Selbständiges Beweisverfahren zur Klärung von Mietmängeln
Das Landgericht Neubrandenburg hat in einem Beschluss vom 17. März 2023 entschieden, dass ein selbständiges Beweisverfahren zur Klärung eines behaupteten Mietmangels fortgesetzt wird. Aufgrund der sofortigen Beschwerde eines Mieters wird ein Sachverständiger beauftragt, mittels Infrarot-Thermografie zu überprüfen, ob Plattenfugen an der Außenwand der Küche, durch die bereits ein Wasserschaden eingetreten ist, weiterhin durchlässig sind. Das Gericht bestätigt, dass der Mieter ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat, um möglicherweise einen Rechtsstreit zu vermeiden.
Übersicht
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✔ Das Wichtigste in Kürze
- Ein Mieter beantragte ein selbständiges Beweisverfahren wegen eines behaupteten Mietmangels.
- Das Amtsgericht Neubrandenburgs ursprüngliche Entscheidung wurde nach einer Beschwerde des Mieters abgeändert.
- Ein Sachverständiger wird erneut beauftragt, spezifisch die Durchlässigkeit von Plattenfugen an der Küchenaußenwand zu überprüfen.
- Das Gericht erkennt das rechtliche Interesse des Mieters an, ein Sachverständigengutachten einzuholen, um einen Mangel festzustellen und potenziell einen Rechtsstreit zu vermeiden.
- Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden dem Antragsgegner auferlegt.
- Ein rechtliches Interesse besteht auch ohne unmittelbare Vergleichsbereitschaft des Gegners.
- Das Gericht ist an die Tatsachenbehauptungen des Antragstellers gebunden und überprüft nur die Eignung des Beweismittels.
- Die Prozesskostenhilfe bleibt dem Antragsteller trotz des Erfolgs der Beschwerde erhalten.
Beweissicherung im Mietrecht durch Expertengutachten
Bei Streitigkeiten um Mietmängel bietet das selbständige Beweisverfahren Mietern und Vermietern eine effektive Möglichkeit, frühzeitig Klarheit zu schaffen. Durch die Beauftragung eines Sachverständigen kann objektiv der Zustand der Mietsache begutachtet und die Ursache etwaiger Mängel festgestellt werden. Dieses Verfahren dient nicht nur der Beweissicherung für einen möglichen späteren Rechtsstreit, sondern kann auch eine außergerichtliche Einigung beschleunigen und so zu einer kostengünstigeren Lösung führen.
Die Durchführung eines solchen Verfahrens setzt das Vorliegen eines Mietmangels sowie ein rechtliches Interesse des Antragstellers voraus. Nach der Antragstellung beim zuständigen Gericht wird ein unabhängiger Sachverständiger mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Die Ergebnisse dieses Gutachtens können entscheidend dazu beitragen, die Höhe einer gerechtfertigten Mietminderung zu bestimmen und die Verantwortlichkeiten klarzulegen. Die Kosten des Verfahrens trägt zunächst der Antragsteller, jedoch kann das Gericht eine Umverteilung der Kostenlast anordnen.
Im Mittelpunkt eines juristischen Verfahrens, das kürzlich das Landgericht Neubrandenburg beschäftigte, stand ein selbständiges Beweisverfahren, das ein Mieter wegen eines behaupteten Mietmangels eingeleitet hatte. Die Auseinandersetzung drehte sich um die Durchlässigkeit von Plattenfugen an der Außenwand der Küche, durch die ein Wasserschaden entstanden sein soll. Der Mieter forderte die Klärung, ob diese Plattenfugen weiterhin Wasser durchlassen und somit eine Wärmebrücke darstellen, was zur weiteren Schimmelbildung führen könnte.
Der Weg zum selbständigen Beweisverfahren
Die rechtliche Auseinandersetzung nahm ihren Lauf, als der Mieter beim Amtsgericht Neubrandenburg einen Antrag auf ein selbständiges Beweisverfahren stellte. Ziel war es, durch ein Sachverständigengutachten feststellen zu lassen, ob von den Plattenfugen an der Außenwand der Küche weiterhin eine Gefahr ausgeht. Das Amtsgericht entschied zunächst gegen den Antragsteller, woraufhin dieser sofortige Beschwerde beim Landgericht Neubrandenburg einlegte.
Sachverständigengutachten bringt Klarheit
Das Landgericht Neubrandenburg gab der Beschwerde statt und ordnete an, dass der bereits beauftragte Sachverständige Dipl.-Ing. das Gutachten um eine weitere Untersuchung mittels Infrarot-Thermografie ergänzen soll. Diese spezielle Untersuchungsmethode soll Aufschluss darüber geben, ob die kritischen Plattenfugen nach wie vor durchlässig sind. Die Entscheidung des Gerichts basierte auf dem rechtlichen Interesse des Antragstellers, das in der Vermeidung eines Rechtsstreits durch Klärung des Sachverhalts gesehen wurde.
Die Bedeutung des rechtlichen Interesses
Das Gericht stellte klar, dass das selbständige Beweisverfahren nicht nur bei einem unmittelbaren Beweissicherungsbedürfnis, sondern auch dann eröffnet ist, wenn der Antragsteller ein rechtliches Interesse an der Feststellung hat. Dieses rechtliche Interesse wurde im vorliegenden Fall bejaht, da die Klärung der Umstände potenziell einem Rechtsstreit vorbeugen kann. Besonders betont wurde die weite Auslegung des Begriffs des rechtlichen Interesses und die Bindung des Gerichts an die Tatsachenbehauptungen des Antragstellers.
Kostenentscheidung zu Gunsten des Antragstellers
Entscheidend für die Praxis ist auch die Kostenentscheidung des Gerichts. In diesem Fall wurden die Kosten des Beschwerdeverfahrens dem Antragsgegner auferlegt. Dies unterstreicht die Bedeutung des Erfolgs im selbständigen Beweisverfahren für den Antragsteller. Zudem wurde dem Antragsteller die bereits zuvor bewilligte Prozesskostenhilfe weiterhin gewährt, was die Zugänglichkeit gerichtlicher Klärung für alle Beteiligten unterstreicht.
Das Urteil des Landgerichts Neubrandenburg verdeutlicht die Möglichkeiten des selbständigen Beweisverfahrens und die Wichtigkeit des rechtlichen Interesses in diesem Kontext. Durch die Entscheidung wird der Weg für eine sachgerechte Klärung von Mietmängeln geebnet, ohne dass es unmittelbar zu einem umfangreichen Rechtsstreit kommen muss.
Das Landgericht Neubrandenburg hat mit seiner Entscheidung ein selbständiges Beweisverfahren zur Klärung eines Mietmangels ermöglicht, was die Bedeutung des rechtlichen Interesses und die Rolle von Sachverständigengutachten in solchen Fällen unterstreicht.
✔ FAQ: Wichtige Fragen kurz erklärt
Was ist ein selbständiges Beweisverfahren und wann kommt es zum Einsatz?
Ein selbständiges Beweisverfahren ist ein gerichtliches Verfahren, das der Sicherung von Beweisen dient, bevor ein Hauptverfahren, also ein regulärer Prozess, stattfindet. Es kann auf Antrag einer Partei durchgeführt werden, wenn die Sorge besteht, dass Beweismittel verloren gehen oder ihre Benutzung erschwert wird. Das Verfahren ist in den §§ 485 ff. der Zivilprozessordnung (ZPO) geregelt und findet Anwendung in verschiedenen Rechtsgebieten, einschließlich des Mietrechts.
Das selbständige Beweisverfahren ermöglicht es, ohne eine mündliche Verhandlung und ohne eine abschließende Entscheidung über den Streitgegenstand, Beweise zu sichern. Typischerweise geht es um die Einholung eines Sachverständigengutachtens, um den Zustand einer Sache oder die Ursache eines Schadens festzustellen. Ein solches Verfahren kann sowohl während eines bereits laufenden Rechtsstreits als auch unabhängig davon beantragt werden.
Im Kontext von Mietmängeln kommt das selbständige Beweisverfahren zum Einsatz, um den Zustand der Mietsache nach Auszug des Mieters zu dokumentieren oder um Mängel festzustellen, die während der Mietzeit auftreten. Dies kann für beide Parteien, Mieter und Vermieter, von Vorteil sein, da es eine schnelle und effiziente Möglichkeit bietet, Beweise zu sichern und möglicherweise einen späteren Rechtsstreit zu vermeiden oder zumindest dessen Ausgang vorhersehbarer zu machen.
Ein Antrag auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens muss bei dem Amtsgericht gestellt werden, in dessen Bezirk die Mietsache gelegen ist. Die Kosten für das Verfahren, einschließlich der Kosten für den Sachverständigen, muss zunächst der Antragsteller tragen. Diese Kosten können jedoch im Rahmen eines späteren Hauptsacheverfahrens geltend gemacht werden, sofern die im selbständigen Beweisverfahren getroffenen Feststellungen für den Ausgang des Hauptverfahrens relevant sind.
Das selbständige Beweisverfahren unterbricht die Verjährung der geltend gemachten Ansprüche, bis eine abschließende gerichtliche Entscheidung erfolgt oder das Gutachten des Sachverständigen vorliegt. Dies ist besonders relevant, wenn es um Ansprüche aus einem Mietverhältnis geht, bei denen die Verjährungsfristen beachtet werden müssen.
Zusammengefasst bietet das selbständige Beweisverfahren im Mietrecht eine wichtige Möglichkeit, um bei Streitigkeiten über den Zustand der Mietsache oder über Mietmängel Beweise zu sichern und damit die Grundlage für eine einvernehmliche Lösung oder für ein späteres Gerichtsverfahren zu schaffen.
Was sind die Voraussetzungen für die Durchführung einer Infrarot-Thermografie im Rahmen eines Gutachtens?
Die Durchführung einer Infrarot-Thermografie im Rahmen eines Gutachtens, insbesondere im Kontext von Mietmängeln, erfordert die Beachtung bestimmter Voraussetzungen und Rahmenbedingungen, um aussagekräftige und zuverlässige Ergebnisse zu erzielen. Diese Voraussetzungen umfassen technische, umgebungsbezogene und methodische Aspekte.
Die Infrarot-Thermografie nutzt spezielle Kameras, um Temperaturunterschiede auf Oberflächen sichtbar zu machen. Diese Kameras müssen hochwertig sein und eine ausreichende Auflösung besitzen, um auch kleinste Temperaturdifferenzen erfassen zu können. Die Qualität und Eignung der Thermografiekamera ist entscheidend für die Genauigkeit der Messungen.
Optimale Bedingungen für Thermografie-Aufnahmen sind winterliche Außentemperaturen von unter 5°C. Diese Bedingungen helfen, Wärmebrücken und Isolationsmängel deutlicher zu identifizieren, da der Temperaturunterschied zwischen Innen- und Außenbereich größer ist. Zudem ist es wichtig, dass das Gebäude zum Zeitpunkt der Aufnahmen beheizt wird, um die Unterschiede in der Wärmeabstrahlung besser erfassen zu können.
Die Durchführung der Thermografie sollte von zertifizierten Thermografen vorgenommen werden, die über das notwendige Fachwissen und Erfahrung im Umgang mit der Technologie verfügen. Eine sorgfältige Planung und Vorbereitung der Messungen sind essenziell, um verlässliche Ergebnisse zu erhalten. Dazu gehört auch die Berücksichtigung von Einflussfaktoren wie Luftfeuchtigkeit und Wind, die die Messergebnisse verfälschen können.
Im Kontext von Mietmängeln kann die Infrarot-Thermografie dazu dienen, verborgene Baumängel wie Wärmebrücken oder unzureichende Isolation aufzudecken, die zu Schimmelbildung oder erhöhten Heizkosten führen können. Die visuelle Darstellung von Temperaturunterschieden ermöglicht es, problematische Bereiche präzise zu identifizieren und entsprechende Sanierungsmaßnahmen einzuleiten.
Zusammenfassend ist die Infrarot-Thermografie ein wertvolles Instrument im Rahmen von Gutachten zu Mietmängeln, vorausgesetzt, die technischen, umgebungsbezogenen und methodischen Voraussetzungen werden eingehalten. Die Ergebnisse können sowohl für Mieter als auch für Vermieter von Nutzen sein, um Streitigkeiten zu klären und die Wohnqualität zu verbessern.
§ Wichtige Gesetze und Paragraphen in diesem Urteil
- § 485 ZPO (Zivilprozessordnung) – Selbständiges Beweisverfahren
- Erläutert die Möglichkeit, bereits vor oder unabhängig von einem Hauptprozess Beweise zu sichern oder zu erheben, insbesondere durch Einholung von Sachverständigengutachten, wenn ein rechtliches Interesse besteht.
- § 487 ZPO – Anwendungsbereich des selbständigen Beweisverfahrens
- Spezifiziert die Anwendbarkeit des selbständigen Beweisverfahrens auf bestimmte Streitigkeiten und die dazugehörigen materiellen Voraussetzungen.
- § 91 ZPO – Kostenentscheidung
- Regelt die Kostenverteilung in Gerichtsverfahren und besagt, dass grundsätzlich die unterliegende Partei die Kosten des Verfahrens zu tragen hat.
- § 567 ZPO – Sofortige Beschwerde
- Bestimmt die Zulässigkeit und die Fristen für die Einlegung einer sofortigen Beschwerde gegen Entscheidungen des Gerichts, die nicht als Urteil ergehen.
- § 114 ZPO – Prozesskostenhilfe
- Erklärt die Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe an eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten für ein Gerichtsverfahren nicht aufbringen kann, ohne ihr Existenzminimum zu gefährden.
- § 485 Abs. 2 ZPO – Rechtliches Interesse
- Verdeutlicht, dass ein selbständiges Beweisverfahren auch dann durchgeführt werden kann, wenn der Antragsteller ein rechtliches Interesse an der Feststellung hat, z.B. zur Vermeidung eines Rechtsstreits.
Das vorliegende Urteil
LG Neubrandenburg – Az.: 1 T 23/21 – Beschluss vom 17.03.2023
1. Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Amtsgerichts Neubrandenburg vom 04.01.2021, Az. 102 H 6/18, abgeändert:
Auf den Antrag des Antragstellers vom 14.08.2020 wird der Sachverständige Dipl.-Ing. … mit einer weiteren Ergänzung seines Sachverständigengutachtens beauftragt. Er möge gemäß seiner Anregung auf Seite 22 des Ergänzungsgutachtens durch Einholung einer Infrarot-Thermografie-Aufnahme feststellen, ob die Plattenfugen an der Außenwand der Küche, durch die bereits ein Wasserschaden eingetreten ist, nach wie vor durchlässig sind und Wärmebrücken darstellen.
2. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
Die sofortige Beschwerde ist gemäß §§ 485, 567 I Nr. 2 ZPO (vgl. Zöller/Herget, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 485 Rn. 4) zulässig und hat in der Sache Erfolg.
Die Bestimmungen über das selbständige Beweisverfahren ermöglichen in § 485 Abs. 2 ZPO – unabhängig von einem Beweissicherungsbedürfnis – die Erhebung des Sachverständigenbeweises unter der Voraussetzung, dass der Antragsteller ein rechtliches Interesse an der zu treffenden Feststellung hat. Ein solches ist anzunehmen, wenn die Feststellung der Vermeidung eines Rechtsstreits dienen kann (§ 485 Abs. 2 Satz 2 ZPO), kann aber auch bei einem nicht vergleichsbereiten Gegner bestehen (Zöller/Herget, aaO, § 485 Rn. 7a m.w.N.).
Der Begriff des „rechtlichen Interesses“ ist weit zu fassen. Insbesondere ist es dem Gericht grundsätzlich verwehrt, bereits im Rahmen des selbständigen Beweisverfahrens eine Schlüssigkeits- oder Erheblichkeitsprüfung vorzunehmen.
Ein rechtliches Interesse kann dem entsprechend nur dann verneint werden, wenn ein Rechtsverhältnis, ein möglicher Prozessgegner oder ein Anspruch nicht ersichtlich sind. Dabei kann es sich nur um völlig eindeutige Fälle handeln, in denen evident ist, dass der behauptete Anspruch keinesfalls bestehen kann. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Es liegt nicht auf der Hand, dass ein Mangel der Mietsache nicht vorliegt. Es kommt vielmehr in Betracht, dass ein Wassereintrag nach Starkregen zu einer weiteren Feuchtigkeitserhöhung und damit zu einer Förderung der Schimmelbildung in der Küche führt.
Die Beweisfrage des Antragstellers ist auch nicht ungeeignet. Der Antragsteller bestimmt in eigener Verantwortung in einem selbständigen Beweisverfahren durch seinen Antrag auf Einleitung dieses Verfahrens den Gegenstand der Beweisaufnahme und die Beweismittel. Das Gericht ist an die Tatsachenbehauptungen des Antragstellers gebunden (BGH, Beschluss vom 04.11.1999, Az: VII ZB 19/99 = NJW 2000, 960-961). Es darf nicht die Beweisbedürftigkeit und die Entscheidungserheblichkeit der behaupteten Tatsachen überprüfen, muss aber seine Prüfung darauf erstrecken, ob das Beweismittel überhaupt geeignet ist (Zöller/Herget, aaO, § 490 Rn. 3). Die Ungeeignetheit des Beweismittels kann nur ausnahmsweise bejaht werden, zum Beispiel wenn es im Einzelfall völlig ausgeschlossen erscheint, dass das Beweismittel zu dem Beweisthema sachdienliche Erkenntnisse bringen kann (Zöller/Greger, aaO, Vor § 284 Rn. 10). Dies ist hier aber, da der Antragsteller einen Mangel benennt – und hierfür durch die Anlage K 7 auch eine Evidenz besteht – nicht der Fall.
Unter diesen Umständen erscheint die beabsichtigte Rechtsverfolgung auch nicht mutwillig (§ 114 Satz 1 ZPO), so dass dem Antragsteller die bereits zuvor bewilligte Prozesskostenhilfe nicht entgegen gehalten werden kann.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 I ZPO.