AG Bielefeld – Az.: 408 C 16/18 – Urteil vom 19.04.2018
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des gesamten vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Zwangsvollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
Die Klägerin verlangt von dem Beklagten Räumung und Herausgabe der an ihn vermieteten Wohnung nach einer außerordentlichen fristlosen Kündigung wegen Zahlungsverzuges.
Der Beklagte bewohnt seit Ende der sechziger Jahre eine 65,83 qm große Wohnung im zweiten Obergeschoss des Mehrfamilienhauses in C. Vermieterin war zuletzt die H. GmbH & Co. KG, deren Aktiva und Passiva nach ihrer Löschung im März 2017 gerichtsbekannt auf die Klägerin als ehemalige Komplementärin übergingen.
Der Beklagte bezieht jedenfalls seit 2015 Leistungen nach dem SGB II und bezog zuletzt Anfang 2018 monatlich 891,26 EUR.
Auf die diesbezüglichen Bescheide des Jobcenters Bielefeld Bl. 54, 155-157 d. A. wird wegen des genauen Bezugsverlaufes verwiesen.
Das Mietverhältnis wurde mit dem Schreiben vom 23.11.2017 namens der Klägerin durch ihre Prozessbevollmächtigten gegenüber dem Beklagten fristlos gemäß § 543 Abs. 2 Nr. 3 BGB gekündigt. Die Klägerin berief sich auf Mietrückstände in Höhe von 3.430,43 EUR per 23.11.2017. Es wurde eine Räumungsfrist bis zum 08.12.2017 gesetzt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Kündigungsschreibens vom 23.11.2017 wird auf die Anl. K2 verwiesen.
Eine erneute vorsorgliche fristlose Kündigung wurde mit der Klageschrift vom 08.01.2018 ausgesprochen unter Bezugnahme auf einen Mietkontoauszug des Beklagten, welches per 04.12.2017 ein Mietrückstand in Höhe von 3.580,52 EUR ausweist.
Bzgl. der Details des Mietkontoauszugs wird auf die Anl. K1 und im Übrigen auf Blatt 1 f. der Akte verwiesen.
Der Räumungsaufforderung kam der Beklagte nicht nach.
Hintergrund der Zahlungsrückstände ist, dass seitens des Beklagten auch ab dem 01.12.2015 weiterhin eine Brutto-Miete von zunächst monatlich 462,69 EUR entrichtet wurde, obwohl die Klägerin ab diesem Zeitpunkt eine um 160,09 EUR erhöhte Grundmiete aufgrund von Modernisierungsmaßnahmen geltend macht.
Nach einer Anpassung der Betriebskostenvorauszahlungen beträgt die von der Klägerin seit September 2017 beanspruchte Gesamtmiete 609,24 EUR, wovon 455,24 EUR auf die Grundmiete entfallen. Der Beklagte zahlt seither trotzdem auf diese Gesamtmiete einen Betrag von 449,15 EUR, sodass eine monatliche Differenz von 160,09 EUR entsteht.
Die Rechtsvorgängerin der Klägerin hatte die Modernisierungs- und Instandhaltungsmaßnahmen sowie eine voraussichtliche Erhöhung der Grundmiete um 183,01 EUR monatlich mit dem Schreiben vom 13.01.2015 angekündigt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Schreibens vom 13.01.2015 wird auf die Anlage K3 verwiesen.
Der Beklagte erwiderte hierauf mit dem Schreiben vom 25.02.2015, in dem er auf einen Behinderungsgrad bei sich, die Unwirtschaftlichkeit der Maßnahme für ihn sowie auf Belastungen während der Bauphase verwies.
Hinsichtlich des näheren Inhalts des Schreibens vom 25.02.2015 wird auf Bl. 46 d. A. bzw. auf Anl. K6 verwiesen.
Mit dem Schreiben vom 23.09.2015 teilte die Rechtsvorgängerin der Klägerin dem Beklagten den Abschluss der Baumaßnahmen sowie die sich nunmehr ab dem 01.12.2015 ergebende neue Gesamtmiete von 622,78 EUR mit.
Im Weiteren fand umfassende schriftliche Korrespondenz zwischen der Wohnungsverwalterin der Klägerin, der W. GmbH, und dem Beklagten bzw. dessen Bevollmächtigten statt, in der es um den Härtefalleinwand des Beklagten sowie sein Einsichtsrecht in die die Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen betreffenden Unterlagen ging. Auf ein dabei gemachtes Angebot, ihm bei der Suche einer kleineren und günstigeren Wohnung zu unterstützen, ging der Beklagte nicht ein.
Wegen diesbezüglicher Einzelheiten wird auf die Bl. 34-43, 48 ff., 77, 86 f. d. A. sowie die Anl. K7 verwiesen.
Die Klägerin behauptet, dass die Modernisierungsabrechnung sämtlichen formellen und materiellen Erfordernissen entspreche.
Die Klägerin beantragt, den Beklagten zu verurteilen, die Wohnung im Hause in C. im 2. Obergeschoss, 2. Wohnung von links, bestehend aus 3 Zimmern, Küche, Diele, Bad (65,83 qm) nebst Kellerraum geräumt an die Klägerin herauszugeben.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen, bzw. hilfsweise die Verlängerung der Räumungsfrist auf ein Jahr.
Der Beklagte ist zunächst der Auffassung, dass die streitgegenständlichen Kündigungen bereits nicht der erforderlichen Schriftform genügen würden.
Aber auch in der Sache sei die Mieterhöhung unberechtigt, da die Klägerin bzw. ihre Rechtsvorgängerin ihrer Nachweispflicht hinsichtlich der Modernisierungsmaßnahmen und -kosten nicht nachgekommen sei.
Ferner enthalte die Modernisierungsabrechnung formale und inhaltliche Fehler, sodass sie nicht ordnungsgemäß und rechtmäßig sei. Wegen des diesbezüglichen Vortrages wird insbesondere auf Bl. 27 f. d. A. verwiesen.
Im Übrigen macht der Beklagte weiterhin seinen Härtefalleinwand geltend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien bzw. Parteivertreter nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 15.03.2018 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist unbegründet.
I.
Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Räumung und Herausgabe der streitgegenständlichen Wohnung gemäß § 546 Abs. 1 BGB. Ein solcher Anspruch setzt nämlich die vorherige Beendigung des Mietverhältnisses voraus.
Trotz der ausgesprochenen außerordentlichen Kündigungen wurde das vorliegende Mietverhältnis zwischen den Parteien jedoch nicht beendet, da keine Kündigungsgründe gegeben sind.
1.
Eine wirksame außerordentliche Kündigung gem. § 543 Abs. 2 Nr. 3 BGB wegen Zahlungsverzuges besteht nicht.
Denn die in diesem Zusammenhang von der Klägerin geltend gemachten Zahlungsrückstände im Zeitraum vom 01.01.2016 – 31.12.2017 in Höhe von 3.580,52 EUR beruhen auf der von ihr geltend gemachten Modernisierungsmieterhöhung in Höhe von 160,09 EUR pro Monat.
2.
Der Klägerin steht indes kein Anspruch auf Erhöhung der Miete gem. § 559 Abs. 1-3 BGB zu.
Denn ein solcher Anspruch auf eine Mieterhöhung ist gem. § 559 Abs. 4 S. 1 BGB ausgeschlossen, soweit sie auch unter Berücksichtigung der voraussichtlichen künftigen Betriebskosten für den Mieter eine Härte bedeuten würde, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist.
Die Anwendung des § 559 Abs. 4 S. 1 BGB ist gem. § 559 Abs. 4 S. 2 BGB sowie nach § 559 Abs. 5 S. 1 i. V. m. § 555d Abs. 3-5 BGB allerdings dann unzulässig, wenn die Mietsache lediglich in einen Zustand versetzt wurde, der allgemein üblich ist, oder die Modernisierungsmaßnahme auf Grund von Umständen durchgeführt wurde, die der Vermieter nicht zu vertreten hatte, oder der Härtefalleinwand des Mieters nicht fristgerecht erfolgt ist.
a)
Zunächst liegt ein Abwägungsausschluss gem. § 559 Abs. 4 S. 2 BGB bzw. nach § 559 Abs. 5 S. 1 i. V. m. § 555d Abs. 3-5 BGB nicht vor.
aa)
Dass die Mietsache lediglich in einen Zustand versetzt worden sei, der allgemein üblich ist, oder die Modernisierungsmaßnahme auf Grund von Umständen durchgeführt worden sei, die der Vermieter nicht zu vertreten hat, wurde von der Klägerin nicht vorgetragen und ist auch sonst nicht ersichtlich.
bb)
Daneben wurde die Frist des § 559 Abs. 5 S. 1 i. V. m. § 555d Abs. 3-5 BGB von dem Beklagten gewahrt.
Der Härtefalleinwand ist danach bis zum Ablauf des Monats, der auf den Zugang der Modernisierungsankündigung folgt, in Textform mitzuteilen.
Die Modernisierungsankündigung erhielt der Beklagte am 13.01.2015 und seinen Härtefalleinwand trug er mit dem Schreiben vom 25.02.2015 vor.
Inhaltlich sind hierbei keine Hohen Anforderungen an die Mitteilung des Mieters zu stellen. Die Mitteilung der zu diesem Zeitpunkt durchaus noch allgemein gehaltenen Angaben soll es den Parteien ermöglichen, in einem Gespräch zu klären, ob überhaupt eine Härte vorliegt und wie diese ggf. abgemildert werden kann. Entscheidend ist deshalb nur, dass der Härteeinwand individualisierbar ist, also einen konkreten Lebenssachverhalt umfasst. Dazu reicht der Hinweis auf ALG II Bezug oder auf eine drohende Arbeitslosigkeit oder sonstige finanzielle Engpässe (Schmidt-Futterer/Börstinghaus, 13. Aufl. 2017, BGB § 559 Rn. 108b).
Diesem Maßstab genügt das Schreiben des Beklagten, da er mit seinem Einwand, eine Mieterhöhung um 183 EUR komme einer Kündigung gleich, auf seine geringe finanzielle Leistungsfähigkeit deutlich genug hingewiesen hat.
b)
Ein Ausschluss der streitgegenständlichen Mieterhöhung gem. § 559 Abs. 4 S. 1 BGB liegt vor, weil sie eine nicht zu rechtfertigende Härte für den Beklagten bedeuten würde.
Härtegründe im Sinne des § 559 Abs. 4 S. 1 BGB sind wirtschaftliche Härtegründe, sodass im Rahmen der Abwägung hinsichtlich der Mieterhöhung nur noch wirtschaftliche Interessen, sowohl des Vermieters als auch des Mieters, zu berücksichtigen sind.
Es bedarf somit einer Interessenabwägung, in die allein die wirtschaftlichen Belange des Mieters einerseits und die berechtigten wirtschaftlichen Interessen des Vermieters, die in Fällen, wie dem vorliegend, in einem reinen Refinanzierungsinteresse bestehen, andererseits einfließen. Es geht allein um die Interessen der Vertragsparteien.
Ob wirtschaftliche Belange des Mieters die Mieterhöhung umfänglich oder teilweise ausschließen, hängt von der Höhe des dem Mieter zur Bestreitung seines Lebensunterhalts verbleibenden Betrags ab. Das Nettoeinkommen des Mieters und die Gesamtmiete nach der Mieterhöhung sind im Verhältnis zueinander zu betrachten.
Unstreitig darf der Mieter hierbei nicht bis zum Verbleib des Existenzminimums belastet werden. Dem Mieter muss es trotz der Mieterhöhung möglich bleiben, von dem verbleibenden Einkommen sein Leben nach dem bisherigen individuellen Zuschnitt im Großen und Ganzen fortzuführen. Referenzgröße ist damit der bisherige Lebenszuschnitt des Mieters. Zu berücksichtigen ist insofern auch das Verhältnis zwischen Wohnbedarf und Wohnungsgröße, mit anderen Worten die Frage, ob der Mieter über seine finanziellen Verhältnisse hinausgehend lebt (MüKoBGB/Artz, 7. Aufl. 2016, BGB § 559 Rn. 25).
Aufgrund der nach diesen Aspekten durchzuführenden Abwägung ist eine Mieterhöhung dem Beklagten nicht zumutbar. Die Belange des Beklagten überwiegen das nicht näher ausgeführte reine Refinanzierungsinteresse der Klägerin.
Der Beklagte bezieht Leistungen nach dem SGB II wie aus den Bescheiden des Jobcenter Arbeitsplus vom 01.12.2014, 29.11.2015, 26.11.2016 und vom 25.11.2017 klar ersichtlich ist. Insbesondere aus den Bescheiden vom 01.12.2014 und vom 29.11.2015 ergibt sich auch, dass die Gesamtmiete vor der Mieterhöhung als Bedarf für Unterkunft und Heizung in voller Höhe anerkannt wurde, sodass ihm nicht vorzuwerfen ist, dass er über seine finanziellen Verhältnisse hinausgehend gelebt hat. Damit verblieben dem Beklagten vor der Mieterhöhung der volle Regelbedarfs- und zusätzlich ein geringfügiger Mehrbedarfsbetrag zur Lebensführung und bestimmten seinen Lebenszuschnitt.
Bei einem aktuellen Leistungsbezug von 891,26 EUR und einer nach der Mieterhöhung von der Klägerin beanspruchten Gesamtmiete von 609,24 EUR blieben dem Beklagten 282,02 EUR. Dieser Betrag liegt bereits 133,98 EUR unter dem aktuellen Regelbedarf von monatlich 416,00 EUR, sodass offensichtlich der bisherige Lebenszuschnitt nicht erhalten werden kann, finanzielle Mittel für alles, was über die Grundbedürfnisse hinausgeht, würden dem Beklagten nicht verbleiben.
Eine mögliche Erhöhung der Sozialleistungen als nur potentielles Einkommen hat bei dieser Betrachtung prinzipiell unberücksichtigt zu bleiben (vgl. Staudinger/Volker Emmerich (2018) BGB § 559 Rn. 34).
Da allerdings die aktuellen Richtlinien der Stadt Bielefeld zum SGB II im Grundsatz von einer angemessenen Unterkunftsgröße von 53 qm für eine Einzelperson und einer angemessenen Grundmiete von 4,64 EUR pro qm bei Betriebskosten von 2,20 EUR pro qm ausgehen, folgt hieraus eine erstattungsfähige Miete von 362,52 EUR. Auch unter Berücksichtigung von verschiedenen Ausnahmeregelungen in den frei zugänglichen Richtlinien ist also nicht davon auszugehen, dass ein derart erhöhter Leistungsbezug möglich wäre, sodass dem Beklagten lediglich noch hinnehmbare Einbußen an dem Regelbedarf verblieben.
II.
Die Klägerin hat auch keinen Herausgabeanspruch gegen den Beklagten aus § 985 BGB. Der Beklagte hat aufgrund der unwirksamen Kündigung weiterhin ein Recht zum Besitz der Wohnung nach § 986 Abs. 1 S. 1 BGB.
III.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
IV.
Der Streitwert für den Rechtsstreit wird auf 5.462,00 EUR, dem Jahreswert der beanspruchten Kaltmiete, festgesetzt.