner Prozesskostenhilfe, weil ein diesbezüglicher Vortrag nebst entsprechendem Antrag keine Kosten verursache; Prozesskostenhilfe diene aber nur dazu, die Führung des Prozesses zu ermöglichen (AG Schöneberg NJWE-MietR 1996, 105).
Diese Auffassung verdient in Ansehung der vorstehenden Argumentation Zustimmung.
Nach alledem kam die Gewährung von Prozesskostenhilfe hier nicht – auch nicht teilweise – in Betracht. Der sofortigen Beschwerde musste daher der Erfolg versagt bleiben.
III.
Gemäß § 22 Abs. 1 GKG hat die Beklagte zu 1) die Gerichtskosten zu tragen, was im Tenor klarstellend auszusprechen war (OLG München, Beschluss vom 21.10.2014 – 10 W 1835/14). Gemäß § 127 Abs. 4 ZPO erfolgt keine Erstattung von außergerichtlichen Kosten.
Die folgenden rechtlichen Bereiche sind in diesem Urteil betroffen:
- Mietrecht: Das Urteil betrifft das Mietrecht, insbesondere die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung aufgrund einer massiv vertragswidrigen Nutzung der Mietwohnung durch einen Mieter, der Handel mit Betäubungsmitteln betrieb und diese in erheblichem Maße in der Wohnung aufbewahrte. Das Gericht stellte fest, dass eine Straftat einen hinreichenden Bezug zum Mietverhältnis haben kann, wenn sie innerhalb des Mietobjekts begangen wird. Das Urteil zeigt somit die Bedeutung einer vertragskonformen Nutzung des Mietobjekts und die Konsequenzen einer massiv vertragswidrigen Nutzung auf.
- Prozesskostenhilfe: Das Urteil befasst sich mit der Frage, ob im Rahmen eines Räumungsrechtsstreits Prozesskostenhilfe bewilligt werden darf, wenn keine Erfolgsaussicht der Rechtsverteidigung gegen den Räumungsanspruch besteht, aber ein Antrag auf Gewährung einer Räumungsfrist nach § 721 Abs. 1 ZPO gestellt wird. Das Gericht stellt fest, dass hierfür keine Prozesskostenhilfe bewilligt werden kann, da die eigentliche Rechtsverteidigung des beklagten Mieters keine Erfolgsaussicht hat und die Gewährung einer Räumungsfrist lediglich eine „Annex-Entscheidung“ darstellt.
- Strafrecht: Das Urteil betrifft auch das Strafrecht, da der Beklagte zu 2) Handel mit Betäubungsmitteln betrieb und diese in erheblichem Maße in der Wohnung aufbewahrte. Das Gericht stellte fest, dass es bei der mietrechtlichen Beurteilung auf die aktuelle Rechtslage ankommt und nicht auf etwaige, zumal überaus ungewisse, künftige Gesetzesänderungen. Zudem zeigt das Urteil, dass eine Straftat innerhalb des Mietobjekts einen hinreichenden Bezug zum Mietverhältnis haben kann, unabhängig davon, ob der Straftäter eine Partei des Mietvertrags ist.
- Kostenrecht: Das Urteil betrifft auch das Kostenrecht, da die Beklagte zu 1) die Gerichtskosten zu tragen hat und keine Erstattung von außergerichtlichen Kosten gemäß § 127 Abs. 4 ZPO erfolgt.
Die 5 wichtigsten Aussagen in diesem Urteil und ihre Bedeutung:
- Das Amtsgericht hat die hinreichenden Erfolgsaussichten der Rechtsverteidigung in zutreffender Weise verneint, da der Beklagte von der verfahrensgegenständlichen Wohnung aus Handel mit Marihuana betrieb und dies eine massiv vertragswidrige Nutzung des Mietobjekts darstellt.
- Ein hinreichender Bezug zum Mietverhältnis kann nicht nur dann bestehen, wenn einer der Mietvertragsparteien der Straftäter ist, sondern auch, wenn die Straftat von einem Familienangehörigen, Freund, Untermieter oder Hausbewohner verwirklicht wird.
- Für die Stellung eines Antrags auf Gewährung einer Räumungsfrist nach § 721 ZPO kann im Rahmen des Räumungsrechtsstreits zumindest für den Verfahrensteil der Prüfung der Gewährung einer Räumungsfrist Prozesskostenhilfe bewilligt werden, auch wenn eine Erfolgsaussicht der Rechtsverteidigung gegen den Räumungsanspruch nicht anzunehmen ist.
- Die Bewilligung einer Räumungsfrist stellt kein Teilunterliegen des Klägers dar und die eigentliche Rechtsverteidigung des beklagten Mieters hat somit keine Aussicht auf Erfolg. Die Gewährung von Prozesskostenhilfe allein bezogen auf die Frage einer Räumungsfrist nach § 721 Abs. 1 ZPO kann abgelehnt werden.
- Gemäß § 22 Abs. 1 GKG hat die Beklagte zu 1) die Gerichtskosten zu tragen, und es erfolgt keine Erstattung von außergerichtlichen Kosten gemäß § 127 Abs. 4 ZPO.