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WEG-Müllabwurfanlage – Stilllegung per Mehrheitsbeschluss?

Gerichtsurteil: Müllabwurfanlage muss für Behinderte nutzbar bleiben

Das Amtsgericht Königstein entschied in seinem Urteil (Az.: 21 C 833/23 WEG) zugunsten einer schwerbehinderten Antragstellerin, die gegen die mehrheitlich beschlossene Stilllegung der Müllabwurfanlagen in ihrer Wohnanlage vorgegangen ist, indem es die Vollziehung dieses Beschlusses bis zur endgültigen Entscheidung über die Anfechtungs- bzw. Nichtigkeitsklagen aussetzte. Es argumentierte, dass die Stilllegung der Müllabwurfanlagen, die gemeinschaftliches Eigentum der Wohnungseigentümergemeinschaft sind, nicht durch einen Mehrheitsbeschluss erfolgen dürfe, und sah in der Durchführung des Beschlusses irreversible Gesundheitsschäden für die Antragstellerin, die aufgrund ihrer eingeschränkten Gehfähigkeit auf die Anlagen angewiesen ist.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 21 C 833/23 WEG >>>

✔ Das Wichtigste in Kürze

  • Das Amtsgericht Königstein hat entschieden, dass die Stilllegung von Müllabwurfanlagen in einer Wohneigentümergemeinschaft nicht per Mehrheitsbeschluss erfolgen darf.
  • Die Entscheidung beruht auf der Bedeutung der Anlagen für das tägliche Leben einer schwerbehinderten Bewohnerin, die durch die geplante Stilllegung erhebliche Nachteile und irreversible Gesundheitsschäden erleiden würde.
  • Die einstweilige Verfügung schützt die Antragstellerin vor den Folgen des Beschlusses, bis über die Anfechtungs- bzw. Nichtigkeitsklagen rechtskräftig entschieden wurde.
  • Die Kosten des Rechtsstreits werden anteilig nach dem Ausmaß des Obsiegens bzw. Unterliegens auf die Parteien verteilt.
  • Das Urteil betont die Bedeutung einer ordnungsgemäßen Verwaltung und Nutzung des gemeinschaftlichen Eigentums und stellt klar, dass Gebrauchsentzüge nicht einfach durch Mehrheitsbeschlüsse herbeigeführt werden können.
  • Die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils gewährt beiden Parteien Sicherheit und Rechtsschutz während des laufenden Verfahrens.

Mieter, Eigentümer und Verwaltung im Visier

Das Wohneigentumsrecht regelt die Rechte und Pflichten von Wohnungseigentümern in einer Gemeinschaft. Insbesondere geht es um die Nutzung und Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums. Schwierigkeiten entstehen häufig bei widerstreitenden Interessen und unterschiedlichen Auffassungen der Eigentümer.

Die Frage nach der Zulässigkeit von Änderungen oder gar der Stilllegung gemeinschaftlicher Anlagen wie Müllabwurfschächte ist rechtlich komplex. Einerseits sind die Rechte der Mehrheit zu berücksichtigen, andererseits der Schutz und die Interessen der Minderheit. Das richtige Vorgehen hängt von vielen Faktoren ab und erfordert meist eine Einzelfallprüfung durch Experten.

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➜ Der Fall im Detail


Der Streit um die Stilllegung von Müllabwurfanlagen

In der Wohneigentümergemeinschaft der B-Straße 1-6 in C-Stadt entbrannte ein Konflikt um die Stilllegung der Müllabwurfanlagen.

Müllabwurfanlagen WEG: Stilllegung per Mehrheitsbeschluss erlaubt
(Symbolfoto: Hakim Graphy /Shutterstock.com)

Eine mehrheitlich auf der Eigentümerversammlung gefasste Entscheidung sah die Schließung der Anlagen zum Jahresende vor, was eine schwerbehinderte Anwohnerin zum juristischen Vorgehen veranlasste. Sie argumentierte, dass die Stilllegung für sie einen unverhältnismäßigen Nachteil darstelle, da sie aufgrund ihrer eingeschränkten Mobilität auf die Müllabwurfanlagen angewiesen sei. Der Fall eskalierte bis vor das Amtsgericht Königstein, wo unter dem Aktenzeichen 21 C 833/23 WEG eine einstweilige Verfügung und letztlich ein Urteil gefällt wurden.

Das Urteil des Amtsgerichts Königstein

Das Gericht entschied, dass die Vollziehung des Beschlusses zur Stilllegung der Müllabwurfanlagen ausgesetzt wird, bis über die Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen rechtskräftig entschieden ist. Es drohte der Antragsgegnerin ein Ordnungsgeld bis zu 250.000 Euro oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten für den Fall der Zuwiderhandlung. Die Kosten des Rechtsstreits wurden anteilig aufgeteilt: 75% trug die Antragstellerin, 25% die Antragsgegnerin. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, wobei Sicherheitsleistungen zu erbringen sind.

Die rechtlichen Erwägungen

Das Gericht stellte fest, dass der angefochtene Beschluss mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht der ordnungsmäßigen Verwaltung entsprach, da der Gebrauchsentzug der Müllabwurfanlagen nicht durch einen Mehrheitsbeschluss erfolgen dürfe. Insbesondere sei die einstweilige Verfügung gerechtfertigt gewesen, um wesentliche Nachteile für die Antragstellerin abzuwenden. Das Urteil hebt hervor, dass die Stilllegung einer solchen Anlage, die gemeinschaftliches Eigentum der Wohnungseigentümer ist, nicht einfach durch einen Mehrheitsbeschluss herbeigeführt werden kann.

Die Bedeutung für die Wohnungseigentümergemeinschaft

Die Entscheidung des Gerichts stellt klar, dass bei der Verwaltung von gemeinschaftlichem Eigentum die Rechte aller Eigentümer zu berücksichtigen sind. Beschlüsse, die einen wesentlichen Eingriff in die Nutzungsrechte darstellen, bedürfen einer sorgfältigen Prüfung und können nicht allein aufgrund einer Mehrheitsentscheidung durchgesetzt werden. Diese Entscheidung unterstreicht die Notwendigkeit einer ausgewogenen und inklusiven Entscheidungsfindung innerhalb von Wohnungseigentümergemeinschaften.

Rechtliche und soziale Konsequenzen

Dieses Urteil mag für andere Wohnungseigentümergemeinschaften, die ähnliche Beschlüsse fassen möchten, richtungsweisend sein. Es betont die Bedeutung der individuellen Rechte und Bedürfnisse der Bewohner, insbesondere von Menschen mit Behinderungen. Zudem zeigt es, dass der Rechtsweg eine Möglichkeit bietet, gegen Beschlüsse vorzugehen, die als ungerecht oder unverhältnismäßig empfunden werden. Die Entscheidung trägt dazu bei, das Bewusstsein für die Notwendigkeit einer sorgfältigen Abwägung der Interessen aller Eigentümer in der Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums zu schärfen.

✔ Häufige Fragen – FAQ

Unter welchen Voraussetzungen dürfen bauliche Veränderungen in einer Wohneigentümergemeinschaft durchgeführt werden?

Bauliche Veränderungen in einer Wohneigentümergemeinschaft (WEG) sind ein komplexes Thema, das durch das Wohnungseigentumsgesetz (WEG) geregelt wird. Seit der Reform des WEG im Jahr 2020 haben sich die Voraussetzungen für die Durchführung solcher Maßnahmen geändert. Hier sind die wichtigsten Punkte zusammengefasst:

Bauliche Veränderungen und Zustimmung

Bauliche Veränderungen sind Eingriffe in die Substanz des gemeinschaftlichen Eigentums, die über die reine Instandhaltung oder Instandsetzung hinausgehen. Seit der WEG-Reform 2020 können bauliche Maßnahmen grundsätzlich mit einfacher Stimmenmehrheit beschlossen werden. Dies stellt eine erhebliche Vereinfachung gegenüber der früheren Regelung dar, nach der grundsätzlich alle Miteigentümer zustimmen mussten.

Privilegierte bauliche Veränderungen

Für bestimmte, als privilegiert geltende bauliche Veränderungen, wie beispielsweise Maßnahmen zur Inklusion von Menschen mit Behinderungen, dem Laden von E-Fahrzeugen, dem Einbruchsschutz sowie dem Anschluss an ein Telekommunikationsnetz mit sehr hoher Kapazität, wurde den Wohnungseigentümern ein Anspruch auf Zustimmung eingeräumt. Diese Maßnahmen können ohne die Mehrheit verlangt werden, betreffen jedoch in der Regel das Sondereigentum.

Kostenverteilung

Die Kosten für bauliche Veränderungen tragen grundsätzlich diejenigen Eigentümer, die die Maßnahme begehrt und dafür gestimmt haben. Wenn der Beschluss jedoch mit zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen und der Hälfte der Miteigentumsanteile zustande gekommen ist, müssen alle Eigentümer die Kosten tragen.

Grenzen baulicher Veränderungen

Bauliche Veränderungen dürfen nicht beschlossen und können nicht verlangt werden, wenn sie zu einer grundlegenden Umgestaltung der Wohnanlage führen oder einzelne Wohnungseigentümer gegenüber anderen unbillig benachteiligen. Solche Beschlüsse sind anfechtbar.

Verfahren

Jede bauliche Veränderung bedarf eines formellen Beschlusses in der Eigentümerversammlung. Die Zustimmung zu einer baulichen Veränderung durch den Rechtsvorgänger ist auch für dessen Rechtsnachfolger bindend. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Durchführung baulicher Veränderungen in einer WEG seit der Reform des WEG im Jahr 2020 einfacher geworden ist, insbesondere durch die Möglichkeit, mit einfacher Mehrheit zu beschließen. Allerdings sind die Interessen aller Eigentümer zu berücksichtigen, insbesondere wenn durch die Maßnahmen eine unbillige Benachteiligung einzelner Eigentümer entstehen könnte. Die Kostenverteilung richtet sich nach der Beteiligung am Beschluss und kann unter bestimmten Voraussetzungen alle Eigentümer betreffen.

Wie können Einzelne gegen Beschlüsse ihrer Wohneigentümergemeinschaft vorgehen?

Wohnungseigentümer, die mit einem Beschluss ihrer Eigentümergemeinschaft nicht einverstanden sind, haben die Möglichkeit, diesen Beschluss gerichtlich anzufechten. Hierfür ist die Anfechtungsklage das vorgesehene Rechtsmittel. Die wichtigsten Punkte zur Anfechtung von Beschlüssen sind:

Anfechtungsklage

  • Ein Beschluss kann durch eine Anfechtungsklage für ungültig erklärt werden.
  • Die Anfechtungsklage muss innerhalb eines Monats nach der Beschlussfassung bei dem zuständigen Amtsgericht erhoben werden.
  • Die Klage muss innerhalb von zwei Monaten nach der Beschlussfassung begründet werden.

Klagefrist

  • Die Frist beginnt mit dem Tag der Eigentümerversammlung, in der der Beschluss gefasst wurde, und nicht erst mit der Zusendung des Protokolls.
  • Versäumt ein Wohnungseigentümer diese Frist, verliert er die Möglichkeit zur Anfechtung.
  • In Ausnahmefällen kann eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden, wenn die Frist ohne Verschulden versäumt wurde.

Klagegegner

  • Die Anfechtungsklage muss gegen die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer gerichtet werden.
  • Seit der WEG-Reform 2020 ist eine Klage gegen die einzelnen Wohnungseigentümer nicht mehr zulässig.

Nichtigkeitsklage

  • Im Gegensatz zur Anfechtungsklage ist die Nichtigkeitsklage nicht fristgebunden.
  • Ein nichtiger Beschluss kann zeitlich unbegrenzt angegriffen werden.

Auswirkungen der Anfechtungsklage

  • Die Anfechtungsklage hat keine aufschiebende Wirkung, das heißt, der Beschluss bleibt bis zu einer gerichtlichen Entscheidung gültig.
  • In Eilverfahren kann jedoch eine einstweilige Verfügung beantragt werden, um die Durchführung des Beschlusses bis zum Abschluss des Verfahrens zu untersagen.

Verfahren

  • Die Klage ist schriftlich einzureichen und muss die Gründe für die Anfechtung darlegen.
  • Das Gericht prüft den Beschluss auf formelle und materielle Mängel.

Kosten

  • Die Kosten des Verfahrens trägt grundsätzlich der unterliegende Teil. Zusammengefasst müssen Wohnungseigentümer, die einen Beschluss anfechten möchten, dies innerhalb eines Monats nach der Beschlussfassung tun, indem sie eine Anfechtungsklage beim Amtsgericht einreichen. Die Klage muss gegen die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer gerichtet sein, und es muss eine Begründung innerhalb von zwei Monaten nachgereicht werden. Nichtigkeitsklagen sind nicht an eine Frist gebunden und können jederzeit erhoben werden.

Welche Rolle spielt der Grad der Behinderung bei Entscheidungen einer Wohneigentümergemeinschaft?

Die Bedürfnisse und Rechte von Menschen mit Behinderungen werden in Entscheidungen einer Wohneigentümergemeinschaft durch das Wohnungseigentumsgesetz (WEG) und die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) berücksichtigt. Gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 WEG haben behinderte Menschen einen Anspruch auf barrierefreien Zugang zum Gemeinschaftseigentum und ihrem Sondereigentum. Dies bedeutet, dass bauliche Maßnahmen, die der Barrierefreiheit dienen, in der Regel von der Eigentümergemeinschaft zu dulden sind.

Die UN-BRK, die in Deutschland seit 2009 geltendes Recht ist, fordert die gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen an allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens und sieht Behinderung als etwas Veränderliches an, das durch den Abbau von Barrieren beeinflusst werden kann. Die Konvention betont die Bedeutung von Barrierefreiheit und Selbstbestimmung und verpflichtet die Unterzeichnerstaaten, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, um die Rechte von Menschen mit Behinderungen zu gewährleisten.

In der Praxis bedeutet dies, dass bei Entscheidungen der Wohneigentümergemeinschaft die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen besonders zu berücksichtigen sind. Bauliche Veränderungen, die der Barrierefreiheit dienen, können von diesen Eigentümern verlangt werden, und die Gemeinschaft muss diese in der Regel auch umsetzen. Hierbei spielt der Grad der Behinderung (GdB) eine Rolle, da er die Schwere der Behinderung ausdrückt und somit den Bedarf an barrierefreien Maßnahmen beeinflussen kann.

Es ist wichtig zu beachten, dass die Umsetzung von Barrierefreiheit nicht nur den betroffenen Personen zugutekommt, sondern auch anderen Gruppen wie älteren Menschen oder Familien mit Kindern. Die Förderung der Inklusion und die Schaffung von Barrierefreiheit sind somit zentrale Anliegen, die bei Entscheidungen einer Wohneigentümergemeinschaft berücksichtigt werden müssen.

§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils

  • § 23 Abs. 4 S. 2 WEG (Wohnungseigentumsgesetz): Erläutert den Grundsatz, dass Beschlüsse der Wohnungseigentümerversammlung gültig sind, solange sie nicht durch ein rechtskräftiges Urteil für ungültig erklärt werden. Dieser Paragraph ist relevant, da er den rechtlichen Rahmen für die Anfechtung von Beschlüssen innerhalb einer Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) vorgibt und direkt mit dem Streitpunkt der Stilllegung der Müllabwurfanlagen zusammenhängt.
  • § 20 WEG (Bauliche Veränderungen): Beschreibt, unter welchen Voraussetzungen bauliche Veränderungen am Gemeinschaftseigentum vorgenommen werden dürfen. In diesem Fall ist der Paragraph wichtig, weil strittig ist, ob die Stilllegung der Müllabwurfanlagen als bauliche Veränderung angesehen werden kann und somit einer Mehrheitsentscheidung bedarf.
  • §§ 935, 940 ZPO (Zivilprozessordnung): Regeln die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Verfügung. Diese Vorschriften sind im Kontext des Urteils relevant, da sie die rechtliche Grundlage für den vorläufigen Rechtsschutz der Antragstellerin darstellen und bestimmen, unter welchen Bedingungen das Gericht eine einstweilige Verfügung erlassen kann, um irreparable Schäden zu verhindern.
  • § 19 Abs. 1 WEG (Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums): Legt fest, wie das gemeinschaftliche Eigentum verwaltet und benutzt wird. Dieser Paragraph ist hier von Bedeutung, weil die Argumentation der Antragstellerin darauf basiert, dass die Stilllegung der Müllabwurfanlagen nicht der ordnungsgemäßen Verwaltung entspricht und somit ein Eingriff in ihr Nutzungsrecht darstellt.
  • § 18 Abs. 2 WEG (Ordnungsgemäße Verwaltung): Definiert, was unter einer ordnungsgemäßen Verwaltung zu verstehen ist. Die Relevanz ergibt sich daraus, dass das Gericht feststellen musste, ob die Entscheidung zur Stilllegung der Müllabwurfanlagen diesem Prinzip widerspricht.
  • § 888 Abs. 1 ZPO (Vollstreckung wegen Handlungen, Duldungen oder Unterlassungen): Erläutert, wie die Vollstreckung von Handlungen, Duldungen oder Unterlassungen durchgesetzt wird, einschließlich der Androhung von Ordnungsgeld und Ordnungshaft. Dieser Paragraph ist entscheidend, da er die rechtliche Grundlage für die Androhung von Zwangsmitteln gegen die Antragsgegnerin im Falle der Nichtbefolgung des Gerichtsbeschlusses bildet.


Das vorliegende Urteil

AG Königstein – Az.: 21 C 833/23 WEG – Urteil vom 21.12.2023

1. Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, die Vollziehung des Beschlusses zu TOP 10 vom 21.06.2023 (Stilllegung der Müllabwurfanlagen) bezogen auf das Haus B-Straße 1 zu unterlassen, bis rechtskräftig über die gegen diesen Beschluss erhobenen Anfechtungs- bzw. Nichtigkeitsklagen entschieden wurde.

2. Der Antragsgegnerin wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen das in Ziffer 1. ausgesprochene Verbot der Vollziehung ein Ordnungsgeld bis zu Euro 250.000,00 und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft von bis zu 6 Monaten angedroht.

3. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Antragstellerin zu 75% und die Antragsgegnerin zu 25%.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

Tatbestand:

Die Antragstellerin ist Teil der Wohnungseigentümergemeinschaft B-Straße 1-6 in 1… C-Stadt. Sie wendet sich mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen die Vollziehung des zu Tagesordnungspunkt (im Folgenden: TOP) 10 auf der Wohnungseigentümerversammlung vom 21.06.2023 mehrheitlich angenommenen Beschluss „Beschluss über die Stilllegung der Müllabwurfanlagen“. Der Beschlusstext lautet:

„Die Eigentümergemeinschaft beschießt [sic] die Stilllegung / Schließung der Müllabwurfschächte in den jeweiligen Häusern zum 31.12.2023.“

Für den Beschlussantrag stimmten 20 Ja-Stimmen/ Eigentümer. Gegen diesen Antrag stimmten 17 Nein-Stimmen/Eigentümer. 4 Eigentümer enthielten sich.

Mit Klageschriftsatz vom 20.07.2023, bei Gericht eingegangen am 21.07.2023, erhob die Antragstellerin „Nichtigkeitsklage nach § 44 WEG“ gegen den vorgenannten Beschluss. Das Verfahren wird unter Az. 21 C 513/23 (414) bei dem Amtsgericht Königstein geführt. Eine weitere Miteigentümerin hat Anfechtungsklage gegen den Beschluss erhoben. Dieses Verfahren wird unter Az. 21 C 510/23 (513) bei dem Amtsgericht Königstein geführt. Beide Verfahren sollen verbunden werden. Hierzu werden die Parteien derzeit angehört.

In dem Verfahren 21 C 510/23 wurde Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 08.02.2024 bestimmt.

Die Antragstellerin wohnt in einer Wohnung in dem Haus B-Straße 1. Sie ist mit zwei Knietotalendoprothesen ausgestattet und nur eingeschränkt gehfähig. Daher verfügt die Antragstellerin über einen Grad der Behinderung von 70, sie ist mithin schwerbehindert.

Die Wohnanlage B-Straße 1-6 liegt an einem Hang. Das Haus, in dem die Antragstellerin lebt, ist etwa 100 Meter von der Müllsammelstelle der Liegenschaft entfernt. Die Strecke zu dem Müllsammelplatz ist von einer erheblichen Steigung geprägt. In der Liegenschaft bestehen seit deren Errichtung Müllschluck- und Komprimierungsanlagen, wobei jedes Haus über einen Müllschluckschacht verfügt. Gemäß der Teilungserklärung (…) ist die Müllschluck- und Komprimierungsanlage gemeinschaftliches Eigentum der Wohnungseigentümergemeinschaft. Die Antragstellerin behauptet unter Versicherung an Eides statt, sie sei aufgrund ihrer körperlichen Einschränkungen nicht in der Lage, die Strecke von ihrem Haus bis zum Müllsammelplatz zur Verbringung des Restmülls zu bewältigen. Den Papiermüll nähmen Nachbarn für sie mit, den Plastikmüll stelle sie im Gelben Sack am Abfuhrtag nahe des Hauses an die Straße. Sie ist der Ansicht, der Beschluss zu TOP 10 der Eigentümerversammlung vom 21.06.2023 sei evident ungültig. Die Schließung der Abwurfanlage stelle für sie einen unverhältnismäßigen Nachteil dar. Zudem befürchte sie unwiederbringlichen Schaden an der Müllabwurfanlage durch die nicht genauer beschriebenen Maßnahmen der Verwaltung zur Stilllegung. Ferner würden der Gemeinschaft erheblich Kosten entstehen, die bei Zuwarten bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache vermeidbar wären.

Die Antragstellerin beantragt den Erlass einer einstweiligen Verfügung folgenden Inhalts:

1. Dem Antragsgegner wird aufgegeben, es zu unterlassen, die durch Beschluss vom 21.06.2023 beschlossene Schließung der Müllabwurfanlagen vor Rechtskraft des Verfahrens 21 C 513/23 durchzuführen.

2. Dem Antragsgegner wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen das in Ziffer 1 ausgesprochene Gebot / Verbot ein Ordnungsgeld bis zu Euro 250.000,00 und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft von bis zu 6 Monaten angedroht.

Die Antragsgegnerin beantragt, den Antrag zurückzuweisen.

Die Antragsgegnerin ist der Ansicht, der Beschluss entspreche ordnungsgemäßer Verwaltung. Da es sich um einen Beschluss über eine bauliche Veränderung im Sinne von § 20 WEG handele, sei ein Mehrheitsbeschluss zulässig. Ferner meint die Antragsgegnerin, es bestünde kein Verfügungsgrund, da keine wesentlichen Nachteile für die Antragstellerin erkennbar seien. Es würden keine irreversiblen Schäden durch die Stilllegung der Müllabwurfanlagen entstehen. Die Anlage betreffe ohnehin nur den Restmüll. Für die Entsorgung des Plastikmülls sowie des Altpapiers müsse die Antragstellerin schon jetzt den Weg zu den Müllsammelbehältern zurücklegen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen sowie die Sitzungsniederschriften vom 21.12.2023 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Der Antrag ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang zulässig und begründet.

Der Antrag ist statthaft. Ein Wohnungseigentümer kann seine Beschlussklage (Hauptsache) mit einer einstweiligen Verfügung flankieren und damit den gesetzlich in § 23 Abs. 4 S. 2 WEG normierten Mechanismus, wonach ein Beschluss gültig ist, solange er nicht durch rechtskräftiges Urteil für ungültig erklärt ist, überwinden.

Statthaft ist die Regelungsverfügung nach §§ 935, 940 ZPO. Der Antragsteller kann beantragen, dass ein bestimmter Beschluss einstweilen nicht vollzogen werden darf.

Der Erlass einer einstweiligen Verfügung kommt aber nur in Betracht, wenn der Antragsteller einen Verfügungsanspruch und einen Verfügungsgrund glaubhaft machen kann (§§ 935, 920 Abs. 2 ZPO). Eine Glaubhaftmachung des Verfügungsanspruchs meint bei einer Anfechtungssituation, dass der angefochtene Beschluss mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht ordnungsmäßiger Verwaltung oder Benutzung entspricht. Bei der Regelungsverfügung muss der Antragsteller wesentliche Nachteile i.S.v. § 940 ZPO glaubhaft machen, die abgewendet werden müssen. Hierbei hat das Gericht zu bedenken, dass der Mechanismus des § 23 Abs. 4 S. 1 nicht zu leicht ausgehebelt werden darf, da dem Beschluss andernfalls die gesetzgeberisch grundsätzlich vorgesehene Bindungswirkung geraubt wird. Im Übrigen kann durch längeres Zuwarten die Dringlichkeit selbst widerlegt werden. Drohen irreversible Schäden, wurde der Verfügungsgrund in der Rspr. schon bejaht (BeckOGK/Skauradszun, 1.12.2023, WEG § 44 Rn. 44,45).

Die Antragstellerin hat einen Verfügungsanspruch glaubhaft gemacht. Denn der streitgegenständliche Beschluss entspricht mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht ordnungsgemäßer Verwaltung und widerspricht damit § 18 Abs. 2 WEG. Bei den Müllschluckanlagen handelt es sich nach der Teilungserklärung der Wohnungseigentumsgemeinschaft um gemeinschaftliches Eigentum. Gemäß § 19 Abs. 1 WEG beschließen die Wohnungseigentümer eine ordnungsgemäße Verwaltung und Benutzung, soweit die Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums und die Benutzung des gemeinschaftlichen Eigentums nicht durch Vereinbarung der Wohnungseigentümer geregelt sind. Durch den angegriffenen Beschluss wird jedoch nicht der Gebrauch der Müllschluckanlagen geregelt, denn eine Gebrauchsregelung muss eine Konkretisierung des Gebrauchs zum Inhalt haben. Ein Gebrauchsentzug ist keine Regelung des Gebrauchs nach § 19 WEG.

Der Gebrauchsentzug ist dem Mehrheitsprinzip von vornherein ebenso wenig zugänglich wie die Änderung einer Vereinbarung. Die Stilllegung einer Müllabwurfanlage bzw. eines Müllschluckers ist mithin einem Mehrheitsbeschluss der Wohnungseigentümer nicht zugänglich (OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 30.08.2004 – 20 W 440/01, BeckRS 2004, 10004; BayObLG Beschluss vom 28.02.2002 – 2Z BR 177/01, NZM 2002, 447). Daran hat sich auch durch das WEMoG nichts geändert (vgl. AG Hamburg-Altona, Urteil vom 11.01.2022 – 303c 10/21, ZWE 2022, 266).

Auch die Gesetzesänderung durch das WEMoG bezüglich baulicher Veränderungen, § 20 WEG, vermag nichts daran zu ändern, dass der Gebrauchsentzug an der im gemeinschaftlichen Eigentum stehenden Müllabwurfanlage nicht durch Mehrheitsbeschluss erfolgen darf. § 20 Abs. 1 WEG normiert zwar, dass Maßnahmen, die über die ordnungsgemäße Erhaltung des gemeinschaftlichen Eigentums hinausgehen (bauliche Veränderungen), durch Mehrheitsbeschluss beschlossen werden können. Jedoch folgt daraus nicht, dass jeder Beschluss, bei dessen Umsetzung irgendetwas „gebaut“ wird, eine bauliche Veränderung im Sinne von § 20 WEG darstellt. Auf die zur Rechtslage vor Inkrafttreten des WEMoG ergangene Rspr. kann zu der Frage, ob eine bestimmte Maßnahme eine bauliche Veränderung i.S.d. §§ 20-21 darstellt, grundsätzlich zurückgegriffen werden (BeckOGK/Kempfle, 1.12.2023, WEG § 20 Rn. 34).

Für die mit der hiesigen Konstellation der Stilllegung einer im gemeinschaftlichen Eigentum stehenden Müllabwurfanlage vergleichbare Situation der Stilllegung eines im Gemeinschaftseigentum stehenden Schwimmbades ist nach der zur alten Rechtslage vor dem WEMoG ergangenen Rechtsprechung anerkannt gewesen, dass die Errichtung, Erweiterung oder Änderung eines Schwimmbades eine bauliche Veränderung darstellt (BeckOGK/Kempfle, 1.12.2023, WEG § 20 Rn. 90 mwN). Explizit nicht erfasst ist die Stilllegung.

Um abzugrenzen, ob es sich um eine Änderung einer Einrichtung im Gemeinschaftseigentum oder um einen Nutzungsentzug bzw. die Stilllegung einer Einrichtung im Gemeinschaftseigentum handelt, ist der getroffene Beschlusses auszulegen. Sinn und Zweck des angegriffenen Beschlusses ist vorliegend nicht, dass der Müllabwurfschacht umgebaut werden soll, um diesen einer anderen (gemeinschaftlichen) Nutzung zu unterziehen. Denkbar wäre die Umnutzung eines Müllabwurfschachts als Aufzug oder Ähnliches.

Vorliegend ist der Hintergrund des Beschlusses nach den Erklärungen der Parteien in der mündlichen Verhandlung jedoch nicht der Wunsch der Mehrheit der Wohnungseigentümer nach einer anderen Nutzung der Müllabwurfanlage. Vielmehr waren die Anregung eines Wohnungseigentümers, der sich durch die hygienischen Verhältnisse in dem Müllsammelraum der Müllabwurfanlage gestört sieht sowie Beschwerden des Hausmeisters Anlass zur Beschlussfassung. Die einzige Bautätigkeit infolge des Beschlusses würde im Rahmen der Stilllegung darin bestehen, dass die Schachtöffnungen zugeschraubt werden, damit kein Müll mehr eingeworfen werden kann, wie der Verwalter der Antragsgegnerin in der mündlichen Verhandlung erklärte. Daraus ergibt sich, dass es sich nicht um eine Änderung des Gebrauchs der Müllabwurfanlage, sondern um einen Gebrauchsentzug handelt. Die Bautätigkeit zur Erreichung des Ziels der Stilllegung nimmt demgegenüber eine völlig untergeordnete Rolle ein. Es liegt aus den vorgenannten Gründen keine bauliche Veränderung im Sinne des § 20 WEG vor, weshalb die weiteren Voraussetzungen des § 20 WEG nicht zu prüfen waren.

Die Antragstellerin hat auch glaubhaft gemacht, dass irreversible Schäden bei der Vollziehung des angegriffenen Beschlusses betreffend das Haus B-Straße 1 entstehen können. Solche Schäden drohen zwar nicht an den Müllabwurfschächten, da der Verwalter der Antragsgegnerin in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, er wolle bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den streitgegenständlichen Beschluss die Stilllegung der Müllabwurfanlagen lediglich durch einen Aushang an den jeweiligen Schachtöffnungen umsetzen. Jedoch drohen irreversible Gesundheitsschäden für die Antragstellerin, wenn sie den Restmüll zu der Müllsammelstelle bringen muss, obwohl sie aufgrund ihrer eingeschränkten Gehfähigkeit hierzu kaum in der Lage ist, jedenfalls nicht ohne Gefahr einer Verschlimmerung ihres gesundheitlichen Zustands.

Allerdings war dem Antrag nur in Bezug auf das Haus B-Straße 1 stattzugeben, da durch eine Umsetzung des angegriffenen Beschlusses in den übrigen drei Häusern der Wohnungseigentumsgemeinschaft der Antragstellerin keine wesentlichen Nachteile im Sinne von § 940 ZPO drohen.

Der Ausspruch zu Ziffer 2. des Tenors findet seine Grundlage in § 888 Abs. 1 ZPO. Bei dem Gebot, die Vollziehung des Beschlusses zu unterlassen, handelt es sich um eine unvertretbare Handlung im Sinne von § 888 ZPO (vgl. BeckOK ZPO/Stürner, 51. Ed. 1.12.2023, ZPO § 888 Rn. 6).

Da die Antragstellerin bezüglich der Vollziehung des Beschlusses in drei von vier zur Wohnungseigentumsgemeinschaft gehörenden Häusern unterlegen ist, hat sie gemäß § 92 Abs. 1 ZPO 75% der Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Die Antragsgegnerin ist bezüglich des Hauses W.allee 23 unterlegen und hat die übrigen 25% der Kosten zu tragen.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr.11, 711 S.1, 2, 709 S. 2 ZPO.

 

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