Räumungsrechtsstreit und die Verwirkung von Nutzungsentschädigungen
In einem aktuellen Fall, der vor dem Landgericht Berlin verhandelt wurde, ging es um die Frage, ob ein Vermieter nach einer längeren Zeitspanne noch eine erhöhte Nutzungsentschädigung von seinem Mieter verlangen kann. Das Kernproblem dieses Rechtsstreits war die Verwirkung dieses Anspruchs.
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Übersicht
Das Urteil des Amtsgerichts Charlottenburg
Das Amtsgericht Charlottenburg hatte zuvor entschieden, dass der Vermieter keinen Anspruch auf Zahlung der Marktmiete gemäß § 546a Abs. 1 BGB hat, da er keine rechtsgestaltende Willenserklärung abgegeben hatte. Das Landgericht Berlin stimmte dieser Ansicht nicht zu, wies jedoch darauf hin, dass der Anspruch in diesem Fall verwirkt sei. Zwischen der Entstehung des Anspruchs und dem ersten Vorbehalt seiner Geltendmachung waren mehr als zweieinhalb Jahre vergangen.
Die Verwirkung des Anspruchs
Die Verwirkung ist ein Rechtsinstitut, das verhindert, dass Rechte nach einer gewissen Zeit noch geltend gemacht werden können, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Im vorliegenden Fall war das Zeitmoment gegeben, da seit der Entstehung des Anspruchs bis zu seiner Geltendmachung eine erhebliche Zeit verstrichen war. Zusätzlich gab es besondere Umstände, die auf das Verhalten des Vermieters zurückzuführen waren und das Vertrauen des Mieters rechtfertigten, dass der Vermieter sein Recht nicht mehr geltend machen würde.
Schutz des Mieters im Fokus
Das Landgericht Berlin betonte den Schutz des Mieters, insbesondere in Fällen, in denen es um die Wirksamkeit von Kündigungen und das Bestehen von Räumungsansprüchen geht. Der Gesetzgeber möchte sicherstellen, dass der Mieter von seinen Schutzrechten Gebrauch machen kann. Dieser Schutzaspekt wurde besonders hervorgehoben, da der Vermieter in der Vergangenheit eine Mieterhöhung gefordert hatte, die in krassem Widerspruch zu seiner jetzigen Forderung einer deutlich höheren Nutzungsentschädigung stand.
Ein weiterer strittiger Punkt: Vortäuschung des Eigenbedarfs
Das Amtsgericht hatte auch die Frage aufgeworfen, ob die Klage wegen Vortäuschung des im Vorprozess geltend gemachten Eigenbedarfs abzuweisen sei. Das Landgericht Berlin ließ diese Frage offen, wies jedoch darauf hin, dass die Klägerin bisher nicht schlüssig erklärt hatte, warum der angegebene Zeuge nicht in die Wohnung eingezogen war.
Das vorliegende Urteil
LG Berlin – Az.: 64 S 16/22 – Beschluss vom 31.03.2023
1. Die Kammer beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Charlottenburg vom 13.12.2021, Az. 237 C 120/21, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil sie einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.
Gründe:
1. Die Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 ZPO liegen vor, die Berufung ist offensichtlich unbegründet, die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung und eine aufgrund mündlicher Verhandlung ergehende Entscheidung der Kammer ist weder zur Fortbildung des Rechts noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich oder aus sonstigen Gründen geboten.
Zwar setzt der Anspruch auf Zahlung der Marktmiete nach § 546a Abs. 1 BGB entgegen der Ansicht des Amtsgerichts keine rechtsgestaltende Willenserklärung des Vermieters voraus (vgl. BGH NJW 1999, 2808).
Jedoch hat das Amtsgericht zu Recht ausgeführt, dass der Anspruch jedenfalls verwirkt ist. Da seit der Entstehung bis zu dem erstmaligen Vorbehalt der Geltendmachung des erhöhten Nutzungsentschädigungsanspruchs durch die Klägerin mehr als zweieinhalb Jahre verstrichen sind, ist das für die Verwirkung erforderliche Zeitmoment gegeben. Diese zutreffende Feststellung des Amtsgerichts wird von der Berufung auch nicht konkret angegriffen. Zu diesem Zeitmoment treten vorliegend auch besondere auf dem Verhalten der Klägerin beruhende Umstände hinzu, die das Vertrauen der Beklagten als Verpflichtete rechtfertigen, die Klägerin werde ihr Recht nicht mehr geltend machen. Damit ist auch das für die Verwirkung erforderliche Umstandsmoment gegeben. Die Zivilkammer 66 des Landgerichts Berlin hat zutreffend herausgestellt, dass § 571 BGB als starker Hinweis auf den Wunsch des Gesetzgebers erscheinen könne, bei einem Streit um die Wirksamkeit von Kündigungen und das Bestehen von Räumungsansprüchen nur ein begrenztes Risiko des Mieters entstehen zu lassen, um sicherzustellen, dass der Mieter von seinen Schutzrechten Gebrauch machen kann, z. B. §§ 564 BGB, 721, 794a ZPO vgl. (LG Berlin GE 2021, 574).
Gerade in Konstellationen, in denen keine vom Mieter erklärte Kündigung, sondern stattdessen mehrfach gewährte Räumungsfristen (vgl. § 572 Abs. 2 BGB) zu beurteilen sind, ist dem Gesetz jedenfalls die Absicht einer gewissen Limitierung der mit einem Prozess verbundenen wirtschaftlichen Risiken zu entnehmen. Der in § 571 BGB gerade für Wohnraummietverhältnisse zu beachtende Schutz würde jedenfalls bei einer einschränkungslosen Berücksichtigung des Neuvermietungspreises gerade im wichtigsten und häufigsten Fall einer Anwendung von § 546 a BGB leerlaufen, nämlich bei einer drastisch gestiegenen Miethöhe, die über mehrere Jahre eines Räumungsrechtsstreits hinweg zu einer wirtschaftlich bedrohlichen Gesamthöhe anwächst vgl. (LG Berlin, a. a. O.). Vor dem Hintergrund dieses Schutzzwecks und bei Würdigung der weiteren Umstände des vorliegenden Falles erscheint die Annahme des für die Verwirkung maßgeblichen Umstandsmoment gerechtfertigt. Denn mit Mieterhöhungsschreiben vom 27.5.2019 (Anlage B2, Blatt 59 d.A.) hatte die Klägerin ab dem 1.8.2019 eine von 621,83 Euro auf 686,69 Euro erhöhte monatliche Bruttokaltmiete gefordert. Ihre jetzige Forderung einer deutlich höheren Nutzungsentschädigung für einen weit davor liegenden Zeitraum steht dazu in krassem Widerspruch. Angesichts des zum Zeitpunkt der Mieterhöhungserklärung längst beendeten Mietverhältnisses wäre zu erwarten gewesen, dass sich die Klägerin die Nachforderung einer höheren Nutzungsentschädigung zumindest vorbehält. Stattdessen wurde durch diese Erklärung zugunsten der Beklagten ein Rechtsschein dahingehend gesetzt, dass höhere Nutzungsentgelte nicht und wohl auch erst recht nicht für die Vergangenheit geltend gemacht werden sollen. Darüber hinaus erklärte die Klägerin mit Schreiben vom 3.4.2020 ihre Bereitschaft zur Zurückstellung der Räumungszwangsvollstreckung bis zum Abschluss des Verfahrens vor dem BGH vorbehaltlich fristgerechter und vollständiger Zahlung der Nutzungsentschädigung durch die Beklagte und erkannte die begehrte Verlängerung der Räumungsfrist bis zum 30.6.2020 an. Diese Zustimmung zu einer weiteren Schutzfrist in Kenntnis der bisherigen Nutzungsentschädigungszahlungen in Höhe des vereinbarten Mietzinses verstärkte den Vertrauenstatbestand in die Vollständigkeit der Erfüllung des Nutzungsersatzanspruchs bis zu diesem Zeitpunkt noch.
Ob die Klage, wie das Amtsgericht meint, auch wegen Vortäuschung des im Vorprozess geltend gemachten Eigenbedarfs abzuweisen wäre, kann dahin stehen. Auszuschließen ist dies nach dem bisherigen Sach- und Streitstand jedenfalls nicht; denn die Klägerin hat bisher nicht schlüssig erläutert, aus welchen Gründen der Zeuge … nicht in die Wohnung einzog. Die lapidare Mitteilung, der Zeuge sei der ehemalige Lebensgefährte der Bedarfsperson und wohne deswegen nicht mehr in der Wohnung, genügt den strengen Anforderungen des Bundesgerichtshofs an die substantiierte und plausible Darlegung des nachträglichen Wegfalls eines Eigenbedarfs (vgl. BGH – VIII ZR 300/15 -, Beschluss vom 11.10.2016, GE 2017, 97 f.) offensichtlich nicht.
2. Es wird vorsorglich darauf hingewiesen, dass eine Rücknahme der Berufung gegenüber einer Entscheidung nach § 522 Abs. 2 ZPO zu einer Reduzierung der Gerichtskosten um zwei Gebühren führen würde (vgl. Ziffern 1220, 1222 des Kostenverzeichnisses zu § 3 Abs. 2 GKG).